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Dr. Frauke Teegen, Psycho-therapeutin, Dozentin für klinische Psychologie Uni HH beschäftigt sich mit der Erforschung und Therapie psychosomatischer Störungen und Möglichkeiten der Selbsthilfe zur Förderung von Heilungsprozessen. |
Die Wechselwirkung von inneren Energiebildern und Krankheiten
Krankheiten sind in den persönlichen inneren Bildern verankert. Der kranke
Mensch kann die Anpassungsleistung an die Veränderung seines Umfeldes -
seines Kontextes - nicht erbringen. In der Synergetik Therapie wird die Anpassungsleistung
direkt im Gehirn - in der zur äußeren Realität in Wechselwirkung
stehenden Innenwelt - realisiert und alte Informationen synergetisch abgeändert.
Aus dem Klappentext:
Die Erkenntnisse der Biopsychologie und Psychoneuroimmunologie zeigen uns deutlich,
wie seelische und körperliche Regulationen zusammenspielen. Sie geben uns
Einblick in die Kommunikation zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem, in
die Komplexität der «Intelligenz» des Organismus, und sie zeigen,
wie Körperprozesse auf unsere Gefühle, Einstellungen und Lebenskonzepte
mitreagieren.
Es sind vor allem lang andauernde Zustände von Hoffnungslosigkeit, passives
Verhalten und die Neigung, Konflikte zu meiden, die unsere Vitalität schwächen.
Eine seelische und zugleich körperliche Stabilisier-ung erfahren wir dagegen,
wenn sich unser Verständnis für Zusammen-hänge entwickelt und
das Vertrauen in den Wert der eigenen Person und in unsere Handlungskraft wächst.
Diese Erkenntnisse weisen unserer Suche nach Möglichkeiten, Gesundheit
zu fördern und Krankheit zu bewältigen, eine klare Richtung. Wir können
sie in subjektive Erfahrungen verwandeln, wenn wir unsere Vorstellungskraft
nutzen und mit unserem Körpererleben Kontakt aufnehmen. Gelingt es uns,
die Entfremdung vom eigenen Körper zu überwinden, erkennen wir Zusammenhänge
zwischen Beschwerden, kindlichen Erwartungs-ängsten und chronisch gewordenen
Schutzhaltungen.
Mit der «Bildersprache des Körpers» können wir lernen,
die Art, wie wir uns selbst wahrnehmen und mit Streßfaktoren in unserem
Leben umgehen, zu verändern - und das heißt gesünder zu werden.
Frau Dr. Teegen nimmt innere Bilder der Patienten, die
sie als deren körperliche Eigenwahrnehmung definiert und fordert die
Patienten auf, sie mit ihrer eigenen Vorstellungskraft zu verbinden, um
somit alle Nischen der psychophysischen Struktur zu erkunden. Der innere
Bildschirm des Bewußtseins empfängt somit Be-deutungsmuster,
die sich im Verlauf der emotionalen Lebens-geschichte gebildet haben. Dies
fördert das Verständnis für Krankheitszusammenhänge
und stärkt das Vertrauen des Patien-ten in ihre Kraft zur Selbstverwirklichung
und Anpassung an eine sich ständig wandelnde Umwelt. Ihr Ansatz kommt der Vorgehensweise der Synergetik Therapie nahe, da sie innere Informationen als Energiebilder abruft, sie jedoch unbearbeitet läßt und „nur“ Schlußfolgerungen für das künftige Verhalten ableitet. Die inneren Energiebilder werden auch weiterhin wie Symptome behandelt, d.h. mental bekämpft. Die tiefere Hintergrundaufdeckung dieser Energiebildstruktur wird nicht erforscht, um somit die Prägungen durch Erlebnisse auf der neuronalen Matrix aufzudecken und sie einer synergetischen Bildbe-arbeitung zuzuführen. Dies würde direkt zu einer Selbstorganisation der Informationsstruktur führen und gezielt Selbstheilung erzeugen, die wiederum unabhängig von erst zu erlernenden in der Zukunft liegenden Qualitäten und Haltungen ist. Frau Dr. Teegen zeigt durch ihre Forschungsarbeit mit kranken Menschen in beeindruckender Weise auf, das auch sog. unheilbare Krankheiten ihre eigene individuelle Energiebildstruktur besitzen, die aus der Biografie der Ereignisse des Patienten herzuleiten sind. In diesem Punkt ist sie in Übereinstimmung mit den Forschungsergebnissen aus der Synergetik Therapie, was wiederum nicht verwundert, da beide Forschungsansätze ihre Ergebnisse aus der Praxis mit individuellen kranken Menschen beziehen. Beide Vorgehensweisen setzen Informationen aus der Innenwelt von kranken Menschen in Beziehung zu ihrer individuellen Krankheit und bestätigen somit diese Wechselwirkungen. Teegen plädiert für eine Verstärkung der Handlungskompetenz des Menschen, die Synergetik Therapie praktiziert dies als Basis zur nachträglichen Bearbeitung von abgespeicherten Erlebnissen. |
“Das
Risiko, krank zu werden, ist immer dann erhöht, wenn die vertraute Lebensroutine
einschneidend unterbrochen wird. Als Streßfaktoren werden Ereignisse betrachtet,
die im Leben eines Menschen bedeutsame Veränderungen bewirken und eine
Anpassung an die neue Situation erforderlich machen, zum Beispiel der Verlust
einer wichtigen Bezugsperson oder einer sinngebenden Tätigkeit, Verschlechterungen
der zwschen-menschlichen Kontakte, Einsamkeit, nicht verwundene Kränk-ungen
oder auch lang andauernder Ärger. Thomas Holmes und Richard Rahe untersuchten
in den siebziger Jahren Zusammen-hänge zwischen Lebensveränderungen
und dem Risiko, krank zu werden. Sie entwickelten eine Skala zur Einschätzung
sozialer Belastungen, in der verschiedene Lebensereignisse nach dem Ausmaß,
in dem sie eine Neuanpassung verlangen, aufgelistet sind. Je bedeutsamer ein
Lebensereignis ist, um so mehr Zeit und Kraft braucht ein Mensch für die
Anpassung an die veränderten Gegebenheiten - und umso größer
ist das Risiko, daß er überfordert ist und erkrankt. Die Vorhersagekraft
der Skala für das Eintreten von Erkrankungen konnte in einer Reihe von
Forschungsarbeiten bestätigt werden. Ihren Ergebnissen zufolge stellen
Skalenwerte von 300 und mehr Punkten ein hohes, Werte zw. 200 und 300 Punkten
ein mittleres und Werte zw. 150 und 200 Punkten ein geringes Erkrankungsrisiko
dar. Diese Werte geben eine allgemeine Orientierung.“
Krankheit tritt demzufolge in einer Lebenssituation auf, die den Menschen aus seinem individuellen Gleichgewicht wirft. Krankheit ist somit verweigerte Lebensentwicklung. Der kranke Mensch verweigert die persönliche evolutionäre Entwicklung. Tief abgespeicherte Grunderfahrungen - z.B. aus der Erziehung - bilden dabei den „Bodensatz“ unverarbeiteter Erlebnisse, die aus dem Unterbewußtsein zusätzlich wirken. Soziale Ereignisse bilden dabei häufig nur Auslöser für massive persönliche Systemeinbrüche: der Mensch wird krank. Synergetik Therapie deckt diese Gesamtzusammenhänge präzise auf und verändert die relevante Informationsstruktur per Selbstorganisation. |
Was stärkt die Gesundheit?
In den letzten Jahren hat die Forschung nicht nur die Aufklärung von Krankheitsprozessen
erforscht, sondern sich auch der Frage zugewandt, welche Einstellung und Verhaltensweisen
Menschen unter schwierigen Bedingungen gesund erhalten.
Die amerikanische Psychologin, Suzanne Kobasa, hat dies ausführlich untersucht.
Die Forscher untersuchten über mehrere Jahre Mitarbeiter eines Industriekonzerns,
der umfaßende Umstrukturierungen in den Betrieben vornahm. Die Mitarbeiter
waren lange Zeit starker Belastung und starker Unsicherheit ausgesetzt. Wie
erwartet erhöhte sich mit dem Anstieg äußerer Belastungen fast
zeitgleich die allgemeine Krankheitsrate. Ein Teil der Mitarbeiter erkrankte,
andere dagegen blieben gesund. Zwischen diesen beiden Gruppen fanden die Forscher
keine bedeutsamen Unterschiede in Art und Ausmaß der Belastungs-faktoren,
in Alter, Bildungsniveau, Qualifikation, Status und ethische bzw. religiöser
Zugehörigkeit. Entscheidende Unterschiede zeigten sich jedoch in ihrem
Bewältigungsstil, im Selbstbild und im Lebenskonzept. Mitarbeiter die häufig
und schwerwiegend erkrankten, fühlten sich von den Veränderungen bedroht
und ihnen gegenüber machtlos. Sie hatten Schwierigkeiten sich auf die neuen
Anforderungen einzustellen und litten unter der Ungewißheit der Situation.
Sie hatten Angst um ihre Zukunft, waren ärgerlich auf die Firma und fühlten
sich betrogen, da man sie unter anderen Voraussetzungen eingestellt hatte. Mitarbeiter
die gesund blieben, akzeptierten auch unerwartete Veränderun-gen als Teil
ihres Lebens und empfanden den Umstrukturierungs-prozess eher als Herausforderung
und Chance neue Erfahrun-gen zu sammeln. So konnten sie auch Zeiten der Ungewißheit
ohne größere Angst ertragen und sich flexibel an neue Beding-ungen
anpassen.
Kobasa prägte den Begriff „Widerstandsfähigkeit oder
Kraft“, der mit Krankheitsresistenz verbunden war. Er wird durch
drei Merkmale gekennzeichnet:
Diese Menschen entwickeln einen Verhaltensstil, der es ihnen erleichtert, sich
Problemen realistisch und kompetent zuzuwenden. Sie stellen sich Schwierigkeiten
und Konflikten und versuchen aktiv ihre Vorstellung zu verwirklichen. Sie fühlen
sich mitverantwortlich für diese Prozesse und ihr gelingen. Diese Haltung
schützt sie davor, sich als hilfloses Opfer bedrohlicher Umstände
zu fühlen. Menschen mit hohem Verantwortungsgefühl sind insgesamt
auch neugieriger und interessierter an anderen neuen Erfahrungen und Problemlösungen.
Durch ihr Engagement und Interesse fällt es ihnen leicht, sich selbst wert
zu schätzen und ihren Handlungen und ihrer Umwelt Bedeutung zu geben. Da
sie davon ausgehen, daß ihre Vorstellungen und ihr Verhalten für
den Verlauf der Ereignisse wichtig sind, wirken sie darauf ein und üben
so tatsächlich Einfluß aus. Dieser aktive Lebensstil befähigt
Menschen, hohen Streß in eine subjektiv geringere Belastung zu verwandeln.
In der Synergetik Therapie wird diese Widerstandskraft direkt gefördert oder auch wieder ausgegraben. Dort wo sie „gebrochen“ wurde, wird neu reagiert und so die evulutionär vorhandenen Qualitäten wieder zurückgeholt und neu trainiert. Es ist immer wichtig, bis auf die primäre Informationsebene vorzudringen. Meist sind dies Kindheitsprägungen - diese sind zu verändern! |
Menschen mit geringer Wiederstandkraft spüren eher Entfremdung sich selbst und ihrer Umwelt gegenüber. Sie neigen dazu, sich und andere Menschen langweilig und bedeutungslos zu finden. Ein Gefühl der Sicherheit erleben sie überwiegend dann, wenn ihr Leben gleichförmig und ohne Schwankungen verläuft. Durch Veränderungen fühlen sie sich bedroht und unkontrollierbaren Kräften ausgeliefert. Ihnen fehlt die Überzeugung, daß sie Einfluß nehmen und selbst etwas bewirken können. Daher verhalten sie sich eher abwartend, passiv, mißtrauisch und meiden die Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen.
Suzanne Kobasa konnte mit psychologischen Profilen vor dem Eintreten massiver
Belastungen mit hoher Genauigkeit voraussagen, welche Mitarbeiter erkranken
und welche gesund bleiben.
Ihre Untersuchungen zeigten auch, daß sich vorhandene Krankheitsdispositionen,
z.B. eine Häufung von Arthritis oder Krebserkrankungen in der Ursprungsfamilie,
nur im Zusammenhang mit den passiven, problemmeidenden Bewältigungsstilen
durchsetzen.
Kobasa fand auch heraus, daß Streßtoleranz und Krankheitsresistenz
umso höher sind, je mehr Hilfsquellen einem Menschen zur Verfügung
stehen: Angemessene körperliche Bewegung, bewußte Ernährung
und gute soziale Unterstützung. Sie verstärken die Schutzwirkung des
aktiven Bewältigungsspie-les. Ohne diese seelische Grundhaltung sind sie
jedoch nur von geringer Bedeutung, da sie die grundlegenden Gefühle von
Unsicherheit und Angst nicht direkt verändern. Andere Forscher bestätigten
diese Zusammenhänge (O`Leary 1985; Wiebe & Moehle-McCallum 1986).
Die Stärkung seelischer Wiederstandskraft mit den Aspekten, Verantwortungsgefühl
und Vertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Handelns bzw. Herausforderung,
ist auch für Genesungsprozesse und die Bewältigung chronischer Krankheiten
von großer Bedeutung (Beuteln 1988 und Schwarzer 1990).
Bei sehr schweren Erkrankungen wurden auch positive Zusammenhänge mit der
Überlebensdauer beobachtet (Solomon 1987). Der israelische Medizinsoziologe
Aaron Antonovsky (1987) beschreibt ähnliche seelische Haltungen die Menschen
befähigen, Belastungen zu verarbeiten. Kohärenzsinn, Verständ-nis
für Zusammenhänge, nennt er Einstellungen, die mit Wohlbefinden, Krankheitsresistenz
und -bewältigung verbunden sind.
Wichtige Merkmale sind:
Das Vertrauen aus eigener Kraft und mit der Unterstützung anderer, Lebensaufgaben meistern zu können und die Freude am Leben und die Überzeugung, daß das Leben Sinn hat.
Selbstbestimmung und Kompetenz im Umgang mit Belastungen erwirbt man nach einer
Untersuchung an der Uni Hamburg (Denecke 1987) in der Auseinandersetzung mit
Lebenskrisen. Sie befragten körperlich und seelische gesunde Menschen im
Vergleich zu Kranken. Die Gesunden hatten in ihrer Kinderheit überwiegend
keine günstigen Bedingungen erlebt und unterschieden sich in dieser Hinsicht
nicht von den Kranken. Im Verlauf ihres Lebens hatten sie im Mittel drei schwere
Krisen durchlebt. Sie strebten jedoch deutlich stärker nach Selbst-bestimmung,
Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit und ließen ein grundlegendes
Vertrauen darauf erkennen, daß es trotz persönlicher Not immer noch
Rettungsmöglichkeiten und Hoffnung gibt. Lebenskrisen bewältigten
sie vor allem, indem sie sich auf eigene Fähigkeiten besannen, selbstbestimmende
Aktivitäten entfalteten, sich den Herausforderungen stellten und sich auf
eine hoffnungsvolle Grundeinstellung stützen („Ich spüre immer
noch eine letzte Kraft in mir, auf die ich vertrauen kann, wenn es mir schlecht
geht“).
Diese zuversichtliche Einstellung wurde immer wieder dadurch gestärkt,
daß sie die Effekte ihres aktiven und selbstbestimmten Handelns als positiv
erlebten. Ihre Fähigkeit, sich flexibel an veränderte Gegebenheiten
anzupassen wurde auch dadurch begünstigt, daß sie sich seit ihrer
Kindheit eine echte Neugier auf unbekannte Situationen und Menschen bewahrt
hatten und das sie keine zu engen (symbiotischen) Beziehungen eingingen, ohne
jedoch bindungslos oder -unfähig zu sein.
In der Synergetik Therapie können Lebenskrisen als persönliche Herausforderung direkt als selbstbestimmte Aktivität bearbeitet werden. Die Auswirkungen sind direkt erlebbar. Die Rückverbindung - „religio“ - zu starken Kräften wird als sehr bereichernd erlebt.
Frauke Teegen berichtet von einem vierzigjährigen Mann mit einer aplastischen Anämie, die in eine Leukämie überzugehen drohte. Seine blutbildenden Zellen im Knochenmark bildeten nicht genügend Blutkörperchen. Eine Ärztin im Krankenhaus sprach mit ihm auch über seine Ängste und machte ihn sehr eindringlich darauf aufmerksam, daß er sich allen Entscheidungen der Ärzte gegenüber völlig passiv verhielt. Sie wies ihn daraufhin, daß es auch an ihm selbst läge, den Mut zum weiterleben aufzubringen. Nach diesem Gespräch lag der Patient in der Nacht noch lange wach, „Es kommt auch auf mich an“, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Schließlich rang er sich innerlich zu einer Entscheidung durch: „Ich will leben!“ Am nächsten Morgen wurde eine positive Veränderung seiner Blutwerte festgestellt. Die Ärztin war überrascht über die Wirkung ihres Gespräches, die Kollegen meinten es sei ein Laborfehler. Eine zweite Untersuchung bestätigte das positive Ergebnis. So wußte die Ärztin, daß der Patient begonnen hatte den Mut zum weiterleben aufzubringen und das die positiven Blutwerte ein erstes Zeichen für diesen Lebenswillen waren. Für den Patienten begann mit dieser Erfahrung ein langer und schwieriger Lernprozeß, der schließlich zu seiner Genesung führte.
Er entdeckte Zusammenhänge zwischen seelischen Haltungen und Körperprozessen
und begann allmählich, die Entfremdung von seinem Körper und ein grundlegendes
Gefühl der Hilflosigkeit zu erkennen und zu überwinden. Rückblickend
sagte er: „Im Laufe der Jahre hatte ich viele Signale meines Körpers
und meiner Seele verdrängt. Ich hatte ein Verhältnis zu meinem Körper
wie zu einem Gegner. Das allmähliche wahrnehmen meiner Gefühle, daß
sich entwickelnde starke Gefühl für mich selber, war die Voraussetzung
dafür, das Zusammenbrechen meines Körpers als Folge meines Lebens
zu begreifen. Wie konnte ich lieb zu meinen Organen, meinem Knochenmark sein,
wenn ich sie wie Gegner und nicht wie Verbündete behandelte? Das Zentrum
meines Lebens, das Blut, war nur zu heilen, indem ich mein Leben heilte. Dazu
reichte keine Methode und keine Willensanstren-gung. Dazu mußte ich erst
durch alle Tiefen gehen, mich selbst und meine Grenzen kennenlernen. Das wichtigste
bei diesem Prozeß war wohl: Herauszufinden, wie ich im Zusammenhang mit
meiner Krankheit, mit Krisen fühle, denke und handle. Mein zentrales Lebensgefühl,
insbesondere in den Jahren meiner Krisen und Zusammenbrüche ist das der
Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit gewesen. Und ich vermute das meine zunehmende
Gesundung mit der Überwindung meiner Ohnmachtsgefühle und der Entwicklung
meiner Handlungsfähig-keit zusammenhängt. Ich habe begonnen zu verstehen,
daß ich mich meinen Ängsten stellen muß, wenn ich leben will.“
Synergetik Therapie stellt eine direkte Methode dar, gezielt in der Innenwelt alle Ängste aufzudecken, durch alle „Tiefen“ zu gehen und sich seine Handlungsfähigkeit wieder zurückzuholen. Dieser Prozeß ist von keinen äußeren Faktoren abhängig, da in der Innenwelt alle Informationen vorhanden sind: das Gehirn als Spiegel der Welt. |
Der Verhaltenstherapeut Albert Bandura (1985) führte ein Angstbewältigungstraining mit Frauen durch, die an einer massiven Spinnenphobie litten. Parallel zu den Trainingsschritten maß er die Ausschüttung von Streßhormonen im Blut. Zu Beginn des Trainings stieg die Hormonausschüttung schon bei der Vorstellung einer Spinne stark an, zum Schluß des Trainings blieb die Hormonausschüttung normal, auch wenn die Spinne im direkten Körperkontakt über den Körper krabbelte. Die Ausschüttung von Streßhormonen stand im direkten Zusammen-hang, damit wie die Frauen ihre eigene Kompetenz einschätzten. In dem Ausmaß, indem sich die Frauen zutrauten die Übung durchzuführen, normalisierte sich der Hormonspiegel.
Mit dem wachsenden Gefühl von Kontrolle und Wirklichkeit des eigenen Handelns in schwierigen Situationen, vermindern sich also Gefühle der Gefährdung und Hilflosigkeit und zugleich physiologische Erregungsparameter.
Für Menschen mit Ängsten ist es allerdings nicht ausreichend den Auslöser zu desensibilisieren, sondern die lebensgeschichtlichen Wurzeln der Angst zu erkennen. Die Spinne symbolisiert oft unangenehme Berührungserfahrungen und die Erinnerung, von einer übermächtigen Bezugsperson beherrscht, seelisch eingesponnen und verschlungen zu werden. Viele Menschen erleben in ihrer Kindheit eine lieblose Behandlung oder seelische oder körperliche Gewalt. Kinder passen sich an diese Bedingungen an, indem sie eine feine Sensibilität für Gefahrensignale entwickeln, die ihnen hilft, bedrohliche Situationen frühzeitig zu erkennen und zu meiden. Wenn sie der gefährlichen Situation nicht entgehen können, versuchen sie die Wahrnehmung von Schmerz und Verletzung auszublenden und sich an einen geheimen Ort tief in sich selbst zurückzuziehen. Wird das Vermeiden feindlicher Gefahren chronisch, dann enthalten für sie viele Situationen die anderen Menschen neutral, unbelastet oder interessant erscheinen, weiterhin unterschwellig Signale, die Bedrohung und Machtlosigkeit anzeigen. Die Tendenz auf Schwierigkeiten ängstlich, hilflos, passiv und mit körperlichen Beschwerden zu reagieren, wird also markant im Kindes- und Jugendalter vorgeformt. Kinder, deren Bedürfnisse von den wichtigsten Bezugspersonen fürsorglich, sicher, feinfühlig und zuverlässig, beantwortet werden, entwickeln ein grundlegendes Vertrauen in ihre Fähigkeit, die Umwelt zu erkunden und Versagungen und Konflikte zu regeln.
In der Synergetik Therapie werden diese „geheimen Rück-zugsorte“ direkt aufgesucht und das innere Kind“ gestärkt. Primäre Erfahrungen mit den wichtigen Bezugspersonen „Eltern“ lassen sich in den Einzelsitzungen gezielt verändern und somit Prägungen von Erziehungsstrukturen aufheben. |
Kulturvergleichende Untersuchungen (Seiffke-Krenke 1989) zeigten, daß
sich ungünstige Haltungen, die die Widerstandskraft unter Belastungen schwächen,
in einer bestimmten Atmosphäre bilden und verfestigen. Familien, in denen
Jugendliche ein ausweichendes und problemmeidendes Verhalten zeigten, waren
einheitlich gekennzeichnet durch einen hohen Anteil konfliktträchtiger
Interaktionen, wenig Nähe und Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern,
geringe Möglichkeiten Gefühle auszudrücken, und - vor allem in
den skandinavischen Ländern in Deutschland - ein hohes Maß an Kontrolle
und Entwertung von Individualität.
Das Zusammenspiel seelischem Erleben und körperlicher Prozesse
Betrachten wir nun die Beziehung zwischen seelischem Erleben und körperlichen Prozessen genauer. (Ader 91; Birbaumer & Schmidt 90; Degen 91; Lazarus & Folkmann 84; Le Doux 88; MacLean 76; Miketta 91; Pelletier & Herzing 88; Pert 86; Vincent 90; Walschburger 90)
Eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit und Wohlbefinden wird durch
das störungsfreie Zusammenspiel der verschiedenen körperlichen Regulationen
geschaffen. Mit Hilfe eines komplexen Netzwerks biologischer Signale und Kreisprozesse
wird immer wieder ein Gleichgewichtszustand angestrebt und neu einreguliert.
Die bioelektrischen und biochemischen Kommunikations-muster des Körpers
stehen im Zusammenhang mit sensorischen Informationen, die wir aus der Umwelt
und dem Körperinneren erhalten, und sie vermitteln auch unsere psychophysiologische
Antwort auf spezifische Situationen. Informationen, die wir durch Sinnes- und
Bewegungsorgane empfangen, gewinnen erst im Vergleich mit einem Grundgefühl
körperlicher Homöostase, mit Lebenserfahrungen und Erwartungsmustern
Bedeutung. Sensorische Reize werden zu modalitätsspezifischen und multimodalen
Feldern der Großhirnrinde geleitet und dort im Kontext der Erinnerungsspuren
analysiert. Dann erst dringen sie ins Bewußtsein. Gleichzeitig werden
sie auch zm Hypothalamus und - auf einer schnellen Bahn - zum Limbischen System
projiziert.
Das Limbische System ist ein entwicklungsgeschichtlich alter Teil des Gehirns
und ein funktionales Zentrum, das sich mit der emotionalen Tönung von Wahrnehmungen
und der Regelung vegetativer Funktionen befaßt. Werden Teile des Limbischen
Systems oder seine Verbindungen zum Kontex gestört, so wird der Betroffene
von dem Bewußtsein für seine Gefühle und seine persönliche
Identität abgeschnitten. Er verliert dann auch die Fähigkeit, Zukunftsvorstellungen
zu bilden und sich in andere hineinzuversetzen, und entwickelt eine Art Seelenblindheit.
Im Limbischen System werden Sinnesreize schnell und sehr global auf ihre emotionale
Bedeutung hin abgetastet. Damit gewinnen wir Menschen ein unmittelbares Gespür
für die jeweilige Situationen. Auf die globale Gefühsltönung
werden auch die vegetativen Funktionen eingeregelt. (Abbildung).
Die emotionale Bewertung sensorischer Botschaften erfolgt zeitlich vor der
genauen kortikalen Analyse und - vor allem bei starken Affekten - nicht im Austausch
mit der bewußten Verarbeitung. Der „Kurzschluß“ zum
Limbischen System erklärt, warum Gefühl und Verstand manchmal so unterschiedlicher
Meinung sind. Der Vorteil dieses „Gefühlskurzschlusses“ - so
der Neurologe Joseph Le Doux - liegt in den Sekundenbruchteilen, die das Gehirn
durch präkognitive Bewertungen gewinnt. Elementare Gefühle wie Angst
und Wut können so unbewußt vom bewußten Verstand, das Verhalten
in Notsituationen bestimmen.
Der „Kurzschluß“ zum Limbischen System erklärt auch,
warum Menschen manchmal mit spontanen Affektausbrüchen auf Situationen
reagieren, die ihn vom Verstand her harmlos und unwichtig erscheinen: Die sensorischen
Informationen enthielten einen Reiz, der in den Arsenalen der Erinnerung als
bedrohliches Signal eingeschrieben ist.
In der Synergetik Therapie geht es genau um diese „Reizmuster“. Sie werden durch die freilaufenden Innen-weltprozesse automatisch aufgeschlüsselt und verändert. |
Die zeitliche Verzögerung zwischen der globalen emotionalen Bewertung
der Situation und genauerer kognitiver Analyse erklärt, warum es so schwer
ist unangemessene Angstreaktionen zu überwinden. Das Meiden vermeintlicher
Gefahren trägt nicht zur Differenzierung erlernter Gefühlsassoziationen
bei. Spontan fühlen wir uns zwar erleichtert und entspannter, wenn wir
einer erwarteten Bedrohung ausweichen, doch die vegetativ empfundene Verspannung
verfestigt unsere Vorannahmen und wird uns bei der nächsten kritischen
Situation verstärkt hemmen, diese realistisch zu überprüfen.
Intellektuelle Einsicht allein reicht nicht aus, um erlernte Erwartungsängste
zu überwinden.
Frau Teegen meint weiter, daß übertriebene Angstreaktionen nur dann überwindet werden, wenn wir uns den kritischen Situationen - in der Umwelt oder mit Hilfe der Vorstellung - freiwillig aussetzen und sie unter der erhöhten Erregung erkunden und neu bewerten lernen. Diese Sichtweise entspricht der Verhaltenstherapie und bewirkt nur Desensibilisierung und nicht der Auflösung der Muster. Dies geschieht nur mit der Synergetik Therapie. |
Bedrohungen können unterschiedliche Gefühle und Körperreaktionen
auslösen. Im allgemeinen werden die Körperprozesse zunächst auf
ein erhöhtes Aktivierungsniveau eingestellt, das uns hilft der Gefahr mit
Kampf oder Flucht zu begegnen. Das Limbische System löst die körperliche
Aktivierung über Hypothalamus und Hypophyse mit Hilfe spezifischer Signalstoffe
aus. Im Gehirn übertragen sie neuronale Erregung, im Körper wirken
sie über die Blutbahn als Hormone. Von besonderer Bedeutung für die
Auslösung und Aufrechterhaltung der körperlichen Alarmreaktion sind
die von den Nebennieren ausgeschiedenen Streßhormone. Adrenalin und Noradrenalin
bewirken unter anderem eine Beschleunigung des Herzschlags, die verstärkte
Zufuhr von Blut und Sauerstoff zu den Muskeln, eine Verengung der Gefäße
in der Haut; sie lassen das Blut schneller gerinnen und mobilisieren Zuckerreserven
in der Leber. Dadurch erhöht der Körper das Energie- und Leistungsniveau
vor allem der Muskulatur und trifft Vorsorge gegen mögliche Blutverluste
bei Verletzungen. Diese vegetativen Prozesse spüren wir als Empfindungen
und bringen sie mimisch und gestisch zum Ausdruck.
