Die Wechselwirkung von inneren Energiebildern und Krankheiten
Dr. Frauke Teegen, Psycho-therapeutin, Dozentin für klinische Psychologie Uni HH beschäftigt sich mit der Erforschung und Therapie psychosomatischer Störungen und Möglichkeiten der Selbsthilfe zur Förderung von Heilungsprozessen.

Die Wechselwirkung von inneren Energiebildern und Krankheiten

Krankheiten sind in den persönlichen inneren Bildern verankert. Der kranke Mensch kann die Anpassungsleistung an die Veränderung seines Umfeldes - seines Kontextes - nicht erbringen. In der Synergetik Therapie wird die Anpassungsleistung direkt im Gehirn - in der zur äußeren Realität in Wechselwirkung stehenden Innenwelt - realisiert und alte Informationen synergetisch abgeändert.

Aus dem Klappentext:

Die Erkenntnisse der Biopsychologie und Psychoneuroimmunologie zeigen uns deutlich, wie seelische und körperliche Regulationen zusammenspielen. Sie geben uns Einblick in die Kommunikation zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem, in die Komplexität der «Intelligenz» des Organismus, und sie zeigen, wie Körperprozesse auf unsere Gefühle, Einstellungen und Lebenskonzepte mitreagieren.

Es sind vor allem lang andauernde Zustände von Hoffnungslosigkeit, passives Verhalten und die Neigung, Konflikte zu meiden, die unsere Vitalität schwächen. Eine seelische und zugleich körperliche Stabilisier-ung erfahren wir dagegen, wenn sich unser Verständnis für Zusammen-hänge entwickelt und das Vertrauen in den Wert der eigenen Person und in unsere Handlungskraft wächst.

Diese Erkenntnisse weisen unserer Suche nach Möglichkeiten, Gesundheit zu fördern und Krankheit zu bewältigen, eine klare Richtung. Wir können sie in subjektive Erfahrungen verwandeln, wenn wir unsere Vorstellungskraft nutzen und mit unserem Körpererleben Kontakt aufnehmen. Gelingt es uns, die Entfremdung vom eigenen Körper zu überwinden, erkennen wir Zusammenhänge zwischen Beschwerden, kindlichen Erwartungs-ängsten und chronisch gewordenen Schutzhaltungen.

Mit der «Bildersprache des Körpers» können wir lernen, die Art, wie wir uns selbst wahrnehmen und mit Streßfaktoren in unserem Leben umgehen, zu verändern - und das heißt gesünder zu werden.


Frau Dr. Teegen nimmt innere Bilder der Patienten, die sie als deren körperliche Eigenwahrnehmung definiert und fordert die Patienten auf, sie mit ihrer eigenen Vorstellungskraft zu verbinden, um somit alle Nischen der psychophysischen Struktur zu erkunden. Der innere Bildschirm des Bewußtseins empfängt somit Be-deutungsmuster, die sich im Verlauf der emotionalen Lebens-geschichte gebildet haben. Dies fördert das Verständnis für Krankheitszusammenhänge und stärkt das Vertrauen des Patien-ten in ihre Kraft zur Selbstverwirklichung und Anpassung an eine sich ständig wandelnde Umwelt.
Ihr Ansatz kommt der Vorgehensweise der Synergetik Therapie nahe, da sie innere Informationen als Energiebilder abruft, sie jedoch unbearbeitet läßt und „nur“ Schlußfolgerungen für das künftige Verhalten ableitet. Die inneren Energiebilder werden auch weiterhin wie Symptome behandelt, d.h. mental bekämpft. Die tiefere Hintergrundaufdeckung dieser Energiebildstruktur wird nicht erforscht, um somit die Prägungen durch Erlebnisse auf der neuronalen Matrix aufzudecken und sie einer synergetischen Bildbe-arbeitung zuzuführen. Dies würde direkt zu einer Selbstorganisation der Informationsstruktur führen und gezielt Selbstheilung erzeugen, die wiederum unabhängig von erst zu erlernenden in der Zukunft liegenden Qualitäten und Haltungen ist.

Frau Dr. Teegen zeigt durch ihre Forschungsarbeit mit kranken Menschen in beeindruckender Weise auf, das auch sog. unheilbare Krankheiten ihre eigene individuelle Energiebildstruktur besitzen, die aus der Biografie der Ereignisse des Patienten herzuleiten sind. In diesem Punkt ist sie in Übereinstimmung mit den Forschungsergebnissen aus der Synergetik Therapie, was wiederum nicht verwundert, da beide Forschungsansätze ihre Ergebnisse aus der Praxis mit individuellen kranken Menschen beziehen. Beide Vorgehensweisen setzen Informationen aus der Innenwelt von kranken Menschen in Beziehung zu ihrer individuellen Krankheit und bestätigen somit diese Wechselwirkungen.
Teegen plädiert für eine Verstärkung der Handlungskompetenz des Menschen, die Synergetik Therapie praktiziert dies als Basis zur nachträglichen Bearbeitung von abgespeicherten Erlebnissen.

 

“Das Risiko, krank zu werden, ist immer dann erhöht, wenn die vertraute Lebensroutine einschneidend unterbrochen wird. Als Streßfaktoren werden Ereignisse betrachtet, die im Leben eines Menschen bedeutsame Veränderungen bewirken und eine Anpassung an die neue Situation erforderlich machen, zum Beispiel der Verlust einer wichtigen Bezugsperson oder einer sinngebenden Tätigkeit, Verschlechterungen der zwschen-menschlichen Kontakte, Einsamkeit, nicht verwundene Kränk-ungen oder auch lang andauernder Ärger. Thomas Holmes und Richard Rahe untersuchten in den siebziger Jahren Zusammen-hänge zwischen Lebensveränderungen und dem Risiko, krank zu werden. Sie entwickelten eine Skala zur Einschätzung sozialer Belastungen, in der verschiedene Lebensereignisse nach dem Ausmaß, in dem sie eine Neuanpassung verlangen, aufgelistet sind. Je bedeutsamer ein Lebensereignis ist, um so mehr Zeit und Kraft braucht ein Mensch für die Anpassung an die veränderten Gegebenheiten - und umso größer ist das Risiko, daß er überfordert ist und erkrankt. Die Vorhersagekraft der Skala für das Eintreten von Erkrankungen konnte in einer Reihe von Forschungsarbeiten bestätigt werden. Ihren Ergebnissen zufolge stellen Skalenwerte von 300 und mehr Punkten ein hohes, Werte zw. 200 und 300 Punkten ein mittleres und Werte zw. 150 und 200 Punkten ein geringes Erkrankungsrisiko dar. Diese Werte geben eine allgemeine Orientierung.“

