Festhaltetherapie Irena Prekop |
Aspekte der Festhalte-Therapie in der Kinderheilkunde (PARACELSUS Report 1995)
Von Claudia Söller
"Irina Prekop hat sich mit Ihrem Buch ,,Hättest Du
mich festgehalten' als eindrucksvolle - um nicht zu sagen ,,leidenschaftliche"
- Fürsprecherin der Festhalte-Therapie positioniert. Festhalte-Therapie
ist in Fachkreisen vor allem durch die überraschenden Erfolge bei autistischen
Kindern bekannt und zwischenzeitlich auch als therapeutische Intervention bei
kindlichen Früh- und Entwicklungsstörungen anerkannt worden. Da ich
selbst schon seit längerer Zeit mit Festhalte-Therapie der gestörten
Mutter-Kind-Beziehung bzw. dem fehlenden Urvertrauen in der frühkindlichen
Entwicklung begegne, möchte ich über das Zitieren dieses Buches von
lrina Prekop hinausgehend auch persönliche Therapie-Erfahrungen mit der
Festhalte-Therapie erwähnen.
Festhalte-Therapie oder kurz ,,Halte-Therapie"(HT) ist der Fachbegrift
für das ,,willentliche Festhalten und Umarmen eines Kindes durch seine
Mutter auch gegen den inneren und äußeren Widerstand des Kindes",
um in diesem ,,Halt gebenden therapeutischen Setting" das fehlende oder
gestörte Urvertrauen des Kindes zu seiner nächsten Bezugsperson (meist
Mutter, seltener Therapeutin bzw. Heimpersonal) wiederherzustellen. Und bereits
in dieser Umschreibung, die der Übersetzung des aus USA kommenden Begriffes
,,forced holding" entspricht, liegt der eigentliche Grund, warum diese
therapeutische Intervention nicht als ,,brauchbares Allgemeinwissen" in
die Praxen der psychologischen Berater und Psychotherapeuten eingegangen ist:
Nämlich die völlig mißverständliche Interpretation von
Halte-Therapie im Sinne von ,,Gewaltanwendung und Machtausübung einer stärkeren
Person gegenüber einer schwächeren" oder auch ,,der Fremdbestimmtheit
und dem Brechen des Kindes durch Gewalt", was sich einem außen stehenden
Beobachter visuell oder im Versuch intellektuell zu verstehen, leicht aufdrängen
kann.
Irina Prekop selbst sagt: ,,Man kann diesen Therapieansatz nicht mit der Logik
des Verstandes verstehen, sondern es nur mit der Logik des Herzens tun"
und zitiert in diesem Zusammenhang Saint-Exupery mit seinen Worten: ,,Man sieht
nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
(Synergetische Erklärung möglich! B.Joschko.)
Dies entspricht auch dem tieferen Sinnzusammenhang der Halte-Therapie, da FESTHALTEN
dem Ursprung nach ,,stark geborgen, gehalten werden" heißt. Im Tschechischen
hat der Begriff ,,FESTHALTEN" die Bedeutung ,,gehalten werden länger
als du erwartest" und im SIowakischen heißt FESTHALTEN ,,ich drücke
dich, ich lasse dich mich intensiver spüren, intensiver als du verlangst“
- was nicht verwunderlich ist, da Irina Prekop diese Begriffe ihrer tschechisch/slowakischen
Muttersprachen zutiefst als ganzheitliche menschliche Begegnung verstanden hat
und auch in ihrer langjährigen therapeutischen Erfahrung bis zuletzt in
Stuttgart in der Olga-Klinik für jeden überzeugend lebte.
Doch Halte-Therapie ist nicht nur in der warmherzigen und temperamentvollen
Persönlichkeit von lrina Prekop oder anderen außergewöhnlichen
Persönlichkeiten wie dem Begründer Zaslow (1969), Welch (Vertreterin
in USA seit 1978), Tinbergen (Oxford seit 1983) verankert, sondern hat natürlich
ein wissenschaftlich fundiertes Theoriemodell, ist längst in signifikanten
Langzeituntersuchungen und in zahlreichen Veröffentlichungen der Fachliteratur
- besonders im Zusammenhang mit unerwarteten Erfolgen bei autistischen Kindern
- belegt.