Nutzen wir die bereitgestellte Energie zur Streßbewältigung, entäußern
wir sie in Handlungen, körperlicher Bewegung, dem Ausagieren der Emotionen,
so kehren wir anschließend seelisch und körperlich zu einem Gleichgewicht
zurück, und die verbrauchte Energie wird (über die Aktivierung des
parasympathischen Nervensystems) wiederhergestellt. Wenn wir die Erregungszeichen
hingegen ignorieren, Handlungs- und Ausdrucksimpulse durch Muskelverspannungen
unterbinden oder die Belastung mit vertrauten Strategien nicht bewältigen,
kann das Aktivierungsniveau chronisch erhöht bleiben. Langfristig führt
ein erhöhtes Aktivierungsniveau zur Dysregulation vegetativer Funktionen,
zur Erschöpfung der Körperreserven und Schädigung von Organstrukturen.
Ein chronisch erhöhtes Erregungsniveau wird häufig bei psychosomatischen
Erkrankungen beobachtet.
Die erhöhte Aktivierung wirkt auf die zentralen Strukturen zurück
und bewirkt Gegenregulationen. Das Nebennierenhormon Cortisol dämpft die
Erregung, so daß die Energiereserven des Körpers nicht restlos ausgeschöpft
werden können. Cortisol wird immer dann in erhöhtem Maße freigesetzt,
wenn wir subjektiv den Eindruck haben, daß unsere Handlungen unwirksam
sein werden. Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel korrespondiert mit
Gefühlen der Hilflosigkeit, Depression, Resignation, schwächt die
Immunabwehr und erhöht das Erkrankungsrisiko erheblich. In einem solchen
Zustand kann jede Möglichkeit zu handeln - selbst wenn die Handllung gewalttätig
ist oder nicht direkt auf die Belastung einwirkt - Erleichterung bringen und
den Cortisolspiegel senken.
Diese psychophysiologischen Prozesse sind sehr vereinfacht beschrieben. Eine
direkte Gleichsetzung von Gefühlszuständen mit spezifischen Hormonen
allerdings wird den differenzierten biologischen Antworten nicht gerecht. Lebewesen
reagieren immer auf der Grundlage ihrer Gesamtverfassung mit hochkomplexen Mustern.
Insgesamt zeigen die sozialwissenschaftlichen und verhaltensbiologischen
Forschungen, daß sich intensive und lang andauernde emotionale Zustände
von Verwirrung, Angst, Ärger und Hoffnungslosigkeit störend auf die
psychophysiologischen Regulationen auswirken und seelische und körperliche
Störungen begünstigen.
Es ist wichtig, diese Zustände wahrzunehmen und, selbst unter einer solchen
Belastung, Handlungskompetenz und Vertrauen in die eigene Stärke zu entwickeln.
(Die Verhaltensmedizin bietet wirksame Trainingsprogramme zur Förderung
dieser Fähigkeiten an).
Wesentlich wichtiger ist, nachzuschauen woher diese Zustände
kommen und diese an der Wurzel abzuändern: die neoronalen Verbindungen
im Gehirn durch einen Selbstorganisationsprozeß aufzulösen. Dann
ensteht Handlungskompetenz und Vertrauen in die eigene Stärke von selbst.
Dies geschieht sehr spielerisch und auch sehr intensiv in den Einzelsitzungen
der Synergetik Therapie. Daher können direkt Hintergründe von
Krankheiten gezielt aufgearbeitet werden. Spontanremissionen können
so gezielt herbeigeführt werden. Neuorientierung ohne Verarbeitung der Vergangenheit - also der gegenwärtig abgespeicherten Informationen über die Vergangenheit - ist nahezu nie ausreichend. Daher geschehen Spontanremissionen so selten von selbst! |
Wie wichtig eine positive Neuorientierung für die Bewältigung von Krisen und Krankheiten ist, unterstreicht eine Untersuchung von Elmer und Alyce Green (1978). Sie analysierten vierhundert Fallstudien von Krebskranken, bei denen eine sogenannte Spontanremission eingetreten war, daß heißt ein Heilungsprozeß, der nicht durch die medizinische Behandlung erklärt werden konnte. Die Forscher kamen zu dem Schluß, daß der einzige gemeinsame Faktor bei all diesen ungewöhnlichen Fällen in der veränderten Haltung der Patienten zu ihrer Krankheit lag. Die Patienten hatten eine neue Einstellung zum Leben gefunden, die ihnen half, Depression und Hoffnungslosigkeit zu überwinden.
An die Stelle passiven Erleidens waren positive Gefühle wie Vertrauen
und Zuversicht und ein fester Glaube an die Heilung getreten. Wie wir heute
vor allem durch Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie wissen, wirken sich
diese seelischen Haltungen günstig auf die vegetativen Prozesse, das hormonelle
Gleichgewicht und den Immunstatus aus.
Belastungen, Krankheiten und Krisen führen uns in Grenzsituatinen, in denen
wir zu starre und einseitige Annahmen über die Welt zu spüren beginnen
und aufgeben können. Im allgemeinen sind wir erst dann bereit, unsere Annahmen
und Erwartungen zu überprüfen, wenn vertraute Handlungskonzepte nicht
mehr den gewünschten Effekt haben oder uns schaden. In solchen Krisen können
wir - wenn wir einmal innehalten und zur Ruhe kommen - entdecken, daß
wir körperlich und seelisch nicht auf eine objektive Wirklichkeit reagieren,
sondern immer nur auf ein subjektives Bild der Welt. Dieses Bild haben wir in
inneren Landkarten - psychophysiologischen Mustern - niedergelegt. Die inneren
Landkarten zeichnen wir im Kontext unserer Lebensgeschichte entsprechend den
Bedeutungen, die wir unseren Erfahrungen geben. Gebiete, die wir als Kind unter
großer Bedrohung durchschritten haben, sind daher als gefährdend
markiert und abgegrenzt worden.
Wegweiser in dieser inneren Landschaft, Gefühle, die bestimmte Verhaltensweisen
hervorrufen, müssen immer wieder auf ihre Angemessenheit überprüft
werden. ...Die Erkundung psychophysiologischer Bedeutungsmuster und die Neuordnung
innerer Bilder sind nur im Kontakt mit dem Körperempfinden, der Vorstellungskraft
und der bewußten Analyse von Zusammenhängen möglich.
Bildliches Denken
Zu Beginn unseres Lebens strukturieren wir unsere sensomotorischen Erfahrungen
intuitiv und metaphorisch. Wir entfalten zunächst ein vorlogisches bildliches
Denken, das die Fülle der sinnlichen Eindrücke zu Mustern verdichtet.
Das integrative, bildliche Denken äußert sich überwiegend nonverbal;
es verfügt nur über eine sehr begrenzte archaische Sprache. Im Laufe
der Sprachentwicklung wird es durch analytische, logische Fähigkeiten ergänzt.
Dieser Denkmodus arbeitet mit linearen Strategien und erschließt uns die
Möglichkeit zu abstrakter Begriffsbildung, schlußfolgerndem Denken
und grammatischen Operationen; er führt uns zur Verallgemeinerung von Erfahrungen
und zur Formulierung von Prinzipien und Direktiven. Über den bildlichen
Denkmodus sind wir jedoch weiterhin im Kontakt mit der Fülle sinnlicher
Erfahrungen, mit Gefühlen, Körperempfindungen und vorsprachlichen
Erinnerungen. Die besonderen Fähigkeiten des bildlichen und des logischen
Denkens stehen in Verbindung mit den beiden Großhirnhemisphären,
die sich für diese unterschiedlichen Aufgaben gewöhnlich im Laufe
der ersten zehn Lebensjahre differenzieren. Die Hemisphärendifferenzierung
- und damit die Trennung zwischen analytischer und integrativer Verarbeitung
der Erfahrungen - bei Männern ausgeprägter ist als bei Frauen (Ornstein
& Thompson 1986).
Die beiden Denkmodelle bereichern einander und arbeiten im allgemeinen zusammen.
Wird der bildhafte Denkmodus chronisch gehemmt - zum Beispiel zur Kontrolle
angstbesetzter Empfindungen -, so verliert ein Mensch den Kontakt mit einer
inneren Quelle, aus der Lösungen für Probleme logischer wie emotionaler
Art angeboten werden. Die unterdrückten unterschwelligen Empfindungen und
vorlogischen Bedeutungsmuster üben einen enormen Druck auf das Bewußtsein
aus. Wird er zu stark, bricht die Kontrolle zusammen, und das Bewußtsein
wird mit Bildern, Schmerzempfindungen und Angstphantasien überschwemmt.
Auch psychosomatische Symptome können als metaphorische Äußerungen
des vorlogischen Denkens verstanden werden. Ihre Sprache und die spezifische
Bedeutung, die sie für den einzelnen haben, können - im Gegensatz
zu den oben angesprochenen psychotischen Zuständen - recht leicht mit Hilfe
des bildlichen Denkens erkundet werden. Die Aussagekraft des bildlichen Denkens
läßt sich leicht anhand von Kinderzeichnungen verdeutlichen. Kinder
haben für viele Erfahrungen noch keine Worte. In ihren Bildern malen sie
jedoch wichtige Aussagen über sich selbst und zeigen, was sie bewegt oder
auch verstört. So zeichnen Kinder, die mißhandelt wurden, auf die
Aufforderung hin, einen Tag darzustellen, „wie er mir gefällt“,
häufig schwere Niederschläge, die oft bis in ihr Inneres vordringen,
und signalisieren auf diese Weise ihre Notlage. Unsichere und ängstliche
Kinder nutzen die Bildfläche oft nur zögernd und stellen sich schüchtern
und klein am Bildrand dar. Andere Kinder zeichnen riesige Genitalien - die in
Kinderbildern normalerweise keine Rolle spielen - und machen so auf sexuelle
Mißhandlung aufmerksam; oder sie streichen Teile ihres Bildes durch, übermalen
sie, kreisen sie ein und weisen damit auf Angst, erlebte Bedrohung oder auch
Verbote hin (Schuster & Wickert 1989). Die Inhalte der Bilder geben einen
Hinweis darauf, mit welchen Erfahrungen sich das Kind auseinandersetzt. Die
Bildgestaltung veranschaulicht wie das kindliche Bewußtsein ihnen Bedeutung
gibt, sie zu ordnen und zu integrieren sucht. Wichtige, konflikthafte Erfahrungen
kommen überdeutlich oder an zentraler Stelle zum Ausdruck. Erlebnisse,
die das Kind als zu belastend empfindet und nicht integrieren kann, werden ausgegrenzt,
oder es versucht sie zu löschen. Über Konflikte die Kinder in ihren
Bildern andeuten, kann man mit ihnen auch behutsam sprechen und so genauer aufklären,
was sie erlebt haben und welche Unterstützung sie brauchen.
Leider wird die Verbundenheit mit der intuitiven Vorstellungs- und Gestaltungskraft
in der Erziehung oft durch wertende Beurteilungen unterbrochen und muß
dann später - in Krisen und Grenzsituationen, unter therapeutischer Anleitung
- wiedergefunden werden.
Auch Erwachsene geben mit Bildern Hinweise auf Erkrankungen, die sie sprachlich
so nicht erfassen können. Die Tiefenpsychiologin Susan Bach beschäftigte
sich viele Jahre lang mit Zeichnung schwerkranker Menschen, die in therapeutischen
Gruppen, psychiatrischen Anstalten und Krankenhäusern entstanden. Sie beobachtete,
daß das Malen den Patienten oft eine unmittelbare Erleichterung brachte.
Kranke, die im Gespräch schwer zugänglich waren, konnten sich in ihrer
Bildersprache leichter mitteilen; belastende Gefühle, angstvolle Phantasien,
innere Spannungen, zum Beispiel Warten auf eine Diagnose, vor einer Operation
oder unter dem Druck von Depressionen und Zwangsgedanken, konnten so ausgedrückt
werden. Die Bilder der Patienten erwiesen sich als hilfreich für die Diagnose
und Prognose von Erkrankungen; mit ihnen ließen sich frühzeitig suizidale
Tendenzen oder bevorstehende schizophrene Schübe erkennen. Bach entdeckte
darüber hinaus in den Zeichnungen typische wiederkehrende Farben, Farbkombinationen
und Motive, die spezifischen Krankheitsbildern entsprechen. Die Zeichnungen
reflektieren also nicht nur den seelischen Zustand, sondern liefern zugleich
Informationen über das körperliche Befinden.
Solche psychosomatischen Hinweise, die sich aus den Zeichnungen kranker Menschen
ergeben, untersuchte Susan Bach systematisch auf einer neurochirurgischen Station
der Universitätsklinik Zürich. Sie und ihre Mitarbeiter interpretierten
über dreitausend Zeichnungen von sechshundert schwerkranken Patienten.
Sie malten spontan ohne das ihnen bestimmte Themen vorgegeben wurden.
Die Auswertung der Bilder zeigte: kranke Menschen haben ein inneres
Wissen über Art und Schwere ihrer Erkrankung. Manche Schwerkranke
drückten in ihren Bildern sogar ihr Wissen darüber aus, wann sie zum
Beispiel bewegungsunfähig und wann sie sterben werden. Oftmals gaben die
Patienten in ihren Bildern genaue Hinweise auf eine beginnende Verbesserung
oder Verschlechterung ihres Befindens oder auch auf die Wirksamkeit medizinischer
Maßnahmen.
Im kreativen Gestalten geben wir Bewußtseinsinhalte frei, die nur begrenzt
durch intellektuelle Kontrolle gefiltert sind. Darin liegt der Wert solcher
Bilder für die Selbsterkundung. Wir müssen mit diesen vorbewußten
Inhalten besonders achtsam und feinfühlig umgehen und sie ohne vorschnelle
Wertung erkunden.
Wichtig ist, die Bedeutung zu achten, die die Patienten ihrer Gestaltung
selbst geben und nur Beobachtung, Ideen und Interpretationen anbietet, aber
sie nicht aufgedrängt werden.
Erkundet man dies mit sensiblem Interesse dann wird man mit zunehmender Faszination
erleben, wie analytische und intuitive Denkfähigkeit zusammenspielen, erstaunliche
Einblicke in die innere Welt eröffnen und neue Perspektiven zur Konfliktlösung,
zur Veränderung von Einstellungen und Verhaltensmustern, freigeben.
Fast alle therapeutischen Schulrichtungen haben imaginative Verfahren entwickelt,
um Menschen zur Vertiefung ihrer eigenen Wahrnehmung und der Kommunikation mit
sich selbst zu führen. Vorstellungsübungen lockern eine übermäßig
rationale Ausrichtung und bahnen den Kontakt zu spielerischen intuitiven und
kreativen Fähigkeiten. Sie können auch gezielt zur Klärung von
Konflikten und Beschwerden eingesetzt werden. In der Vorstellung kann man neue
Verhaltensmöglichkeiten neu durchspielen ohne direkte Konsequenzen zu befürchten.
Bei Vorstellungsübungen wird die Aufmerksamkeit von der Beschäftigung
mit äußeren Vorgängen zum inneren Erleben verlagert. Das gelingt
leicht, wenn der Körper ruhig gehalten wird, wenn man die Augen schließt
und sich entspannt. In diesem Zustand werden unterschwellige Wahrnehmungen und
Bedeutungsmuster aktiviert, die sich bildhaft und symbolisch äußern
und das bewußte Denken mit einer Fülle von Anregungen versorgen.
Sie wirken damit unmittelbar belebend.
Therapeutisch geleitete Vorstellungsübungen geben einen Rah-men vor - ein
Motiv, das Symptom - um die Aufmerksamkeit bei der Selbsterkundung zu leiten.
Der Rahmen schützt auch davor, sich in den unbegrenzten Assoziationen zu
verlieren, die sich lösen, wenn man den Schutz der rationalen Orientierung
weitgehend aufgibt.
Genau dies stimmt nicht. Der freilaufende innere synergetische Prozeß zeigt immer wieder, wie faszinierend und präzise innere Energiemuster sich von selbst abbilden. Sogar die Veränderung durch Selbstorganisation gehorcht präzisen energetischen Gesetzen, die sich genau innerlich als Bildveränderung vorhersagen lassen. |
Die therapeutische Unterstützung kann in unterschiedlichem Ausmaß
strukturierend und leitend sein. Wichtig ist, persönliche Vorstellung zu
fördern und darauf zu achten, daß diese auch sprachlich gefaßt
werden können und das in der Auseinandersetzung mit bedrohlichen Bildern
das Gefühl von Selbstvertrauen und Handlungskompetenz gestärkt wird.
Aus den Erfahrungen mit dem katathymen Bilderleben (Hanscarl Leuner 1985) konnte
zum Beispiel beobachtet werden, daß depressive im Vergleich zu nicht depressiven
Menschen „unfreundlichere, schmutzigere Bilder“ zu den vorgegebenen
Bildern entwickeln. Sie drücken mehr Angst und Unsicherheit aus. Untersuchungen
zeigen, daß die Hinwendung zu belastenden Erfahrungen unter therapeutischer
Anleitung heilend wirkt. Mit Gestalten die ängstlich oder feindselig wirken,
kann man ins Gespräch kommen und so beruhigt werden. Eine bedrohliche Gestalt
kann man aber auch bekämpfen und jagen bis sie erschöpft ist und sie
so entmachten. In solchen Auseinandersetzungen mindern sich meistens Angst und
Aggressionen. Mit der Wandlung der emotionalen Energie, wandeln sich auch die
inneren Bilder und Symbole: Landschaften werden deutlicher und fruchtbar, bedrohliche
Gestalten schrumpfen und zeigen sich versöhnlich.
Synergetik Therapie kann man auch als eine Weiterentwicklung des katathymen Bilderlebens betrachten, wobei es auf die Organisation von Information ankommt und die Inhaltsebene nur sekundären Arbeitscharakter besitzt. |
Der Verhaltenstherapeut Akter Ahsen entdeckte schon Anfang der fünfziger Jahre das mit der Erinnerung an bedeutsame weit zurückliegende Ereignisse sehr klare Vorstellungbilder aktiviert werden können. Er stellte fest, daß sie die persönliche Bewertung der damaligen Lebenssituation wachrufen können. Wenn es gelingt diese deutlichen Erinnerungen hervorzurufen, dann schaffen sie ein umfaßendes psychosomatisches Erlebnis: das visuelle Bild bahnt den Zugang zu Körperempfindungen, Gefühlen und Bedeutungsmuster, die mit ihm verbunden sind. Der sich erinnernde Mensch, wird von dem Erlebnis in ähnlicher Weise ergriffen wie zum Zeitpunkt des ursprünglichen Geschehens.
Er entwickelte zum Beispiel den sogenannten Altersprojektionstest, als hilfreiche
Anleitung um seelische Erlebnisse und Lebenserfahrung aufzuspüren, die
mit der Entwicklung von körperlichen Symptomen verbunden sind. Es ist ein
effektives Verfahren, um psychosomatische Symptome in relativ kurzer Zeit zu
klären und heilungsorientierte Einstelllungen zu stärken.
Mit dem Einblick in wesentliche Lebenszusammenhänge und der Erinnerung
an die Zeit vor der Syptomentwicklung wird auch das Vertrauen in die eigenen
Fähigkeiten dem Gefühl von Kraft, Freiheit und Wohlbefinden gestärkt.
Damit wächst auch die Bereitschaft, einen selbstbewußteren und kompetenteren
Umgang mit den heutigen Lebensschwierigkeiten zu entwickeln.
In der Synergetik Therapie wird direkt in diese „alte“
Erlebnissebene hineingegangen und somit alles direkt verändert. Heilungs-orientierte
Einstellungen zu stärken ist doch nur wieder Stärkung der Nachfolgeebene.
Dabei ist es doch so einfach: Nur die Informationen auf der Primärebene sind zu verändern! Dies macht jeder Klient selbst und stärkt dadurch automatisch seine Handlungskompetenz. Und als Effekt geschieht eine Informationsveränderung durch Selbstorganisation und diese wirkt direkt zurück über die Selbstregulations-funktionen des Körpers. |
Das bildliche Denken ist nicht mit der Klärung von Ursachen der kausalen
oder zeitlichen Abfolge von Ereignissen beschäftigt, sondern auf die Vervollständigung
von Erlebnissen und Erinnerungsmustern ausgerichtet und verbindet sie mit Gefühlen
und Körperempfindungen.
Daher können die Vorstellungen mit vergangenen oder zukünftigen Erlebnissen
befaßt sein oder auch unlogisch verknüpft sein. Um ängstliche
Erregungen zu überwinden und Selbstsicherheit und körperliche Genesung
zu fördern, ist es nur wichtig die Aufmerksamkeit so auszurichten, daß
Erinnerungs- und Phantasiebilder und Fähigkeiten zur Überwindung prägnant
visualisiert werden können. Je intensiver positive Vorstellungen werden,
umso stärker wirken sie auf die physiologischen und seelischen Selbststeuerungsmechanismen.
Beispiel: „Ich habe starke Beine, ich kann wieder aufstehen und herumlaufen“,
stellte sich ein achtjähriger Junge vor. Er war nach einer Streptokokkeninfektion
so geschwächt, daß er nicht mehr gehen konnte. Seine Ärzte ermutigten
ihn, sich an die Zeit vor der Krankheit zu erinnern und sich vorzustellen wie
er sich kräftig fühlt, stehen kann und herumläuft. Sie stimulierten
intensive und plastische motorische Erinnerungsbilder, die mit den Gefühlen
der Freude und Stärke verbunden waren. Implizit ermutigten sie den Jungen,
diese Vorstellung mit der Gegenwart und der nahen Zukunft zu verbinden: „
Du hast starke Beine und Du siehst wie Du aufstehst und herumlaufen kannst“.
Schon am nächsten Tag begann der Junge aufzustehen und sich allmählich
wieder normal zu bewegen. Die positiven Veränderungen blieben stabil (Olness
& Gardner 1978).
Ein sehr wirksames Vorstellungstraining zur Kontrolle akuter Angst- und Schmerzzustände
entwickelten Cornelia Keuner und Jeanne Achterberg für Patienten mit schweren
Verbrennungen. Sie beobachten bei den Patienten schon vor Beginn der Wundtoilette
einen extremen Temperaturabfall und eine Zunahme von Blutdruck, Atem- und Herzfrequenz
als körperliche Alarmreaktion, die auf hohe Angst schließen ließ,
wenn die Patienten hörten wie der Instrumentenwagen herangeschoben wurde.
Das Signal aktivierte automatisch Vorstellungen von Schmerz, Tortur und Beschähmung.
Ein Vorstellungstraining mit einer Anleitung zur Entspannung und Imagination
zur positiven Bewältigung zeigte auf, daß man eine angekündigte
vorhersagbare Belastung besser bewältigen kann, als unerwartete und unverständliche
Prozeduren.
Ähnliche Trainingsprogramme haben sich auch bei krebskranken Kindern bewährt,
die man so auf die bevorstehende Behandlung vorbereitete. Diese Kinder ertrugen
zum Beispiel die überlicherweise sehr schmerzhafte Punktion wesentlich
besser als Kinder, die man vorher nur durch Bilderbücher abgelenkt oder
mittels Valium beruhigt hatte. Sie wehrten sich weniger gegen den Eingriff,
schrien und weinten kaum, sie erlebten weniger Schmerz, Angst und Verzweifelung.
Die besondere Wirksamkeit imaginativer Übungen zur Bewältigung von
Schmerzen und psychosomatischen Störungen oder auch bei Genesungsprozessen
wird verständlicher, wenn man sich eingehender mit Forschungsergebnissen
beschäftigt, die einen direkten Zusammenhang zwischen Imagination, Emotionen
und physiologischen Prozessen aufzeigen: Visuelle Vorstellungen beruhen auf
denselben Gehirnfunktionen wie visuelle Wahrnehmungen. Je umfassender verschiedene
Sinnesfunktionen durch die Imagination angesprochen werden, umso umfaßender
ist auch die Aktivierung von Hirnarenalen und umso intensiver ist das Vorstellungsverständnis
(Klinger 1988; Achterberg 1987). Vorstellung zu Bewegungsabläufen erzeugen
elektrische Aktivitäten in den Muskeln, die bei der jeweiligen Imagination
angesprochen werden. Wiederholt man solche Vorstellungsübungen regelmäßig,
verbessert sich die motorische Durchführung dieser Bewegungen.
Das Training der Bewegungsfähigkeit mit Hilfe der Vorstellung wird sowohl
für die Rehabilitation nach Unfällen als auch von Sportlern für
die Steigerung der Leistungsfähigkeit genutzt (Suinn 1976). Sexuelle und
Angstphantasien werden von deutlichen physiologischen Veränderungen begleitet.
Die Vorstellung des persönlichen Ruhbildes ist ein wirksames Verfahren,
um Angst zu mindern und körperliche Entspannung zu fördern. Imaginationen
zu negativen Kindheitserinnerungen rufen Veränderungen der Herzfrequenz,
der Hautleitfähigkeit, der Atmung und der Augenbewegungen hervor (Jordan
& Leningteon 1979).Vorstellungen, die mit Gefühlen der Freude, Trauer,
Wut und Angst verbunden waren, führten bei Tests zu Änderungen der
Herz-Kreislauf-Werte sowie der Hautleitfähigkeit und aktivierten unterschiedliche
Gesichtsmuskeln. Die jeweilige Aktivierung der mimischen Muskulatur entsprach
den spezifischen mit der Vorstellung verbundenen Emotionen (Schwartz 1981; de
Jong-Meyer 1990). Vorstellungen beziehungsweise Erinnerungen zu schmerhaften
Stimulationen bewirken Änderungen von Pulsfre-quenz, Muskelspannung und
Hautwiderstand. Diese körperlichen Veränderungen zeigen nicht nur
Angst an, sondern entsprechen auch den Körperreaktionen, die bei real erlebten
Schmerzen auftreten (Barber & Hahn 1964). Andere Imaginationen können
etwa die Speichelbildung, die Magen-Darm-Peristaltik, die Blutzucker-werte oder
das Immunsystem beeinflussen (Achterberg 1987). Die Entwicklung und Wirkung
von Vorste-llungsbildern wird auf die Aktivität der rechten Großhirnhemispäre
und der mit ihr verbundenen Limbischen Systems zurückgeführt, wo unter
der jeweiligen emotionalen Tönung entsprechende biologische Regulationen
ausgelöst werden.
Simonton.
Einer der ersten Ärzte, die Vorstellungsübungen als therapeutische
Maßnahme bei schweren Krankheiten einsetzten, war der Onkologe
Carl Simonton.
Er entwickelte ein integratives Psychotherapieprogramm zur Unterstützung
der medizinischen Behandlung von Krebskranken dessen Ziel darin besteht, die
Patienten durch Information, Gespräch und Übung, aktiv in ihren Behandlungsprozess
einzubeziehen. Er versuchte die Einstellungen der Kranken zu sich selbst und
ihrer Lebenssituation so zu verändern, daß sie statt Angst und Resignation
zunehmend Hoffnung empfinden. Ein Element des Therapieprogrammes ist besonders
bekannt geworden: Die Patienten lernen in entspanntem Zustand ihre Körperprozesse
zu visualisieren und wahrzunehmen wie ihre Immunzellen den Krebs beseitigen
(Simonton 1982).
Diese Übung regt Patienten dazu an, sich mit ihrer körperlichen Abwehr
zu verbünden und so hoffnungsvolle Einstellungen und eventuell auch die
biologische Regulation zu stärken. Vorstellungen zur Immunabwehr bei Krebs
sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn es dem Erkrankten gelingt seine Abwehrkraft
machtvoller als den Krebs zu visualisieren. Nach diesen Übungen malen die
Patienten ihre Vorstellungsbilder zum Krankheitsgeschehen. Sie geben einen tiefen
Einblick in ihre innere Welt und Annahmen über die Krankheitsentwicklung
(Jeanne Achterberg und Frank Lawlis 1984). Diese Vorstellungsbilder wurden nach
verschiedenen Merkmalen eingeschätzt, z.B. Größe, Lebendigkeit
der Krebszellen, Aktivität, Mächtigkeit der Immunzellen. Anhand dieser
Vorstellungsbilder konnte die Krankheitsentwicklung - zwei Monate später
- mit achzigprozentiger Genauigkeit vorausgesagt werden. Eine so genaue Prognose
ist anhand medizinischer Diagnosen und Meßwerte allein nicht möglich.