Krankheit tritt demzufolge in einer Lebenssituation auf, die den Menschen aus seinem individuellen Gleichgewicht wirft. Krankheit ist somit verweigerte Lebensentwicklung. Der kranke Mensch verweigert die persönliche evolutionäre Entwicklung. Tief abgespeicherte Grunderfahrungen - z.B. aus der Erziehung - bilden dabei den „Bodensatz“ unverarbeiteter Erlebnisse, die aus dem Unterbewußtsein zusätzlich wirken. Soziale Ereignisse bilden dabei häufig nur Auslöser für massive persönliche Systemeinbrüche: der Mensch wird krank. Synergetik Therapie deckt diese Gesamtzusammenhänge präzise auf und verändert die relevante Informationsstruktur per Selbstorganisation.

 

Was stärkt die Gesundheit?

In den letzten Jahren hat die Forschung nicht nur die Aufklärung von Krankheitsprozessen erforscht, sondern sich auch der Frage zugewandt, welche Einstellung und Verhaltensweisen Menschen unter schwierigen Bedingungen gesund erhalten.

Die amerikanische Psychologin, Suzanne Kobasa, hat dies ausführlich untersucht. Die Forscher untersuchten über mehrere Jahre Mitarbeiter eines Industriekonzerns, der umfaßende Umstrukturierungen in den Betrieben vornahm. Die Mitarbeiter waren lange Zeit starker Belastung und starker Unsicherheit ausgesetzt. Wie erwartet erhöhte sich mit dem Anstieg äußerer Belastungen fast zeitgleich die allgemeine Krankheitsrate. Ein Teil der Mitarbeiter erkrankte, andere dagegen blieben gesund. Zwischen diesen beiden Gruppen fanden die Forscher keine bedeutsamen Unterschiede in Art und Ausmaß der Belastungs-faktoren, in Alter, Bildungsniveau, Qualifikation, Status und ethische bzw. religiöser Zugehörigkeit. Entscheidende Unterschiede zeigten sich jedoch in ihrem Bewältigungsstil, im Selbstbild und im Lebenskonzept. Mitarbeiter die häufig und schwerwiegend erkrankten, fühlten sich von den Veränderungen bedroht und ihnen gegenüber machtlos. Sie hatten Schwierigkeiten sich auf die neuen Anforderungen einzustellen und litten unter der Ungewißheit der Situation. Sie hatten Angst um ihre Zukunft, waren ärgerlich auf die Firma und fühlten sich betrogen, da man sie unter anderen Voraussetzungen eingestellt hatte. Mitarbeiter die gesund blieben, akzeptierten auch unerwartete Veränderun-gen als Teil ihres Lebens und empfanden den Umstrukturierungs-prozess eher als Herausforderung und Chance neue Erfahrun-gen zu sammeln. So konnten sie auch Zeiten der Ungewißheit ohne größere Angst ertragen und sich flexibel an neue Beding-ungen anpassen.

Kobasa prägte den Begriff „Widerstandsfähigkeit oder Kraft“, der mit Krankheitsresistenz verbunden war. Er wird durch drei Merkmale gekennzeichnet:

  1. Menschen mit starker Widerstandskraft haben Verantwortung für sich selbst. Die Bezugsperson, ihre Arbeit und gegenüber Werten und Zielen, die ihnen wichtig sind.
  2. Sie haben Vertrauen in die Wirksamkeit ihres Handelns, das ihnen das Gefühl gibt Situationen in ihrem Umfeld mitbeeinflussen zu können.
  3. Sie sind außerdem fähig, Veränderungen als Herausforderung und Wachstumschance zu erleben.

Diese Menschen entwickeln einen Verhaltensstil, der es ihnen erleichtert, sich Problemen realistisch und kompetent zuzuwenden. Sie stellen sich Schwierigkeiten und Konflikten und versuchen aktiv ihre Vorstellung zu verwirklichen. Sie fühlen sich mitverantwortlich für diese Prozesse und ihr gelingen. Diese Haltung schützt sie davor, sich als hilfloses Opfer bedrohlicher Umstände zu fühlen. Menschen mit hohem Verantwortungsgefühl sind insgesamt auch neugieriger und interessierter an anderen neuen Erfahrungen und Problemlösungen. Durch ihr Engagement und Interesse fällt es ihnen leicht, sich selbst wert zu schätzen und ihren Handlungen und ihrer Umwelt Bedeutung zu geben. Da sie davon ausgehen, daß ihre Vorstellungen und ihr Verhalten für den Verlauf der Ereignisse wichtig sind, wirken sie darauf ein und üben so tatsächlich Einfluß aus. Dieser aktive Lebensstil befähigt Menschen, hohen Streß in eine subjektiv geringere Belastung zu verwandeln.

In der Synergetik Therapie wird diese Widerstandskraft direkt gefördert oder auch wieder ausgegraben. Dort wo sie „gebrochen“ wurde, wird neu reagiert und so die evulutionär vorhandenen Qualitäten wieder zurückgeholt und neu trainiert. Es ist immer wichtig, bis auf die primäre Informationsebene vorzudringen. Meist sind dies Kindheitsprägungen - diese sind zu verändern!

 

Menschen mit geringer Wiederstandkraft spüren eher Entfremdung sich selbst und ihrer Umwelt gegenüber. Sie neigen dazu, sich und andere Menschen langweilig und bedeutungslos zu finden. Ein Gefühl der Sicherheit erleben sie überwiegend dann, wenn ihr Leben gleichförmig und ohne Schwankungen verläuft. Durch Veränderungen fühlen sie sich bedroht und unkontrollierbaren Kräften ausgeliefert. Ihnen fehlt die Überzeugung, daß sie Einfluß nehmen und selbst etwas bewirken können. Daher verhalten sie sich eher abwartend, passiv, mißtrauisch und meiden die Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen.

