Multiple Sklerose - Krankheit als Entwicklungsaufgabe - (193)
Der Klient (Mitte 20) leidet seit einigen Jahren an Multiple Sklerose.
Im Anschluß die Zusammenfassung der Probesitzung:
Der Therapeut führt den jungen Mann in seinen inneren Bildern eine Treppe
nach unten und bittet ihn dann, einen Gang zu visualisieren, von dem Türen
abgehen. Er entscheidet sich, zuerst die erste Tür auf der linken Seite
zu öffnen. Darauf steht das Wort „Angst“. Er sieht einen schwarzen,
leeren Raum vor sich und fühlt sich haltlos, allein und orientierungslos.
Er geht in den Raum hinein und kommt ins trudeln. Dabei spürt er einen
Zustand absoluter Leere, der ihm ganz neu ist. Der Therapeut fordert ihn auf,
etwas Wichtiges auftauchen zu lassen. Er nimmt als erstes seine Arme wahr, die
er nicht mehr bewegen kann. Er ist handlungsunfähig. Dann fordert er die
Arme auf, ihm zu sagen, warum sie ihm nicht mehr gehorchen. Daraufhin taucht
die Situation auf, als ein Arzt ihm vor 3 Jahren die Diagnose „MS“
eröffnete. Diese Auslöser-situation verstärkte seine tief in
der Symbolwelt verankerte Handlungsunfähig-keit. Dies muß aufgelöst
werden.
Der Therapeut fordert ihn auf, jetzt direkt mit dem Arzt in Kontakt zu treten
und ihm dies zu sagen.
Kl: Du hast probiert, es herunterzuspielen. Ich hatte ein Gefühl wie Ohnmacht,
einen Schockzustand. Als ich raus bin, bin ich zusammengebrochen.
Th: Sei noch einmal direkt dort. Es ist okay, wenn Tränen kommen.
Kl: Meine ganzen Ziele haben sich in Luft aufgelöst. Es kamen Selbstvorwürfe.
Dann habe ich alles unter dem Schockzustand verdrängt, habe Rückgrat
gebildet und gesagt: Ich schaffe es schon.
Th: Laß mal deine Krankheit als Gestalt oder Energiebild auftauchen. Wie
sieht sie aus?
Kl: Es ist wie der langsame Untergang der Titanic. Man weiß, daß
sie untergeht, aber es sind noch 2 Stunden Zeit.
Th: Sage es der Krankheit direkt!
Kl: Warum geht das so ewig langsam? Und warum ist es unabänderbar?
Th: Wenn die Krankheit antworten könnte, was würde sie sagen?
Kl: Du mußt dein Leben ändern!
Th: Frage sie, was du ändern sollst.
Kl: Was soll ich ändern? - Ich muß mich akzeptieren und das Leben
akzeptieren.
Th: Okay, die Krankheit soll dir einmal zeigen, was passiert ist, daß
du dich und das Leben nicht akzeptierst.
Kl: Ja, ich habe mich immer mit anderen verglichen. Ich habe meine roten Haare
gehaßt und das Supersensible an mir .... ich kam nie mit meinen Emotionen
klar.
Der Therapeut fordert den Klienten auf, in eine Situation zurückzugehen,
wo er begonnen hat, sich selbst zu hassen. Es kommen Erinnerungen aus der Kindheit,
von ständigen Hänseleien anderer Kinder, von der Suche nach Verläßlichem,
Gefühle vom Ausgeschlossensein.
Der Therapeut fordert ihn auf, seine Eltern auftauchen zu lassen und mit ihnen
zu reden.
Kl: Ich glaube, daß ihr zu mir haltet. Aber warum ärgern mich so
viele? Warum sind die meisten so gemein zu mir? - Du mußt zurückschlagen,
darfst dir nichts gefallen lassen! Du mußt dagegen ankämpfen, sagt
die Mutter.- Warum soll ich ständig Krieg führen? Ich wähle lieber
einen anderen Weg.