Die Arbeitshypothese von Irina Prekop, die seit 1981 als deutsche Vertreterin
der Halte-Therapie gilt, baut auf eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen
auf, in der ethnologische, neuro-physiologische, biochemische, lernpsychologische
und entwicklungspsychologische Aspekte das Theoriemodell bilden, auf die ich
zum besseren Verständnis kurz eingehen möchte.
Die heutigen Kenntnisse in der Wissenschaft bestätigen, daß durch
rhythmisches Tragen des Kindes im Mutterleib von der 7. Schwangerschaftswoche
an über den zuerst entwickelten Sinneskanal für Gleichgewicht, Bewegung
und Tasten ein symbiotischer Kontakt mit der Mutter entsteht. Geräusche
und Stimmen in der Außenwelt werden im Fruchtwasser als Vibrationen in
einem ozeanischen Gefühl wogender Wellen erlebt und bilden so die ersten
sicheren und verläßlichen Erfahrungen für das ungeborene Kind.
Im Gegensatz dazu ist die Geburt nicht nur körperlich für das Kind
eine belastende Streßerfahrung und Krise, sondern auch Eingang in die
Kälte und Unvertrautheit einer Welt, in der es wie Portmann sagt, als ,,physiologische
Frühgeburt" oder wie der Verhaltensforscher Prof. Hassenstein es beschreibt
,,als menschlicher Tragling" überleben muß. Das heißt,
daß die Entwicklung des Urvertrauens eines Kindes sowohl in der Schwangerschaft
als auch nach der Geburt ursächlich in Zusammenhang mit einer Bezugsperson
gesehen werden muß, auf die das Ungeborene und auch Neugeborene existentiell
angewiesen ist.
Dies haben die Naturvölker instinktiv noch lange über unseren Zivilisationsstand
hinausgehend gelebt, indem sie Kinder nach der Geburt in Tragetüchern an
sich gehalten und so die Neugeborenen völlig natürlich in ihre Realität
hineingetragen haben. Nachgewiesenermaßen bewirkt diese Art von Gestaltfluß
für das Kind ein Hineinwachsen auf angenehme und ein Wegschrumpfen unangenehmer
Stimuli. Das ständige Anpassen an die eigene rhytmische Gestaltveränderung
und der Körperkontakt mit der Mutter macht das Kind mit den Dimensionen
und Formen beider Körper im Erfahren der Realität vertraut, und durch
äußere und innere Reize wird die Polarität von Bildern wie Fülle/Leere,
Vergrößerung-Verkleinerung, Ausdehnung-Einengung strukturiert. So
erfährt das Kind im Gehalten- und Getragensein bedingungslose Liebe und
lernt selbst bei unbefriedigten Bedürfnissen (z.B. Bewegungsdrang) das
,,Nein" als Bestandteil seiner Realität und nicht als Form der Ablehnung
oder Verlassenheit zuzuordnen. In dieser zuverlässigen Einbindung aller
Gefühlsschwankungen des sozialen Kontexts entsteht für das ,,festgehaltene"
Kind die vertrauensbildene Reifung einer ,,guten" Realität nahe dem
Herzschlag der Mutter. Diese für die Persönlichkeitsentwicklung der
ersten drei Jahre maßgeblichen Erfahrungen entsprechen dem gesetzmäßigen
Aufbau der psychosozialen Stufen und fördern so optimal die Sättigung
der menschlichen Grundbedürfnisse nach Bindung und Geborgenheit. Das ist
nach heutigem Wissen Mitvoraussetzung für die Bildung eines Urrvertrauens
und lebenslanger Bindungsqualität, wie es in jüngerer Zeit auch in
der modernen Psychologie einer ,,sanften Geburt" und ,,Anleitungskursen
für das Tragen von Babys in Tüchern" wieder aufgegriffen wird.
Dieser Grundgedanke der Halte-Therapie wurde bereits von Winnicott unter dem
physischen Halten, Tragen, Trösten, Umarmen eines Kindes durch die Mutter
mit dem Begriff ,,Zuverlässigkeit" beschrieben. Durch das Halten wird
dem Kind das Unvertraute und Fremde vorhersagbar gemacht, die Zuverlässigkeit
und Präsenz bestätigt und dieser setzt damit optimal die körperlichen,
sinnlichen, emotionalen und gedanklichen Wachstumsprozesse im Kind frei.