Sie drücken offenbar grundlegende Haltungen zur Krankheitsbewältigung
aus. Günstige Entwicklungen waren unter anderem damit verbunden,
daß die Patienten den Mut hatten sich den Krebs und ihre Immunzellen klar
vorzustellen.
Imaginationsübungen zu Heilungsprozessen bei schweren und chronischen Krankheiten
können sehr hilfreich sein, um krankheitsbezogene Haltungen zu klären
und Möglichkeiten der aktiven Bewältigung in der Vorstellung zu erproben
und zu stärken. Dabei muß jedoch immer die Bedeutung der Bildinhalte
geklärt werden. Dies berücksichtigen viele Patienten nicht. Diese
Übungen dürfen nicht mechanisch wie eine Art Medikament eingesetzt
werden. Patienten mit chronischer Arithis benutzen diese Übungen und ihr
Befinden verschlechterte sich innerhalb kürzester Zeit. Das erklärt
sich daraus, daß das Immunsystem bei Krebskranken aktiviert werden muß,
während es bei Atrithikern aufgrund eines Autoimmunprozesses überaktiviert
ist und in keiner Weise weiter angeregt werden sollte.
Die Bedeutung von Vorstellungsübungen für die Rehabilitation und Genesung
war lange Zeit umstritten und wird erst allmählich anerkannt. In Gesprächen
mit Patienten ist mir jedoch aufgefallen, daß viele intuitiv Imaginationen
zu Auseinandersetzungen mit ihren Beschwerden entwickeln. Sie haben mir darüber
eher vorsichtig berichtet, da ihre Ideen von Ärzten oder auch Bezugspersonen
oft lächerlich gemacht wurden. Eine verständnisvolle Haltung von Medizinern
und Psychologen könnte dieses kreative und heilungsorientierte Potential
vieler Patienten stärken. Frauke Teegen bringt einige positive Beispiele
für selbstentwickelte Imaginationen.
Interpretationshilfen zu Bildaussagen
Menschen geben in ihren Bildern und Zeichnungen Hinweise auf ihr körperliches
und seelisches Befinden. Das Lesen, Übersetzen und Verstehen der Hinweise
erfordert allerdings eine gewisse Schulung. Um Bildaussagen zu entschlüsseln,
bedarf es sowohl spezifischer Kenntnisse als auch einer interessierten und empathischen
Aufmerksamkeit. Susan Bach (1952) beschrieb diese Fähigkeit folgendermaßen:
„Die inneren Gehalte solcher Arbeiten sind in einer Bildersprache ausgedrückt,
die man - wie Hieroglyphen oder Röntgenplatten - lesen und übersetzen
lernen muß. Genügend langer Umgang mit solchem Material, geduldiges
Studium, die echte Bereitschaft, die Arbeiten jedes Patienten als jeweils neu
zu erforschenden Ausdruck seiner Persönlichkeit anzusehen, ein gutes medizinisch-psychologisches
Verständnis der Bedeutung von Symptomen und der Funktion von Symbolen gehören
zu den Voraussetzungen für eine zureichende Auswertung.“
Bedeutsam sind vor allem Darstellungen der menschlichen Gestalt oder ihrer Entsprechungen.
Bäume und Häuser symbolisieren oft den Menschen, und ihre Gestaltung
kann etwas über sein Lebensgefühl und spezifische Konflikte aussagen
(Bäume, die keine Wurzeln haben, verdorren, denen Äste abgekackt wurden
- Häuser, die keine Tür haben oder in denen es brennt). In Kinderzeichnungen
entspricht die rechte Bildseite der rechten Körperseite. Kinder malen also
spiegelbildlich. Erwachsene stellen dagegen Aspekte der rechten Körperseite
meist in der linken Bildhälfte dar. Bilder reflektieren den Zustand eines
Menschen, seine Gefühle und Einstellungen. So können dargestellte
oder angedeutete Störungen im Bildraum auf Störungen in analogen Körperbereichen
oder auf Besorgnis und seelische Belastungen hinweisen.
Je gesünder eine Mensch ist, umso ausgewogener wird das Bild sein das er
malt, umso reicher ist die Darstellung an Farben, Schattierungen, Motiven und
Bewegung. Ein normales gesundes Kind nutzt fast alle Farben die ihm angeboten
werden und erfindet zusätzlich neue Mischungen. Kranke und Menschen die
sich in einer Krise befinden wählen dagegen nur wenige Farben, wobei die
bevorzugte Farbe oft der Art der Erkrankung oder des seelischen Problems entspricht.
Tiefenpsychologische Bildinterpretationen gehen davon aus, daß beim Malen,
Zeichnen und kreativen Gestalten, die innere seelische und körperliche
Befindlichkeit auf die Bild- und Gestaltungsfläche projiziert wird. Zum
Beispiel werden der oberen und unteren Bildhälfte wie auch der rechten
und linken Bildseite bestimmte Bedeutungen zugewiesen.
Im Dialog mit dem Schmerz
Schmerz ist ein lebenswichtiges Signal und ein bedeutender Teil der organischen
Selbstregulation. Er zwingt den Menschen dazu sich seiner Körperwahrnehmung
zuzuwenden, um herauszufinden, was nicht stimmt, und etwas zu unternehmen, um
weitere Schädigungen abzuwenden. Im Gegensatz zum akuten Schmerz ist die
Warn- und Schutzfunktion chronischer Schmerzen weniger offensichtlich, was dazu
führt, daß sie oft als „biologische Fehler“ betrachtet
werden - als ein Signal, das keine offensichtliche Funktion erfüllt. An
chronischen Schmerzen leidet fast ein Drittel aller Menschen in Industrieländern.
Die häufigsten Verschreibungen werden für Schmerzmittel ausgestellt.
In Westdeutschland nehmen fast 10 Prozent der Bevölkerung regelmäßig
Schmerzmedikamente ein. Die Patienten können unter 623 verschiedenen Präparaten
wählen und verbrauchen jährlich 128 Millionen Packungen Analgetika
(Zimmermann & Seemann 1988). Häufig führen Schmerzmittel schnell
zur Gewöhnung und auch zur Abhängigkeit.
Frauke Teegen bringt mit einfachen Übungen Menschen in Kontakt mit ihrem
inneren Wissen über die emotionale Bedeutung ihrer Schmerzen: „Sehr
häufig wird dabei sichtbar, daß chronische Schmerzen auf eine „
verdeckte Gefahr“ aufmerksam machen und die Notwendigkeit von Wandlungsprozessen
signalisieren. ...chronische Schmerzen verselbständigen sich und werden
als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet. Akute Schmerzen zwingen mit
ihrer deutlich spürbaren Warn- und Signalfunktion dazu herauszufinden,
was nicht stimmt, und etwas zu unternehmen, um weitere Körperschädigungen
zu verhindern. Bei vielen chronischen Schmerzen -, rheumatischen Erkrankungen,
Stumpfschmerzen, Gesichts- und Kopfschmerzen - hat der Schmerz diesen Hinweischarakter
weitgehend verloren. Oft treten sie ohne klaren organischen Befund auf. Die
chronischen Schmerzen stellen meist das Hauptleiden des Patienten dar. Der Arzt
kann sie nur selten heilen. Er kann helfen sie zu lindern - etwa durch Verschreibung
von Medikamenten, Massage, Krankengymnastik. Als sinnvoller gelten heute psychologische
Behandlungen, deren Effektivität unter anderem für Spannungskopfschmerz,
Migräne, Krebsschmerzen, Rückenschmerzen, Rheuma, chronische Polyatrithis,
nachgewiesen ist (Rehfisch 1989).
Der Patient nimmt seine Schmerzen vor allem dann stark wahr, wenn er allein
ist, wenn er Angst hat oder wenn er gelangweilt ist. Ist er aber intensiv abgelenkt,
bemerkt er seine Schmerzen weniger oder gar nicht. Ablenkung - vor allem wenn
sie gezielt und planvoll eingesetzt wird - ist eine wirksame Strategie zur Schmerzlinderung.
Seelische Zustände wie Unruhe, Angst, Einsamkeit, Hilflosigkeit oder Depressionen
verstärken die Schmerzen. Empfindungen wie Neugier, Freude, Empathie, Selbstbewußtsein
und Vertrauen vermindern sie. Auch die komplexe unterschwellige Einschätzung,
die Bedeutung, die wir ihnen geben - ob wir sie als „gefährlich“,
„sinnlos“ oder „überwindbar“ erleben - beeinflußt
die Schmerzwahrnehmung durch elektrische und chemische Signale.
Schmerzsignale wirken ganz ähnlich wie Angstsignale und bewirken eine Alarm-
und Streßreaktion des Körpers. Der Blutdruck steigt an, und automatisch
werden Muskelreflexe und - spannungen ausgelöst, die den Körper bereit
machen, vor Gefahr zu fliehen. Dies ist bei akuten Schmerzen ein sinnvoller,
lebenswichtiger Vorgang. Bei chronischen Schmerzen verstärken diese Verspannungen
jedoch den Schmerz - ein „Teufelskreis des Schmerzes“ entsteht.
Am Beispiel von Migräneerkrankungen möchte ich verdeutlichen, wie
durch eine langfristige und sich steigernde Medikation sehr ungünstige„Patientenkarrieren“
eingeleitet werden. Weit häufiger als Männer leiden Frauen an Migräne.
Sie werden oft als sehr ausdauernd und überfleißig beschrieben. Ein
Migräneanfall erzwingt das Gegenteil dieses Verhaltensmusters: still liegen,
gar nichts mehr tun können. Auch physiologisch spielen sich ähnliche
Extreme ab: Die Blutgefäße im Kopfbereich sind etweder sehr verengt
oder stark geweitet. Der Übergang von „verengt“ zu „geweitet“
tritt im allgemeinen (meist im Ruhezustand) sehr schnell ein. Gefäßverengende
Medikamente haben einen schmerzlindernden und vorbeugenden Effekt. Häufig
wird vom Arzt ein „Schmerzcocktail“ verschrieben. Bei starken Schmerzen
und häufigen Migräneanfällen neigen die Betroffenen zu einer
raschen Konsumsteigerung, da die Wirkung der Medikamente nachläßt,
während die Angst vor den Schmerzen wächst. Die Patientin greift zu
stark wirkenden Zäpfchen und beginnt, die Medikamente vorbeugend einzunehmen.
Sie erlebt, zum Teil als Nebenwirkungen der Medikamente, vermehrt auch psychische
Beschwerden - innere Unruhe, Angst, Depression -, die wiederum mit Psychopharmaka
behandelt werden. Meist wird wöchentlich eine Depotinjektion gegeben. Als
weitere Nebenwirkungen der Schmerzmittel tritt häufig Unfruchtbarkeit auf,
manchmal auch Nierenversagen (etwa 15 bis 20 Prozent aller Dialyse-Patienten
haben jahrelange Schmerzkarrieren mit Medikamentenmißbrauch hinter sich).
Physiologische Interventionen haben jedoch den Vorteil, daß der Patient
nicht in Abhängigkeit gerät und selbst etwas tun kann, um seine Schmerzen
zu beeinflussen. Das Bewußtsein der eigenen Handlungsfähigkeit mindert
das Gefühl von Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Zum Beispiel werden Patienten
dazu angeleitet, ein „Schmerztagebuch“ zu führen. Sie erkunden
damit Zusammenhänge zwischen zunehmender bzw. nachlassender Schmerzempfindung
und spezifischen Situationen. Sie lernen dabei auch ihre Gefühle, Gedanken
und Bewertungen in verschiedenen Situationen wahrzunehmen und zu klären,
welche Erfahrungen Angst und problemmeidendes Verhalten auslösen. Zu kritischen
Situationen können dann neue Verhaltensmöglichkeiten erprobt und geübt
werden.
David Bresler, ein bekannter amerikanischer Schmerztherapeut, wies 1987 bei
einem internationalen Symposium daraufhin, daß es sich bei chronischen
Schmerzen um ein von seelischen und physischen Tiefenschichten „wohlweislich
hervorgerufenes Symptom“ handle und daß eine allein auf das Symptom
ausgerichtete Behandlung deshalb immer nur vorübergehend Linderung verschaffen
könne. „Zwar läßt sich das Nervensystem für eine
kurze Zeit täuschen, doch wenn eine verdeckte Gefahr bestehenbleibt, bricht
der Schmerz erneut durch oder kehrt mit der Zeit wieder, bis die Botschaft wahrgenommen
wird und eine angemessene Reaktion darauf erfolgt.“ In seiner
Arbeit mit Schmerzpatienten beobachtete Bresler, daß die „Botschaft
des Schmerzes“ oft damit zusammenhängt, daß die Patienten Schwierigkeiten
haben, Wandlungsprozesse zu vollziehen. „Wenn sie sich krisenhaften Veränderungen
gegenübersehen, werden sie unbeweglich, wollen sie das Alte nicht preisgeben.“
Sie bleiben lange in den Phasen von Verleugnung, Zorn und Klage stehen , so
daß Neuorientierung und Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen
nicht gelingen. „Schmerz“, sagt Bresler, „ist nicht
die Ursache dafür, daß das Leben stillsteht, sondernm das Ergebnis
einer Stagnation.“
Für eine umfassende Neuorientierung ist es nötig, Erinnerungs- und
Bedeutungsmuster zu klären, die mit der Genese und Chronifizierung der
Schmerzen verbunden sind. Oft weisen die Patienten schon mit den Bildern und
Symbolen, die sie zur Beschreibung ihrer Schmerzempfinden, auf die subjektive
Bedeutung der Schmerzsignale hin.
In der Synergetik Therapie wird der Dialog direkt mit dem Schmerz in der Innenwelt geführt. Der Schmerz zeigt assoziativ verknüpfte Erinnerungsbilder und diese sind veränderbar. Schmerz ist als Symptom ein sehr karer Hinweisgeber und kein Gegner! |
Patienten und Ärzte sind allerdings im allgemeinen nicht darin geübt,
diese Hinweise zu entschlüsseln. (Synergetik Therapeuten sind eine sehr
kompetente Alternative). Über die Vertiefung der Körperwahrnehmung
und mit Hilfe der Vorstellungskraft kann man sich dem Gehalt dieser Botschaften
jedoch relativ leicht nähern. Läßt ein Mensch sich auf die Wahrnehmung
seiner Schmerzen ein - statt gegen sie anzukämpfen oder sich abzulenken
-, kommt er spontan in Kontakt mit affektiven Erinnerungsspuren, die zu wichtigen
Aspekten seines Selbst- und Lebenskonzeptes führen. Die mit demSchmerz
verbundenen Bedeutungsmuster steign als Gefühle, Erinnerungsbilder und
Symbole auf und weisen einen Weg, abgetrennte Erfahrungen zu integrieren. Mit
dem Ausdruck gehemmter Empfindungen und der Klärung veralteter Widerstandsmuster
werden neue, umfassendere Bedeutungs-zusammenhänge erschlossen. Solche
Erfahrungen führen zu körperlicher und seelischer Erleichterung und
rücken neue Verhaltensmöglichkeiten in den Blick, die dann im Alltag
verwirklicht werden müssen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, wie Menschen
durch die Klärung der Schmerzbotschaft und im Dialog mit dem Symptom eine
neue Orientierung finden.
Bresler (1987) bereichtete über Therapie mit einem zweiundfünfzigjährigen
Arzt, der an unerträglichen Schmerzen im unteren Rücken litt. Ihm
war an dieser Stelle ein Rektumkarzinom operativ entfernt worden; die Schmerzen
hielten jedoch unvermindert an und waren durch Medikamente nicht zu beeinflussen.
Zu Beginn der Psychotherapie sah der Patient für sich nur drei Möglichkeiten:
„Entweder ist die Behandlung erfolgreich, oder ich lasse mich freiwillig
in eine psychiatrische Anstalt einliefern, oder ich nehme mir das Leben. „Es
schien ihm unmöglich, die Schmerzen zu ertragen und dabei seelisch gesund
zu bleiben. Beim Studium seiner Krankenakte fiel Bresler auf, daß der
Patient den Schmerz bildhaft beschrieben hatte als einen „Hund, der an
meinem Rückgrat nagt“. Es zeigte sich, daß dieses Bild für
den Patienten sehr lebendig war, und so schlug Bresler ihm vor, während
einer Vorstellungsübung mit dem „Hund“ Kontakt aufzunehmen.
Der Patient hielt diese Idee zwar aufgrund seiner medizinischen Ausbildung für
völlig verrückt, umter dem Druck der extremen Schmerzen war er jedoch
bereit zu einem Versuch.
Während der Vorstellungsübung begann der Patient, in der Rolle des
„Hundes“ zunächst nie Arzt werden wollen, sondern das Studium
nur auf Drängen seiner Mutter begonnen. Er hegte heftigen Groll gegen die
Mutter und hatte seinen Ärger auch auf Kollegen und Patienten übertragen.
Der „Hund“ vermutete, die feindseligen Gefühle hätten
zur Krebsentwicklung beigetragen und seien mit dem Schmerz verbunden. Außerdem
sagte er zu dem Patienten: „Du bist ein verdammt guter Arzt. Es mag nicht
der Beruf sein, den du wolltest, aber du mußt endlich erkennen, wie gut
du deine Arbeit machst. Wenn du aufhörst, so verbittert zu sein, und anfängst,
dich selbst anzunehmen, dann höre ich auf, an deiner Wirbelsäule zu
nagen.“ Diese Einsicht war von einem unmittelbaren Nachlassen der körperlichen
Schmerzen begleitet. Bresler berichtete, daß dieser Patient die Mitteilung
des „Hundes“ beherzigte und seine Schmerzen allmählich abklangen
und schließlich ganz verschwanden.
Frauke Teegen macht an einem noch weiteren Beispiel klar, daß mit Hilfe
des bildlichen Denkens bedeutsame Lebenserfahrung zugänglich und wieder
streitende Impulse verstanden und integriert werden können. Oft werden
dadurch Erfahrungen von Entbehrung und Gewalt zugänglich, die wichtige
Blockaden als hohe persönliche Widerstandsmuster repräsentieren. Sie
dienen als Überlebensstrategie. Solche Blockierungen werden körperlich,
emotional und bildhaft erfahren und häufig als Nebel, Leere, Loch oder
Mauer erlebt. Mit Erkundung der Blockade werden traumatische Erfahrungen zugänglich.
Erinnerungen verhalten sich bildhaft, Körperbereiche beginnen zu sprechen
und bahnen mit den symbolischen Mitteilungen ein umfassenderes und bewußtes
Verständnis für die eigene Lebensgeschichte. Mit der Integration widerstreitender
Impulse gewinnt der Mensch eine neue Orientierung und Handlungsfähigkeit.
Chronische Schmerzen sind oft mit unterdrückten Lebensimpulsen verbunden
und weisen daraufhin, daß bedrohliche Erfahrungen und Wahrnehmungen abgespalten
und blockiert worden sind. Dies war einst sinnvoll, um traumatische Erfahrungen
- große Angst, Hilflosigkeit, seelische und körperliche Verletzungen
- unter Kontrolle zu bringen. Wird dieses Verhaltensmuster chronisch beibehalten,
schränkt es die Möglichkeiten des Menschen sich zu verwirklichen zunehmend
ein und bedarf der Überprüfung und Veränderung.
In dem Beispiel der Frauke Teegen wurde deutlich wie die körperlichen Schmerzen
der Patientin seelischen Schmerz verdecken, unter Kontrolle halten und zugleich
daraufhinweisen, daß diese Bewältigungsstrategie nicht mehr angemessen
ist. Die Patientin klärte im Kontakte mit der Schmerzerfahrung auf, daß
sie als Kind sexuell mißhandelt worden war. Sexuelle Kindesmißhandlung
ist ein Trauma, daß ralativ viele Kinder erleben und das zu schwerwiegenden
Folgeschäden führt.
Unter sexueller Kindesmißhandlung versteht man die Beteiligung noch nicht
ausgereifter Kinder und Jugendlicher an sexuellen Handlungen denen sie noch
nicht verantwortlich zustimmen können. Dabei mißbraucht der erwachsene
oder jugendliche Täter ein vorhandenes Macht- oder Kompetenzgefälle
zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und zum Schaden des Kindes. Aus verschieden
Erhebungen ergibt sich für Frauen eine mittlere Prävalenzrate von
21 Prozent. Das auch Jungen sexuell ausgebeutet werden, ist erst in den letzten
Jahren vermehrt zur Kenntnis genommen worden. Die bisher vorliegenden Häufigkeitsangaben
variieren zwischen 3 und 30 %. Sexuelle Kindesmißhandlungen finden vor
allem in der Familie und im familiären Umfeld statt. Besonders betroffen
sind Schulkinder unter 10 Jahren (Teegen 1992).
Nach den heute vorliegenden Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, daß
ein hoher Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen in einer entscheidenden Phase
der Persönlichkeitsentwicklung ein schwerwiegendes Trauma erlebt haben.
Die psychische Bewältigung der traumatischen Erfahrungen im Erwachsenenalter
ist oft schwierig, da die Erlebnisse verdrängt und abgespalten werden,
so daß sie der bewußten Erinnerung nicht zugänglich sind. Langfristige
Folgen zeigen sich vor allem in einem komplexen Muster affektiver Störungen,
erhöhter Suizidgefährdung oder auch antisozialem und kriminellem Verhalten
(Draijer 90; Mogggi 91; Engfer 92).
In der Synergetik Therapie werden diese traumatischen Erfahrungen klar aufgedeckt und verändert. |
In unserer Untersuchung berichten fast alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen über Ängste vor allem davor, die Kontrolle zu verlieren oder verlassen zu werden und vor spezifischen Situationen, die an die Mißhandlung erinnern. 50 bis 70 Prozent litten an Selbstunsicherheit, Mißtrauen, Depressionen, Dissoziationnen oder körperlichen Beschwerden, die auch als Begleiterscheinungen unbewältigter Ängste verstanden werden können (Schlafstörungen, chronische Verspannungen/-Schmerzen, Kreislaufstörungen, Magen-Darm- und entzündliche Unterleibserkrankungen). Die Fähigkeiten, Emotionen auszudrücken und Konflikte realitätsgerecht zu lösen, waren deutlich vermindert. Verbale und bildliche Beschreibungen zum Körperempfinden veranschaulichten eine tiefe Verstörung des körperlichen Selbstgefühls. Die Untersuchungen machten deutlich, wie gravierend die Folgen des sexuellen Kindesmißbrauchs sind. Sie lassen ahnen wie schwer es ist mit den Verletzungen zu leben und die tief geprägten Angst- und Mißtrauenshaltungen zu überwinden.
Körperleben und Körperbild
Das Erleben des eigenen Körpers, seiner wechselnden Zustände und seiner
Grenze zur Umwelt ist ein wesentlicher Teil des Selbstbewußtseins und
eine grundlegende Bezugsgröße für die Entwicklung und Festigung
des Kontakts zur Realität. Im Rahmen der jüdisch-christlichen Kultur
ist der Körper eher negativ bewertet. Sinnliche, körperliche und leibliche
Erfahrungen werden in einen Gegensatz zum Geistigen gestellt und als niedrig,
„sündig“, gesehen. In der naturwissenschaftlich orientierten
Medizin, bei der Suche nach objektiven Befunden, spielt das subjektive Erleben
des eigenen Körpers eine ganz untergeordnete Rolle. Eine Abwertung und
Abtrennung des Körpers und Körpererlebens ist jedoch auch in psychologische
Theorien der Ich- und Persönlichkeitsentwicklung eingeflossen.
Aus psychoanalytischer Sicht zeigt sich das Körpererleben als niedrige
Trieb- und Instinktsphäre und äußert sich als Krankheit oder
Neurose. Wilhlem Reichs Beobachtungen zum Zusammenwirken von Körper- und
Charakterstruktur wurden zunächst scharf ausgegrenzt und erst später
- vor allem durch die neuen körpertherapeutischen Ansätze - wieder
aufgegriffen und rehabilitiert. Die analytische Psychologie nach C.G. Jung vermittelt
eine größere Wertschätzung für vorbewußte Prozesse,
sie bleibt jedoch eigentümlich körperfern. Thure von Uexküll
(1985) kommt zu dem Schluß, daß der Körperbegriff ein zentrales
Problem sowohl der somatischen medizin als auch der Psychoanalyse ist. Die gegenwärtige
Heilkunde, schreibt er, gehe von zwei Modellvorstellungen aus, die sich gegenseitig
ausschließen: „die Maschinendefinition für den Körper
und das Freudsche Paradigma des seelischen Apparates für die Seelen ohne
Körper“.
Im Rückblick zeigt sich: Das Körpererleben wurde - vor allem von der
Neurologie und Psychiatrie - lange nur unter dem Aspekt der Pathologie beachtet.
Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, daß das Körpererleben
ein wichtiger und vollwertiger Teil des Selbsterlebens ist und daß wir
lernen können, in einen angstfreien Dialog mit ihm einzutreten. Darüber
hinaus wird zunehmend deutlich, daß sich viele Störungen gerade aus
der Entfremdung vom Körpererleben entwickeln. Die Beschäftigung mit
dem Körpererleben berührt immer die tief verwurzelte Polarisierung
von Soma und Psyche in der abendländischen Kultur.
Paul Schilder (1923, 1935) verknüpfte Ergebnisse der neurologischen Forschung
mit dem seelischen Erleben unter dem Begriff „Körperbild“ (body-image).
Er erkannte, daß eine gestörte Körperwahrnehmung sich nicht
nur in neurophysiologischen Veränderungen ausdrückt, sondern zugleich
eine subjektive und emotionale Bedeutung hat und die Umwelterfahrung beeinflußt.
Das Körperbild enthält die gesamten subjektiven Erfahrungen mit dem
eigenen Körper - alle organismischen Empfindungen und sensomotorischen
Reaktionen, Integrationsleistungen und Bedeutungsbildungen. Das Körperbild
ist nicht statisch, sondern entwickelt sich fortlaufend. Als Muster, das unsere
gesamte emotionale Lebensgeschichte enthält, wirkt es aus dem Unbewußten
auf unsere Selbst- und Umwelterfahrung ein. Über die bewußte Wahrnehmung
des Körpererlebens haben wir jedoch auch die Möglichkeit, Erinnerungs-
und Bedeutungsmuster zu erkunden und zu klären.
Die Entwicklung des Körperbildes fängt schon im pränatalen Bereich
an. Ein archaisches Basisbild wird durch fötale Wahrnehmung schon vor der
Geburt angeregt (Tomatis 1991; Janus 1991). Das Körperleben des Säuglings
ist zunächst stark auf das Körperinnere ausgerichtet. Vor allem die
Ausprägung bzw. die Verweigerung des Blickkontaktes in den ersten Lebenswochen
schweint ein wesentlicher Indikator für die Sicherheit der Bindung zu sein
und läßt genaue Voraussagen über Störungen der psychophysiologischen
Organisation, Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensprobleme bis zum
sechsten Lebensjahr zu (Keller und Zeche 1991).
Beobachtungen zum frühkindlichen Autismus zu Psychosen und multibler Persönlichkeitsstörungen
legen nahe, daß die Entwicklung der personalen Identität und eines
sicheren Realitätsbezugs von Anfang an durch ein ungestörtes und kontinuierliches
Körpererleben geschützt wird. Körpertherapeutische Beobachtungen
zeigen, daß frühe Traumatisierungen vor allem die Integration und
Koordination sensorischer Funktionen und die Hirnbasis blockieren und damit
die Fundamente der Ich-Entwicklung stören. Der Neuropsychiater Frederico
Navarro (1986) bringt die Blockierung des sogenannten Augensegments in Zusammenhang
mit Störungen der psychoaffektiven Entwicklung, die psychotische Krisen
in der Pubertät auslösen können.
Mit seinen genauen Untersuchungen zur motorischen Koordination hat Jean Piaget
(1979) gezeigt, wie sich Hand in Hand mit der Orientierung am eigenen Körper
die Umwelterfahrung des Kindes organisiert. Am Ende des siebten Lebensjahres
stabilisiert sich die am eigenen Körper orientierte Wahrnehmung, die Dimensionen
vorn-hinten, oben-unten, rechts-links sind vertraut. Erst um das zwölfte
Lebensjahr kann das Kind diesen egozentrischen Standpunkt endgültig verlassen,
den Körper als Bezugspunkt aufgeben und sich auch vom Standpunkt eines
anderen aus räumlichen verstehen.
Elisabeth Koppitz (1972) untersuchte Zeichnungen der menschlichen Gestalt von
1856 Kindern im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren. Sie stellte
fest, daß die Zeichnung der menschlichen Figur das Entwicklungsalter spiegelt
und darüber hinaus Mitteilungen über das seelische Erleben enthält.
Die psychologischen Aspekte der Darstellung waren unabhängig vom zeichnerischen
Talent und dem vorgegebenen Material (Bleistift oder dickere Farbstifte). Anhand
von dreißig Merkmalen der Körperdarstellung kam Koppitz zu genauen
Aussagen darüber, welche Darstellungsmerkmale in einer jeweiligen Altersstufe
von normal intelligenten und emotional nicht gestörten Kindern erwarten
werden können.