Suzanne Kobasa konnte mit psychologischen Profilen vor dem Eintreten massiver Belastungen mit hoher Genauigkeit voraussagen, welche Mitarbeiter erkranken und welche gesund bleiben.

Ihre Untersuchungen zeigten auch, daß sich vorhandene Krankheitsdispositionen, z.B. eine Häufung von Arthritis oder Krebserkrankungen in der Ursprungsfamilie, nur im Zusammenhang mit den passiven, problemmeidenden Bewältigungsstilen durchsetzen.

Kobasa fand auch heraus, daß Streßtoleranz und Krankheitsresistenz umso höher sind, je mehr Hilfsquellen einem Menschen zur Verfügung stehen: Angemessene körperliche Bewegung, bewußte Ernährung und gute soziale Unterstützung. Sie verstärken die Schutzwirkung des aktiven Bewältigungsspie-les. Ohne diese seelische Grundhaltung sind sie jedoch nur von geringer Bedeutung, da sie die grundlegenden Gefühle von Unsicherheit und Angst nicht direkt verändern. Andere Forscher bestätigten diese Zusammenhänge (O`Leary 1985; Wiebe & Moehle-McCallum 1986).

Die Stärkung seelischer Wiederstandskraft mit den Aspekten, Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Handelns bzw. Herausforderung, ist auch für Genesungsprozesse und die Bewältigung chronischer Krankheiten von großer Bedeutung (Beuteln 1988 und Schwarzer 1990).

Bei sehr schweren Erkrankungen wurden auch positive Zusammenhänge mit der Überlebensdauer beobachtet (Solomon 1987). Der israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1987) beschreibt ähnliche seelische Haltungen die Menschen befähigen, Belastungen zu verarbeiten. Kohärenzsinn, Verständ-nis für Zusammenhänge, nennt er Einstellungen, die mit Wohlbefinden, Krankheitsresistenz und -bewältigung verbunden sind.

Wichtige Merkmale sind:

Das Vertrauen aus eigener Kraft und mit der Unterstützung anderer, Lebensaufgaben meistern zu können und die Freude am Leben und die Überzeugung, daß das Leben Sinn hat.

Selbstbestimmung und Kompetenz im Umgang mit Belastungen erwirbt man nach einer Untersuchung an der Uni Hamburg (Denecke 1987) in der Auseinandersetzung mit Lebenskrisen. Sie befragten körperlich und seelische gesunde Menschen im Vergleich zu Kranken. Die Gesunden hatten in ihrer Kinderheit überwiegend keine günstigen Bedingungen erlebt und unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von den Kranken. Im Verlauf ihres Lebens hatten sie im Mittel drei schwere Krisen durchlebt. Sie strebten jedoch deutlich stärker nach Selbst-bestimmung, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit und ließen ein grundlegendes Vertrauen darauf erkennen, daß es trotz persönlicher Not immer noch Rettungsmöglichkeiten und Hoffnung gibt. Lebenskrisen bewältigten sie vor allem, indem sie sich auf eigene Fähigkeiten besannen, selbstbestimmende Aktivitäten entfalteten, sich den Herausforderungen stellten und sich auf eine hoffnungsvolle Grundeinstellung stützen („Ich spüre immer noch eine letzte Kraft in mir, auf die ich vertrauen kann, wenn es mir schlecht geht“).
Diese zuversichtliche Einstellung wurde immer wieder dadurch gestärkt, daß sie die Effekte ihres aktiven und selbstbestimmten Handelns als positiv erlebten. Ihre Fähigkeit, sich flexibel an veränderte Gegebenheiten anzupassen wurde auch dadurch begünstigt, daß sie sich seit ihrer Kindheit eine echte Neugier auf unbekannte Situationen und Menschen bewahrt hatten und das sie keine zu engen (symbiotischen) Beziehungen eingingen, ohne jedoch bindungslos oder -unfähig zu sein.

In der Synergetik Therapie können Lebenskrisen als persönliche Herausforderung direkt als selbstbestimmte Aktivität bearbeitet werden. Die Auswirkungen sind direkt erlebbar. Die Rückverbindung - „religio“ - zu starken Kräften wird als sehr bereichernd erlebt.

Frauke Teegen berichtet von einem vierzigjährigen Mann mit einer aplastischen Anämie, die in eine Leukämie überzugehen drohte. Seine blutbildenden Zellen im Knochenmark bildeten nicht genügend Blutkörperchen. Eine Ärztin im Krankenhaus sprach mit ihm auch über seine Ängste und machte ihn sehr eindringlich darauf aufmerksam, daß er sich allen Entscheidungen der Ärzte gegenüber völlig passiv verhielt. Sie wies ihn daraufhin, daß es auch an ihm selbst läge, den Mut zum weiterleben aufzubringen. Nach diesem Gespräch lag der Patient in der Nacht noch lange wach, „Es kommt auch auf mich an“, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Schließlich rang er sich innerlich zu einer Entscheidung durch: „Ich will leben!“ Am nächsten Morgen wurde eine positive Veränderung seiner Blutwerte festgestellt. Die Ärztin war überrascht über die Wirkung ihres Gespräches, die Kollegen meinten es sei ein Laborfehler. Eine zweite Untersuchung bestätigte das positive Ergebnis. So wußte die Ärztin, daß der Patient begonnen hatte den Mut zum weiterleben aufzubringen und das die positiven Blutwerte ein erstes Zeichen für diesen Lebenswillen waren. Für den Patienten begann mit dieser Erfahrung ein langer und schwieriger Lernprozeß, der schließlich zu seiner Genesung führte.