Doch in all diesen vorausgehenden ethnologischen Theorieüberlegungen ist
noch nicht die Eigendynamik der Halte-Therapie erfaßt, die schwierig mit
Worten zu beschreiben und letztlich auch nicht einer der klassischen therapeutischen
Schulen wie z.B. Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie oder Psychoanalyse
zuzuordnen ist.
Sie ist mit der Prozeßwirkung der Synergetik Therapie vergleichbar. |
In der Halte-Therapie wird die Mutter von demTherapeuten angeleitet,
ihr Kind nach einer behutsamen Annäherung in die Arme zu nehmen, weich
in dieser Umarmung zu bergen und z.B. durch sanftes Wiegen dem Kind Geborgenheit
zu vermitteln. Meist entsteht nach sehr kurzer Zeit aufgrund der kindlichen
Symptomatik Abwehr und Unbehagen im Körperkontakt mit der Mutter, worauf
diese mit dem „Festhalten“ im Sinne „im halte dich länger
als du erwartest mit all meinem Herzen, meinen Sinnen und meinem Verstand“
beginnt. Das Kind reagiert nach oftmals anfänglichem Erstaunen mit Protest,
Widerstand, Beißen, Schreien bis hin zu Einnässen und Aufbäumen
gegen ein weiteres Festgehalten-Werden und kann von der Mutter selbst mit Empathie,
„ich bin stark genug das aus-zu-halten“ oder auch echten Gefühlen
wie Schuld und Unmut beantwortet werden. In dieser Phase ist die Ganzheitlichkeit
des Kindes in seinen Ausdrucksmöglichkeiten sowie die Ganzheitlichkeit
der mütterlichen Bezogenheit in ihrem Anworten entscheidend für den
Erfolg der Therapie.
Denn dies ist der Einstieg in die ,,affektive Dynamik" eines therapeutischen
Prozesses, der den Ursprungskonflikt des Menschen anspricht, dem sowohl in der
aktuellen Streßforschung als auch in Erklärungsmodellen des ,,Autismus"
Bedeutung beigemessen wird.
Nämlich daß der Mensch im Falle eines Konfliktes
entweder zum Angriff oder zur Flucht neigt. Denn normalerweise ensteht in
dieser Ambivalenzsituation des Kindes mit fehlendem Urvertrauen durch Augen-
oder Körperkontakt ,,Angst", die sich dann im Alltag (im Sinne
,,Flucht oder Kampf") in autistischen Verhaltensweisen, Lernhemmungen,
Kontaktstörungen, Verhaltensstörungen, Auto-Aggressivität,
Deprivationssyndrom, Hospitalismus, Hyperaktivität, Fremd-Aggressivität,
Depression, Zwangsstörung, Borderline-Störung, Sucht, Abhängigkeiten
verschiedenster Art, psychosomatischen Erkrankungen wie z.B. Affektkrämpfen
usw. ausdrücken kann. Durch das Umarmen und Festhalten des Kindes auch über den Widerstand und die Abwehr hinausgehend, bzw. auch durch das Verhindern von Selbst-Stimulation (z.B. Schaukeln, Hyperaktivität, Ausweichen vor Nähe etc.) wird dieser Ursprungskonflikt aktiviert und als therapeutische Situation genutzt, was zu ähnlichen Begleiterscheinungen wie bei Entzug Süchtiger führen kann (z.B. Schwitzen, Zittern). |
Durch das zusätzlliche Ausschütten körpereigener Opiate (Endorphine)
beginnt in dieser Situation auch in biochemischen und neurophysiologischen
Synergetische Therapie-Prozesse mit Rückwirkung auf die Körperebene und Selbstorganisationseffekten ergeben Bewußtseinsveränderung und Spontanheilung. |
Prozessen eine INPUT Neuordnung, die der eigentlichen VerIetztheit
des Kindes Rechnung trägt und den tiefliegenden Bedürfnissen nach
Bindung und Liebe entspricht. Erst in der erfahrenen Angst, die von jedem Kind
unterschiedlich ausgedrückt wird, kann der Körperdialog einer Umarmung
und höchsten Konzentration entstehen. Ähnlich der Bioenergetischen
Analyse basiert die Halte-Therapie auf der direkten Arbeit mit den Widerständen
im Körper, die sich in Verspannungen, Verkrampfungen, gestörtem Rhythmus
zwischen Anspannen und Entspannen äußert, und deren Wirksamkeit sich
wohl auch auf die extreme Intensität des psychosomatischen (leiblich-seelischen)
Geschehens zurückführen läßt.