Koppitz überprüfte die Bedeutsamkeit dieser Bildmerkmale an normalen
wie auch emotional belasteten und verhaltensauffälligen Kindern. Sie kam
zu dem Ergebnis, daß schüchterne, bedrückte, hilflose Kinder
dazu neigen, winzige Gestalten zu zeichnen; sie stellen häufig Mund, Nase,
Augen und Hände nicht dar. Aggressive Kinder hingegen zeichnen oft groß
Figuren mit betont langen Armen und großen Händen und stellen Zähne
dar. In Zeichnungen von Kindern mit psychosomatischen Störungen fand Koppitz
häufig Schattierungen des Gesichts oder verschiedener Körperteile
sowie nicht in das Gesamtbild integrierte Körperteile, ferner kurze Arme,
fehlende Hände, „zusammengepreßte“ Beine (die auf traumatische
sexuelle Erfahrungen hindeuten können) und fehlende Füße.
In einer Längsschnittuntersuchung, bei der man die Teilnehmer bat, sich
selbst zu zeichnen (Faterson & Wittkin 1970, zitiert nachKiener 1973), wurde
die Entwicklung des Körperbildes von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter
beobachtet. Die Zeichnungen wurden danach bewertet, wie wirklichkeitsgetreu
sie waren und ob sie Geschlecht, Alter und andere Einzelheiten (wie den Gesichtsausdruck)
wiedergaben. Die Ergebnisse zeigten, daß die Differenzierung des Körperbildes
vom achten bis zum vierzehnten Lebensjahr steil ansteigt sich danach jedoch
nur noch schwach verändert. Dabei zeigten alle Teilnehmer eine individuelle
Stabilität in der Differenziertheit ihres Körperbildes. Mädchen
malten in allen Altersstufen differenzierter als Jungen.
Reimar du Bois (1990) untersuchte die Entwicklung des Körpererlebens in
der Pubertät und im Jugendalter. Er führte mit je fünfzig gesunden
und schizophrenen Jugendlichen ausführliche Gespräche zu ihrer Körperempfindung,
-anschauung und -besorgnis. Er stellte fest, daß sich das Körpererleben
mit dem Gestaltwandel in der Pubertät, der Veränderung des gesamten
Erlebenishorizontes und der sozialen Rolle zunächst stark intensiviert.
Mit der Intensivierung von Körperempfindungen steigert sich auch die emotionale
Erlebnisfähigkeit; sie erreicht in dieser Zeit einen Höhepunkt und
eine neue Qualität. Es entsteht ein neuartiges Bewußtsein der eigenen
unverwechselbaren personalen Existenz, aber auch der Einsamkeit und der seelisch-körperlichen
Verletzlichkeit. Die Auseinandersetzung mit philosophischen Lebenskonzepten
und mit der eigenen Sterblichkeit ist ein wichtiges Thema dieser Entwicklungsphase.
Starke Gefühle der Destabilisierung, das Empfinden, existentiell ausgeliefert
und durch eine zu schwache Körpergrenze ungeschützt zu sein, brachten
vor allem die schizophrenen Jugendlichen zum Ausdruck. Sie hatten zudem meist
große Schwierigkeiten, ihre Erfahrungen verbal auszudrücken. Ihr
Erleben machte auch deutlich, daß ein sicherer Realitätsbezug ohne
sicheren Bezug zum eigenen Körper nicht möglich ist. Das Körperbild
der schizophrenen Jugendlichen war im Vergleich zu dem der Gesunden wesentlich
kindlicher, zeigt Verzerrungen, die von Gefühlen des Ich-Verlustes begleitet
waren. Die Körperempfindungen der schizophrenen Jugendlichen waren oft
bizarr und realitätsfern. Gefühle der Verwirrung und Schutzlosigkeit
versuchten sie zum Teil durch Starre zu kontrollieren. Wenn ein akuter schizophrener
Schub überwunden war, wurden weite Teile des Körperempfindens aus
der bewußten Wahrnehmung ausgeschlossen. Die Untersuchung zeigte auch:
Am Ende der Pubertät verblaßt das spontane und intensive Körpererleben.
Die äußere Anschauung des Körpers tritt in den Vordergrund und
führt zu einer stark außengeleiteten Orientierung und Bewertung des
eigenen Körpers.
Untersuchungen zum Körpererleben Erwachsener machen deutlich, daß
das Ausmaß an Selbstsicherheit und Zufriedenheit, das ein Mensch empfindet,
in signifikantem Zusammenhang mit der Wahrnehmung, dem Erleben des Körpers
und der Zufriedenheit mit ihm steht.
Zusammenfassung:
Das Körperbild eines Menschen enthält entwicklungsgeschichtlich sowie
kulturell und geschlechtsspezifisch vermittelte Erfahrungen mit dem Körper.
Zugleich sind diese Erfahrungen mit der persönlichen Lebensgeschichte verbunden,
mit ganz spezifischen Gefühlen und Wertungen. Und so ist das Körperbild
als komplexes inneres Erfahrungsmuster auch Grundlage des Selbstbildes, des
Lebensgefühls und des Kontaktes zur Realität. Die körperbezogenen
Erfahrungen werden mittels des Körperbildes in einer spezifischen Art organisiert,
die bestimmt, wie ein Mensch seinen Körper erlebt, welche Verbindung er
zu ihm hat und wie er mit ihm, mit sich und anderen umgeht.
Bei überfordernden Bedrohungen im Zusammenhang mit Gefühlen von Angst
und Wut oder Hilfs- und Hoffnungslosigkeit können sich Körperstrukturen
übertrieben verfestigen oder auch auflösen und erschöpft in sich
zusammensinken. Die Kontrolle, Unterdrückung und Abspaltung von Körperempfindungen
und Gefühlsreaktionen ist für Kinder oft die einzige Möglichkeit,
Schmerz, Gewalt, Vernachlässigung zu überleben. Wiederholen sich traumatische
Erfahrungen, dauern sie lange an oder werden emotionale Äußerungen
ständig abgewiesen, kann die Abspaltung der Eigenwahrnehmung chronisch
werden.
Was somit als Persönlichkeit empfunden wird, ist ein erlerntes Muster seelischer
Haltung das sich mit der Körperstruktur verfestigt. Der Körpertherapeut
Stanley Kelman (1992), zeigt typisierte Zusammenhänge einer Körper-
und Persönlichkeitsstruktur, die er „rigide“ nennt. Sie entwickelt
sich als Antwort auf ein Familienklima, in dem das Kind für bestimmte Bedürfnisse
kämpfen muß und in dem der Ausdruck von Empfindsamkeit undZärtlichkeit
gehemmt ist. Eine solche Familie wird zwar die grundlegende emotionale Unterstützung
geben, die Eltern lassen das Kind nicht im Stich und mißbrauchen es nicht.
Sie erwarten jedoch von ihm in bestimmten Situationen, daß es seine Lebensimpulse
begrenzt. So erlebt es zum Beispiel, daß sein Verlangen nach Nähe
und der Ausdruck von Einsamkeit, Traurigkeit und Weinen unerwünscht oder
gefährlich sind. Es entwicklet eine grundlegende Fähigkeit, sich durchzusetzen,
lernt jedoch, spezifische Erregungsimpulse zu kontrollieren. Mit der Anpassung
an die Erwartungen und mit der dauerhaften Kontrolle bestimmter Bedürfnisse
verliert es an Flexibilität; das Spektrum seiner Verhaltensmöglichkeiten
und seines Gefühlsausdrucks reduziert sich. In dieser Haltung versteift
sich der Mensch gegen Bedürfnisse, die er von innen spürt, und kontrolliert
Gefühle der Einsamkeit und Schwäche, indem er sich vergrößert
und andere klein erscheinen läßt. In der Fixierung dieser dominanten
Haltung erwirbt er die Illusion von Unabhängigkeit und Selbstbehauptung.
Mit seiner Haltung vermittelt er der Welt Botschaften wie „Ich sage dir,
was du tun sollst“, „Ich bin größer als du“, „Gib
mir Beachtung und Anerkennung“ oder weist Forderungen trotzig zurück:
„Ich will nicht.“ Er versteift sich gegen Empfindungen von Einsamkeit
und Angst und zugleich gegen die große Sehnsucht, innerlich berührt
zu werden, angenommen und geliebt zu sein. Situationen unmittelbarer mitmenschlicher
Nähe erlebt er als gefährlich, denn in ihnen besteht das Risiko, Unvertrautes
zu erleben, innerlich angerührt zu werden und sich im Weinen zu lösen,
das heißt sich klein und hilflos zu fühlen.
Die Beziehung, die wir zu unserem Körper haben, ist untrennbar mit unsere
Beziehung zu uns selbst und unserer Umwelt verbunden. Sie ist lebensgeschichtlich
gewachsen, für uns selbstverständlich und nur schwer in Worte zu fassen.
Indem man lernt, den eigenen Körper bewußt zu spüren, können
eingefleischte Widerstandsmuster und eingeschnürte Bedürfnisse wieder
zugänglich werden. Es ist möglich, mit Hilfe der bewußten Wahrnehmungs-
und Erkenntnisfähigkeit die lebensgeschichtlichen Wurzeln der eigenen Struktur
zu erkunden. Daraus kann eine neue Orientierung und Erweiterung der Lebensperspektive
erwachsen.
Bei allen neurotischen, psychosomatischen und psychotischen Störungen ist
es wichtig, die Entfremdung zum Körpererleben zu überwinden. Man muß
sich jedoch klar darüber sein, daß dabei kindliche Erlebnisprozesse
und belastende Erfahrungen berührt werden.
Im Kontakt mit dem Körperbild
Frau Frauke Teegen bietet Innenweltreisen als Übung an und nennt sie „Reise
durch den Körper.“ Die Übung hat oft eine angenehme entspannende
Wirkung, doch dies ist nicht ihr wesentliches Ziel. Sie richtet vielmehr die
Eigenwahrnehmung auf körperliche Prozesse, auf das Zusammenspiel von Soma
und Psyche und erlaubt relativ angstfrei die Erkundung ganz persönlicher
Bedeutungsmuster. Mit dem Schließen der Augen, der Hinwendung zum inneren
Spüren und „Sehen“ lockern viele Menschen ihre Kontrollhaltung
gegenüber Umweltreizen und fühlen daher Entspannung, sie sind „mehr
bei sich“. Ein erster Hinweis auf diese Übung findet sich in einer
alten indischen Schrift, die etwa fünftausend Jahre alt ist. Das „Vigyana
Bhairata Tantra“ enthält 112 Anleitungen zur Imagination und Meditation.
„Schließ die Augen und nimm Dich von innen genau wahr. Erkenne so
deine wahre Natur“, heißt es in dem alten Text.
Die Übung erleichtert den Wechsel der Wahrnehmungsperspek-tive mit dem
Fühlen und Sehen von innen wird die psychosomatische Struktur zugänglich,
wir berühren das Körperbild und können die mit ihm verbundenen
Empfindungen und Lebenserfahrungen erfassen. Mit der nach innen geführten
Wahrnehmung kann man spüren, welche Körperbereiche verletzt und abgetrennt
sind von der eigenen Struktur, man kann solche Abspaltungen aufklären und
verletzten Bereichen Energie zuführen. Im allgemeinen erkennt man zunächst
nicht die „wahre Natur“, sondern Widerstandsmuster die uns von ihr
trennen.
Vielen Menschen sind die unterschiedlichen Erlebnisebenen zwischen Schlafen
und Wachsein nicht vertraut. Manche Teilnehmer überhören einige Schritte
der Anleitung und nehmen so mit einigen Körperbereichen keinen Kontakt
auf. Andere beginnen sich bei der Erwähnung bestimmter Körperbereiche
zu bewegen oder ihren Atem zu vermindern. Durch solche Reaktionen werden meist
unangenehme Körperempfindungen und damit verbundene Gefühle und Erinnerungen
an Lebensbelastung vermieden. Anschließend malen alle Teilnehmer ihre
ganz unterschiedlichen, individuellen Erfahrungen. In ihnen zeigen sich ganz
bestimmte Gefühls- und Lebensmuster in denen sie verhaftet sind. Über
diese Bilder wird anschließend gesprochen und somit der Kontakt sowohl
zu den Lebensbelastungen und den Ängsten wie auch zu Empathie, Kreativität
und Selbstwertgefühl aktiviert - Empfindungen, die meist lange unter Verschluß
gehalten wurden.
Nebenstehende Abbildung zeigt das Bild einer zweiundfünfzigjährigen
Frau, die an Brustkrebs erkrankt war. Die Gestalt wirkt sehr kindlich. Sie ist
nur im Umriß, klein und unscheinbar in die rechte untere Bildecke gemalt.
Ihre wichtigste Erfahrung bei der Übung war: „Ich fühlte mich
klein
und sehr unsicher.“ Die Bildaussage wurde durch psychologische Testdaten
bestätigt. Sie zeigten, daß es für diese Frau wichtig ist ihre
gefühlsmäßige Zurückhaltung, vor allem die Abwehr aggressiver
Impulse, zu erkennen und ihre Bedürfnisse in alltäglichen Situationen
stärker zum Ausdruck zu bringen. Die Stellung der Person im unteren rechten
Bildrahmen läßt vermuten, daß sich die scheue Zurückhaltung
in der Beziehung zur Mutter entwickelte.
Reine Umrißzeichnungen deuten einen Mangel an Vitalität an und eine
Unfähigkeit sich selbst zu spüren. Sie stammen häufig von schwerkranken
Menschen. Jolande Jacobi (1985) weißt daraufhin, daß sehr sparsame
Darstellungen, die nur Konturen zeigen, auf ein „Nichtgebenkönnen“,
„Nichtgebenwollen“ hindeuten, auf eine „Angst, die den Einsatz
fürchtet“ und sich auf ein „Minimum an Hingabe und Festlegung“
beschränken möchte.
Mit der gemalten Körpergrenze stellt ein Mensch dar, inwieweit er sich
von der Umwelt abgrenzen und unterscheiden kann. Unterbrochene, gestrichelte
Grenzzeichnungen finden sich häufig in den Bildern kranker Menschen. Sie
zeigen genau, welche Körperbereiche mit Angst, Unsicherheit und Unzulänglichkeit
verbunden sind. Solche Bilder bringen eine empfundene Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit
zum Ausdruck und zeigen dem Malenden, daß er lernen muß, sich besser
abzugrenzen, zu wehren, zu behaupten.
Folgende
Abbildung zeigt das Körpererleben einer dreiundzwanzigjährigen Frau.
Die Figur ist von einem grau-schwarzen Hintergrund umgeben und nur durch eine
zarte gelbe Umrißliniegeschützt. Die Dunkelheit des Hintergrundes,
die sie als Atmosphäre von Angst und Bedrängnis fühlte, scheint
in Füße, Beine, Hände und die Brust eingeflossen zu sein. Den
Unterleib, der durch die linke Hand geschützt wird, spürte sie warm,
das Rot setzt sich in Hals und Kopf fort. Die junge Frau leidet seit ihrer Kindheit
an Neurodermitis und Asthma. Sie hat große Schwierigkeiten, ihre Gefühle
- vor allem aggressive Impulse - wahrzunehmen und auszudrücken, und ist
unfähig, Konflikte im Alltag auszutragen. Sie hat ein starkes Bedürfnis
nach Schutz und Geborgenheit und noch keine Eigenständigkeit gegenüber
Bezugspersonen gefunden.
Bei kranken Menschen tritt häufig der akut erkrankte oder schmerzende Körperbereich
ganz in den Vordergrund der Aufmerksamkeit und wird auch im Bild besonders hervorgehoben,
während sie andere Körperbereiche und gesunde Funktionen weniger klar
spüren und auch in der Darstel-lung „vergessen“. Die fehlenden
Körperbereiche geben oftmals einen Hinweis darauf, was ein Mensch dringend
benötigt, um sein Wohlbefinden, seine Lebendigkeit und Handlungsfähigkeit
zu stärken.
Längsschnittuntersuchungen zur Entwicklung von Körperzeichnungen zeigten,
daß sich die Körperwahrnehmung nach dem vierzehnten Lebensjahr im
allgemeinen nicht mehr bedeutend differenziert. Danach kann man vermuten, daß
Menschen unserer Kultur Lebenserfahrungen, die sie nach der Geschlechtsreife
machen, oftmals nicht in ihr Körperbild integrieren, so daß gemalte
Körperbilder jünger wirken als die reale Person. Diese Vermutung bestätigte
sich bei sehr vielen Bildern, die ich gesehen habe. Swantje Ohl (1988) fand,
daß nur 7 der 63 von Erwachsenen gemalten Bilder auch erwachsene Menschen
darstellten. Im Mittel zeigten die Bilder etwa achtjährige Personen, gaben
also eine vorpubertäre, kindliche Entwicklungsphase wieder - dabei unterschieden
sich Frauen und Männer nicht. Das mit dem Körperbild angedeutete Alter
gibt jedoch oft einen Hinweis darauf, wann jemand schwierige und traumatische
Erfahrungen durchlebt hat, die noch nicht verarbeitet und integriert werden
konnten. Solche konflikthaften Lebenserfahrungen kann man anhand der Bilder
erkunden - vor allem, wenn der Betrachter sich in das Bild hineinversetzt und
einmal zu spüren versucht, wie sich der dargestellte Mensch fühlen
mag, wie es ihm geht, was er braucht. Wenn man sich dem eigenen Körperbild
zuwendet, spürt man oft, wie sich damit ein jüngeres Selbstbild -
zunächst oft scheu und vorsichtig - zeigt. Das Kind, das wir einst waren
und das noch heute in uns lebt, rührt auch elterliche Impulse an: das Bedürfnis,
es zu verstehen, zu beschützen, zu ermutigen, zu stärken.
Disharmonien in der Körperwahrnehmung sind immer mit persönlichen
Lebenserfahrungen verbunden. Disharmonien zwischen der rechten und der linken
Körperseite werden besonders häufig empfunden und dargestellt. Viele
Teilnehmer berichten auch, daß immer wieder dieselbe Körperseite
von Spannung, Schmerz, Erkrankungen oder auch Verletzungen (bei Unfällen)
betroffen ist. Häufig können sie diese Körperseite weniger gut
spüren, oder sie wirkt kleiner, kühler, unvitaler, leer. Manche Menschen
haben auch den Eindruck, daß ihre beiden Körperseiten völlig
verschieden sind und zwei Seiten ihrer Persönlichkeit darstellen. Brigitte
Matz (1990) beobachtete, daß in den Körperbildern von fünfzehn
an Brustkrebs erkrankten Frauen jeweils die gesamt Körperseite, an der
sich der Tumor entwickelt hatte, disharmonisch wirkte. Auf dieser Seite war
die Schulter besonders verspannt oder hochgezogen, waren Arm und Bein dünner
oder verkürzt gemalt.
Die rechte Körperseite ist sensorisch und motorisch mit der linken Großhirnhemisphäre
verbunden, die Informationen über die Realität eher analytisch, sequentiell,
logisch und linear auf schlüsselt. Die linke Körperseite dagegen steht
mit der rechten Hemispäre in Verbindung, die Informationen über die
Realität eher ganzheitlich, bildhaft und intuitiv-emotional auswertet.
Menschen, deren rechte Körperhälfte kräftiger entwickelt oder
in der Eigenwahrnehmung stärker repräsentiert und spürbar ist,
bevorzugen oft eine von Logik, Vernunft und Aktivität bestimmte Einstellung
und Handlungsweise, während bei Menschen, deren linke Körperhälfte
stärker entwickelt oder in der Eigenwahrnehmung stärker repräsentiert
und spürbar ist, stimmte Einstellung und Handlungsweise, während bei
Menschen, deren linke Körperhälfte stärker entwickelt oder in
der Wahrnehmung repräsentiert ist, oft gefühlsmäßig-intuitive
und passiv-empfängliche Haltungen betont sind.
Die Abbildung zeigt das Bild einer neunundzwanzigjährigen Frau. Körpers wird durch den aufgesetzten Kopf in Schach gehalten und durch Gedanken gehemmt und kontrolliert. Sie explodiert im Bauch. Hände und Füße sind abgeschnitten. Der in den Gliedmaßen dargestellte Energiestrom findet keine Ausdrucksmöglichkeit und strebt ins Leere. Die Frau kontrolliert ihre Gefühle stark, vor allem den Ausdruck aggressiver und sexueller Triebkräfte. Sie malt ihren Körper vor einem grünen Hinter-grund. Mit dieser Farbe drückt sie die Hoffnung aus, «daß es vielleicht irgendwann möglich sein wird, mehr von meinen Gefühlen herauszulassen». Mit ihrem Bild macht sie deutlich, daß sie dazu ihre Vitalität annehmen, ihre kognitive Kontrolle lockern und ihre Handlungsfähigkeit und Standfestigkeit stärken muß.
Die Abbildung zeigt das Körperbild einer an Brustkrebs erkrankten einundfünfzigjährigen Frau. Es ist sorgfältig und in sensiblem Kontakt mit der Körperwahrnehmung gemalt. Die Verzerrungen im Oberkörper bilden Verletzungen ihres Körper-erlebens sehr genau ab. Im Zusammenhang mitdem Tumor in der
Der aufgesetzte Kopf kontrolliert vitale Energie |
linken Brust und seiner operativen Entfernung empfand die Malerin starkeSpannungen in Brust, Schultern und Armen. Der linke Brustbereich fühlte sich kalt an (türkis ausgemalt), und die Verbindung zu Armen, Hals und Kopf sowie deren Proprtionen hat sich als verzerrt erlebt.
Die
folgende Abbildung zeigt das Körpergefühl einer neunundzwanzigjährigen
Frau, die als Kind jahrelang von ihrem Onkel sexuell mißbraucht worden
ist. Wie viele Opfer sexueller Gewalt hat sie ihre Erfahrung lange schweigend
ertragen und sich selbst dafür die Schuld gegeben. Obwohl es ihr schwerfiel,
mit ihrem Körper Kontakt aufzunehmen, stellt sie ihre Wahrnehmungen mutig
und ausdrucksstark dar. Sie kann ihren Körper nur teilweise spüren
und nimmt ihn eher von außen - wie durch eine Wand - wahr. Nur die Augen
sind lebendig (und farbig - türkis - gemalt). Sie drücken Hilflosigkeit,
Angst, „unendliche Traurigkeit“ aus und die Sehnsucht, verstanden
zu werden. Mit den schwarzen Schraffierungen deutet die Frau schmerzhafte Spannungsmuster
an, mit denen sie Gefühle ohnmächtiger Wut zurückhält. Die
Aggressionen, die sie gegenüber dem Täter nicht ausdrücken konnte
und auch heute noch verschweigt und zurückhält, wenden sich - als
verletzende (Selbstmord-) Gedanken, Migräne, Haareausreißen - gegen
das eigene Selbst, den eigenen Körper. Der Genitalbereich schützt
sich mit verstärkter Behaarung, die Brüste machen sich durch Erschlaffung
unattraktiv. Die Füße sind nicht spürbar, es fehlt an festem
Halt und Standfestigkeit. „Ich habe Haß auf meinen Körper“,
schreibt die Frau.
Mit ihrem Bild zeigt sie stellvertretend für viele Betroffene, wie schwerwiegend
ein Kind durch sexuellen Mißbrauch verletzt wird und wie tiefgreifend
sich eine solche Grenzverletzung auf die Entwicklung des Selbstwert- und Körpergefühls
auswirkt. Das Bild und die geschilderten Empfindungen verdeutlichen jedoch auch,
wie wichtig es ist, sich die körperliche Eigenwahr-nehmung wieder anzueigenen,
um zu erkennen, daß man sich immer noch mit kindlichen Widerstands-mustern
schützt, auch wenn die akute Bedrohung nicht mehr vorhanden ist.
Die Schwere und Art der entwickelten Körper- und Verhaltensstörung entspricht im allgemeinen der Schwere des erlittenen Traumas und betrifft körperliche, seelische, geistige und soziale Erlebnisdimensionen wie auch ihr Zusammenspiel. Schwere Eßstörungen, zum Beispiel Magersucht, gehören zu den das Leben gefährdenden Erkrankungen. Sie werden meist von Mädchen mit Beginn der Geschlechtsreife und häufig im Zusammen-hang mit einmaligem oder auch langjährigen sexuellen Mißbrauch entwickelt. Die Heilung der erlebten körperlichen und seelisch-geistigen Grenzver-letzung, des Identitäts- und Selbstgefühls ist immer ein langwieriger Prozeß. „Ich lebe mit diesem Holzkörper, wie so eine Marionette, aber ohne Fäden. Total starr. Eine gut funktionierende Puppe. Ich mußte den Erwartungen entsprechen. Ich mußte mich schützen, daß ich das bißchen Leben noch behalte. Ich bin das nicht selbst. Ich habe keinen Bezug zu mir.“ Die Symptome dauerten bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr an; sie verminderten sich allmählich während einer Psychotherapie.
Körperliche Abwehr und seelisches Erleben
In den letzten Jahren hat sich unser Wissen über Arbeitsweise und Bedeutung
des Immunsystems und über den Zusammenhang zwischen neuronalen, immunologischen,
hormonellen und emotionalen Prozessen sehr erweitert. Wir wissen heute, daß
das Immunsystem, das unsere körperliche Identität und unser Überleben
sichert, nicht isoliert arbeitet. Es steht vielmehr in einem ständigen
Informationsaustausch mit dem Gehirn und ist über ein chemisches Kommunikationsnetz
mit allen organismischen Funktionen verbunden. Über diese Verbindungen
reagiert das Immunsystem auch auf psychosoziale Belastungen und seelische Erfahrungen.
Neuere Forschungen zeigen, daß das Immunsystem nicht nur hochdifferenziert
ist, sondern auch über eine Erinnerungs- und Lernfähigkeit verfügt.
Cadace Pert (1991), eine führende Expertin auf dem Gebiet der Neurobiologie,
schlägt sogar vor, das
Immunsystem als eine Art Sinnesorgan zu betrachten, das sich in Gestalt der
Immunzellen frei im Körper bewegt. Aus einigen Untersuchungen geht auch
hervor, daß die Immunität durch Entspannung und Imaginiation angesprochen
und modifiziert werden kann. Damit ein Immunsystem effektiv funktioniert, muß
eine große Zahl verschiedener Zellen, Moleküle und Signalstoffe in
einer fein abgestimmten Art und Weise zusammenwirken. Bei körperlich-seelischen
Schwächezuständen versagt diese Regulation, so daß unreife,
intolerante Immunzellen in die Blutbahngelangen, die nicht angemessen zwischen
körpereigen und körperfremd unterscheiden können.
Körperbild während und nach Überwindung einer schweren Eßstörung |
T-Helferzellen sind bersonders gut trainierte Immunzellen. Sie haben eine übergeordnete
Funktion bei der Erkennung von Krankheitserregern, bei der Aktivierung eines
Abwehrkampfes und bei der Anleitung anderer Immunzellen. Sind T-Helferzellen
geschwächt oder in ihrer Anzahl reduziert, hat dies erhebliche Folgen für
die Abwehrfähigkeit. Ohne angemessene Aktivierung und Anleitung durch Helferzellen
wird ein Immunsystem führerlos und „faul“ - ohne auf gezielte
Abwehr zu stoßen, können sich Viren, Bakterien, Pilze und Krebszellen
im Körper ausbreiten.
Der aktivierenden Tätigkeiten der T-Helferzelle wirkt die T-Hemmzelle entgegen.
Die Hemmzelle ist ähnlich gut geschult und achtet darauf, daß das
Immunsystem nicht zu aktiv wird. Sie bremst überschießende Immuntätigkeit,
die körpereigenes Gewebe schädigen könnte. In einem gesunden
Immunsystem ist das Verhältnis von Helfer- und Hemmzellen zwei zu eins.
Wird dieses regulative Gleichgewicht gestört, kann es zu einer Lähmung
der Abwehrtätigkeit kommen (Überzahl, Überaktivität der
Hemmzellen) oder umgekehrt zu einer autoaggressiven Zerstörung körpereigener
Gewebezellen (Überzahl, Überaktivität der Helferzellen), wie
sie bei verschiedenen Autoimmunerkrank-ungen auftritt.
T-Killerzellen werden bei Bedarf von der Helferzelle aktiviert; sie greifen
körperfremde Zellen an, indem sie deren Zellhülle verletzen und sie
so zum Platzen bringen. T-Killerzellen sind auch für die Beseitigung virusinfizierter
Körperzellen und abnormaler Körperzellen von großer Bedeutung.
Grundinformationen zur Immunität werden vor der Geburt durch die Placenta
und in der Stillzeit durch die Muttermilch auf das Kind übertragen.
Das Abwehrsystem kann jedoch auch überaktiv reagieren. Dann entwickelt
es überschießende, allergische Reaktionen - Juckreiz, Heuschnupfen,
Asthma - auf eigentlich harmlose Substanzen oder greift irrtümlich körpereigenes
Gewebe an.