Er entdeckte Zusammenhänge zwischen seelischen Haltungen und Körperprozessen und begann allmählich, die Entfremdung von seinem Körper und ein grundlegendes Gefühl der Hilflosigkeit zu erkennen und zu überwinden. Rückblickend sagte er: „Im Laufe der Jahre hatte ich viele Signale meines Körpers und meiner Seele verdrängt. Ich hatte ein Verhältnis zu meinem Körper wie zu einem Gegner. Das allmähliche wahrnehmen meiner Gefühle, daß sich entwickelnde starke Gefühl für mich selber, war die Voraussetzung dafür, das Zusammenbrechen meines Körpers als Folge meines Lebens zu begreifen. Wie konnte ich lieb zu meinen Organen, meinem Knochenmark sein, wenn ich sie wie Gegner und nicht wie Verbündete behandelte? Das Zentrum meines Lebens, das Blut, war nur zu heilen, indem ich mein Leben heilte. Dazu reichte keine Methode und keine Willensanstren-gung. Dazu mußte ich erst durch alle Tiefen gehen, mich selbst und meine Grenzen kennenlernen. Das wichtigste bei diesem Prozeß war wohl: Herauszufinden, wie ich im Zusammenhang mit meiner Krankheit, mit Krisen fühle, denke und handle. Mein zentrales Lebensgefühl, insbesondere in den Jahren meiner Krisen und Zusammenbrüche ist das der Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit gewesen. Und ich vermute das meine zunehmende Gesundung mit der Überwindung meiner Ohnmachtsgefühle und der Entwicklung meiner Handlungsfähig-keit zusammenhängt. Ich habe begonnen zu verstehen, daß ich mich meinen Ängsten stellen muß, wenn ich leben will.“

Synergetik Therapie stellt eine direkte Methode dar, gezielt in der Innenwelt alle Ängste aufzudecken, durch alle „Tiefen“ zu gehen und sich seine Handlungsfähigkeit wieder zurückzuholen. Dieser Prozeß ist von keinen äußeren Faktoren abhängig, da in der Innenwelt alle Informationen vorhanden sind: das Gehirn als Spiegel der Welt.

Der Verhaltenstherapeut Albert Bandura (1985) führte ein Angstbewältigungstraining mit Frauen durch, die an einer massiven Spinnenphobie litten. Parallel zu den Trainingsschritten maß er die Ausschüttung von Streßhormonen im Blut. Zu Beginn des Trainings stieg die Hormonausschüttung schon bei der Vorstellung einer Spinne stark an, zum Schluß des Trainings blieb die Hormonausschüttung normal, auch wenn die Spinne im direkten Körperkontakt über den Körper krabbelte. Die Ausschüttung von Streßhormonen stand im direkten Zusammen-hang, damit wie die Frauen ihre eigene Kompetenz einschätzten. In dem Ausmaß, indem sich die Frauen zutrauten die Übung durchzuführen, normalisierte sich der Hormonspiegel.

Mit dem wachsenden Gefühl von Kontrolle und Wirklichkeit des eigenen Handelns in schwierigen Situationen, vermindern sich also Gefühle der Gefährdung und Hilflosigkeit und zugleich physiologische Erregungsparameter.

Für Menschen mit Ängsten ist es allerdings nicht ausreichend den Auslöser zu desensibilisieren, sondern die lebensgeschichtlichen Wurzeln der Angst zu erkennen. Die Spinne symbolisiert oft unangenehme Berührungserfahrungen und die Erinnerung, von einer übermächtigen Bezugsperson beherrscht, seelisch eingesponnen und verschlungen zu werden. Viele Menschen erleben in ihrer Kindheit eine lieblose Behandlung oder seelische oder körperliche Gewalt. Kinder passen sich an diese Bedingungen an, indem sie eine feine Sensibilität für Gefahrensignale entwickeln, die ihnen hilft, bedrohliche Situationen frühzeitig zu erkennen und zu meiden. Wenn sie der gefährlichen Situation nicht entgehen können, versuchen sie die Wahrnehmung von Schmerz und Verletzung auszublenden und sich an einen geheimen Ort tief in sich selbst zurückzuziehen. Wird das Vermeiden feindlicher Gefahren chronisch, dann enthalten für sie viele Situationen die anderen Menschen neutral, unbelastet oder interessant erscheinen, weiterhin unterschwellig Signale, die Bedrohung und Machtlosigkeit anzeigen. Die Tendenz auf Schwierigkeiten ängstlich, hilflos, passiv und mit körperlichen Beschwerden zu reagieren, wird also markant im Kindes- und Jugendalter vorgeformt. Kinder, deren Bedürfnisse von den wichtigsten Bezugspersonen fürsorglich, sicher, feinfühlig und zuverlässig, beantwortet werden, entwickeln ein grundlegendes Vertrauen in ihre Fähigkeit, die Umwelt zu erkunden und Versagungen und Konflikte zu regeln.

In der Synergetik Therapie werden diese „geheimen Rück-zugsorte“ direkt aufgesucht und das innere Kind“ gestärkt. Primäre Erfahrungen mit den wichtigen Bezugspersonen „Eltern“ lassen sich in den Einzelsitzungen gezielt verändern und somit Prägungen von Erziehungsstrukturen aufheben.

Kulturvergleichende Untersuchungen (Seiffke-Krenke 1989) zeigten, daß sich ungünstige Haltungen, die die Widerstandskraft unter Belastungen schwächen, in einer bestimmten Atmosphäre bilden und verfestigen. Familien, in denen Jugendliche ein ausweichendes und problemmeidendes Verhalten zeigten, waren einheitlich gekennzeichnet durch einen hohen Anteil konfliktträchtiger Interaktionen, wenig Nähe und Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, geringe Möglichkeiten Gefühle auszudrücken, und - vor allem in den skandinavischen Ländern in Deutschland - ein hohes Maß an Kontrolle und Entwertung von Individualität.