Je nach benötigter Zeit dieses therapeutischen Prozesses tritt dann plötzlich
und für den Außenstehenden nicht nachvollziehbar eine sichtbare Entspannung
des Kindes ein. Der Muskeltonus wird normal, die oftmals verkrampften Gliedmaßen
lockern sich, durchgestreckte Zehenspitzen nehmen wieder ihre natürliche
Haltung ein, und das zuvor oftmals flache und hechelnde Atmen verändert
sich zur tiefen entspannten Bauchatmung. Das Kind beginnt sich spontan anzuschmiegen,
sich in den Rundungen der Mutter zu bergen und als signifikantes Zeichen einer
erfolgreichen Therapie sieht man das Kind lächelnd den Augenkontakt mit
der Mutter suchen. Ein fröhlicher, neugieriger Gesichtsausdruck tritt anstelle
des manchmal verschlossenen oder stumpfen bzw. flüchtigen Vorbeisehens.
Das Kind wird weich und offen für die vielfältigen Kontakt- und Liebesangebote
der Mutter, die nunmehr in Worten, Gesten, Berührungen und Kosungen -ähnlich
den Augenblicken nach einer Geburt- das Kind in der Freiwilligkeit einer menschlichen
Begegnung sichert.
Halte-Therapie ist deshalb sowohl für das Kind als auch für die Mutter
bzw. die Personen, die im intimen leiblich-seelischen Bereich ein Kind betreuen
und damit auch Fest-Halten können, die Grunderfahrung für vorbehaltslose,
uneingeschränkte und endlose Liebe, was ursächlich heilend für
eigentlich jeden Menschen ist. In der Überbrückung des affektiven
Zwiespaltes, in dem sich Kinder bei chronischen Defiziten, suchtartigen Abhängigkeiten
von Ersatzbindungen, Kontakt- und Wahrnehmungsstörungen, Ängsten und
rückgezogenen Selbst-Stimulationen oftmals befinden, ist gerade die Lemerfahrung,
diese Ambivalenzsituation verlassen zu können und die Sicherheit und Festigkeit
mütterlicher Nähe zu bekommen, entscheidend für das Aufheben
von Blockaden im kindlichen Energiefluß. Das Kind bekommt in dieser Lage
mehr Liebe als es verlangt, prüft die Kraft der Mutter, ob diese stark
genug ist, die haßerfüllte Angst auszuhalten, und ermüdet schließlich
in der neuen Erfahrung, angenommen und anerkannt zu sein.
Halte-Therapie gibt keine Heilungsgarantie, ist kein Patentrezept, aber wirksam
bei vielen Indikationen psychischer Störungen, um im therapeutischen Prozeß
grundlegende Bindungen und Beziehungen neu bzw. wieder strukturieren zu können.
Oder wie es lrina Prekop sehr transzendent beschreibt: ,,Es ist diese grundlegende
Erfahrung des Menschseins, daß wir von der Hand eines allmächtigen
Gottes gehalten und getragen sind in bedingungsloser Liebe".
Die intensivste eigene Erfahrung in der Halte-Therapie hatte ich mit einem 3-jährigen
Mädchen, das von seiner neurotisch anmutenden Mutter ,,nicht wahrgenommen
wurde". Nach einigen Stunden therapeutischer Gespräche mit der Mutter,
um eine mögliche Kontraindikation wie z.B. Verdacht auf psychotische, narzißtische,
machtvolle Tendenzen oder mangelnde körperliche Kraft der Mutter (z.B.
Asthma), neurotisches ungesättigtes Bedürfnis der Mutter nach symbiotischer
Bindung usw. auszuschließen, bat ich beide zum ersten Fest-Halte-Termin.