Die verschiedenen immunologischen Fehlreaktionen und die damit verbundenen Krankheiten
veranschaulicht das folgende Schema:
Überaktiv, unsinnig | Zu schwach | |
Reaktion auf äußere Reize | Allergien | (häufige, schwere) Infektionen |
Reaktion auf innere Reize | Autoimmunerkrankungen | Krebs |
Störungen des Immunsystems. Nach Borysenko 1987. |
Zwischen dem Zentralnervensystem und dem Immunsystem wurden zahlreiche Wechselwirkungen
beobachtet. Zentralnervöse Prozesse können immunologische Reaktionen
auf vielfältige Weise beeinflussen, und die Immunantworten wirken auf zentrale
Prozesse zurück. Das bedeutet: Emotionen, Kognitionen, Verhaltenstendenzen
und Immunreaktionen hängen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.
Diese Interaktionen werden über das autonome Nervensystem und vor allem
über signalgebende Stoffe (Hormone, Neurotransmitter, körpereigene
Opiate) übermittelt. Das lymphatische Gewebe wird sowohl sympathisch als
auch parasympathisch innerviert. Elektrische Reizungen im Hypothalamus modifizieren
die Immunaktivität - bei verstärkter Immuntätigkeit wurden im
Hypotbalamus spezifische Aktivierungsmuster beobachtet (Besedovsky 1977).
Immunzellen nehmen biochemische Signale über spezifische Rezeptoren auf
und produzieren ihrerseits Signalstoffe, um Informationen weiterzugeben. Sowohl
das Zentralnervensystem als auch das Immunsystem sind daher über alle psychophysiologischen
Prozesse informiert und tauschen sich darüber aus.
Unter Belastungen - bei Auslösung der Alarmreaktion - werden die immunologischen
Prozesse durch Streßhormone moduliert. So kann Adrenalin innerhalb kürzester
Zeit einen Anstieg der Killerzellenaktivität bewirken, langfristig kann
es die Antikörperproduktion hemmen und - über eine Aktivierung der
Hemmzellen - die Immunkraft dämpfen. Noradrenalin aktiviert die Killerzellen
und dämpft die Freßzellen. Erhöhte Kortisolwerte dämpfen
überschießende Immunreaktionen. Normalisiert sich der Streßhormonspiegel,
kehrt auch das Immunsystem zur Homöostase zurück. Dann werden zum
Beispiel durch Insulin und Wachstumshormone die T- und B-Zellen gestärkt.
Setzt eine Schon- und Rückzugsreaktion unter Angst, Depression und Hilflosigkeit
ein, wird die Immunfunktion (über einen weiterhin erhöhten Kortisolspiegel)
jedoch weiterhin gedämpft und langfristig geschwächt. Von besonderer
Bedeutung für Störungen der Immunfunktion scheinen gelernte Reaktionen
auf Belastungen zu sein, die dem Menschen das Gefühl geben, daß sein
Handeln sinnlos ist - so daß er sich als Opfer widriger Umstände
und ohne aktive Kontrolle erlebt. Viele Störungen der Immunreaktion konnen
als erlernt betrachtet werden. Sie wurden - im Kontext komple xer Verhaltensantworten
- unter traumatischen Bedingungen erworben und treten auch dann noch auf, wenn
die ursprunglich \ erlebte Gefährdung real nicht mehr vorhanden ist. Um
sie auszulösen, genügt es, daß ein oder mehrere Situationsmerkmale
vorhanden sind, die mit dem traumatischen Erlebnis assoziiert sind und unterschwellige
Erinnerungen an die Unfähigkeit zur Kontrolle aversiver Reize wecken.
Ich möchte diese Zusammenhänge am Beispiel einer Katzenallergie verdeutlichen.
Eine junge Frau hatte vor einigen Jahren begonnen, in der Gegenwart von Katzen
Juckreiz und Atembeschwerden zu entwickeln. Die Beschwerden, die auf einer übermäßigen
Immunreaktion beruhen, verschlimmerten sich und traten zum Teil auch auf, wenn
sie sich nur vorstellte, einer Katze zu begegnen. Im Rahmen einer Psychotherapie
gelang es ihr, den Beginn der allergischen Reaktion aufzuklären: Sie war
von einer Reise frühzeitig zurückgekehrt und freute sich darauf, ihren
Freund zu überraschen. Sie betrat die gemeinsame Wohnung leise und fand
ihn im Schlafzimmer, im Bett mit einer anderen Frau. Obwohl sie heftige Eifersucht,
Wut und Haß spürte, schloß sie die Tür wieder und verließ
die Wohnung unbemerkt. Sie sprach mit ihrem Freund nicht über das Erlebnis,
fühlte sich jedoch von ihm zutiefst betrogen. Ihr Schweigen wurde im Zusammenhang
mit sexuellen Mißhandlungen im Kindesalter verständlich. Nach diesem
Erlebnis begann die Katzenallergie. Sie mußte ihre Katze die sie sehr
liebte weggeben. Erst nachträglich wurde deutlich: Die Katze war ebenfalls
im Schlafzimmer gewesen, und jede Begegnung mit dieser und auch anderen Katzen
rief unterschwellig heftige Wut, Trauer und Hilflosigkeit, zugleich aber auch
die Unterdrückung des Emotionsausdrucks hervor, so daß die junge
Frau ihre Gefühle nicht bewußt wahrnehmen und nicht offen für
ihre Bedürfnisse eintreten konnte. Mit dem Einblick in die Zusammenhänge
nach der Entwicklung offener Gefühls- und Verhaltensreaktionen milderten
sich die allergischen Symptome.
Tierexperimente haben gezeigt, daß immunologisch geschwächte Tiere
ihre Symptome offenbar wahrnehmen und aktiv nach Möglichkeiten der Selbstmedikation
suchen. So besitzen zum Beispiel Nagetiere die Fähigkeit, Assoziationen
zwischen einem bestimmten Geschmack und immunologischen Symptomen herzustellen.
Mäuse mit einer Autoimmunkrankheit nahmen bereitwillig süße
Milchshakes auf, die mit einem Immunsuppressor versetzt waren. Gesunde Mäuse
lernten dagegen sehr schnell, dieses Nahrungsmittel zu meiden. Während
das beigemengte Medikament die gesunde Immunfunktion schwächt, beruhigt
es irritierte und überaktive Immunfunktionen, die das eigene Körpergewebe
schädigen. Offensichtlich können Mäuse Veränderungen des
immunologischen Gleichgewichts wahrnehmen. Sie meiden Bedingungen, die sie schwächen,
und suchen nach Möglichkeiten, die Homöostase zu verbessern. Diese
„organismische Weisheit“ beruht auf biochemischen Selbstregulationen
(Feedbackschleifen zwischen optischen Reizen, Geschmacksanalysen, neuro- und
biochemischen Prozessen), mit dem Tiere zum Beispiel gezielt nach Nahrungsmitteln
suchen, die einen bestimmten Mangel im Körper ausgleichen können.
Auch Menschen haben solche „Antennen“, die jedoch durch „Ernährungswissen“
oft überdeckt sind: Schon Babies sind in der Lage, die für sie passende
Milch auszuwählen. An Rachitis erkrankte Kinder entwickelten eine spontane
Vorliebe für den sonst verpönten Lebertran, der ihren Krankheitssymptomen
entgegenwirkte.
Psychoneuroimmunologieee
Die Psychoneuroimmunologie befaßt sich mit Zusammenhängen zwischen
spezifischen Lebenssituationen, seelischem Befinden, Persönlichkeitsmerkmalen
und dem Immunstatus. Die Psychologin Janice Kiecolt-Glaser und der Immunologe
Ronald Glaser (1988, 1991) untersuchten Menschen, die verschiedene Belastungen
durchlebten, und konnten parallel dazu immunologische Veränderungen bei
ihnen nachweisen. So fanden sie eine Abnahme der Killerzellen- und Helferzellenaktivität
bei Medizinstudenten während längerer Block-Examina. Von großer
Bedeutung für den Immunstatus scheint auch die Qualität der zwischenmenschlichen
Beziehungen und das Ausmaß sozialer Unterstützung zu sein: Bei Studenten,
die sich einsamer fühlten als ihre Kommilitonen, war die Killerzellenaktivität
vermindert. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Untersuchungen zum Immunstatus
von Menschen, die ihre Partnerschaft als ungünstig erlebten, die sich von
ihrem Partner getrennt hatten oder deren Partner gestorben war. Nach Trennungs-
und Verlusterfahrungen ist (verbunden mit einer Immunschwäche) das Risiko,
an Infektionen oder auch Krebs zu erkranken, erhöht. Für spezifische
Phasen der Trauerreaktion und für Depressionen konnten deutliche Schwächungen
der Immunfunktion nachgewiesen werden. (Kronfold 88, Schleifer 83) Untersuchungen
an Familienangehörigen und Betreuern von Patienten, die an der Alzheimerschen
Krankheit litten, zeigten, daß sie sich im Vergleich zu Kontrollpersonen
belasteter, depressiver fühlten und ihre Immunfunktionen signifikant schwächer
waren. Dies könnte auch auf Betreuer anderer Schwerkranker zutreffen.
Verschiedene Forscher (Locke 1984; Tecoma & Leighton 1985) haben darauf
hingewiesen, daß nicht alle Menschen auf Lebensbelastungen mit Störungen
der Immunfunktion reagieren. Wichtiger als die objektiven Stressoren scheint
die subjektiv-emotionale Bewertung der Situation zu sein: Vor allem das Ausmaß
erlebter Feindseligkeit, Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Depression beziehungsweise
das Vertrauen, die Belastung bewältigen zu können. So zeigten die
Untersuchungen von Locke und seinen Mitarbeitern keine signifikanten Zusammenhänge
zwischen objektiv eingeschätzten Belastungswerten und der in verschiedenen
Zeitabständen untersuchten Immunfunktion bei Studenten. Als in die Analyse
jedoch Persönlichkeitsmerkmale (Depression, Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit)
einbezogen wurden, zeigten sich sehr interessante Ergebnisse:
Menschen mit einem höheren Ausmaß an seelischen Störungen
waren Lebensveränderungen und Belastungen weniger gut gewachsen und reagierten
auch mit einer Verminderung der Immunkompetenz, während psychisch stabile
Personen dieselben Belastungen besser bewältigten und zugleich eine höhere
Immunkompetenz hatten.
Wichtig für die gesunde Immunität scheint die Erfahrung zu sein, bei
Belastungen eine gewisse Kontrolle über die Lebenssituation zu haben. Angst
und Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, einer schwierigen Situation nicht entfliehen
und sie nicht kontrollieren zu können, beeinträchtigen die Immunfunktion
besonders stark. Dies ist vor allem in Tierversuchen gut nachgewiesen. So reagierten
Ratten, die aversiven Reizen hilflos ausgeliefert waren, mit einer Verminderung
der Killerzellenaktivität. Ratten, die unter Versuchsbedingungen lebten,
in denen sie lernten, die aversiven Reize durch ihr Verhalten zu kontrollieren,
entwickelten dagegen besonders aktive T-Lymphozyten (Laudenslager & Maier
83).
Zusammenhänge zwischen dem Immunstatus und aktiver beziehungsweise passiver
Krankheitsbewältigung wurden bei Krebspatienten beobachtet. Sandra Levy
(1984) untersuchte 5 Brustkrebs-Patientinnen eine Woche und drei Monate nach
der Brustoperation. Sie kontrollierte jeweils die Aktivität der Killerzellen,
die eine besondere Rolle bei der Beseitigung abnormer Zellen spielen. Parallel
erhob sie psychologische Testdaten und ermittelte, wie die Frauen sich mit ihrer
Krankheit auseinandersetzten. Sie stellte fest, daß die Aktivität
der Killerzellen bei denjenigen Frauen besonders verringert war, die passiv
und depressiv reagierten. Ähnliche Effekte wurden bei Frauen im Zusammenhang
mit depressiver beziehungsweise nichtdepressiver Verarbeitung einer Fehlgeburt
beobachtet (Naor 83).
Überraschende Beobachtungen zur selektiven Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen
und psychosozialem Streß auf Helfer- und Hemmzellen machten Medizinpsychologen
an der Universität Wien (Kropiunigg 1989). Sie untersuchten seelische Haltungen
und Immunreaktionen von gesunden Medizinstudenten, die (freiwillig) an einem
Selbsterfahrungsseminar teilnahmen. Fünf Tage lang beschäftigten sie
sich mit ihrer zukünftigen Rolle als Arzt, setzten sich mit persönlichen
Einstellungen und der Wirkung ihrer Person auseinander. Das Seminar stellte
einen erheblichen Stressor dar. Die Situation forderte intellektuelle Einsicht
und emotionale Offenheit und gab keine Anhaltspunkte für «richtiges»
Verhalten vor. Zusätzlich wurden emotionale und psychosomatische Reaktionen
der Teilnehmer in den Lernprozeß einbezogen. Sechs Tage vor Beginn des
Seminars erfolgte ein psychologischer Test und eine erste Überprüfung
des Immunstatus. Am vierten Seminartag (höchstes Belastungsniveau) wurde
der Immunstatus erneut kontrolliert. Am Ende des Seminars bewerteten die Teilnehmer
ihre Erfahrungen (alle positiv). Drei Wochen später wurde der Immunstatus
erneut überprüft.
Bei Teilnehmern mit einem erhöhten Anlehnungsbedürfnis, die Schutz,
Zuwendung, Rat, Trost bei anderen suchten oder diese Bedürfnisse durch
Hilfsbereitschaft und Aufopferung kompensierten, zeigte sich am vierten Seminartag
eine deutliche Verminderung ihrer Helferzellen. Teilnehmer mit ausgeprägtem
Leistungsstreben, hoher Disziplin und Wettbewerbsorientierung entwickelten dagegen
eine erhöhte Anzahl von Hemmzellen. Beide Reaktionen - die Verminderung
der Helferzellen wie der Anstieg der Hemmzellen - bewirken eine Schwächung
des Immunstatus. Sowohl die übertriebene soziale Orientierung als auch
das selbstbezogene Leistungsstreben reflektieren Aspekte der Selbstunsicherheit.
Beide Haltungen können unter sozialem Druck, in Situationen, die keine
klare Verhaltensorientierung vorgeben, immunologisch riskant sein.
Drei Wochen nach Ende des Seminars zeigten sich ungünstige Langzeiteffekte
für den Immunstatus bei Teilnehmern mit hohem sozialem Anerkennungsbedürfnis,
die immer noch stark mit ihren Erlebnissen beschäftigt und um ihren Ruf
besorgt waren. Teilnehmer, die im Anschluß ein geringes Geselligkeitsbedürfnis
hatten, lieber allein waren, zeigten normale Immunfunktionen. Die Untersuchung
macht auch deutlich, daß Selbsterfahrungsgruppen durchaus erhebliche und
gefährdende Stressoren darstellen. Nicht immer gelingt es den Leitern,
die Teilnehmer zu einer im seelischen und immunologischen Sinne heilsamen Bewältigung
ihrer Erfahrungen zu führen.
Es liegen mehrere Untersuchungen vor, die sich mit Interventionen zur Beeinflussung
der Immunfunktion befassen. Sie deuten darauf hin, daß Entspannung einen
günstigen Einfluß haben kann. Kiecolt-Glaser & Glaser (1988)
untersuchten die Killerzellenaktivität bei alten Menschen im Zusammenhang
mit (a) sozialem Kontakt und (b) einem Entspannungstraining und verglichen die
Effekte mit einer Kontrollgruppe. Die alten Menschen, die einen Monat lang dreimal
wöchentlich eine Entspannungsübung durchführten, entwickelten
eine deutlich höhere Killerzellenakti-vität, das heißt, sie
verbesserten ihren Im munstatus. Soziale Kontakte - Besuche von Studenten führten
zwar zu einer Verbesserung der Stimmung, hatten jedoch keinen nachweisbaren
Einfluß auf den Immunstatus. Auch bei Medizinstudenten, deren Immunstatus
während anstrengender Block-Examina geschwächt war (was nicht auf
Mangelernährung beruhte) und die ein regelmäßiges Entspannungstraining
praktizierten, konnten positive Effekte beobachtet werden.
Weitere Studien (Peavey et al. 1985; Jasnovski & Kugler 1987) zeigten, daß
bei Gesunden, die unter hohem Streß standen, regelmäßige Entspannungsübungen
leichte Störungen der Immunfunktion verbesserten und das Vertrauen stärkten
die Belastungen bewältigen zu können. Mit anderen Studien gingen Kiecolt-Glaser
& Glaser (1988) der Vermutung nach, daß die offene Auseinandersetzung
mit belastenden Erfahrungen sich günstig auf das psychophysiologische Befinden
auswirkt. Sie regten zwei Studentengruppen an, über einen Zeitraum von
sechs Wochen in einem Tagebuch (a) traumatische Erlebnisse, (b) weniger bedeutsame,
eher alltägliche Erfahrungen zu notieren. Bei den Studenten, die sich mit
traumatischen Erfahrungen beschäftigten, zeigte sich eine positive Aktivierung
des Immunstatus; sie benötigten auch weniger medizinische Betreuung. Besonders
positive Veränderungen des seelischen, körperlichen und immunologischen
Befindens wurden bei Studenten beobachtet, die den Mut hatten, sich mit Belastungen
und » Geheimnissen», die sie jahrelang geleugnet hatten, sowohl
in ihrem Tagebuch als auch in Gesprächen mit anderen auseinanderzusetzen.
Andere Studien deuten an, daß die Immunfunktion durch Vorstellungsübungen
beeinflußt werden kann: Howard Hall (82) gab gesunden Versuchspersonen
unter Hypnose verschiedene Bilder zur Stärkung und Aktivierung der T-Zellen
vor.
Jüngere Teilnehmer reagierten mit einem deutlichen Anstieg der T-Lymphozytenzahl.
John Schneider und seine Mitarbeiter (1983) leiteten gesunde Studenten unter
Entspannung zur Imagination spezifischer Freßzellenaktivitäten an.
Die Teilnehmer sollten sich vorstellen, wie die Freßzellen die Blutbahn
verlassen und Abfallprodukte im Körpergewebe beseitigen. Die Effekte der
Imagination wurden durch Blutuntersuchungen vor und nach der Übung überprüft,
um festzustellen, ob sich die Anzahl der Freßzellen im Blut der Teilnehmer
tatsächlich verringert hatte. Es wurde - auch bei Wiederholungen
des Versuchs - ein signifikantes Absinken der Freßzellenanzahl nach der
Imagination gemessen.
Eine Studie (Gruber 1988) kontrollierte immunologische und Einstellungsveränderungen
von zehn Krebspatienten, die über ein Jahr regelmäßig Imaginationen
zum Immunsystem durchführten. Sie stellten sich (nach Simonton) in entspanntem
Zustand vor, wie ihre Immunzellen den Krebs beseitigen. Die Patienten - sie
litten an verschiedenen metastasierenden Krebsformen - nahmen freiwillig teil;
sie führten die Übung zweimal täglich durch und berichteten jede
Woche schriftlich über ihre Erfahrungen und ihr Befinden. Einmal im Monat
traf sich die Gruppe, die Übung wurde gemeinsam durchgeführt und der
Immunstatus kontrolliert. Alle drei Monate wurden die psycholo- gischen Werte
erhoben. Nach etwa einem halben Jahr waren deutlich immunologische Effekte nachweisbar.
Sie zeigten sich vor allem in einer Verbesserung der Killerzellenaktivität
bei der Beseitigung von Tumorzellen. Parallel nahmen Gefühle von Hoffnung
und Selbstkontrolle zu.
Forscher an der Yale University leiteten 32 Asthmatiker sechs Wochen lang an,
sich die gesunde Funktion ihrer Hemmzellen zu vergegenwärtigen und sich
vorzustellen, wie die Hemmzellen histaminabhängige Überreaktionen
- die asthmatischen Reaktionen auf spezifische Reize zugrunde liegen - unter
Kontrolle bringen. Im Vergleich zu unbehandelten Patienten verbesserte sich
die Immunreaktion und die Reaktion der Bronchien auf bestimmte Reize. Zusätzlich
beobachteten die Forscher, daß ein offener Umgang mit belastenden Gefühlen
die Immunstörung und die Atemfunktion positiv beeinflußte (Polonsky
I985). Die psychoimmunologischen Erkenntnisse geben einen Einblick in das differenzierte
Zusammenspiel zwischen seelischer und körperlicher Abwehrkraft. Sie zeigen
auch, wie wichtig es ist, lebensgeschichtlich geprägte Ängste, Depression
und Hilflosigkeit aufzuklären und überwinden zu lernen. Von Bedeutung
für die psychosomatische Widerstandskraft scheinen vor allem das Vertrauen
in die eigenen Fähigkeiten und in die Wirksamkeit des eigenen Handelns
sowie die Überwindung von Passivität und Meidungsverhalten zu sein.
Kognitive Immunologie Diese Konzeption wird durch neuere Entdeckungen von Francisco
Varela und seinen Kollegen an mehreren Pariser Forschungsinstit-uten ernsthaft
in Frage gestellt. Ja, einige Forscher glauben inzwischen, daß die
klassische Anschauung mit ihren militärischen Metaphern eines der
Haupthindernisse für ein vollständigeres Verständnis von
Autoimmunkrankheiten wie AIDS sei. |
Vorstellungsbilder zur Abwehr von Krankheitserregern
Vorstellungsübungen zum Immunsystem dienen der Gesundheitsförderung
und der Krankheitsbewältigung. Mit der Bildersprache werden auch subjektive
und emotionale Bedeutung, ungünstige Strategien und taktische Fehler bei
der Abwehr von Bedrohungen deutlich. Die meisten Menschen haben Freude daran,
ihre Bilder mit anderen gemeinsam zu erkunden und Überlegungen zu effektiven
und eleganten Strategien anzustellen. Darüber hinaus geben die Bilder einen
Einblick in die innere Welt des Malenden und erleichtern Beratungsgespräche
über Lebensbelastungen und vertraute Formen der Konfliktbewältigung.
Werden solche Gespräche in einer Atmosphäre innerer Ruhe geführt,
so inspirieren sie oft eine kreative Entdeckungsfreude und ermutigen dazu, neue
Lösungen in der Vorstellung zu erproben. Wird die Imagination weitergeführt,
dann wirkt sie als „inneres Rollenspiel“ und sinnvolle Selbsthilfeübung,
um mit der seelisch-körperlichen Abwehrkraft Kontakt aufzunehmen und das
eigene Potential zu erkunden, zu schulen und zu stärken.
Die Imaginationsanleitung gibt keine konkreten Bilder vor, sie fördert
vielmehr die Projektion persönlicher Vorstellungsinhalte im Zusammenhang
mit biologischen Regulationsvorgängen. Die individuellen Vorstellungen
zur taktischen und strategischen Lösung des Abwehrproblems, der spielerische
Ausdruck von Aggression, aber auch die Verschiedenartigkeit der kreativen Gestaltung
fazinieren die meisten Menschen. Sehr schnell wird auch deutlich, daß
die im Bild dargestellte Bewältigungsstrate-gie persönliche Haltungen
widerspiegeln kann, die aus Alltags-konflikten vertraut sind. Imaginationen
zum Immunsystem sind nur selten direkt an Vorgaben (zum Beispiel einem Informationsfilm)
orientiert. Im allgemeinen finden die Teilnehmer ganz persönliche Bilder.
Vorstellungsbilder zum Immun- und Krankheitsgeschehen reflektieren innere Haltungen,
die lebensgeschichtlich gewachsen sind. Sie können durch rein intellektuelle
und Willensanstrengungen nicht modifiziert werden. Nähert man sich den
Bildgehalten jedoch mit empathischem Interesse, so kann man vorbewußte
Verhaltensgewohnheiten erkunden und verstehen lernen. Mit dem Begreifen und
Benennen der subjektiven und emotionalen Bedeutungen erschließen sich
auch neue Möglichkeiten, Bedrohnungen zu bewältigen. Vor allem HIV-infizierte
und an Aids erkrankte Teilnehmer hatten den Eindruck, daß die Imagination
zum Immunsystem sie bei der Auseinandersetzung mit ihrer Gefährdung unterstützen
könnte, und nutzten das Angebot zu Beratungsgesprächen und weiterer
Imaginationsanleitung.
Auch für die bildliche Umsetzung der körperlichen Abwehrkraft wurden
Zusammenhänge mit psychologischen Testdaten gefunden: Teilnehmer, die sich
ihre Immunkraft weniger gut vorstellen konnten, waren in der realitätsgerechten
Konfliktlösung und in ihrem Gefühlsausdruck vermindert und neigten
dazu, sich selbst zu entmutigen.
Das folgende Beispiel zeigt, wie ein an Aids Erkrankter, der sich körperlich
geschwächt und seelisch sehr belastet fühlt, über die Imagination
und Beratung Zugang zu Erinnerungen und Glaubenserfahrungen findet, die ihm
die Vorbereitung auf denTod erleichtern können.
Herr B. war 51 Jahre alt, als er an der Imagination zum Immunsystem teilnahm.
Zwei Jahre vorher hatte er die Diagnose HIV-positiv erhalten. Aufgrund häufiger
Symptome, die einige Monate nach der Diagnose auftraten (Fieberschübe,
Bronchits, Pilzerkrankungen sowie eine extrem verminderte Zahl von T-Helfern
im Verhältnis zu T-Suppressorzellen), wurde er als aidskrank eingestuft.
Herr B. hatte zwei Jahre vor seiner Diagnose eine schwere Krise erlebt:
Beide Eltern waren an Krebs gestorben, er selbst war medikamentenabhängig, sehr unzufrieden mit seinem Amt als Pastor und voller Scham über seine homosexuelle Orientierung. Er fühlte sich „kaputt und drpressiv“, vor allem auch aufgrund vieler unbefriedigender und enttäuschender Beziehungen (überwiegend in der homosexuellen Subkultur). Nach der Diagnose ließ er sich frühpensionieren. Er engagierte sich kurzfristig in einer HIV-Selbstholfegruppe und begann eine Psychotherapie, die er jedoch bald wieder abbrach. Seine psychologischen Testwerte zeigten, daß Herr B. in dieser schweren Krise unter sehr starkem emotionalem Druck stand, den er kaum kanalisieren konnte. | |
Abbildung Dieses Bild entstand in einer Zeit, in der Herr B. sich körperlich geschwächt fühlte und erkannte, daß medizinische Therapien ihm nicht hatten helfen können, einer Zeit, in der er sich mit seinem Tod auseinandersetzen mußte. So zeigt das Bild auch seinen Versuch, Frieden zu finden, und drückt eine Sehnsucht nach Harmonie aus, die Herr B. vielleicht nur im Tod zu finden hoffte. Herr B. gab an, daß er die Imagination zum Immunsystem, die Beratung und vor allem auch das symbolische Bild seiner Helferzelle als Unterstützung erlebte. Er ist zehn Monate nach dem letzten Kontakt gestorben. |
|
Die Abbildung stellt die Imagination eines dreißigjährigen Mannes dar. Sichtbar wird die an einen Science-fiction-Film angelehnte Auseinandersetzung zwischen zwei Robotern. In dieser Vorstellung sind Immunantwort und Fremdkörper einander sehr ähnlich, die Immunkraft ist jedoch bedeutend kleiner. Es stellt sich die Frage: Wie kommt es, daß der Mann die Fähigkeit seines Immunsystems so kalt und technisch erlebt? Wie könnte man das Roboter-Virus effektiver ausschalten? Der Maler dieses Bildes ist HIV-infiziert, und sein Bild veranschaulicht, daß er sich durch die Infektion stark bedroht fühlt und ihr nicht mit differenzierten Bewältigungsstrategien zu begegnen vermag. |
Auch wenn ein Immunschwäche-Syndrom diagnostiziert ist,
muß dies nicht mit Notwendigkeit bedeuten, daß der betroffene
Mensch dahinsiecht und stirbt. Eine amerikanische Stiftung in Sausalito,
die Körper-Seele-Interaktionen erforscht und ungewöhnliche Heilungen
dokumentiert (und nur nach sehr strengen Kriterien anerkennt), hat über
fünf Heilungen von Aids berichtet: Die Erkrankten waren HIV-positiv
und hatten ein Immun-schwäche-Syndrom entwickelt; dann hatten sich
die Symptome zurückgebildet, und die Betroffenen waren wieder HIV-negativ
geworden (zitiert in Miketta 1991). Psychoimmunologische Forschungen haben deutlich gemacht, daß das regulative Gleichgewicht zwischen Zentralnerven-, Immun- und Hormonsystem eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit ist und vor allem unter Belastungen gestört wird, die subjektiv als unkontrollierbar empfunden werden. Solche Belastungen und die damit verbundenen Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Depression können im Vorfeld einer HIV-positiv-Diagnose aufgetreten sein und eine Infektion begünstigen. Aber auch die Diagnose selbst, verbunden mit den bisher fehlenden medizinischen Therapieangeboten, stellt ein solches Ereignis dar. Es ist deshalb von großer Bedeutung, wie diese Diagnose verarbeitet wird und ob es gelingt, eine Perspektive zu finden, die Angst und Resignation überwinden hilft und das Vertrauen in die eigene Person und die Bewältigungskraft stärkt. |
Niro Markoff Asistent: AIDS siehe auch http://www.computerhealth.org/asistent.htm
- Heilung durch Meditation
Aufgrund zahlreicher Krankheitssymptome ließ Niro Asistent Markoff 1985
einen AIDS-Test durchführen. Das Ergebnis war niederschmetternd - sie war
HIV-Positiv. Diese Erkenntnis war für sie gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
Nachdem sie sich aber von der Resignation befreit hatte, entwickelte sie ihr
eigenes Heilungsprogramm. Sie brachte Ordnung in ihr Leben, leitete einen körperlichen
Reinigungsprozeß ein und wies negative Einflüsse jeder Art zurück.