Das Zusammenspiel seelischem Erleben und körperlicher Prozesse

Betrachten wir nun die Beziehung zwischen seelischem Erleben und körperlichen Prozessen genauer. (Ader 91; Birbaumer & Schmidt 90; Degen 91; Lazarus & Folkmann 84; Le Doux 88; MacLean 76; Miketta 91; Pelletier & Herzing 88; Pert 86; Vincent 90; Walschburger 90)

Eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit und Wohlbefinden wird durch das störungsfreie Zusammenspiel der verschiedenen körperlichen Regulationen geschaffen. Mit Hilfe eines komplexen Netzwerks biologischer Signale und Kreisprozesse wird immer wieder ein Gleichgewichtszustand angestrebt und neu einreguliert. Die bioelektrischen und biochemischen Kommunikations-muster des Körpers stehen im Zusammenhang mit sensorischen Informationen, die wir aus der Umwelt und dem Körperinneren erhalten, und sie vermitteln auch unsere psychophysiologische Antwort auf spezifische Situationen. Informationen, die wir durch Sinnes- und Bewegungsorgane empfangen, gewinnen erst im Vergleich mit einem Grundgefühl körperlicher Homöostase, mit Lebenserfahrungen und Erwartungsmustern Bedeutung. Sensorische Reize werden zu modalitätsspezifischen und multimodalen Feldern der Großhirnrinde geleitet und dort im Kontext der Erinnerungsspuren analysiert. Dann erst dringen sie ins Bewußtsein. Gleichzeitig werden sie auch zm Hypothalamus und - auf einer schnellen Bahn - zum Limbischen System projiziert.

Das Limbische System ist ein entwicklungsgeschichtlich alter Teil des Gehirns und ein funktionales Zentrum, das sich mit der emotionalen Tönung von Wahrnehmungen und der Regelung vegetativer Funktionen befaßt. Werden Teile des Limbischen Systems oder seine Verbindungen zum Kontex gestört, so wird der Betroffene von dem Bewußtsein für seine Gefühle und seine persönliche Identität abgeschnitten. Er verliert dann auch die Fähigkeit, Zukunftsvorstellungen zu bilden und sich in andere hineinzuversetzen, und entwickelt eine Art Seelenblindheit. Im Limbischen System werden Sinnesreize schnell und sehr global auf ihre emotionale Bedeutung hin abgetastet. Damit gewinnen wir Menschen ein unmittelbares Gespür für die jeweilige Situationen. Auf die globale Gefühsltönung werden auch die vegetativen Funktionen eingeregelt. (Abbildung).

Die emotionale Bewertung sensorischer Botschaften erfolgt zeitlich vor der genauen kortikalen Analyse und - vor allem bei starken Affekten - nicht im Austausch mit der bewußten Verarbeitung. Der „Kurzschluß“ zum Limbischen System erklärt, warum Gefühl und Verstand manchmal so unterschiedlicher Meinung sind. Der Vorteil dieses „Gefühlskurzschlusses“ - so der Neurologe Joseph Le Doux - liegt in den Sekundenbruchteilen, die das Gehirn durch präkognitive Bewertungen gewinnt. Elementare Gefühle wie Angst und Wut können so unbewußt vom bewußten Verstand, das Verhalten in Notsituationen bestimmen.

Der „Kurzschluß“ zum Limbischen System erklärt auch, warum Menschen manchmal mit spontanen Affektausbrüchen auf Situationen reagieren, die ihn vom Verstand her harmlos und unwichtig erscheinen: Die sensorischen Informationen enthielten einen Reiz, der in den Arsenalen der Erinnerung als bedrohliches Signal eingeschrieben ist.

In der Synergetik Therapie geht es genau um diese „Reizmuster“. Sie werden durch die freilaufenden Innen-weltprozesse automatisch aufgeschlüsselt und verändert.

Die zeitliche Verzögerung zwischen der globalen emotionalen Bewertung der Situation und genauerer kognitiver Analyse erklärt, warum es so schwer ist unangemessene Angstreaktionen zu überwinden. Das Meiden vermeintlicher Gefahren trägt nicht zur Differenzierung erlernter Gefühlsassoziationen bei. Spontan fühlen wir uns zwar erleichtert und entspannter, wenn wir einer erwarteten Bedrohung ausweichen, doch die vegetativ empfundene Verspannung verfestigt unsere Vorannahmen und wird uns bei der nächsten kritischen Situation verstärkt hemmen, diese realistisch zu überprüfen. Intellektuelle Einsicht allein reicht nicht aus, um erlernte Erwartungsängste zu überwinden.

Frau Teegen meint weiter, daß übertriebene Angstreaktionen nur dann überwindet werden, wenn wir uns den kritischen Situationen - in der Umwelt oder mit Hilfe der Vorstellung - freiwillig aussetzen und sie unter der erhöhten Erregung erkunden und neu bewerten lernen. Diese Sichtweise entspricht der Verhaltenstherapie und bewirkt nur Desensibilisierung und nicht der Auflösung der Muster. Dies geschieht nur mit der Synergetik Therapie.

Bedrohungen können unterschiedliche Gefühle und Körperreaktionen auslösen. Im allgemeinen werden die Körperprozesse zunächst auf ein erhöhtes Aktivierungsniveau eingestellt, das uns hilft der Gefahr mit Kampf oder Flucht zu begegnen. Das Limbische System löst die körperliche Aktivierung über Hypothalamus und Hypophyse mit Hilfe spezifischer Signalstoffe aus. Im Gehirn übertragen sie neuronale Erregung, im Körper wirken sie über die Blutbahn als Hormone. Von besonderer Bedeutung für die Auslösung und Aufrechterhaltung der körperlichen Alarmreaktion sind die von den Nebennieren ausgeschiedenen Streßhormone. Adrenalin und Noradrenalin bewirken unter anderem eine Beschleunigung des Herzschlags, die verstärkte Zufuhr von Blut und Sauerstoff zu den Muskeln, eine Verengung der Gefäße in der Haut; sie lassen das Blut schneller gerinnen und mobilisieren Zuckerreserven in der Leber. Dadurch erhöht der Körper das Energie- und Leistungsniveau vor allem der Muskulatur und trifft Vorsorge gegen mögliche Blutverluste bei Verletzungen. Diese vegetativen Prozesse spüren wir als Empfindungen und bringen sie mimisch und gestisch zum Ausdruck.

