Platzangst (130)
Die Klientin leidet unter Platzangst, die so stark ausgeprägt ist, daß sie selbst in ihrer eigenen Wohnung ständig alle Türe offen stehen lassen muß. In der Sitzung taucht eine längst vergessene Szene aus ihrer Kindheit auf, in der ihr Bruder sie in einen Schrank eingesperrt hatte. Nachdem die Klientin sich nun in den inneren Bildern wehrt, anstatt stillzuhalten und die Luft anzuhalten, wie sie es damals getan hat, löst sich die Prägung auf und die Platzangst verliert ihren neuronal verankerten Hintergund. Das Ergebnis - mehr Freiheit in der Außen-welt: Sie kann sich jetzt ohne Angst auch in geschlossenen Räumen aufhalten.
Th: Wann taucht denn dieses Gefühl der Platzangst auf?
Kl: In kleineren Räumen. Wenn ich z.B. schlafen gehe ist es ok., die Tür
zuzumachen. Aber wenn ich im Schlafzimmer aufräume, kann ich die Tür
nicht zumachen. Irgendwie hab ich dann das Gefühl, abgeschlossen zu sein
vom Rest der Welt. Das ist so unheimlich, wenn die Tür zu ist. Und bei
uns auf der Toilette will ich die Tür auch nicht zumachen, da ist der Raum
zu klein dann. In der Dusche geht es jetzt, weil das eine Glastür ist,
aber früher konnte ich es nur mit einem Vor-hang ertragen. Ich brauche
das Gefühl, ich kann die Hand ausstrecken, wenn ich will. Und deswegen
haben wir in unserer Wohnung alles offen, also ganz wenig Türen, damit
es offen ist, irgendwie.
Th: Gut, du kannst dem ganz einfach auf die Spur kommen, indem du dir jetzt
vorstellst, im Kinderzimmer oder im Schlaf-zimmer zu sein, da aufzuräumen
und dann einfach mal die Türe zuzumachen. Und schau mal, ob sich in der
Erinnerung dieses Gefühl einstellt. Und wenn du dieses Gefühl hast,
dann sag mir mal be-scheid. Weil wir brauchen dieses Gefühl, damit es dir
zeigen kann, wo es herkommt.
Kl: Ja, ich bin im Kinderzimmer und das Gefühl ist da.
Th: Gut, dann sag dem Gefühl soetwas wie: Hallo, da bist du ja, ich kann
dich wahrnehmen - oder so. Sprech das Ge-fühl mal ganz direkt an. Weil
es ist etwas ganz Eigenständiges.
Kl: Hallo, du bist da, ich nehm dich wahr.
Th: So, und jetzt soll dir dieses Gefühl zeigen, wo es zum ersten Mal aufgetaucht
ist. Sag ihm so etwas wie: Zeig mir bitte, wo du entstanden bist. Und dann schau,
was auftaucht. Das kann eine Phantasie sein, das kann aber auch eine reale Erinnerung
sein.
Kl: Von meiner Phantasie her sieht es so aus, als wäre ich in einem Schrank
drin, den wir früher mal hatten, so ein eingebauter Schrank mit Schiebetüren.
Th: Dann sei mal da drin, spür das mal. Das Gefühl müßte
jetzt ganz stark sein. Und spür mal, wie alt du bist.
Kl: Etwa sieben.
Th: Ok, guck mal, was ist da passiert? Warum bist du in dem Schrank? Hat man
dich dort eingesperrt?
Kl: Nee, ich glaub, mein Bruder hält die Tür zu.
Th: Und jetzt kriegst du Panik? - Klientin bejaht und reagiert körperlich
- Ok, spür diese Panik mal und atme ein bisschen mehr. Du weißt ja
nicht was das bedeutet, mit sieben Jahren. Der kann dich ja vielleicht nie mehr
rauslassen oder so. Und was auch immer jetzt hochkommt an Worten, sag es deinem
Bruder.
Kl: Ich merk auch, daß die Mottenku-geln, die da drin sind, so stark riechen,
daß ich das Gefühl hab, ich krieg keine Luft mehr.
Th: Ja, sag das alles deinem Bruder, red mit ihm. Mach jetzt in der Situation
etwas.
Kl: Mach die Tür auf, hier riecht’s nach Mottenkugeln. Ich krieg
keine Luft mehr. - Sie hält die Luft an.
Th: Atme ein bisschen mehr. Stell dir auch vor, du atmest die Situation aus.
Du hast bestimmt auch die Luft angehalten in dem Moment. Und klopf ruhig gegen
die Tür, randaliere, mach irgendetwas in deiner Innenwelt, jetzt. Du mußt
jetzt irgendetwas anderes machen als stillzuhalten.
Kl: - Die Klientin wehrt sich, woraufhin der Bruder die Türe öffnet
- Er findet es unheimlich lustig.
Th: Sag ihm, daß du heute noch nicht ins Kinderzimmer gehen kannst, ohne
ein komisches Gefühl zu kriegen. Der soll das wissen, der muß das
wissen.
Kl: Nur wegen dir kann ich in keinen Raum reingehen und die Tür zumachen.
Th: Du hast es zwar vergessen, aber in deinem Unterbewußtsein arbeitet
es ständig weiter.
Kl: Das ist jetzt so realistisch, als wäre es tatsächlich passiert,
aber ich weiß es nicht mehr.
Th: Ja, du hast es verdrängt. Aber deine Platzangst hat dich in diese Situation
geführt und dir gezeigt: Da bin ich entstanden oder zum ersten Mal aufgetaucht.
Kl: Grad eben hab ich auch gedacht, das riecht tatsächlich wie bei meinen
Eltern im Schrank. Ich konnte Mottenkugeln noch nie riechen, ich hab mir immer
ge-dacht, bevor ich mir Mottenkugeln kaufe, laß ich die Sachen lieber
auffressen von den Motten. Vielleicht hängt das ja auch damit zusammen.
Th: Bestimmt. Das sind so kleine Anke-rungen und du weißt gar nicht mehr,
warum. Und als siebenjähriges Kind konntest du die Situation auch nicht
einschätzen, du wußtest ja nicht, wie lange er wirklich zuläßt.
Kl: Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein, daß
es wirklich so gewesen sein könnte.
Th: Ok, wenn es so ist, müßtest du jetzt in deiner Innenwelt ins
Kinderzimmer gehen können und dürftest eine Verän-derung wahrnehmen.
Geh mal rein, mach die Tür zu und schau mal, wie es sich jetzt anfühlt.
Kl: Es geht, ja. Die Angst ist weg.Die Klientin macht den gleichen Test im Schlafzimmer
und auf der Toilette. Jedesmal macht sie dieselbe Erfahrung: Die Platzangst
ist verschwunden. ...
Vor ihrer nächsten Sitzung berichtet sie, daß die Platzangst zu Hause
weg sei die Türen nicht mehr offen stehen müßten.