Darüberhinaus akzeptierte sie, daß sie sterben würde. Sie kämpfte
monatelang, bis sie sich innerlich wieder heil fühlte und ging dann erneut
zum Test. Das Ergebnis war unglaublich - sie war HIV-Negativ. Aus der gewaltigen
Kraft, die Niro Asistent Markoff aus ihrem Selbstheilungsweg schöpfte,
verfaßte sie ihr Buch „Das heilende Ja“ und gibt seither Seminare
zu diesem Thema.
1992 hielt Niro Asistent Markoff, anläßlich des Züricher AIDS-Kongresses,
der unter dem Motto stand „Umdenklen bei AIDS“ einen Vortrag.
Verschiedene amerikanische Untersuchungen zeigen, daß der Verlauf einer
HIV-Infektion und Aids-Erkrankung durch seelische Haltungen beeinflußt
wird (Antoni et al. 1990; Solomon et al. 1987, ,99'). Bei HIV-Infizierten wurden
Zusammenhänge zwischen gutem Immunstatus und geringer Ausprägung von
Angst und Depression beobachtet. HIV-Infizierte mit gutem Immunstatus zeigten
ein hohes Ausmaß an hardiness (Widerstandskraft), das heißt, sie
fühlten sich weniger entfremdet, machtlos und ausgeliefert; sie entwickelten
vielmehr Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit ihres Handelns
und nahmen Lebensveränderungen als Herausforde-rung an. Sie waren in der
Lage, eigene Interessen wahrzunehmen und klar zu verfolgen und unerwünschte
Anfragen offen abzuweisen.
Einige Untersuchungen ergaben, daß sich der Immunstatus von HIV-Infizierten
bei Trauerprozessen nicht wie bei Gesunden verschlechtert. Aids-Kranke, die
eine von den Ärzten prognostizierte Lebensdauer weit überschritten,
hatten einen besseren Immunstatus als Patienten, die frühzeitig starben,
und zeigten ein höheres Ausmaß an hardiness; Angst und Depression
waren bei ihnen weniger ausgeprägt, und sie verhielten sich nicht unangemessen
altruistisch in dem Sinne, daß sie anderen halfen, obwohl sie dies eigentlich
gar nicht wollten.
Die amerikanischen Psychotherapeuten Christopher Allers und Karen Benjack
stellten fest, daß HIV-Infizicrtc überdurchschnittlich häufig
in ihrer Kindheit körperlich und scxucll mißhandclt wurden warcn.
Sic wciscn daraufhin, daß typische Folgc-schädcn solcher Mißhandlungen
- Alkohol- und Drogenmiß-brauch, Depression, Promiskuität, mangelnde
Ich-Stärke, die Unfähigkeit, sich gegenüber Forderungen von Partnern
zu behaupten oder auf « safer sex zu bestehen - das Infektionsrisiko signifikant
erhöhen (Psychologie heute 6/92). Ute Waschulewski, die (1989) zweihundert
Jugendliche zu ihrem Wissen über Aids befragte, fand bei Jugendlichen,
die sexuelle Mißhandlungen angaben, ein deutlich geringeres Bewußtsein
über Gefährdung und Schutzmaßnahmen.
Eine deutsche Untersuchung (Bliemeister et al. 1992) ergab, daß sich die
Bewältigungsstrategien von HIV-Infizierten mit gutem von denen mit kritischem
Immunstatus (weniger als vierhundert T4-Helferzellen pro Milliliter Blut) deutlich
unterschieden. Infizierte mit gutem Immunstatus verdrängten ihre Infektion
nicht, verstrickten sich aber auch nicht in Grübeleien («Warum ich?»).
Sie suchten vielmehr aktiv nach krankheitsbezogener Information und nach Bewältigungsmöglichkeiten
und gingen davon aus, daß sie ihren Gesundheitszustand selbst mitbeeinflussen
können. Sie erlebten ihre sozialen Beziehungen als gut und ihre sexuellen
Kontakte als befriedigend. Auch sprachen sie offen mit anderen Menschen über
ihre Infektion. Sie suchten nach Möglichkeiten der Gesundheitsförderung
und befanden sich seltener in ärztlicher Behandlung.
Vorstellungsbilder zu Autoimmunkrankheiten
Verschiedene schwere Krankheiten - Störungen der Schilddrüsen- oder
der Nierenfunktion, Basedow, Morbus Bechterew, Lupus erythematodes, Myasthenie,
Multiple Sklerose, Colitis, chronische Polyarthritis, Diabetes Typ 1 und andere
- stehen auch im Zusammenhang mit einer Fehlsteuerung der Immunfunktion: Das
Immunsystem greift irrtümlich körpereigenes Gewebe an und zerstört
es. Wie es zu diesen Fehlregulationen und dem Angriff auf jeweils unterschiedliche
Organe kommt, ist ungeklärt, doch wird vermutet, daß solche fehlgeleiteten
Aktionen des Immunsystems in Zeiten körperlicher und seelischer Überbelastung
einsetzen, zum Beispiel nach schweren Infektionen, Verlusterlebnissen und anderen
seelischen und körperlichen Traumen, die nicht bewältigt werden können.
Verschiedene Forscher sind zu dem Ergebnis gekommen, daß unter starken
Belastungen die Ausreifung und Schulung von Immunzellen (zum Beispiel im Thymus)
gestört sind, so daß Immunzellen in die Blutbahn gelangen, die keine
ausreichende Selbsttoleranz entwickelt haben. Andere vertreten die Auffassung,
daß unter starkem emotionalem Streß die Angriffe auf das eigene
Selbst durch Störungen der biologischen Kommunikation zwischen Gehirn und
Immunsystem begünstigt werden.
Weiner (`99) weist darauf hin, daß Menschen mit Autoimmunerkrankungen
besonders empfindlich auf Verluste und Trennungen reagieren. Er vermutet, daß
sie aufgrund frühkindlicher Traumatisierung keine angemessenen Formen der
Bewältigung von Trauer erworben haben, so daß sie auch spätere
Verluste nicht verarbeiten können. Dies führt bei ihnen langfristig
zu Depression, Hoffnungslosigkeit und Störungen der biologischen Selbstregulation.
Es liegt nahe zu vermuten, daß ein Mensch, der sich nicht zielstrebig
und aktiv zu behaupten vermag und der in schwierigen Situationen keine Unterstützung
und Orientierung erfährt, sein gehemmtes Aggressionspotential auch in einer
irritierten und autoaggressiven Abwehrfunktion ausdrücken kann. Die Erforschung
von Autoimmunstörungen steht ganz am Anfang, und die betroffenen Patienten
sind über immunologische Aspekte ihrer Krankheit meist nicht informiert.
Wir wissen daher auch nicht, ob ihnen solche Informationen bei der Bewältigung
ihrer Krankheit helfen können.
Benno Hennrich (1988) leitete 26 Patienten mit chronischer Polyarthritis und
Ute Krusemark (1989) 25 Patienten mit Multipler Sklerose zur Imagination ihres
Krankheitsgeschehens an.
Bei der chronischen Polyarthritis (Gelenkrheuma) handelt es sich um eine lang
andauernde Entzündung vieler Gelenke, die von der Gelenkinnenhaut ausgeht,
zu deren Wucherung führt und auf Knorpel und Knochen zerstörend übergreift.
Die Entzündung wird durch Immunzellen verursacht, die irrtümlich das
körpereigene Gewebe angreifen. Die Folgen sind Schwellungen, Bewegungsschmerz,
Verformung der Knochen, Beeinträchtigung von Bewegungsabläufen, unter
Umständen Invalidität. 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung sind von
dieser Krankheit betroffen, Frauen zwei- bis dreimal häufiger als Männer.
Die Erkrankung tritt in jedem Alter auf, am meisten jedoch zwischen dem fünfundzwanzigsten
und fünfzigsten Lebensjahr und häufiger bei städtischer Bevölkerung
und in niedrigeren Bildungs-und Einkommensschichten.
Die Auslösung von Krankheitsschüben kann im Zusammenhang
mit schwerwiegenden oder lang andauernden Belastungen und einem Zurückhalten
des emotionalen Ausdrucks stehen. Chronische Polyarthritis gilt bis
heute als unheilbar, sie läßt sich nur durch sogenannte Basistherapeutika
und entzündungshemmende Medikamente sowie operative Eingriffe lindern.
Zusätzlich werden physikalische, bewegungs- und orthotherapeutische Maßnahmen
eingesetzt, um die Schmerzen zu verringern und die Bewegungsfähigkeit zu
erhalten. Manchmal wird den Patienten empfohlen, sich einer Selbsthilfegruppe
anzuschließen oder psychotherapeutische Hilfe zur emotionalen Stabilisierung
und Krankheitsbewältigung zu suchen.
Benno Hennrich leitete 24 Frauen und zwei Männer zur Imagination ihres
Krankheitsgeschehens an, die durchschnittlich 46 Jahre alt und seit vierzehn
Jahren erkrankt waren. Sie waren überwiegend von massiven Zerstörungen
der Gelenkinnenhaut betroffen und hatten meist Operationen hinter sich. Ein
Drittel war frühberentet.
Multiple Sklerose (MS) ist ebenfalls eine Autoimmunerkrankung. Das Abwehrsystem
greift irrtümlich die Myelinhülle von Nervenfasern an. Die Folgen
sind: Störungen der Impulsleitung, Mißempfindungen, Schwäche
in den Beinen, Störungen der Bewegungskoordination, der Sinnesfunktionen
oder auch der Sprache, unter Umständen Invalidität. 0,05 Prozent der
Bevölkerung in nördlichen Breitengraden erkranken an MS, am häufigsten
zwischen dem zwanzigsten und dem vierzigsten Lebensjahr; es sind doppelt so
viele Frauen wie Männer betroffen. Auch hier steht die Auslösung
von Krankheitsschüben oft im Zusammenhang mit psychischer Überbelastung
und einer Zurückhaltung des Aggressionsausdrucks. Die Krankheitssymptome
werden mit entzündungshemmenden und immunstabilisierenden Medikamenten
behandelt. Auch wird den Patienten empfohlen, ihre Ernährung umzustellen,
Überanstrengung, emotionale Belastung und extreme Klimaveränderungen
zu meiden und emotionale Unterstützung in Selbsthilfegruppen oder Psychotherapie
zu suchen.
Ute Krusemark leitete sechzehn Frauen und neun Männer zur Imagination ihres
Krankheitsgeschehens an, die im Mittel vierzig Jahre alt, seit elf Jahren erkrankt
und zum größten Teil frühberentet waren. Die begleitenden psychologischen
Tests zeigten, daß die Patientinnen und Patienten in beiden Krankheitsgruppen
dazu neigten, alltägliche Auseinandersetzungen und den Ausdruck von (vor
allem aggressiven) Gefühlen zu vermeiden.
Jeweils zwei Drittel der Teilnehmer setzten sich offen und mutig mit dem Krankheitsgeschehen
auseinander. Sie zeigten in ihren Bildern, wie die Immunzellen die Gelenkinnenhaut
beziehungsweise die Myelinhülle der Nervenfasern angreifen und zerstören.
Sie identifizierten sich oft weitgehend mit diesen aggressiven Impulsen und
agierten sie in ihrer Vorstellung zum Teil lustvoll und spielerisch aus. Indem
sie sich auf die Wahrnehmung der autoaggressiven Impulse einließen, konnten
diese Teilnehmer anschließend auch die zerstörerischen Auswirkungen
betrachten und Vorstellungen zu einer gesunden Immunfunktion entwickeln. Ein
Drittel der Patienten ließ sich nur sehr begrenzt auf Vorstellungen zu
der selbstschädigenden Immunreaktion ein. Sie griffen diese Elemente der
Anleitung in ihren Bildern nur im Ansatz, verharmlosend oder gar nicht auf.
Diesen Teilnehmern fiel es schwerer, heilungsorientierte Vorstellungen zu finden.
Insgesamt zeigten jüngere Teilnehmer eine größere Bereitschaft,
sich auf die Erkundung ihres Krankheitsgeschehens mit Hilfe der Vorstellungsübung
einzulassen. Zusätzlich zeigte die Analyse der psychologischen Testdaten,
daß diejenigen Patienten, die in ihrem Gefühlsausdruck weniger gehemmt
waren, krankheitsbezogene Vorstellungen direkter und offener darstellten. Von
krankheitsspezifischer Bedeutung sind möglicherweise die folgenden Beobachtungen:
Polyarthritis-Patienten, die in der realitätsgerechten Bearbeitung von
Konflikten weniger gestört waren, konnten sich den selbstzerstörerischen
Krankheitsprozeß klarer vorstellen. In der Gruppe der MS-Kranken gelang
dies den Patienten besser, die weniger Angst vor Selbständigkeit hatten
und noch nicht so lange erkrankt waren.
Polyarthritis
Frau K. nahm während der Imagination nicht so sehr Kontakt mit den spezifischen
Abwehrzellen auf, sondern eher mit grundlegenden Einstellungen zu ihrer Krankheit.
Sie war sechzig Jahre alt und vor vierunddreißig Jahren an Polyarthritis
erkrankt. Ihren Beruf als technische Zeichnerin hatte sie aufgeben müssen.
Sie war seit dreißig Jahren Rentnerin und befand sich im Endstadium der
Krankheitsentwicklung. Ihre Erkrankung, schrieb sie, habe während eines
sehr schweren Verlusterlebnisses eingesetzt, bei dessen Verarbeitung ihr niemand
zur Seite stand. Sie beobachtete Zusammenhänge zwischen einer Verschlechterung
ihres Befindens und seelischen Belastungen (Angst und Kummer) sowie körperlicher
Überanstrengung. Frau K. fühlte sich in ihrem alltäglichen Leben
durch Schmerzen und motorische Beeinträchtigungen (der Hände, Knie,
Füße) stark behindert. Sie hatte aufgrund ihrer Behinderung eine
Verlobung gelöst und nie geheiratet, vermißte jedoch eine eigene
Familie und Kinder schmerzlich. Sie fühlte sich oft einsam und hatte Angst
davor, vollkommen hilflos und pflegebedürftig zu werden. Dennoch hatte
sie den Eindruck, den Verlauf der Krankheit durch eine positive seelische Einstellung
- indem sie versuchte, sich und anderen Freude zu bereiten - beeinflussen zu
können. Frau K. hatte zahlreiche Krankenhausaufenthalte und Kuren hinter
sich und wurde mit schmerzlindernden Medikamenten behandelt. Ihre psychologischen
Testdaten zeigten, daß sie in ihrem Gefühlsausdruck- vor allem im
Ausdruck aggressiver Impulse- stark eingeschränkt war.
Mit dieser Hemmung ihres Gefühlsausdrucks nahm Frau K. während der Imagination Kontakt auf. In sehr zarten und lichten Farben malte sie im oberen Bildraum eine Welle, die sich zum rechten Bildrand hin (zur Realität) einrollt und verknotet. In dem Knoten werden orangefarbene, auf das Innere gerichtete Pfeile sichtbar. Sie stellen Immunzellen dar, die den Gelenkknochen bedrohen. Mit ihrem Bild veranschaulichte Frau K. sowohl die Entzündung
der Gelenkinnenhaut und die Zerstörung des Knochens als auch Empfindungen
zu der Krankheit. Sie sagte zu ihrem Bild: «Ich wollte damit die Einflüsse
wiedergeben, die auf mich einstürmen, und wie sie sich negativ auf die
Knochen werfen und die Gelenke. Eigentlich ist das nicht nur mein Gelenk, das
bin ich selbst. In der Welle, die anrollend alles umschließt und verschlingt,
wollte ich meine Empfindungen mit der Krankheit ausdrücken. Dieses Knäuel
ist etwas, wo man im Grunde nicht wieder rauskommt. Es geht alles nach innen.
Das ist auch das Gefühl von meiner Krankheit. Alles, was an mich herangetragen
wird, konzentriert sich irgendwo - und wenig kommt nach außen.»
Die Imaginationsübung war Frau K. angenehm, und sie setzte sich anschließend
intensiv mit der Frage auseinander: Was müßte geschehen, damit der
Krankheitsprozeß nicht weiter fortschreitet? Mit ihrem zweiten Vorstellungsbild
erkundete sie vorsichtig, wie die im Knoten verschlossenen Gefühle gelöst
werden könnten.
Sie nutzte die Bildfläche diesmal im Querformat (was eine neue Ebene der
Beziehung und des Dialogs andeuten kann) und gestaltete (wiederum in eher zarten
Farben) eine Bewegung über die gesamte Bildfläche. Die gefühlsmäßige
Bewegung implodiert hier nicht mehr in einem Knoten, sondern schwingt weiter
zum rechten Bildrand (zur Realität hin). Die Pfeile im Innern des Knotens
sind weniger geworden, sie haben ihre Richtung geändert und orientieren
sich jetzt nach außen. Frau K. begann zu spüren, daß sie ihren
seelischen Druck und vielleicht auch die körperlichen Schmerzen vermindern
kann, wenn sie ihre Gefühle nicht mehr zurückhält, anstaut und
gegen sich selbst wendet, sondern auszudrücken beginnt. In ihrem zweiten
Bild stellte Frau K. eine neue Orientierung dar, die mit Hoffnung und Erleichterung
verbunden war. Diese seelische Öffnung könnte sie behutsam weiterführen,
indem sie ihre Haltung durch kreatives Gestalten erkundet und sich mit anderen
über ihre Gefühle austauscht.
Multiple Sklerose
Die beiden folgenden Vorstellungsbilder wurden von einer zweiunddreißigjährigen
Frau gemalt, die ein dreiviertel Jahr zuvor an Multiple Sklerose erkrankt war.
Frau A. hatte keine Berufsausbildung und lebte mit ihrem Mann und einem zwölfjährigen
Sohn auf dem Land in der unmittelbaren Nachbarschaft der Eltern. Sie fühlte
sich durch die Krankheit nur wenig beeinträchtigt, klagte jedoch über
schnelle Ermüdbarkeit, Muskelschwäche und Taubheitsgefühle in
Armen und Beinen sowie über eine Störung ihrer Sehfähigkeit.
Äußerlich waren bei ihr keine Anzeichen einer Behinderung zu bemerken.
Kurz vor dem Ausbruch der Krankheit starb Frau A`.s Großmutter. Frau A.
fand die Tote, was ihr einen «Schock» versetzte, an dem sie «lange
zu knabbern» hatte. In den darauffolgenden Monaten häuften sich ernste
Krankheitsfälle in ihrer Familie, die Frau A. sowohl emotional als auch
durch Pflege und vermehrte Hausarbeit erschöpften. Ein Vierteljahr nach
dem ersten Ausbruch der Krankheit erlebte sie einen weiteren Krankheitsschub.
Die psychologischen Testdaten waren unauffällig und zeigten, daß
Frau A. sich offen mit ihrer Krankheit auseinandersetzte und aktiv nach Möglichkeiten
zur Bewältigung suchte.
Frau A. fühlte sich durch die Anleitung sehr angesprochen und erlebte die
Vorstellungsübung als Hilfe, ihre Krankheit zu verstehen und sich eine
Beendigung des autoaggressiven Prozesses zu vergegenwärtigen. Sie nutzte
ihre Bilder auch, um ihrem Mann zu erklären, was sich in ihrem Körper
abspielt. Ein Jahr nach der Erhebung berichtete sie, daß es ihr gutginge.
Ein weiterer Krankheitsschub war nicht aufgetreten. Die rasche Ermüdbarkeit
und die Muskelschwäche in den Beinen sind geblieben. Sehstörungen
traten jedoch nicht mehr auf. Sie konnte eine anstrengende Reise zu Verwandten
in Südeuropa ohne Beschwerden genießen. Sie hatte mit Yoga-Übungen
begonnen und integrierte die Imagination zum Immunsystem in diese Übungen,
die sie fast täglich durchführte.
Diabetes
Unter meiner Anleitung gingen Iris Fowe' (1990) und Inga von Knobelsdorff (1990)
der Frage nach, ob diabetische Kinder die mit ihrer Krankheit verbundene Autoimmunstörung
verstehen können und ob auch Kinder an einer Imaginationsanleitung interessiert
sind und krankheitsbezogene Vorstellungsbilder entwickeln.
Diabetes mellitus Typ l ist eine chronische Energiestoffwechsel-störung.
Im Unterschied zum Altersdiabetes, bei dem ein funktionaler Insulinmangel auftritt,
kommt es beim Diabetes Typ I zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden
Zellen der Bauchspeicheldrüse durch das Immunsystem.
Ohne medizinische Hilfe stirbt ein Typ-I-Diabetiker. Die Krank-heit kann vom
Säuglingsalter an bis etwa zum dreißigsten Lebensjahr ausbrechen:
der statistische Gipfel liegt bei acht bis elf Jahren. 0,05 Prozent der Bevölkerung
in Westdeutschland sind betroffen. Die Neuerkrankungsrate zeigt eine steigende
Tendenz. Diabetiker müssen lebenslang mehrmals täglich Insulin spritzen,
einen strengen Diätplan einhalten und tägliche Stoffwechselkontrollen
vornehmen.
Einige Untersuchungen zeigen, daß diabetische Kinder vor der Diagnose
schwerwiegende Belastungen erlebten (Hermann et al. 1986) und auf emotionalen
Streß mit einer rascheren Zuckermobilisation reagieren als gesunde Kontrollpersonen
(Achterberg & Lawlis 1984).
Die therapeutischen Maßnahmen stellen hohe Anforderungen an die erkrankten
Kinder und ihre Eltern. Ein hohes Maß an Disziplin, Selbstkontrolle und
Selbstverantwortlichkeit ist nötig. Diese Eigenschaften setzen eher die
Lebensperspektive eines Erwachsenen voraus und stehen altersgemäßen
Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entgegen:
Sie müssen genau den Blutzucker kontrollieren und die Insulindosis entsprechend
anpassen, pünktlich die Essenszeiten einhalten, ordentlich die Stoffwechselkontrollen
protokollieren, vernünftige Einschränkungen akzeptieren, um Spätkomplikationen
zu vermeiden. So ist es verständlich, daß Kinder und Jugendliche
oftmals Diätfehler machen, ihre Protokolle manipulieren und dies vor den
Ärzten verheimlichen oder daß sie sich minderwertig fühlen,
Angst vor Ablehnung haben und ihre Krankheit verleugnen. Zusätzlich erschwert
ihnen die tägliche Selbstverletzung durch Blutzuckertests und Injektionen
eine angemessene Entwicklung ihres Körperbewußtseins und Körperbildes.
Vielfältige Einflüsse wie Angst, Ärger und Anspannung verursachen
oft unvorhersehbare Stoffwechselschwankungen und verstärken das Gefühl,
der Krankheit hilflos ausgeliefert zu sein. Die therapiebedingten starken emotionalen
Belastungen werden bei der Diabetikerschulung häufig nicht genügend
berücksichtigt. Zwar gilt ein verstärkter Ausdruck von Aggression
und Wut als günstig für die emotionale Bewältigung des Diabetes,
doch wird er bei den Schulungsmaßnahmen im allgemeinen nicht berücksichtigt.
Fowe' und von Knobelsdorff leiteten zehn diabetische Kinder an, sich ihre Krankheit
bildlich vorzustellen. In der Diabetiker Ambu-lanz einer Hamburger Klinik wurden
Kinder und ihre Eltern auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht.
Sie wurden in kindgemäßer Form über ihr Krankheitsgeschehen
und die Beteiligung des Immunsystems informiert. Obwohl die behandelnden Ärzte
und Psychologen davon ausgingen, daß die Kinder über den Autoimmunprozeß
informiert waren, war dieser Aspekt allen Kindern neu. Sie waren an den Informationen
zum Immunsystem sehr interessiert. Keines der Kinder hatte sich bisher erklären
können, weshalb die insulinproduzierenden Zellen «verschwinden «.
Mit einer Vorstellungs-übung wurden sie anschließend angeleitet,
innere Bilder zu ihrer Krankheit zu entwickeln und sie aufzumalen. Zusätzlich
malten die Kinder ein Bild ihrer Familie. Begleitend wurden psychologische Testdaten
erhoben und medizinische Parameter einbezogen.
Sowohl die Patienten-Information als auch die Vorstellungsübung bereiteten
den Weg für Gespräche, in denen sich die Kinder offen äußerten.
Sie berichteten über ihre teilweise sehr schwierige Lebenssituation, über
Aggressionen und Ängste. Die Familienbilder zeigen eine Atmosphäre
der Starre, Steifheit und Unlebendigkeit sowie einen sehr geringen Kontakt der
Familienmitglieder untereinander. Fowe' fand in den Bildern eine starke Ausprägung
von Merkmalen, die auf Schüchternheit Gefühle der Unzulänglichkeit,
Trauer und Aggression hindeuten. In Gesprächen über ihre Familienbilder
wirkten fast alle Kinder sehr scheu, während ihnen Gespräche über
ihre krankheitsbezogenen Bilder deutlich leichter fielen. Im Kontakt mit den
biologischen Funktionen ihres Körpers und auf einer symbolischen Ebene
konnten sie sich emotional weiter öffnen. In der Vorstellung der Kinder
übernahmen die Immunzellen Funktionen der Angstbewältigung und des
Aggressionsausdrucks. Die Kinder deuteten das autoaggressive Geschehen als fehlgeleitete
Reaktion auf erlebte Belastungen und Bedrohungen. Sie beschäftigten sich
intensiv mit Themen wie «Kampf», «Aggression», «stark
sein; schwach sein» und «ohnmächtig sein». Bis auf die
beiden jüngsten Kinder entwickelten alle im Zusammenhang mit ihrem Bild
spontane Ideen, wie die Fehlreaktion des Immunsystems aufzuhalten sei. Sie drückten
aus, daß die verwirrten Immunzellen eine klare Anleitung bräuchten,
daß ihre Wahrnehmung geschult, ihre Sicherheit und Entscheidungsfähigkeit
trainiert werden sollten, daß sie lernen müßten, „nein“
zu sagen. Ein Kind drückte klar aus, daß es mit der schwer einstellbaren
Krankheit auf Aggressionen der Eltern reagierte und daß es sich erholen
könnte, wenn die Eltern aufhören würden, sich zu streiten. Die
Ideen der Kinder lassen vermuten, daß sie von weiteren heilungsorientierten
Imaginationsanleitungen oder auch durch spielerische Übungen zur Stärkung
der Selbstsicherheit profitieren könnten. (Eine solche weiterführende
Anleitung wurde jedoch von der leitenden Psychologin der Klinik als nicht günstig
erachtet.)
Jürgen war zum Zeitpunkt der Erhebung dreizehn Jahre alt. Er besuchte die
Realschule und hatte zwei erwachsene Schwestern, die nicht mehr zu Hause lebten.
Der Diabetes war zwei Jahre zuvor festgestellt worden. Jürgens Mutter vermutete,
daß er durch den Tod des Vaters ein Jahr vor Beginn der Erkrankung ausgelöst
wurde. Nach ihrem Eindruck hatte sich Jürgen durch die Krankheit nicht
verändert und war im Alltag nur wenig beeinträchtigt. Jürgens
Krankenakte zeigte jedoch, daß er nach dem Tod des Vaters eine schwere
Zeit durchlebt hatte. Das Krankenhauspersonal berichtete, daß die Mutter
von ihm viel Zuwendung forderte. Jürgen dagegen vermißte die Unterstützung
der Mutter, nachdem der Diabetes ausgebrochen war. Wegen einer schweren Knieverletzung
lag er mehrmals im Krankenhaus und war länger von ihr getrennt.
Jürgens psychologische Testwerte waren auffällig. Sie zeigten daß
er seine Gefühle stark kontrollierte, wenig von sich überzeugt war
und nur ein geringes Vertrauen in seine Urteils- und Handlungsfähigkeit
hatte. Jürgens Bild zu seiner Familien- situation deutete an, wie ungeborgen,
traurig und einsam er sich fühlte.
Für
dieses Bild nutzte Jürgen nur die linke untere Ecke des Malbogens. Hier
malte er einen grünen Weihnachtsbaum mit zehn leuchtendroten Kugeln, der
auf einem breiten, schwarz ausgemalten Sockel steht. Rechts neben dem Baum stellte
Jürgen seine Familie mit vier schwarzen Strichmännchen dar. Er selbst
als kleineres Strichmännchen - steht außerhalb dieser Gruppe unter
dem Baum in der Nähe des schwarzen Sockels.