Nutzen wir die bereitgestellte Energie zur Streßbewältigung, entäußern wir sie in Handlungen, körperlicher Bewegung, dem Ausagieren der Emotionen, so kehren wir anschließend seelisch und körperlich zu einem Gleichgewicht zurück, und die verbrauchte Energie wird (über die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems) wiederhergestellt. Wenn wir die Erregungszeichen hingegen ignorieren, Handlungs- und Ausdrucksimpulse durch Muskelverspannungen unterbinden oder die Belastung mit vertrauten Strategien nicht bewältigen, kann das Aktivierungsniveau chronisch erhöht bleiben. Langfristig führt ein erhöhtes Aktivierungsniveau zur Dysregulation vegetativer Funktionen, zur Erschöpfung der Körperreserven und Schädigung von Organstrukturen. Ein chronisch erhöhtes Erregungsniveau wird häufig bei psychosomatischen Erkrankungen beobachtet.

Die erhöhte Aktivierung wirkt auf die zentralen Strukturen zurück und bewirkt Gegenregulationen. Das Nebennierenhormon Cortisol dämpft die Erregung, so daß die Energiereserven des Körpers nicht restlos ausgeschöpft werden können. Cortisol wird immer dann in erhöhtem Maße freigesetzt, wenn wir subjektiv den Eindruck haben, daß unsere Handlungen unwirksam sein werden. Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel korrespondiert mit Gefühlen der Hilflosigkeit, Depression, Resignation, schwächt die Immunabwehr und erhöht das Erkrankungsrisiko erheblich. In einem solchen Zustand kann jede Möglichkeit zu handeln - selbst wenn die Handllung gewalttätig ist oder nicht direkt auf die Belastung einwirkt - Erleichterung bringen und den Cortisolspiegel senken.
Diese psychophysiologischen Prozesse sind sehr vereinfacht beschrieben. Eine direkte Gleichsetzung von Gefühlszuständen mit spezifischen Hormonen allerdings wird den differenzierten biologischen Antworten nicht gerecht. Lebewesen reagieren immer auf der Grundlage ihrer Gesamtverfassung mit hochkomplexen Mustern.

Insgesamt zeigen die sozialwissenschaftlichen und verhaltensbiologischen Forschungen, daß sich intensive und lang andauernde emotionale Zustände von Verwirrung, Angst, Ärger und Hoffnungslosigkeit störend auf die psychophysiologischen Regulationen auswirken und seelische und körperliche Störungen begünstigen.

Es ist wichtig, diese Zustände wahrzunehmen und, selbst unter einer solchen Belastung, Handlungskompetenz und Vertrauen in die eigene Stärke zu entwickeln. (Die Verhaltensmedizin bietet wirksame Trainingsprogramme zur Förderung dieser Fähigkeiten an).

Wesentlich wichtiger ist, nachzuschauen woher diese Zustände kommen und diese an der Wurzel abzuändern: die neoronalen Verbindungen im Gehirn durch einen Selbstorganisationsprozeß aufzulösen. Dann ensteht Handlungskompetenz und Vertrauen in die eigene Stärke von selbst. Dies geschieht sehr spielerisch und auch sehr intensiv in den Einzelsitzungen der Synergetik Therapie. Daher können direkt Hintergründe von Krankheiten gezielt aufgearbeitet werden. Spontanremissionen können so gezielt herbeigeführt werden.
Neuorientierung ohne Verarbeitung der Vergangenheit - also der gegenwärtig abgespeicherten Informationen über die Vergangenheit - ist nahezu nie ausreichend. Daher geschehen Spontanremissionen so selten von selbst!

Wie wichtig eine positive Neuorientierung für die Bewältigung von Krisen und Krankheiten ist, unterstreicht eine Untersuchung von Elmer und Alyce Green (1978). Sie analysierten vierhundert Fallstudien von Krebskranken, bei denen eine sogenannte Spontanremission eingetreten war, daß heißt ein Heilungsprozeß, der nicht durch die medizinische Behandlung erklärt werden konnte. Die Forscher kamen zu dem Schluß, daß der einzige gemeinsame Faktor bei all diesen ungewöhnlichen Fällen in der veränderten Haltung der Patienten zu ihrer Krankheit lag. Die Patienten hatten eine neue Einstellung zum Leben gefunden, die ihnen half, Depression und Hoffnungslosigkeit zu überwinden.

An die Stelle passiven Erleidens waren positive Gefühle wie Vertrauen und Zuversicht und ein fester Glaube an die Heilung getreten. Wie wir heute vor allem durch Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie wissen, wirken sich diese seelischen Haltungen günstig auf die vegetativen Prozesse, das hormonelle Gleichgewicht und den Immunstatus aus.
Belastungen, Krankheiten und Krisen führen uns in Grenzsituatinen, in denen wir zu starre und einseitige Annahmen über die Welt zu spüren beginnen und aufgeben können. Im allgemeinen sind wir erst dann bereit, unsere Annahmen und Erwartungen zu überprüfen, wenn vertraute Handlungskonzepte nicht mehr den gewünschten Effekt haben oder uns schaden. In solchen Krisen können wir - wenn wir einmal innehalten und zur Ruhe kommen - entdecken, daß wir körperlich und seelisch nicht auf eine objektive Wirklichkeit reagieren, sondern immer nur auf ein subjektives Bild der Welt. Dieses Bild haben wir in inneren Landkarten - psychophysiologischen Mustern - niedergelegt. Die inneren Landkarten zeichnen wir im Kontext unserer Lebensgeschichte entsprechend den Bedeutungen, die wir unseren Erfahrungen geben. Gebiete, die wir als Kind unter großer Bedrohung durchschritten haben, sind daher als gefährdend markiert und abgegrenzt worden.

Wegweiser in dieser inneren Landschaft, Gefühle, die bestimmte Verhaltensweisen hervorrufen, müssen immer wieder auf ihre Angemessenheit überprüft werden. ...Die Erkundung psychophysiologischer Bedeutungsmuster und die Neuordnung innerer Bilder sind nur im Kontakt mit dem Körperempfinden, der Vorstellungskraft und der bewußten Analyse von Zusammenhängen möglich.