Auf einer weichen Unterlage, mit mehreren Kissen zur Abstützung versehen,
begann sich die Mutter unter meiner Anleitung dem Kind anzunähern, und,
für alle spürbar, breitete sich sofort Angst im Raum aus. Das Kind
hatte Angst, die Mutter hatte Angst und ich umfaßte die Mutter von hinten,
wie sie selbst vorne ihr Kind umfaßt hielt, um sie darin durch meinen
Körperkontakt zu unterstützen und zu begleiten. Das Mädchen begann
nach längerer Zeit der spielerischen Abwehr, die von Vorsicht und Angst
geprägt war, letztlich sich zu wehren, wollte sich abgrenzen, dem Körperkontakt
ausweichen. Nach den ersten massiven Bemühungen begann es zu schlagen,
zu beißen, und auch verbal in ungelenken Sätzen seinen Haß
auf seine Mutter auszudrücken. Ich spürte, wie sich die Mufter selbst
verkrampfte, der Schmerz über diese Wahrheit sich in ihrem eigenen Körper
durch Anspannung und Härte verdichtete und begann, dem Dialog dieser erwachsenen
Frau mit dem Kind zuzuhören. Das Kind würgte und schrie immer wieder
,,alleine", während die Mutter in schluchzenden Rechtfertigungen die
Verhältnisse einer Intensiv-Station zu erklären versuchte, wo das
Mädchen in den ersten beiden Lebensjahren oftmals untergebracht worden
war. Es stimmte etwas nicht, die Worte der Frau hatten keine Kraft und erreichten
weder das Kind noch mich. Leere Worthülsen und der verkrampfte Körper
der Frau aktivierten den immer stärker werdenden Widerstand des Kindes,
bis die Mutter aufgeben wollte, sich ihre Umarmung lockerte und das Mädchen
zum ersten Male durch eine Drehung den Körperkontakt abwehren hätte
können. Und dann passierte etwas, was mich mehr als alle Fachliteratur
und Forschungsergebnisse für diese therapeutische Intervention einnahm.
Das Kind, statt sich abzuwenden, was bisher seine einzige Bemühung zu sein
schien, klammerte sich an die Frau und schrie:
,,Festhalten, nicht Aufhören!"
Ich war so erstaunt, daß ich spontan die Mutter losließ, die in
dieser Sekunde instinktiv in den Körperdialog eintauchte, das Kind an sich
riß und in
Symmetrie-brechung nach H. Haken |
schüttelnden, laut und südländisch anmutendem
Schreien, Weinen mit dem Kind zur Einheit fand. Sie, die Mutter, hatte die Aufenthalte
in der Intensiv-Station niemals ausgehalten und war ,,innerlich geflohen",
ohne das verlassene Weinen ihrer Tochter von damals vergessen zu können.
Diese Schuld und dieses Versagen stand zwischen den beiden und hatte zur Entfremdung
und letzlich zur Diagnose Hyperaktivität und Eßstörungen des
Mädchens geführt. Doch jetzt konnte die Mutter über die Vergangenheit
sprechen, Verleugnetes aussprechen, hinausschreien, wobei nicht mehr ihre Worte,
sondern die Wahrheit in dem Schweiß, der Trauer und der Verzweiflung das
Kind finden konnten. Ich saß daneben, meine Aufgabe war vorbei und diesmal
machte mich die affektive Dynamik dieser beiden Menschen betroffen, mehr als
in anderen Fällen. Denn das Mädchen war so sehr kindgerecht schön
und klar geworden in seinem Ausdruck der Entspannung, führte die Hände
seiner Mutter plötzlich an sein Gesicht und sagte ,,es ist gut, Mami, jetzt
siehst Du mein ganzes Herz, nicht nur mein halbes. Und ich deines auch."
Die Sanftheit und Ursprünglichkeit dieser Worte und Berührungen, das
Niedersinken der beiden auf die Matte in enger Umarmung, ein fröhliches
Glucksen des Kindes in der freimütigen Zärtlichkeit einer wiedergefundenen
Mutter ist mit Worten nicht wiederzugeben. Und wie in vielen Fällen schliefen
Mutter und Kind dann vor Erschöpfung und ,,Glückseligkeit" ein.
(Synergetischer Abschluß, B. Joschko.)
Der therapeutische Prozeß dauerte ca. 2 1/2 Stunden,
wobei auch das gemeinsame Einschlafen und Festhalten sowie Erwachen und erneuter
Augenkontakt wie auch körperliche Nähe Bestandteil der therapeutischen
Intervention sein sollten.
Die Mutter hat noch oftmals ohne Anleitung ihrer Tochter zu Hause festgehalten
und berichtete in einem Nachgespräch, daß, wenn sie selbst sehr nervös
oder überarbeitet sei, dann käme ihre kleine Tochter und sage: „Mami,
Festhalten“, was seitdem für beide ein Signal für Innehalten
und Begegnung ist. Um das ganze Herz zu sehen, nicht nur das halbe."