Die dargestellte Szene wirkt sehr trostlos. Die Menschen werden ohne Beziehung
zueinander dargestellt, und Jürgen steht ganz allein. Die Anzahl der roten
Kugeln läßt an die zehn Lebensjahre denken, bevor sein Vater starb,
und der Sockel, auf dem der Baum steht, erinnert an einen Sarg.
Jürgen machte es Spaß, dieses Bild zu malen. Besonders wichtig waren ihm die Immunzellen. Er erlebt sie als stark und aggressiv und wäre selbst gern so eine Immunzelle, denn da kann man kämpfen».
Im
Gespräch über sein Bild deutete er an, daß er sich Halt und
eine klare Führung für die Bewältigung seiner Situation wünschte.
Zu der Frage, was denn geschehen müßte, damit die Zerstörung
der Inselzellen nicht weiter fortschreitet, sagte er: „Die Immunzellen
müßten wieder die anderen (Krankheitserreger) bekämpfen; sie
bräuchten eine Lehrerin, die sie leiten kann.» Jürgens Bilder
zeigen, daß er in sich zwar Kraft und Vitalität spürte, dies
aber nicht offen in seinem Verhalten zum Ausdruck bringen konnte. Er gab deutliche
Hinweise darauf, daß er zur Überwindung seiner Einsamkeit und emotionalen
Verschlossenheit Hilfe und Unterstützung braucht.
Auch Maren war dreizehn Jahre alt und besuchte die Real-schule. Sie war das
älteste von drei Geschwistern. Maren erkrankte als Vierjährige nach
einer schweren Halsentzündung an Diabetes. Kurz vor Ausbruch der Krankheit
wurde die jüngste Schwester geboren. Zusätzlich war Maren an einer
Schilddrüsenunterfunktion erkrankt, die ebenfalls auf eine Autoimmunstörung
zurückgeführt wurde.
Marens psychologische Testdaten waren sehr auffällig. Sie zeigen, daß
sie starke Angst erlebte, jedoch kaum Möglichkeiten hatte, ihre emotionale
Erregung zu verarbeiten. Ihr Familienbild zeigt Maren mit ihren Eltern und den
beiden Geschwistern bei einem Sonntagsspaziergang. Sie malte ihr Bild fast ganz
mit einem Landschaftshintergrund aus und stellte die Familienmitglieder eher
klein am unteren linken Bildrand dar. Die Personen sind nebeneinander aufgereiht,
jedoch ohne Beziehung zueinander. Maren steht in der Mitte. Bei einer näheren
Betrachtung des Bildes fällt auf, daß kein Familienmitglied fest
auf dem Boden steht; allen fehlen Beine und Füße, dem kleinsten Kind
sogar der gesamte Unterleib. Neben der Familie sind fünf, am oberen Bildrand
acht Bäume gemalt. Die Bäume sind kahl und wurzellos. Die Zahl der
Bäume entspricht Marens Lebensalter, und die Darstellung der Bäume
deutet ein sehr grundlegendes Gefühl des Mangels an.
Im Gespräch
über ihr Bild machte Maren zusätzlich deutlich, daß sie ihren
Vater oft als ungeduldig und verärgert erlebte und daß er sehr hohe
Leistungsanforderungen an sie stellte. Die Mutter reagierte eher gleichgültig.
Zu ihrem Bild erzählte Maren mehrere Geschichten von Verwandten, die gestorben
oder in ein Heim geschickt worden waren. Dann erst wagte sie zu berichten, wie
sehr sie unter dem häufigen Streit der Eltern und unter der Drohung des
Vaters litt, sich scheiden zu lassen. Am liebsten, sagte sie, würde sie
dann, „beiden eine knallen“. Statt dessen ging sie aber in ihr Zimmer
und versuchte, ihre Angst und Wut mit Musik zu betäuben. Maren konnte deutlich
aussprechen, was ihr fehlte und was sie brauchte: «Wenn ich Streß
habe, arbeiten die Abwehrzellen anders. Einige sind mehr davon betroffen. Der
Körper muß von Streß wieder frei werden, so daß es keinen
Ärger mehr gibt.» Maren erzählte auch, daß sie meistens
lacht, wenn sie traurig ist. Als sie ihr Bild zum Abschluß des Gesprächs
noch einmal betrachtete, schien sie sehr angerührt; sie war traurig und
begann zu lachen. Mit ihrem Bild und den Hinweisen, die sie im Gespräch
gab, machte Maren deutlich, daß sie in einer sehr schwierigen Situation
war, die ihr «an die Nieren geht», daß sie dringend eine gefühlsmäßige
Entlastung und klare Unterstützung für den Umgang mit ihrer Krankheit
benötigte.
Körpererleben und Vorstellungsbilder zur Immunabwehr bei Krebs |
In den letzten Jahrzehnten haben Krebserkrankungen vor allem in den westlichen
Industrienationen stark zugenommen. Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen
sie die zweithäufigste Todesursache dar. Trotz enormer Anstrengungen hat
die medizinische Forschung keine wesentlichen Erfolge bei ihren Versuchen erzielt,
die Ursachen von Tumorbildungen zu klären und effektive Behandlungsformen
zu entwickeln.
Die Schulmedizin beschränkt sich in den meisten Fällen darauf,
durch Operation, Strahlen- und Chemotherapie die Lebenszeit der Patienten zu
verlängern. Für die Bewältigung der erschreckenden
Diagnose und der nebenwirkungsreichen Behandlungen wie auch für die Stabilisierung
der Patienten gewinnen in letzter Zeit psychoonkologische Ansätze und psychologische
Hilfen an Bedeutung.
Schon vor etwa zwanzig Jahren entwickelte der amerikanische Onkologe Carl Simonton
ein psychosomatisches Modell der Entstehung und Heilung von Krebserkrankungen.
Seine Vorstellungen waren lange heftig umstritten, sind heute jedoch durch die
neueren Befunde der Psychoneuroimmunologie weitgehend bestätigt. Simonton
beobachtete, daß im Vorfeld einer Krebserkrankung oft schwere Belastungen
auftreten, die der Mensch nicht bewältigen kann und auf die er mit Gefühlen
der Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit reagiert. Er vermutete,
daß mit diesen Gefühlen eine Schwäch-ung der Immunüberwachung
einhergeht und daß dies ein entscheidender Faktor bei der Bildung von
Tumoren ist.
In den letzten Jahrzehnten haben Krebserkrankungen vor allem in den westlichen
Industrienationen stark zugenommen. Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen
sie die zweithäufigste Todesursache dar. Trotz enormer Anstrengungen hat
die medizinische Forschung keine wesentlichen Erfolge bei ihren Versuchen erzielt,
die Ursachen von Tumorbildungen zu klären und effektive Behandlungsformen
zu entwickeln.
Die Schulmedizin beschränkt sich in den meisten Fällen darauf, durch
Operation, Strahlen- und Chemotherapie die Lebenszeit der Patienten zu verlängern.
Für die Bewältigung der erschreckenden Diagnose und der nebenwirkungsreichen
Behandlungen wie auch für die Stabilisierung der Patienten gewinnen in
letzter Zeit psychoonkologische Ansätze und psychologische Hilfen an Bedeutung.
Schon vor etwa zwanzig Jahren entwickelte der amerikanische Onkologe Carl Simonton
ein psychosomatisches Modell der Entstehung und Heilung von Krebserkrankungen.
Seine Vorstellungen waren lange heftig umstritten, sind heute jedoch durch die
neueren Befunde der Psychoneuroimmunologie weitgehend bestätigt. Simonton
beobachtete, daß im Vorfeld einer Krebserkrankung oft schwere Belastungen
auftreten, die der Mensch nicht bewältigen kann und auf die er mit Gefühlen
der Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit reagiert. Er vermutete,
daß mit diesen Gefühlen eine Schwäch-ung der Immunüberwachung
einhergeht und daß dies ein entscheidender Faktor bei der Bildung von
Tumoren ist.
Ein gesundes Immunsystem ist fähig, abnorme Zellen (die immer wieder bei
der Zellerneuerung auftreten) zu erkennen und zu beseitigen. Während einer
Depression verändern sich verschiedene Körperregulationen: Ist das
hormonelle Gleichgewicht gestört, werden vermehrt abnorme Zellen produziert,
während das Immunsystem geschwächt reagiert und weniger gut in der
Lage ist, sie aufzufinden und zu vernichten.
Simonton (1975, 1982) wies darauf hin, daß Genesungsprozesse möglich
sind, wenn es gelingt, depressive Haltungen zu klären und Vertrauen und
Lebensfreude zu fördern.
Die Abbildung zeigt sein Modell der Krebsentwicklung und Genesung:
Unter starken Belastungen, die ein Mensch als bedrohlich und unkontrollierbar
erlebt und auf die er mit Depression und Resignation antwortet, sendet das Limbische
System biologische Signale aus, die das hormonelle Gleichgewicht und die Immunität
stören. Gelingt es, die emotionale Haltung und die Lebensperspektive positiv
zu verändern, werden unter dieser emotionalen Tönung die Körperregulationen
wieder normalisiert und die Abwehrkräfte gestärkt.
Gemeinsam mit seiner Frau und einigen Mitarbeitern entwickelte Simonton ein
integratives psychotherapeutisches Programm zur Unterstützung medizinischer
Maßnahmen (1982). Verschiedene Übungen sollen dem Patienten helfen,
seine Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren und seine Lebensprobleme zu bewältigen.
Eine der von Simonton entwickelten Übungen ist besonders bekannt geworden:
Die Patienten werden über die Entstehung des Tumors und über die Bedeutung
und Arbeit des Immunsystems informiert. Sie lernen, sich in entspanntem Zustand
den Krebs vorzustellen und wahrzunehmen, wie ihr Immunsystem ihn auffindet und
beseitigt. Begleitende Forschungen zu dieser Imaginationsübung zeigten,
daß die anschließend aufgemalten (meist einfach gestalteten) Vorstellungsbilder
das seelische und psychosomatische Befinden der Patienten sehr genau widerspiegeln
und eine wesentlich bessere Prognose zur Krankheitsentwicklung ermöglichen
als biologische Meßwerte oder das ärztliche Urteil (Achterberg &
Lawlis 1984). Mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft können Menschen offensichtlich
Kontakt zu inneren «Glaubenshaltungen» aufnehmen, die sich nicht
durch Worte ausdrücken lassen.
Die
folgenden Abbildungen veranschaulichen Imaginationen von Patienten, die an dem
Simonton-Programm teilnahmen. Ihre Erlebnisprozesse und Bilder
wurden von Achterberg und Lawlis analysiert. Die erste Abbildung zeigt Vorstellungsbilder
eines fünfzigjährigen Mannes, der an einem metastasierenden Pankreas-tumor
litt. Mit medizinischen Maßnahmen konnte ihm nicht mehr geholfen werden.
Er nutzte die psychotherapeutische Unterstützung und erlebte, entgegen
der ärztlichen Prognose, eine vollständige Heilung. Zu seinem Krankheitsgeschehen
entwickelte er sehr lebendige Bilder. Er beobachtete, wie seine Immunzellen
als Phalanx «weißer Ritter“ den zunächst recht großen
und fest verpanzerten «Krebsmonstern» gegenüberstehen und ihre
Lanzen auf sie richten. Sie reiten los und stechen zu. In seiner Vorstellung
wurden die Ritter zunehmend größer und machtvoller, und sie lernten,
zielsicher zu treffen. Simontons Patienten waren nur global über das Immunsystem
und nicht über die Funktionen der einzelnen Immunzellen informiert. Die
Vorstellung dieses Patienten reflektiert jedoch sehr präzise die biologische
Fähigkeit der Killerzellen (vgl. die elektronenmikroskopische Aufnahme),
die bei ihm geschwächt waren.
Während des psychotherapeutischen Prozesses wurde dem Patienten zunehmend
bewußt, wie verschlossen und einseitig er nach dem Verlust eines nahestehenden
Menschen gelebt hatte. Er war seinen Hobbies nicht mehr nachgegangen, hatte
sich emotional zurückgezogen und lebte ähnlich «verpanzert»
wie seine Krebsmonster. Nun begann er sich allmählich wieder zu öffnen,
seine Gefühle, seine Kreativität und Lebensfreude zu entfalten und
sich seelisch und körperlich zu regenerieren.
Die Abbildung zeigt die Vorstellung eines vierzehnjahrigen Mädchens, das
an Leberkrebs erkrankt war und ebenfallsentgegen
der ärztlichen Prognose wieder gesund wurde. Sie stellte sich vor, wie
ihre Immunzellen als große weiße Hunde den Krebs, der sich in Gestalt
von «Schmutz-schnecken» zeigt, aufspüren und verschlingen.
Ihr Vor-stellungsbild reflektiert die biologischen Fähigkeiten der Freßzelle.
Eine gute und langfristige psychotherapeutische Unterstützung verbessert
oft die Lebensqualität Krebskranker und wirkt unter Umständen lebensverlängernd.
Wolfgang Lenk (1991) weist in einem Aufsatz darauf hin, daß 210 von Simonton
und 322 mit einem ähnlichen Ansatz von Newton behandelte Patienten mit
Brust-, Darm- und Lungenkrebs im Vergleich mit den Angaben
Weiße Abwehrhunde fressen Krebs-Schmutz-schnecken.
|
der nationalen amerikanischen Krebsstatistik deutlich länger überlebten. Die Patienten entwickelten zum Teil eine Tumorregression beziehungsweise stabilisierten sich gut. 1990 wurde auf dem Internationalen Krebskongreß in Hamburg eine Untersuchung von David Siegel intensiv diskutiert. Siegel hatte über zehn Jahre die Auswirkungen einer einjährigen Gruppenpsychotherapie bei fünfzig Frauen mit metastasierendem Brustkrebs verfolgt. Er hatte die Untersuchung in der Absicht begonnen, die Aussagen von Therapeuten zu widerlegen, die die positive Wirkung psychosozialer Hilfe bei Krebs hervorheben. So begann er, die Effekte der Behandlung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne psychotherapeutische Unterstützung genau zu analysieren. Er stellte fest, daß die therapeutische Anleitung nicht nur zur Verbesserung der Lebensquali'tät, sondern auch zu einer signifikanten Lebens-verlängerung beitrug. Sie ermutigte die Patientinnen, in wöchentlichen Gruppensitzungen offen über ihre Gefühle zu sprechen, nach Strategien zur aktiven Bewältigung von Schwierigkeiten zu suchen und ihr Leben zu genießen. Zusätzlich erlernten die Frauen einfache Vorstellungsübungen, vor allem zur Linderung von Schmerzen (Siegel & Bloom 1989).
Zerstörung einer Krebszelle.Eine
Killerzelle hat ein Loch in die Zellwand gerissen und Gift hineingespritzt. Der Zellinhalt sickert aus. Die Krebszelle kann nicht überleben. Die Killerzelle kehrt zum Ruhezustand zurück |
Verschiedene Forschungen (Helm 1988; Jensen 1987; Lakomy 1988; Pettingale 1984;
Salemi 1987; Zemore & Shepel 1987. Untersucht wurde die Bewältigung
verschiedenartiger Krebs-erkrankungen, am häufigsten Brustkrebs) haben
aufgezeigt, daß für eine gute Bewältigung der Krankheit vor
allem folgende Faktoren von Bedeutung sind:
Klare Informationen zum Krankheitsgeschehen, die Verminderung von Stoizismus,
Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie die Stärkung von Zuversicht, realitätsgerechter
Konfliktbewältigung und offenem Gefühlsausdruck.
Für eine Prognose der Krankheitsentwicklung sind diese psychologischen
Aspekte von wesentlich größerer Bedeutung als soziodemographische
und medizinische Variablen (Fillip 1988). Psychosomatische Sehweisen zur Krebserkrankung
sind inzwischen vielen Patienten durch populäre Veröffentlichungen
vertraut. Obwohl die meisten Krebskranken eine langfristige psychotherapeutische
Unterstützung nicht in Betracht ziehen, sind viele Patienten an Informationen
über Gesundheitsverhalten und an psychologischen Übungen zur Selbsthilfe
interessiert.
In einem Überblick über alternative Ansätze in der Krebsbehandlung
wies Michael Lerner (1989) daraufhin, daß Krebspatienten in den USA besonders
häufig die von Simonton entwickelte Imagination zum Krankheitsgeschehen
erlernen und zur Unterstützung der medizinischen Behandlung einsetzen.
Auch in Deutschland suchen immer mehr Krebspatienten nach solchen Anleitungen.
In zahlreichen retro- und prospektiven Untersuchungen mit zum Teil großen
Bevölkerungsgruppen wurden immer wieder Aspekte der sogenannten Krebspersönlichkeit
beleuchtet. Obwohl die meisten Erhebungen aufgrund der unterschiedlichen soziometrischen
Methoden nicht direkt vergleichbar sind, beindruckt doch die Konsistenz der
Befunde. Das psychologische Profil, das mit der Entwicklung von Krebserkrankungen
korreliert, zeigt vor allem folgende Elemente: die Tendenz, sich an Normen anzupassen,
Gefühle (vor allem Angst und Ärger) und persönliche Bedürfnisse
zu unterdrücken und ein unauffälliges, freundliches Verhalten zu zeigen.
Der Psychoonkologe und Therapeut Wolf Büntig (1982) be-schreibt das zugrundeliegende
Lebensgefühl als Verzweiflung und Depression, die durch soziale Angepaßtheit,
gute Leistungen, ein scheinbar glückliches Familienleben «maskiert»
sind; bei Verlusten und starken Belastungen brechen sie auf und sind nur schwer
unter Kontrolle zu halten.
Der Medizinsoziologe und Therapeut Ronald Grossart Matticek (1982, 1985), der
anhand solcher Persönlichkeitsmerkmale bei großen Bevölkerungsgruppen
eine spätere Krebserkrankung voraussagen konnte, fand ebenfalls die Neigung
eine Bezugsperson oder das Erreichen eines beruflichen Ziels als wichtige Bedingung
für das eigene Wohlergehen anzusehen und sich in einer starken Abhängigkeit
zu binden («Ich tue alles für dich, dann liebst du mich»).
Grossarth-Matticek beobachtete ein großes „Bemühen um Harmonisierung
bei Loyalitatskonflikten» und die Bereitschaft »einzulenken, nachzugeben,
sich selbst zurückzustellen». Ver-schiedene Untersuchungen zeigen,
daß diese Haltungen im Kontakt mit den frühen Bezugspersonen gelernt
werden. Menschen, die später an Krebs erkrankten, berichteten von fehlendem
Kontakt oder mangelnder Wärme zwischen sich und den Eltern (Shafferetal
87).
Der Psychotherapeut Lawrence LeShan geht nach seiner jahrzehntelangen Arbeit
mit Krebskranken davon aus, daß vor allem Menschen erkranken, die ihre
persönliche Rolle im Leben nicht gefunden und vergeblich nach dem Sinn
ihres Lebens gesucht haben. «Der größte psychische Faktor in
der Krebsentstehung ist Entfremdung», sagte LeShan (1992) in einem Interview
mit der Zeitschrift Psychologie heute. «Und wenn es gelingt, diese Entfremdung
in der Therapie aufzuheben, ist eine Heilung möglich.» Kampfgeist,
der sich auch in einem «widerspenstigen» und wenig pflegeleichten
Patientenverhalten zeigt, ist für ihn ein wichtiger Schritt auf diesem
Weg.
Die Vermehrung und Ausbreitung von Krebszellen steht im Zusammenhang mit einem
spezifischen psychobiologischen Muster: Der Mensch reagiert auf Lebensveränderungen
und starke Belastungen ängstlich, hilflos, depressiv, stoisch und drückt
negative Gefühle nicht adäquat aus; die Ausschüttung von Streßhormonen
ist erhöht und die Immunüberwachung geschwächt (vor allem durch
eine verminderte Funktionsfähigkeit der Killerzellen, zum Teil auch der
Helfer- und Freßzellen). Im Vorfeld der Diagnose wurden häufig schwere
Belastungen Trennungen, Verluste - beobachtet. Ohne aktive Suche nach Kommunikation
und sozialer Unterstützung müssen alle Versuche, ein neues Gleichgewicht
zu finden, innerlich erfolgen, wodurch der Organismus zusätzlich belastet
und überfordert ist. Sandra Levy identifizierte als spezifische Risikofaktoren
für die Krankheitsbewältigung: soziale Isolation, Hilflosigkeit,
Depression, Ängstlichkeit und Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks.
Sie sieht einen direkten Kausalbezug zwischen diesen psychosozialen Aspekten,
der Schwächung der Immunzellen und einem Tumorwachstum. Mit einer immunologischen
und körperlichen Stabilisierung waren dagegen korreliert: offener Emotionsausdruck,
freudige Erlebnisse, «seltsames Verhalten», das heißt Versuche,
aus dem angepaßten Verhaltensmuster auszubrechen. Levy geht davon aus,
daß gute soziale Unterstützung von großer Bedeutung für
die Bewältigung von Krebserkrankungen ist. Sie meint damit soziale Kontakte,
die den Patienten ermutigen, seine Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken,
ihm modellhaft neue Strategien zur Streßminderung nahebringen und ihm
einen neuen Bezugsrahmen für die Lösung von Konflikten aufzeigen.
„Reise zum inneren Heiler» . Die Übung führt
über verschiedene Stationen vom Körpererleben zum persönlichen
Ruhebild, zur Vertiefung der Entspannung in einem „heilenden Bad»
und schließlich zu einer Begegnung mit einem » liebevollen und weisen»
Wesen. Nach meiner Erfahrung lassen sich auch kranke Menschen auf diese Übung
ein, finden persönliche Bilder zu den verschiedenen Szenen und erleben
meist eine sehr umfassende Entspannung. Die Übung führt in organismische
und seelische Tiefenschichten von oft archetypischer Qualität. Im allgemeinen
werden dabei Bilder und Empfindungen wach, die eine kompensatorische Qualität
haben.
Die „Ruheszene» und die Empfindungen beim » Bad» können
in schwierigen Zeiten leicht in die Erinnerung zurückgeholt werden und
spannungslösend und stärkend wirken. Das « Wesen» verdeutlicht
oft Fähigkeiten der eigenen Person, die latent vorhanden sind und verwirklicht
werden können.
Die Teilnehmerinnen waren im Mittel 52 (38 bis 77) Jahre alt, seit durchschnittlich
vier Jahren (überwiegend schwer) erkrankt und meist nur unzureichend über
ihre Krankheit informiert. Alle hatten eine Tumoroperation hinter sich, meist
auch Strahlen- oder Chemotherapie. Viele waren zusätzlich mit immunstimulierenden
Mitteln behandelt worden. Alle hatten ihre Ernährung umgestellt, die meisten
hatten aufgehört zu rauchen. Fast alle hatten im Vorfeld der Diagnose schwere
Belastungen erlebt:
Tod oder Trennung von wichtigen Bezugspersonen, lang andauernden häuslichen
Ärger, Überlastung im Beruf oder durch Pflege von Verwandten. Einige
Frauen sahen auch Zusammenhänge zwischen ihrer Erkrankung und Schuldgefühlen,
Langeweile oder einer extremen Orientierung nach außen und auf andere
Personen. Alle berichteten über starke Ängste vor Kontrolluntersuchungen,
den medizinischen Behandlungen, Schmerzen und dem Tod. Ihre psychologischen
Testdaten zeigten, daß sie Schwierigkeiten hatten, mit erlebten Widersprüchen
und Konflikten (innerseelischen und solchen in der äußeren Realität)
umzugehen und konstruktive Lösungsstrategien zu entwickeln. Sie vermieden
es, Empfindungen wahrzunehmen und auszudrücken, und wehrten vor allem aggressive
Impulse ab. Die Befunde zeigen, wie wichtig die Erkundung von Realitätskonzep-ten
und Gefühlen für die Krankheitsbewältigung ist.
Die Bilder zeigen, daß die Frauen bestimmte Körperbereiche (vor allem
Sinnesorgane, Hände, Füße, Geschlechtsorgane) oftmals kaum spüren
konnten. Die Körpererfahrung wurde zum Teil farblos, mit wenigen Farben
oder nur als Umrißzeichnung gestaltet. Zwischen diesen Gestaltungsmerkmalen
und psychologischen Haltungen fand Eggers-Asmuth substantielle Zusammenhänge:
Ein hohes Maß sozialer Angepaßtheit und emotionaler Zurückhaltung
war mit eher farbloser Gestaltung verbunden. Frauen, die ihre Gefühle stark
kontrollierten, malten eher Umrißzeichnungen, die das Körperinnere
leer ließen oder in denen Extremitäten, vor allem Hände oder
auch Füße, fehlten.
Frau
D. war 66 Jahre alt und seit zwei Jahren an Brust- und Rectumkrebs mit Metastasen
in der Leber erkrankt. Vor der Diagnose war ihre Mutter an Krebs gestorben,
und Frau D. hatte eine Zeit hinter sich, in der sie durch die Pflege der Schwerkranken
und zusätzlich durch Ehescheidungen beider Töchter stark belastet
gewesen war. Eine Prognose wurde ihr vom Arzt nicht mitgeteilt. Sie selbst hielt
eine Besserung für möglich, hatte jedoch Angst vor dem Fortschreiten
der Erkrankung und vor dem Verlust ihrer Attraktivität.
Untenstehende Abbildungen zeigen das Körpererleben von zwei Frauen, die
in ihrer Fähigkeit, realitätsgerechte Problemlösungen anzustreben
und ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, unbeeinträchtigt wirkten. Beide
waren bestrebt, ihre Erkrankung durch die Suche nach Religiosität und Lebenssinn
zu bewältigen. Zur Gestaltung ihres Körpererlebens nutzten sie mehrere
Farben und stellten unterschiedliche Empfindungen auch durch das Ausmalen des
Körpers dar.
Frau
E. war 46 Jahre alt und seit drei Jahren an einem Tumor des rechten Innenohrs
erkrankt. Aus ärztlicher Sicht war die Entwicklung der Krankheit «nicht
einschätzbar». Frau E hielt eine Heilung für möglich. Vor
der Diagnose hatte sie starke Belastungen in Beruf und Familie erlebt. Obwohl
sie sich von ihrem Mann gut unterstützt fühlte, hatte sie Angst, daß
er ihr seine Zuwendung bei einer Verschlech-terung ihres Befindens entziehen
könnte. - Sie zeichnete sich von der Seite, so daß ihr erkranktes
Ohr, das ihr wesentlich größer erschien als ihr linkes, sichtbar
wird. In ihrem Oberkörper und vor allem in den Händen spürte
sie Wärme, die sie gelb, rot und orange malte. Ihre untere Körperhälfte,
besonders die Füße, empfand sie als kühler, was sie durch eine
blaue Tönung zum Ausdruck brachte.
Frau
F. war 56 Jahre alt und seit zwei Jahren an Darmkrebs mit Metastasen in Leber,
Lunge und Vagina erkrankt. Ihre Lebenserwartung lag nach Einschätzung der
Ärzte zwischen einem und fünf Jahren. Frau F hielt eine Besserung
für möglich. Vor der Diagnose hatte sie sich durch eine schwere Erkrankung
ihres Mannes und durch unerträgliche Langeweile im Beruf belastet gefühlt.
Sie übte ihren Beruf nicht mehr aus und erlebte, daß sich ihre Beziehungen
zu Familienangehörigen und Verwandten vertieften. Sie suchte bewußt
nach neuen Lebenszielen.
Die abschließende Reise zum «inneren Heiler» hat alle Frauen
sehr berührt. Sie erlebten ihren Ruheort und vor allem das «heilende»
Bad als tief entspannend und fühlten sich erholt, gekräftigt, zum
Teil auch «schön», «heil». Das «Wesen»,
das zu ihnen kam, trug oft Züge der Mutter, des Vaters, Ehemannes oder
geliebter verstorbener Personen. Die Gestalten waren jedoch durch eine Ausstrahlung
von Güte, Liebe und Weisheit überhöht. Die bildlichen und wörtlichen
Beschreibungen der Begegnung mit dem «Wesen» ließen eine tiefe
Sehnsucht nach liebender Bezogenheit spüren. Die Gestalten vermittelten
den Frauen Trost und in Form von Geschenken (Schlüssel, Krüge, Ringe,
Bücher) vielfältige Anregungen und die Ermutigung, an den Wert und
die Kraft der eigenen Person zu glauben. Für die Frauen war es wichtig,
nach der Übung zu erkennen, daß diese Erfahrungen und das Bild des
Wesens und dessen Fähigkeiten aus ihnen selbst kamen.
Frau B. konnte sich in dem «heilenden Bad» tief entspannen und fühlte
sich anschließend «harmonisch» und «schön».
Ihr kam ein Wesen entgegen, das Züge ihres Mannes trug und dem sie Liebe
und Vertrauen entgegenbrachte. «Läßt du mich nicht im Stich?»
fragte sie es. Es umarmte sie liebevoll und gab ihr einen Schlüssel. «Mein
Wunsch wird erfüllt», spürte Frau B.
Frau E. verweilte «genüßlich» in dem Bad und fühlte
sich anschließend «entspannt» und «schön».
Vertrauensvoll ging sie auf ein Wesen zu, das ihr mit ausgebreiteten Armen entgegenkam.
