Focusing |
Der Begriff Focusing wurde vor dem Hintergrund der Theorien von Carl Rogers, der Praxis der klientenzentrierten Psychotherapie entwickelt und von dem Psychologen Eugene T.Gendlin geprägt. Focusing ist ein ganzheitlicher Veränderungsprozeß, der die Körper-Geist Gefühl-Einheit zum Ziel hat und der letztendlich bei allen Therapiemethoden geschehen kann. Erst Gendlin hat diesen Prozeß so präzise erfaßt und beschrieben, daß es möglich wurde, ihn gezielt in einer systematischen Weise einzuleiten und zu fördern.
Menschen- und Weltbild:
„Organismisch statt cartesianisch“
Ablösung des alten dualistischen Denkmodells (Descartes): Trennung in Geist-Materie,
Subjekt-Objekt, Bewußt-Unbewußt, durch ein holistisches, ganzheitliches
Weltbild.
Carl Rogers spricht von organismischen Prozessen und formuliert zwei miteinander
verwandte Tendenzen: Die Selbstver-wirklichungstendenz als Charakteristikum
des organischen Lebens und eine formative Tendenz im Universum als Ganzes. Rogers
weist auf den Chemiker und Philosophen Ilya Prigogine hin, der den mathematischen
Beweis erbrachte, daß die belebte Natur nicht ausschließlich deterministisch,
sondern probabilistisch ist, was bei allen offenen Energiesystemen, also auch
beim menschlichen Organismus zutrifft. Oganismisch, transformatorisch, transzendental
wurden zu Begriffen des neuen Paradigmas, daß das alte dualistische Weltbild
langsam aber sicher überholt.
Gibt man die dualistische Sichtweise auf, existiert keine Schwelle mehr zwischen
Bewußtem und Unbewußtem, beides wird miteinander verbunden und somit
ganzheitlich erfahrbar, wobei es statt gerichteter Aufmerksamkeit einer Art
schwebender Aufmerksamkeit bedarf, wie sie in der Meditation oder beim Focusing
passiert. Das heißt in holistischer Sicht: Der Organismus strukturiert
die Beziehung zu einer Situation als Ganzes: Die unbewußte Modalität
einer Beziehung gleich welcher Art (Umwelt, Menschen) geschieht immer auf dem
Hintergrund des Erlebnisfeldes (= Unbewußtes ), auf dessen Vordergrund
(reale Situation/Bewußtes) Figuren und Objekte der gerichteten Aufmerksamkeit
stehen, wobei beide „Ebenen“ ständig miteinander in Wechselwirkung
stehen, sodaß in die Figur im Vordergrund (reale Situationen, Beziehungen
etc.) auch der Hintergrund (unbewußte Prägungen Muster etc.) implizit
miteingeht. Die schwebende Aufmerksamkeit (veränderter Bewußt-seinszustand,
z.B. in Alpha) nimmt das ganze Feld des Erlebens ohne Trennung in Vorder- und
Hintergrund wahr. Dieser Zustand wird im Focusing angestrebt, sodaß es
zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung (Körper-Geist-Gefühl-Einheit)
kommt.
Der Hintergrund (das Unterbewußtsein) besteht aus immer weiter werdenden
Interpretationsebenen: („Tiefenschichten“, nicht
topographisch zu verstehen)
Das Modell des Focusing beschreibt in sechs Schritten jenen Prozeß, der abläuft, wenn eine Person mit ihrem inneren Erleben so Kontakt aufnimmt, daß es zu einer deutlichen, spürbaren Veränderung kommt.
Der Einstieg geschieht, in dem man mit einer besonderen Art körperlicher
Empfindung Kontakt aufnimmt. Sie wird „felt sense“ genannt und ist
anfangs noch vage, diffus, eine nichtssagende Ahnung des ganzen Problems. Durch
Verweilen in dieser unscheinbaren Körperempfindung entfalten sich die zugehörigen
Gefühle und Bedeutungen. Mit dem Finden der Bedeutung des „felt sense“
geht eine unmittelbar fühlbare Veränderung (Körper-Geist-Gefühl-Einheit)
neue Dimension des Erlebens) einher, die „felt shift“ genannt wird.
Sie wird als Entspannung, Erleichterung, neue Perspektive, direktes Verstehen
beschrieben und geht mit einem subjektiv verspürten Energiezufluß
einher. Dieser vollständige Prozeß kommt einer Transformation des
Bewußtseins gleich.
In der Begleitung des Focusing sind grundsätzlich zwei Interventionsformen
möglich:
Bei diesem Führen handelt es sich um ein Führen der Aufmerksamkeit,
ohne irgendeine Einflußnahme auf den Inhalt seines Erlebens, indem der
Therapeut versucht, den Fokus der Aufmerksamkeit des Klienten auf ausgeblendete
Elemente seines gegenwärtigen Erlebens zu lenken. Aktive Hilfestellung
ist im Stadium des Impliziten nötig, im vage Gespürten, Unklaren,
Erahnten, da ermöglicht das Zurücksagen des Therapeuten die Entfaltungsarbeit.
Der Therapeut achtet ganz besonders auf die Vollständigkeit des Prozesses,
sodaß alle drei Erlebnismodalitäten - Körper-Geist-Gefühl
- am Geschehen beteiligt sind. Z.B. Beschreibt der Klient längere Zeit
nur Körpersensationen, kann die Frage: “Wie kommt Ihnen das vor?“
oft die Bedeutung bringen.
Häufig geht es darum, bei verwaschenen Bildern, halbstimmenden Wörtern
so lange zu verweilen und sie nicht wieder versanden zu lassen, bis ihre ganze
Bedeutung mit dem AHA-Erlebnis zutage tritt.
Als letztes führt der direkte Vollzug des soeben Erlebten und Identifizierten,
z.B. etwas herauskotzen, schlagen, schreien dazu, daß das körperlich
Gespürte, das Gefühlte und das Verstandene sich zu einem vollständigen
Ganzen vereinigen.
Literatur:
Agnes Wild-Missong: „Neuer Weg zum Unbewußten - Focusing als Methode
klientenzentrierter Psychoanalyse“,
Otto Müller Verlag, Salzburg