Th: Laß mal die anderen auftauchen und frage sie mal, warum du dich wehren
sollst. Ein ehemaliger Schulbekannter taucht auf.
Kl: Warum ärgerst du mich? - Es ist ein Konkurrenzkampf. Er sieht mich
als Konkurrenten ... - Ich möchte das nicht! Ich möchte lieber dein
Freund sein. - Das macht ihm keinen Spaß. Er braucht den Kampf. - Warum
macht dir das Spaß? - Er ist nicht ausgelastet. Sonst wird es ihm langweilig.
Th: Frage ihn mal, wenn du auch so geworden wärst wie er, ob du dann auch
krank geworden wärst. Schau, ob er mit dem Kopf nickt oder schüttelt.
Kl: Es kommt ein relativ eindeutiges „Nein“.
Th: Frage ganz konkret, ob du wieder gesund werden kannst, wenn du alles nachholen
würdest - den Umgang mit deinen Aggressionen lernst. - Auf diese Frage
bekommt der Klient ein klares „Ja“.
Der Klient sucht Hilfe bei seinem Vater, der aber auch nie Aggressionen zeigen
konnte, weil er seiner Mutter hörig war. Nun versucht er dem Vater zu zeigen,
wie man sich durchsetzt, stellt aber fest, daß er nicht die Voraussetzung
dafür hat. Er empfindet sich als Gefangener seines Körpers. Der Therapeut
rät ihm jetzt, eine Richtung einzuschlagen, um aus dem Mangel eine Stärke
zu machen.
Der Klient wählt die Alternative, sich so zu akzeptieren, wie er ist, um
Boden unter den Füßen zu bekommen.
Er fragt jetzt seine Mutter, ob sie ihm behilflich sein kann. Aber sie war auch
nie selbstbewußt genug, um zu sich selbst zu stehen.
Th: Du hast die Probleme beider Elternteile in dir vereint. Willst du sie lösen?
Kl: Auf jeden Fall! Es gibt nur noch ein Ziel!
Th: Sage es deinen Eltern!
Kl: Ich möchte jetzt im Leben stehen, handlungsfähig sein und zu mir
selber stehen. Ich gehe jetzt meinen Weg. Es ist allerhöchste Zeit! Ich
muß es ohne euch tun, denn ich kann von euch nichts lernen. Ich muß
die Verantwortung für mich übernehmen.
Th: Wie reagieren sie darauf?
Kl: Mein Vater weiß gar nicht, was ich meine. Meine Mutter versucht, mich
zu verstehen. - Der Klient beginnt zu weinen, als er die Mutter direkt ansprechen
soll. - Obwohl ich jetzt schon seit 5 Jahren MS habe, glaubst du immer noch,
es kommt irgendwann das richtige Medikament. Du verstehst gar nicht, daß
ich immer größere Ziele hatte. Du hast nie auf mich geschaut. Du
warst schon für mich da, aber du hast mich nie richtig verstanden. Du hast
mir zu essen gegeben, hast mich gewaschen. Es war immer schön bei dir.
Daß ich leide, das hast du nie entdeckt. Das Innere hast du nicht gesehen.
Th: Warum hast du es zurückgehalten?
Kl: Ich wollte ihr keine Sorgen machen. Ich wollte ihr zeigen, daß alles
okay ist. - Du hast so viele Probleme mit deinem Mann gehabt, der seiner Mutter
hörig war. Ich hatte das Gefühl, du bist nicht belastbar. Dein Jammern
hat mich gestört.
Der Therapeut erklärt ihm, daß er jetzt seinen Weg einschlagen muß,
seine Aggressionen leben muß, sonst geht es ihm wie allen anderen MS-Kranken.
Er wird hilflos. Von seinen Eltern konnte er nicht lernen, zum Mann zu werden.
Kl: Ich kann mir selbst nicht helfen. Ich möchte mir gerne helfen. - Er
spricht mit seinem Arzt - Ihr wollt alle nur die Symptome bekämpfen. Ihr
seht mich dabei gar nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, ich bin selbst schuld.