Bildliches Denken

Zu Beginn unseres Lebens strukturieren wir unsere sensomotorischen Erfahrungen intuitiv und metaphorisch. Wir entfalten zunächst ein vorlogisches bildliches Denken, das die Fülle der sinnlichen Eindrücke zu Mustern verdichtet. Das integrative, bildliche Denken äußert sich überwiegend nonverbal; es verfügt nur über eine sehr begrenzte archaische Sprache. Im Laufe der Sprachentwicklung wird es durch analytische, logische Fähigkeiten ergänzt. Dieser Denkmodus arbeitet mit linearen Strategien und erschließt uns die Möglichkeit zu abstrakter Begriffsbildung, schlußfolgerndem Denken und grammatischen Operationen; er führt uns zur Verallgemeinerung von Erfahrungen und zur Formulierung von Prinzipien und Direktiven. Über den bildlichen Denkmodus sind wir jedoch weiterhin im Kontakt mit der Fülle sinnlicher Erfahrungen, mit Gefühlen, Körperempfindungen und vorsprachlichen Erinnerungen. Die besonderen Fähigkeiten des bildlichen und des logischen Denkens stehen in Verbindung mit den beiden Großhirnhemisphären, die sich für diese unterschiedlichen Aufgaben gewöhnlich im Laufe der ersten zehn Lebensjahre differenzieren. Die Hemisphärendifferenzierung - und damit die Trennung zwischen analytischer und integrativer Verarbeitung der Erfahrungen - bei Männern ausgeprägter ist als bei Frauen (Ornstein & Thompson 1986).

Die beiden Denkmodelle bereichern einander und arbeiten im allgemeinen zusammen. Wird der bildhafte Denkmodus chronisch gehemmt - zum Beispiel zur Kontrolle angstbesetzter Empfindungen -, so verliert ein Mensch den Kontakt mit einer inneren Quelle, aus der Lösungen für Probleme logischer wie emotionaler Art angeboten werden. Die unterdrückten unterschwelligen Empfindungen und vorlogischen Bedeutungsmuster üben einen enormen Druck auf das Bewußtsein aus. Wird er zu stark, bricht die Kontrolle zusammen, und das Bewußtsein wird mit Bildern, Schmerzempfindungen und Angstphantasien überschwemmt.

Auch psychosomatische Symptome können als metaphorische Äußerungen des vorlogischen Denkens verstanden werden. Ihre Sprache und die spezifische Bedeutung, die sie für den einzelnen haben, können - im Gegensatz zu den oben angesprochenen psychotischen Zuständen - recht leicht mit Hilfe des bildlichen Denkens erkundet werden. Die Aussagekraft des bildlichen Denkens läßt sich leicht anhand von Kinderzeichnungen verdeutlichen. Kinder haben für viele Erfahrungen noch keine Worte. In ihren Bildern malen sie jedoch wichtige Aussagen über sich selbst und zeigen, was sie bewegt oder auch verstört. So zeichnen Kinder, die mißhandelt wurden, auf die Aufforderung hin, einen Tag darzustellen, „wie er mir gefällt“, häufig schwere Niederschläge, die oft bis in ihr Inneres vordringen, und signalisieren auf diese Weise ihre Notlage. Unsichere und ängstliche Kinder nutzen die Bildfläche oft nur zögernd und stellen sich schüchtern und klein am Bildrand dar. Andere Kinder zeichnen riesige Genitalien - die in Kinderbildern normalerweise keine Rolle spielen - und machen so auf sexuelle Mißhandlung aufmerksam; oder sie streichen Teile ihres Bildes durch, übermalen sie, kreisen sie ein und weisen damit auf Angst, erlebte Bedrohung oder auch Verbote hin (Schuster & Wickert 1989). Die Inhalte der Bilder geben einen Hinweis darauf, mit welchen Erfahrungen sich das Kind auseinandersetzt. Die Bildgestaltung veranschaulicht wie das kindliche Bewußtsein ihnen Bedeutung gibt, sie zu ordnen und zu integrieren sucht. Wichtige, konflikthafte Erfahrungen kommen überdeutlich oder an zentraler Stelle zum Ausdruck. Erlebnisse, die das Kind als zu belastend empfindet und nicht integrieren kann, werden ausgegrenzt, oder es versucht sie zu löschen. Über Konflikte die Kinder in ihren Bildern andeuten, kann man mit ihnen auch behutsam sprechen und so genauer aufklären, was sie erlebt haben und welche Unterstützung sie brauchen.

Leider wird die Verbundenheit mit der intuitiven Vorstellungs- und Gestaltungskraft in der Erziehung oft durch wertende Beurteilungen unterbrochen und muß dann später - in Krisen und Grenzsituationen, unter therapeutischer Anleitung - wiedergefunden werden.

Auch Erwachsene geben mit Bildern Hinweise auf Erkrankungen, die sie sprachlich so nicht erfassen können. Die Tiefenpsychiologin Susan Bach beschäftigte sich viele Jahre lang mit Zeichnung schwerkranker Menschen, die in therapeutischen Gruppen, psychiatrischen Anstalten und Krankenhäusern entstanden. Sie beobachtete, daß das Malen den Patienten oft eine unmittelbare Erleichterung brachte. Kranke, die im Gespräch schwer zugänglich waren, konnten sich in ihrer Bildersprache leichter mitteilen; belastende Gefühle, angstvolle Phantasien, innere Spannungen, zum Beispiel Warten auf eine Diagnose, vor einer Operation oder unter dem Druck von Depressionen und Zwangsgedanken, konnten so ausgedrückt werden. Die Bilder der Patienten erwiesen sich als hilfreich für die Diagnose und Prognose von Erkrankungen; mit ihnen ließen sich frühzeitig suizidale Tendenzen oder bevorstehende schizophrene Schübe erkennen. Bach entdeckte darüber hinaus in den Zeichnungen typische wiederkehrende Farben, Farbkombinationen und Motive, die spezifischen Krankheitsbildern entsprechen. Die Zeichnungen reflektieren also nicht nur den seelischen Zustand, sondern liefern zugleich Informationen über das körperliche Befinden.
Solche psychosomatischen Hinweise, die sich aus den Zeichnungen kranker Menschen ergeben, untersuchte Susan Bach systematisch auf einer neurochirurgischen Station der Universitätsklinik Zürich. Sie und ihre Mitarbeiter interpretierten über dreitausend Zeichnungen von sechshundert schwerkranken Patienten. Sie malten spontan ohne das ihnen bestimmte Themen vorgegeben wurden.