Zunächst meinte sie, Züge ihrer Mutter zu entdecken, doch dann erkannte
sie ein «gütiges, überirdisches, gottähnliches Wesen»
in der Gestalt eines älteren Mannes. Sie vertraute diesem Wesen und fragte:
Werde ich gesund?» Sie hörte ein »Ja» und erhielt einen
Ring, mit dem sie immer wieder innerlich Kontakt zu diesem gütigen und
weisen Mann aufnehmen kann.
Die Rückantworten der Frauen sechs Wochen und fünf Monate nach Ende
der Anleitung zeigten, daß sie die Übungen als sinn-voll und hilfreich
erlebten. Sie führten sie teilweise regelmäßig weiter oder nutzten
sie vor allem in schwierigen Zeiten (während chemotherapeutischer Behandlungsphasen,
bei deprimierenden Erfahrungen im Alltag), um sich seelisch zu stärken
und Gefühlen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken:
Bei meinen täglichen Übungen merke ich, daß ich ruhiger werde;
die Traurigkeit, die mich immer wieder überfällt, kann ich damit in
den Griff bekommen.» - »Mit der Übung bekämpfe ich meine
Schmerzen. Ich konnte meine Tabletteneinnahme reduzieren.» - »Ich
bin ruhiger geworden und beschäftige mich mehr mit Hobbies und angenehmen
Dingen.» - Viele Frauen nahmen sich mehr Zeit für sich, begannen
Tagebuch zu schreiben oder malten. Einige begannen mit neuen Unternehmungen.
Frau
B. berichtete: «Man bekommt ein ganz anderes positives Körpergefühl.
Ich spüre ganz deutlich, wie ich meine Abwehrzel-len aktivieren kann. Zehn
Minuten Entspannung gibt mir Kraft für viele Stunden. Nach dreizehn Jahren
habe ich meine Berufstätig-keit wiederaufgenommen. Ich habe neue Kontakte
durch den Beruf und mehr Spaß an Unternehmungen.» Für drei
verstorbene Teilnehmerinnen antworteten ihre Fainilienangehörigen. Aus
ihren Mitteilungen geht hervor, daß die Frauen sich über ihre Erfahrun-gen
intensiv mit ihrer Familie ausgetauscht hatten. Ein Ehemann teilte mit, daß
die Gruppensitzungen seiner Frau viel gegeben und dazu beigetragen hätten,
ihr die letzten Wochen vor ihrem Tod zu erleichtern.
Gesundheitsförderung bei einer HIV-Infektion
Psychoimmunologische Forschungen haben deutlich gemacht, daß das regulative
Gleichgewicht zwischen Zentralnerven-, Immun- und Hormonsystem eine wichtige
Voraussetzung für Gesundheit ist und vor allem unter Belastungen gestört
wird, die subjektiv als unkontrollierbar empfunden werden. Solche
Belastungen und die damit verbundenen Gefühle von Angst, Hilflosigkeit
und Depression können im Vorfeld einer HIV-positiv-Diagnose aufgetreten
sein und eine Infektion begünstigen. Aber auch die Diagnose selbst, verbunden
mit den bisher fehlenden medizinischen Therapieangeboten, stellt ein solches
Ereignis dar. Es ist deshalb von großer Bedeutung, wie diese Diagnose
verarbeitet wird und ob es gelingt, eine Perspektive zu finden, die Angst und
Resignation überwinden hilft und das Vertrauen in die eigene Person und
die Bewältigungskraft stärkt.
Verschiedene amerikanische Untersuchungen zeigen, daß der Verlauf einer
HIV-Infektion und Aids-Erkrankung durch seelische Haltungen beeinflußt
wird (Antoni et al. 1990; Solomon et al. 1987, ,99'). Bei HIV-Infizierten wurden
Zusammenhänge zwischen gutem Immunstatus und geringer Ausprägung von
Angst und Depression beobachtet. HIV-Infizierte mit gutem Immunstatus zeigten
ein hohes Ausmaß an hardiness (Widerstandskraft), das heißt, sie
fühlten sich weniger entfremdet, machtlos und ausgeliefert; sie entwickelten
vielmehr Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit ihres Handelns
und nahmen Lebensveränderungen als Herausforderung an. Sie waren in der
Lage, eigene Interessen wahrzunehmen und klar zu verfolgen und unerwünschte
Anfragen offen abzuweisen. Einige Untersuchungen ergaben, daß sich der
Immunstatus von HIV-Infizierten bei Trauerprozessen nicht wie bei Gesunden verschlechtert.
Aids-Kranke, die eine von den Ärzten prognostizierte Lebensdauer weit überschritten,
hatten einen besseren Immunstatus als Patienten, die frühzeitig starben,
und zeigten ein höheres Ausmaß an hardiness; Angst und Depression
waren bei ihnen weniger ausgeprägt, und sie verhielten sich nicht unangemessen
altruistisch in dem Sinne, daß sie anderen halfen, obwohl sie dies eigentlich
gar nicht wollten.
Die amerikanischen Psychotherapeuten Christopher Allers und Karen Benjack stellten
fest, daß HIV-Infizicrtc überdurchschnittlich häufig in ihrer
Kindheit körperlich und scxucll mißhandclt wurden warcn. Sic wciscn
daraufhin, daß typische Folgcschädcn solcher Mißhandlungen
- Alkohol- und Drogenmißbrauch, t)epression, Promiskuität, mangelnde
Ich-Stärke, die Unfähigkeit, sich gegenüber Forderungen von Partnern
zu behaupten oder auf « safer sex zu bestehen - das Infektionsrisiko signifikant
erhühen (Psychologie heute 6/92>. Ute Waschulewski, die (1989> zweihundert
Jugendliche zu ihrem W.ssen über Aids befragte, fand bei Jugendlichen,
die sexuelle Mißhandlungen angaben, ein deutlich geringeres Bewußtsein
über Gefährdung und Schutzmaßnahmen.
Eine deutsche Untersuchung (Bliemeister et al. 1992) ergab, daß sich die
Bewältigungsstrategien von HIV-Infizierten mit gutem von denen mit kritischem
Immunstatus (weniger als vierhundert T4-Helferzellen pro Milliliter Blut) deutlich
unterschieden. Infizierte mit gutem Immunstatus verdrängten ihre Infektion
nicht, verstrickten sich aber auch nicht in Grübeleien («Warum ich?»).
Sie suchten vielmehr aktiv nach krankheitsbezogener Information und nach Bewältigungsmöglichkeiten
und gingen davon aus, daß sie ihren Gesundheitszustand selbst mitbeeinflussen
können. Sie erlebten ihre sozialen Beziehungen als gut und ihre sexuellen
Kontakte als befriedigend. Auch sprachen sie offen mit anderen Menschen über
ihre Infektion. Sie suchten nach Möglichkeiten der Gesundheitsförderung
und befanden sich seltener in ärztlicher Behandlung.
Eine HIV-Diagnose löst im allgemeinen Betroffenheit und angstvolle Phantasien
oder Schuldgefühle aus (zum Beispiel bestraft, von anderen abgelehnt zu
werden; körperliche Attraktivität zu verlieren; dahinsiechen und sterben
zu müssen). Das Ausmaß von Angst und Schuldgefühlen steht auch
im Zusammenhang mit dem allgemeinen Selbst- und Lebensgefühl. Die Diagnose
kann bisher unterdrückte Verzweiflung und Unsicherheit über den Wert
der eigenen Person aktualisieren, den Sinn bisheriger Lebensziele in Frage stellen
und das vertraute Lebenskonzept sehr erschüttern. Diese Erschütterung
bietet aber auch die Möglichkeit, ungünstige Haltungen zu klären,
sich neu zu orientieren und zu verändern. Die vorliegenden psychoimmunologischen
Erkenntnisse deuten an, daß für die innere Bewältigung einer
HIV-Infektion vor allem die Überwindung von Angst, Depression, Fatalismus
sowie die Stärkung von Vertrauen in den Wert der eigenen Person und die
Wirksamkeit eigenen Handelns von Bedeutung ist. Dies können Betroffene
unter anderem dadurch begünstigen, daß sie aktiv Informationen zu
ihrer Erkrankung sammeln, sich um gute soziale Kontakte bemühen, «Geheimnisse»
klären und mitteilen, ihre eigenen Bedürfnisse zum Ausdruck bringen
und die Fähigkeit üben, unerwünschte Anfragen offen abzulehnen;
auch die Suche nach Entspannung und innerer Ruhe gehört dazu.
Erprobt und in häuslichen Übungen vertieft wurden: Vorstellungen zur
Stärkung der körperlich-seelischen Widerstandskraft und zur Sensibilisierung
des Körpererlebens (Reise durch den Körper); Informationen über
psychoimmunologische Zusammenhänge und eine Imagination zur eigenen Immunkraft;
eine Anleitung zur körperlich-seelischen Tiefenentspannung (Reise zum inneren
Heiler).
Die sieben Teilnehmer waren im Mittel 31 Jahre alt; drei lebten allein, vier
in einer festen Partnerschaft. Sie hatten ein eher hohes Bildungsniveau und
waren beruflich erfolgreich.
Die Mitteilung der Diagnose wurde von einigen als «brutal» und «entwürdigend»
beschrieben. Fast alle fühlten sich anschließend hilflos, ausgeliefert
und voller Angst. Alle Teilnehmer führten ihre Infektion auf ungeschützten
Geschlechtsverkehr zurück.
Fünf Teilnehmer hatten eine nebenwirkungsreiche Therapie (Retrovir) explizit
abgelehnt, nahmen aber regelmäßig ärztliche Kontrolluntersuchungen
wahr. Drei Teilnehmer hatten den Eindruck, daß diese Untersuchungen eher
Angst und Schwäche verstärkten, und nahmen sie nicht oder unregelmäßig
wahr.
Die Teilnehmer waren gut über Übertragungswege und den möglichen
Verlauf einer HIV-Infektion und Aids-Erkrankung informiert. Sie hatten jedoch
gar keine, unklare oder auch falsche Vorstellungen über Funktion und Aufnau
des Immunsystems und immunologische Auswirkungen der Infektion. Kein Teilnehmer
war mit biopsychologischen und psychoimmunologischen Aspekten vertraut oder
konnte die Ergebnisse ärztlicher Kontrolluntersuchungen klar interpretieren.
Das heißt, die Teilnehmer wußten nicht, daß sie durch Verhaltensgewohnheiten
und seelische Einstellungen zur Schwächung, aber auch zur Stärkung
ihrer Immunität und zur Stabilisierung ihres Befindens beitragen können.
Durch diesen Mangel an gegründeter Information waren sie auch nicht in
der Lage, positive Vorstellungen und Ziele für die Zukunft zu entwickeln
- was für die Überwindung von Angst und Resignation von großer
Bedeutung ist. Da alle Teilnehmer sich aktiv um Informationen bemüht hatten,
nehme ich an, daß (psycho-)immunologische Aspekte bei der Beratung HIV-infizierter
Menschen noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Alle Teilnehmer vermuteten jedoch, daß sie selbst ihr Befinden mitbeeinflussen
konnten, und hofften auf eine Stabilisierung oder auch Verbesserung ihres Zustands.
Bis auf die beiden Teilnehmer, die erst seit drei Monaten um ihre Infektion
wußten, hatten sie auch Zusammenhänge zwischen situativen Bedingungen
und ihrem Befinden wahrgenommen. Sie hatten unter anderem beobachtet, daß
dieses sich bei Ärger, Schuldgefühlen, Angst, Partnerproblemen, Depression,
Leistungsdruck oder zuviel Alkohol verschlechterte. Eine Verbesserung spürten
sie im Zusammenhang mit langem Schlaf, befriedigenden freundschaftlichen und
sexuellen Kontakten, nach konstruktiven Gesprächen, intensiven Naturerlebnissen,
offenem Gefühlsausdruck und bei innerer Ruhe. Deutlich wurde jedoch auch,
daß das allgemeine Lebensgefühl der Teilnehmer durch Depression,
Angst und Sorgen getrübt war. Zu der Frage, wie es ihnen in drei Jahren
gehen werde, offenbarten sie entweder gar keine oder eher pessimistische Vorstellungen.
Ohne fundierte Informationen über konkrete Möglichkeiten, wie man
das eigene Befinden positiv beeinflussen kann, ist es sehr schwer, hoffnungsvolle
und gesundheitsorientierte Zukunftsbilder zu entwickeln - viele empfinden eine
solche Haltung vermutlich auch als «illusionistisch» oder verrückt.
Die Übung «Reise durch den Körper» sprach alle Teilnehmer
an. Sie fühlten sich anschließend entspannt, belebt und innerlich
berührt.
Zu ihren Bildern empfanden die meisten allerdings zunächst Ablehnung oder
auch Verachtung. Sie gingen jedoch bereitwillig auf meinen Vorschlag ein, die
Körperzeichnung als Ausdruck persönlicher und eventuell auch kindlicher
Empfindungen anzunehmen und gemeinsam zu überlegen, was jedes «Kind»
braucht.
Im weiteren Verlauf informierten sich die Teilnehmer über die Wirkungsweise
des Immunsystems und psychoimmunologische Erkenntnisse. Diese Informationen
waren den Teilnehmer sehr wichtig, denn sie gaben ihnen eine Art Erlaubnis,
sich ganz konkret mit Vorstellungen zu befassen, die - bis dahin unmöglich
für sie - von Hoffnung getragen und auf Gesundung orientiert waren. Sie
hatten zwar ein inneres Bedürfnis gespürt, auf eine Stabilisierung
oder auch Verbesserung ihres Befindens zu hoffen, doch hatten sie bisher alle
Informationen zum Fortschreiten der HIV-Infektion so aufgefaßt, «daß
man nach einiger Zeit Aids entwickelt und unweigerlich stirbt». Diese
entmutigende Information hatte alle Ansätze zu hoffnungsvollen Vorstellungen
als «verrückt», «lächerlich» blockiert.
Persönliche Einfälle zur Stärkung ihrer eigenen Immunkraft erprobten
die Teilnehmer anschließend bei einer Imagination zum Immunsystem. Ich
leitete sie dazu an, sich die gesunde Immunfunktion vorzustellen und betonte
dabei besonders die biologische Fähigkeit, Immunzellen im Knochenmark nachzubilden,
die Fähigkeit der Immunzellen, zwischen «selbst» (körpereigenen
Zellen) und «fremd» (körperfremden Zellen, Viren) zu unterscheiden,
sowie die spezifischen Funktionen von Helfer-, Killer- und Freßzellen
bei der Beseitigung von Krankheitserregern. Anhand der gemalten Vorstellungsbilder
konnten anschließend die (zahlreichen) Mißverständnisse über
die Arbeitsweise des Immunsystems geklärt werden.
Alle Teilnehmer führten die «Reise durch den Körper» in
der folgenden Woche weiter und erprobten stärkende Vorstellungen zur Immunfunktion.
Sie erlebten, wie die Entspannung, zum Teil auch das Gefühl von Kraft und
Wohlbefinden zunahmen. Sie fanden unterschiedliche Bilder zur Stärkung
ihrer Abwehrkraft: Licht in die Körperzellen atmen; die Körperzellen
oder das Blut von «Fremdem» reinigen; die Immunzellen greifen das
HI-Virus an...
Zur Veranschaulichung gebe ich die Erfahrungen von Herrn D wieder. Er berichtete
in seinem Wochenprotokoll: «Tagsüber denke ich oft daran, daß
helles weißes Licht meinen Körper durchflutet und alles <Kranke>
auflöst. An der Vorstellung, daß meine Abwehrzellen in Rüstung
und mit Waffen wie Lanzen, Schwertern und großen Messern in den Kampf
ziehen, habe ich großen Gefallen gefunden. Ich empfinde diese Vorstellung
als ermutigend und kraftvoll. Teilweise stimmt sie mich sogar glücklich.
Der Gedanke, krank zu werden, ist fast weg.“ Herr D sah bei der Imagination
auch, wie die Immunzellen gut zusamnienarbeiten. Besonders fasziniert war er
VOfl der Vorstellung, wie seine Killerzelle das HI-Virus mit vielen Messern
niedersticht. Er berichtete auch, daß die Imaginationsübungen ihn
in bestimmten Lebenssituationen ermutigten, «nein» zu sagen. Herr
D entwickelte lebendige und klare Vorstellungen zu seiner körperlichen
Abwehrkraft, und zugleich formten sich dabei Symbole, mit denen er in seinem
Körperbild Schmerz und Leiden ausgedrückt hatte (die Messer), zu aktiver
Verteidigungsfähigkeit um. Das heißt auch, es bildete sich eine neue
Perspektive, in der aus der «festgeschraubten<> passiv-erduldenden
Haltung zielbewußte Selbstbehauptung wurde, die sich auch als Verhaltenskompetenz
in äußeren Situationen zeigte.
Die Erfahrung von Herrn D veranschaulicht einen wichtigen Effekt heilungsorientierter
Vorstellungsübungen: Indem man spezifische Fähigkeiten in der Vorstellung
- in einem inneren Rollenspiel - erprobt, übt man sie auch ein und kann
sie im Verhalten leichter realisieren.
In der dritten Sitzung wurde eine «Reise zum inneren Heiler» durchgeführt.
Alle Teilnehmer waren von dieser inneren Reise sehr berührt. Sie hatten
sich an ihrem Ruheort wohlig entspannt und in dem Bad eine Lösung von Schmerz,
Negativität und Trauer erlebt. Sie spürten eine belebende Wirkung
als «Prickeln» oder «Vibrieren von Körperzellen».
Herr D fand eine «heilige Quelle» und mußte zunächst
die Befürchtung überwinden, «nicht würdig» zu sein.
Im Kontakt mit dem «inneren Heiler<> (einem «liebevollen»
und weisen Wesen) fühlten die Teilnehmer vor allem Ehrfurcht, Vertrauen,
Sicherheit, Freude und Dankbarkeit - Empfindungen, die mit Angst und Depression
unvereinbar sind. Für Menschen mit einer belastenden Krankheitsdiagnose
kann es sehr wichtig sein zu erleben, daß ihre Fähigkeit, Vertrauen
und Freude zu empfinden, nicht verschüttet ist.
Das «Wesen « erschien den Teilnehmern als weiser alter Mann, der
sie ermutigte, den eingeschlagenen «Weg zum Leben» weiterzugehen
und sich selbst zu vertrauen. Nach C. G. Jung (1983) erscheint die Gestalt des
alten Weisen in Märchen, Träumen und Imaginationen sehr oft dann,
wenn der Held sich in einer verzweifelten Situation befindet, aus der ihn nur
gründliche Überlegung oder ein glücklicher Einfall befreien kann,
aber aus äußeren oder inneren Gründen noch nicht in der Lage
ist, diese Leistung zu vollbringen. Dann tritt die nötige Erkenntnis als
personifizierter Gedanke eben in der Gestalt des weisen Alten auf. Da sie dwchaus
nicht bei allen Gruppen und Menschen erscheint, mit denen ich die Übung
bisher durchgeführt habe, vermute ich, daß sie für diese Teilnehmer
im Zusammenhang mit ihrer Frage nach Heilung eine ganz besondere Bedeutung hat.
Zwei Teilnehmern wurde in ihrer Imagination ein Schlüssel übergeben.
Herrn D überreichte der innere Heiler auf die Frage, was er für sein
«Steinherz» tun könne, einen Schlüssel, der genau in sein
Herz passte. Die anderen Teilnehmer erhielten eine Kugel.
Auch über eine solche Vorstellung wurde mir bisher im Zusammenhang
mit der Übung selten berichtet.
Da sich alle Teilnehmer während der Imagination mit Fragen zur Bewältigung
der HIV-Infektion beschäftigten, vermute ich, daß die Kugel - als
Symbol innerer Ganzheit - eine wichtige innere Mitteilung darstellt.
Herr C hatte nur geringfügige körperliche Beschwerden, und seine psychologischen
Testdaten waren unauffällig. Sein Bild zeigt seinen Weg; er führt
durch Blumenwiesen an einem Berghang entlang zu einem Badeplatz, der von einer
Quelle gespeist wird. Nach dem «entspannenden und erfrischenden»
Bad begegnete Herr C einem alten weisen Mann, der von einem Löwen begleitet
wurde. Zu beiden Wesen empfand er ein starkes Vertrauen. Auf seine Frage
«Kann ich mich heilen ?» nickten beide. Herr C erhielt
eine weiße Kristallkugel, die für ihn «Klarheit, Harmonie,
Härte und Energie der Erde» symbolisierte. Er spürte «tiefes
Vertrauen zur Umgebung, den Wesen und zu mir selbst».
Zwei Monate nach Abschluß der Gruppensitzungen antworteten sechs Teilnehmer
auf eine schriftliche Nachbefragung. Sie berichteten, daß sie die «Reise
durch den Körper» oder auch alle Übungen weiterführten,
daß sie sich dadurch «gestärkt», «mehr in meinem
Körper», »klarer», »gelassener», „offener»
fühlen. Insgesamt spürten sie mehr Selbstsicherheit, Klarheit, Kraft
und Hoffnung; Angst und körperliche Blockierungen hatten sich vermindert.
Zum Teil erlebten sie sich in Beziehungen als offener und bei Konflikten als
durchsetzungsfähiger. Herr D berichtete über einen beruflichen Aufstieg
in eine Führungsposition.
Herr C wurde von dem alten Weisen mit dem Löwen schrittweise zu
Erinnerungen an belastende Erfahrungen geführt.
Die beiden Teilnehmer, die erst wenige Monate von ihrer Infektion wußten
und unsicher gewesen waren, ob sie ihren Immunstatus weiter überprüfen
lassen sollten, hatten sich für eine begleitende ärztliche Kontrolle
entschieden. Beide erfuhren, daß sich ihr Immunstatus positiv
verändert hatte. Alle Teilnehmer bewerteten die Anleitung als
hilfreich und hielten es für sinnvoll, die Informationen und Übungen
über die Aids-Hilfe - also eine vertraute Institution - anzubieten.
Zusammenfassung:
Die Teilnehmer machten die Erfahrung, daß sie ihr Befinden durch eigene
Bemühungen positiv beeinflussen können. Dieses Selbsthilfepotential
war jedoch zum Teil gebremst durch unklare, fehlende und pessimistisch getönte
Auskünfte über den Verlauf einer HIV-Infektion. Den Betroffenen fiele
es vermutlich sehr viel leichter, positive Zukunftsbilder und eine optimistische
Einstellung zu entwickeln, wenn diese Haltung durch sachliche Information bestätigt
und unterstützt würde. Die Beobachtungen zum Wissensstand der Teilnehmer
zeigten, daß psychoimmunologische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für
den Umgang mit einer HIV-Infektion in der allgemeinen Beratung bisher nicht
aufgegriffen werden. Die Auseinandersetzung mit den möglichen Folgen einer
HIV Infektion oder Aids-Erkrankung ist nicht nur für Betroffene, sondern
für fast alle Menschen in unserer Kultur emotional belastend.
Die (überwiegend) sexuelle Übertragung des Virus rührt unterschwellige
Ängste und Schuldgefühle an, die Krankheit wird unwillkürlich
mit Siechtum und Tod assoziiert. Die meisten Menschen versuchen diesen Empfindungen
zu entgehen, indem sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema meiden, Hinweise
auf Präventivmaßnahmen ignorieren oder ihre Angst und Ablehnung auf
Betroffene projizieren. In der literarischen Verarbeitung des Themas beeindruckt
vor allem der Mangel an Information, eine eher makabre «Angstlust»,
Ergebung vor der Macht des Virus und die Verachtung des Körpers. Herve'
Guibert (1991) beschrieb in seinem vielbeachteten Schlüsselroman Symptome
einer HIV-Infektion folgendermaßen: «...es ist ein Zustand von Schwäche
und Ergebung, welcher dem Tier, das man in sich trug, den Käfig öffnet,
dem Tier, dem ich gezwungenermaßen unumschränkte Vollmacht gebe,
damit es mich verschlingt, daß ich mir lebendigen Leibes antun lassen
muß, was an meinem Leichnam zu tun es sich anschickte, um ihn zu zersetzen.»
Zur Bewältigung individueller, aber auch kollektiver Ängste und Vermeidungstendenzen
sind neben klaren Informationen auch bestimmte Einstellungen und Haltungen hilfreich.
Die Erfahrungen der sieben HIV-Infizierten zeigen jedenfalls, daß wir
sowohl Wissen, Überlegung und Intuition als auch Wohlwollen und Hilfsbereitschaft
brauchen, um mit der körperlichen und seelisch-geistigen Gefährdung
durch die Infektion umgehen zu lernen
Gebt AIDS - Kranken eine Chance!
Mein Name ist U. .......: ich bin 34 Jahre alt, verheiratet, seit
Abschluß meines 2. Staatsexamens vor 1 1/2 Jahren arbeitslos.
Vor 5 Jahren ließ ich einen HiV-Antikörper-Test durchführen,
der positiv ausfiel. Weder gehöre noch gehörte ich je einer der sog.
Risikogruppen (Drogenabhängige, Prostituierte etc.) an; allerdings war
meine Gesundheit schon immer sehr labil: bereits in meiner Kindheit war ich
oft und lange krank, seit meinem 18. Lebensjahr habe ich einen chronischen Leberschaden
(1991 als Hepatitis C diagnostiziert), 1990 hatte ich u.a. eine Pracaneerose
und Herpes Zoster, 1991 Eppstein-Barr-Virus.
Bei meinem ersten Immunstatus im Oktober 1992 ergab sich ein starker Immundefekt:
die Zahl der T4-Helferzellen lag bei 140 cmm (Norm: 455-2145). Mein Arzt sagte
mir daraufhin eine Lebenserwartung von ca. 1-2 Jahren voraus. Von Oktober 1992
bis Januar 1994 ließ ich mich schulmedizinisch mit Retrovir (AZT) und
Pentacarinat-Inhalationen behandeln, wobei sich mein Allgemeinzustand zunehmend
verschlechterte. (Auf meine Frage nach Nebenwirkungen von Retrovir erklärte
mir mein damaliger Arzt, es greife zwar das Rückenmark stark an, aber das
spiele bei mir keine Rolle mehr).
Im Januar 1994 erfuhr ich erstmals, daß eine wachsende Anzahl namhafter
Wissenschaftler die Gleichung ,,HiV=AIDS=Tod mit mir sehr einleuchtenden Argumenten
bestreitet. Ich setzte daraufhin sämtliche schulmedizinischen Medikamente
ab und bin seitdem bei einem Arzt für Naturheilkunde und einer Heilpraktikerin
in Behandlung. Letztere stellte u.a. eine starke Schädigung durch Amalgam,
eine -nach den Symptomen wohl schon seit frühester Kindheit bestehende-
verdeckte Allergie auf Milchprodukte sowie diverse Mykosen fest.
Gleichzeitig begann ich verstärkt, mich mit den Ursachen meiner Immunschwäche
auseinanderzusetzen: da ich als Kind nie das Gefühl erlebt hatte, wirklich
geliebt und auf dieser Welt willkommen zu sein, fühlte ich mich auch als
Erwachsene meist fremd und lebensüberdrüssig (mehrere Selbstmordversuche
im Alter von 17 und 24 Jahren). Gegen den ausdrücklichen Rat meines früheren
Arztes begann ich im Februar 1994 mit einer 4-wöchigen Intensiv-Primärtherapie
nach Stettbacher (6 x wöchentlich 3 Stunden). Allerdings konnte ich dabei
die gestörte Beziehung zu meinen Eltern (und mir selbst) lediglich intellektuell,
nicht aber emotional verarbeiten. Auch eine Hypnotherapie war wenig erfolgreich,
so daß ich nach 12 Sitzungen zu einem Bioenergetik-Therapeuten wechselte
(Oktober 1994).
Die Theorie dieser Methode scheint mir zwar nach wie vor einleuchtend;
auch in dieser Therapie habe ich jedoch noch keine nennenswerten Fortschritte
zu verzeichnen. Gleichermaßen stagniert die naturheilkundliche Therapie:
Amalgam und Allergie sind zwar ausgeleitet, v.a. lebe ich (entgegen der schulmedizinischen
Prognose) noch, aber ich leide weiterhin unter Mykosen und einem geschwächten
Allgemeinzustand und mein Immunstatus hat sich im Wesentlichen nicht verändert.
Meine Erklärung hierfür ist, daß die Ursachen für meinen
Immundefekt weiterhin fortbestehen. Ich habe mich in den letzten Jahren zwar
sehr bemüht, zu überleben, aber dies war eher eine Art Trotzreaktion
auf die schulmedizinische Diagnose, denn wirkliche Lust zu leben.
Vor ca. 2 Monaten lernte ich über meine Heilpraktikerin eine MS Patientin
kennen, die mir von ihrer Synergetik-Therapie erzählte. Ihre Aussagen sowie
ein Vortrag von Bernd Joschko, den ich kurz darauf hörte, gaben mir neue
Hoffnung, mit Hilfe dieser Methode die meiner Krankheit zugrunde liegenden Probleme
und damit die Krankheit selbst überwinden zu können.