Ihr wolltet die Schuld von mir abnehmen.
Th: Es geht nicht um Schuld. Aber du bist der Verursacher. Du mußt wach
werden bei der Diagnose. Der Arzt sollte dir sagen, Aggression ist dein Thema.
Er sollte nicht nur auf die Körperebene schauen. Leider werden Kranke sehr
oft als bedauernswerte Opfer angesehen und somit wird diese Rolle verfestigt.
Kl: Ich habe eine Psychotherapie begonnen, aber die Psychotherapeuten sind genauso
wie die Ärzte. - Was will ich mit euren Sprüchen, ich kann sie nicht
anwenden. Ich suche eine Hilfe zur Selbsthilfe. Meine Hände bewegen sich
nicht. - Klient beginnt zu weinen. - Es versteht mich keiner. Ich suche einen
Fixpunkt, dann hebe ich die Welt aus den Angeln. Aber ich finde keinen Fixpunkt.
Ich habe vor meinem Kör-per Angst, daß er sich verklemmt, versteift.
Th: Rede mal mit deinem Körper.
Kl: Du bist ständig auf der Flucht, verschiebst alles auf morgen. Ich kann
dir aber keinen Vorwurf machen, denn ich habe dich so trainiert. Das tut mir
leid. Es ist so gekommen, weil ich nicht mit der Welt klargekommen bin. Probleme
habe ich nicht akzeptiert. Ich bin ihnen aus dem Weg gegangen und habe dich
leiden lassen.
Th: Frage deinen Körper, ob er wieder gesund wird, wenn du jetzt beginnst
daran zu arbeiten. Und schau, wie er reagiert.
Kl: Ich spüre so etwas wie ein „Ja“. - Lieber Körper,
du mußt endlich aufhören, gegen dich selbst zu kämpfen. Du mußt
dich so lieben und akzeptieren, wie du bist.
Der Therapeut fragt den Klienten nach seiner Sexualität. Er meint, daß
er Sexualität noch nie gelebt hat, weil es bisher keine Frau gab, die er
richtig geliebt hätte. Er hatte immer Angst, von einer Frau nicht akzeptiert
zu werden.
Als der Klient den Raum vom Beginn der Sitzung erneut betritt, entdeckt er ein
Koordinatensystem, ein Gerippe, aus dem etwas entstehen könnte. Er kann
die Ecken des Raumes erkennen. Er empfindet ihn als total offenen Raum, den
er neu gestalten kann, hat aber noch Angst, da das, was da ist, noch sehr schwach
ist. Er verläßt dann den Raum wieder, läßt aber die Tür
offen.
Danach öffnet er eine zweite Tür mit der Aufschrift „Natur“.
Dahinter ist eine grüne Landschaft, ein Ort zum Entspannen und voller Lebendigkeit.
Dies zeigt sehr deutlich, daß sein Potential zur Lebendigkeit da ist,
jedoch abgespalten - polar - existiert.
Eine Frau taucht auf, kommt auf ihn zu und er hat das Gefühl, daß
sie ihn so akzeptiert, wie er ist. Er kann ihren Duft wahrnehmen und ihre feinfühlige,
sanfte Weiblichkeit. Er fragt sie, ob sie ihm helfen kann, da sich seine Hände
wieder so schwer anfühlen. Sie berührt seine Hände, aber sie
werden noch schwerer. Er nimmt seine Hände wie unter einer Eisschicht wahr,
die zerbricht, als die Frau ihn umarmt. Sie bringt ihn dann zu einem Bach und
er legt die Hände hinein. Die Hände beginnen jetzt zu schwitzen, als
ob sie vorher lange eingefroren waren. Jetzt kommt der Impuls, mit den Händen
zuerst die Beine der Frau zu berühren, dann ihr Gesicht. Er fragt sie,
ob sie ihm helfen will, wieder gesund zu werden. Er glaubt aber nicht, daß
sie es kann, sondern daß er es selbst tun muß. Als der Therapeut
ihm erklärt, daß sie ein Energieanteil von ihm ist, glaubt er, daß
sie ihm etwas zeigen kann.
Jetzt geht sie mit ihm auf einen Berg und zeigt ihm eine riesige Stadt. Die
Stadt strahlt etwas Kaltes aus, aber in ihr ist Leben und Auseinandersetzung.
Er nimmt sie als sein nächstes Ziel wahr und trifft eine Vereinbarung mit
ihr, daß er sie später besuchen wird. Hier wird deutlich, daß
dem Klienten auf der Symbolebene die „Eroberung der Welt“ angeboten
wird.
Jetzt kehrt der Klient noch einmal in den ersten Raum zurück, wo alle Gestalten
auftauchen, die in der Sitzung eine Rolle gespielt haben.
Sie sind farbig, obwohl der Raum noch keine Farbe hat. Aber sie sind nicht richtig
lebendig. Das zeigt, daß Starre und Lebendigkeit gleichzeitig da sind.
Nach der Probesitzung entscheidet sich der Klient zu einem einwöchigem
Therapieaufenthalt.
Im Laufe dieser Sitzungen treten keinerlei Schockerlebnisse aus der Kindheit
zutage. Es geht vielmer immer wieder um die Themen, die bereits in der Probesitzung
deutlich wurden: Er kann sich selbst nicht so akzeptieren, wie er ist und geht
allem aus dem Weg, das ihm Angst macht. In seinem realen Leben hatte er seit
Jahren versucht, mit Extremsport, sich unsensibel zu machen. (Heute leidet er
unter den MS-typischen Sensibilitätsstörungen)
Langsam beginnt die bisherige Einstellung des Klienten zu kippen und er fängt
an, allem, was ihm Angst macht entgegenzugehen. Die Angst vor der Angst kippt
in Lust auf Angst. Er will sie wieder spüren und den Herausforderungen
des Lebens endlich begegnen. Dies geht so-weit, daß er sich sogar bereit
erklärt, sich seiner größten Angst - der Redeangst - zu stellen.
Innerhalb einer Sitzung hält er vor mehreren Menschen (die auf seinen Wunsch
dazugeholt wurden) eine Rede, in der er sich zu seiner Krankheit bekennt, was
er bisher standhaft vermieden hatte.
Der Klient erkennt immer deutlicher, daß er sich auf einen Weg gemacht
hat, der zur entgültigen Auflösung seiner Krankheit viel von ihm fordert
und er steht immer wieder vor der Entscheidung, ob er dazu wirklich bereit ist.
In der einwöchigen Therapie hat der Klient den Hintergrund seiner Krankheit
deutlich erkennen können, er fing an, sich immer mehr zu akzeptieren, wie
er ist und er machte erste Schritte in die neue Richtung.
Er verabschiedete sich mit dem inneren Versprechen, seine veränderte Wahrnehmung
im Leben zu testen. Durch die Sessions, in denen einige Musterteile gekippt
sind, hat er sich eine gewisse Freiheit erarbeitet, die es ihm ermöglicht,
neue Verhaltens-weisen zu erproben und immer mehr zu etablieren. Er will in
telefonischem Kontakt bleiben und in ca. 2-3 Monaten zum nächten Therapieaufenthalt
kommen.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß evolutionär gefoderte Entwicklung
(siehe auch Individuationsprozeß nach C.G. Jung), die vermieden oder verweigert
wird, zu Krank-heiten führen kann.
Krankheit ist immer auch verweigerte Entwicklung, doch kann niemand dauerhaft
Entwicklung vermeiden - diesen Zusam-menhang zeigt auch Dr. Dahlke in seinem
Buch „Krankheit als Weg“ auf. Der individuelle Weg läßt
sich jedoch beschleunigt in der Innenwelt trainieren und Muster, die scheinbar
unüberwindliche Hindernisse darstellen, können ausgeräumt werden.
- jedoch muß der Weg auch in der „äußeren Welt“
gegangen werden. Der Klient ist noch jung und hat daher eine sehr gut Chance
nicht mit der „Titanic“ unterzugehen.