Die Auswertung der Bilder zeigte: kranke Menschen haben ein inneres Wissen über Art und Schwere ihrer Erkrankung. Manche Schwerkranke drückten in ihren Bildern sogar ihr Wissen darüber aus, wann sie zum Beispiel bewegungsunfähig und wann sie sterben werden. Oftmals gaben die Patienten in ihren Bildern genaue Hinweise auf eine beginnende Verbesserung oder Verschlechterung ihres Befindens oder auch auf die Wirksamkeit medizinischer Maßnahmen.

Im kreativen Gestalten geben wir Bewußtseinsinhalte frei, die nur begrenzt durch intellektuelle Kontrolle gefiltert sind. Darin liegt der Wert solcher Bilder für die Selbsterkundung. Wir müssen mit diesen vorbewußten Inhalten besonders achtsam und feinfühlig umgehen und sie ohne vorschnelle Wertung erkunden.

Wichtig ist, die Bedeutung zu achten, die die Patienten ihrer Gestaltung selbst geben und nur Beobachtung, Ideen und Interpretationen anbietet, aber sie nicht aufgedrängt werden.

Erkundet man dies mit sensiblem Interesse dann wird man mit zunehmender Faszination erleben, wie analytische und intuitive Denkfähigkeit zusammenspielen, erstaunliche Einblicke in die innere Welt eröffnen und neue Perspektiven zur Konfliktlösung, zur Veränderung von Einstellungen und Verhaltensmustern, freigeben.

Fast alle therapeutischen Schulrichtungen haben imaginative Verfahren entwickelt, um Menschen zur Vertiefung ihrer eigenen Wahrnehmung und der Kommunikation mit sich selbst zu führen. Vorstellungsübungen lockern eine übermäßig rationale Ausrichtung und bahnen den Kontakt zu spielerischen intuitiven und kreativen Fähigkeiten. Sie können auch gezielt zur Klärung von Konflikten und Beschwerden eingesetzt werden. In der Vorstellung kann man neue Verhaltensmöglichkeiten neu durchspielen ohne direkte Konsequenzen zu befürchten. Bei Vorstellungsübungen wird die Aufmerksamkeit von der Beschäftigung mit äußeren Vorgängen zum inneren Erleben verlagert. Das gelingt leicht, wenn der Körper ruhig gehalten wird, wenn man die Augen schließt und sich entspannt. In diesem Zustand werden unterschwellige Wahrnehmungen und Bedeutungsmuster aktiviert, die sich bildhaft und symbolisch äußern und das bewußte Denken mit einer Fülle von Anregungen versorgen. Sie wirken damit unmittelbar belebend.

Therapeutisch geleitete Vorstellungsübungen geben einen Rah-men vor - ein Motiv, das Symptom - um die Aufmerksamkeit bei der Selbsterkundung zu leiten. Der Rahmen schützt auch davor, sich in den unbegrenzten Assoziationen zu verlieren, die sich lösen, wenn man den Schutz der rationalen Orientierung weitgehend aufgibt.

Genau dies stimmt nicht. Der freilaufende innere synergetische Prozeß zeigt immer wieder, wie faszinierend und präzise innere Energiemuster sich von selbst abbilden. Sogar die Veränderung durch Selbstorganisation gehorcht präzisen energetischen Gesetzen, die sich genau innerlich als Bildveränderung vorhersagen lassen.

Die therapeutische Unterstützung kann in unterschiedlichem Ausmaß strukturierend und leitend sein. Wichtig ist, persönliche Vorstellung zu fördern und darauf zu achten, daß diese auch sprachlich gefaßt werden können und das in der Auseinandersetzung mit bedrohlichen Bildern das Gefühl von Selbstvertrauen und Handlungskompetenz gestärkt wird.

Aus den Erfahrungen mit dem katathymen Bilderleben (Hanscarl Leuner 1985) konnte zum Beispiel beobachtet werden, daß depressive im Vergleich zu nicht depressiven Menschen „unfreundlichere, schmutzigere Bilder“ zu den vorgegebenen Bildern entwickeln. Sie drücken mehr Angst und Unsicherheit aus. Untersuchungen zeigen, daß die Hinwendung zu belastenden Erfahrungen unter therapeutischer Anleitung heilend wirkt. Mit Gestalten die ängstlich oder feindselig wirken, kann man ins Gespräch kommen und so beruhigt werden. Eine bedrohliche Gestalt kann man aber auch bekämpfen und jagen bis sie erschöpft ist und sie so entmachten. In solchen Auseinandersetzungen mindern sich meistens Angst und Aggressionen. Mit der Wandlung der emotionalen Energie, wandeln sich auch die inneren Bilder und Symbole: Landschaften werden deutlicher und fruchtbar, bedrohliche Gestalten schrumpfen und zeigen sich versöhnlich.

Synergetik Therapie kann man auch als eine Weiterentwicklung des katathymen Bilderlebens betrachten, wobei es auf die Organisation von Information ankommt und die Inhaltsebene nur sekundären Arbeitscharakter besitzt.

Der Verhaltenstherapeut Akter Ahsen entdeckte schon Anfang der fünfziger Jahre das mit der Erinnerung an bedeutsame weit zurückliegende Ereignisse sehr klare Vorstellungbilder aktiviert werden können. Er stellte fest, daß sie die persönliche Bewertung der damaligen Lebenssituation wachrufen können. Wenn es gelingt diese deutlichen Erinnerungen hervorzurufen, dann schaffen sie ein umfaßendes psychosomatisches Erlebnis: das visuelle Bild bahnt den Zugang zu Körperempfindungen, Gefühlen und Bedeutungsmuster, die mit ihm verbunden sind. Der sich erinnernde Mensch, wird von dem Erlebnis in ähnlicher Weise ergriffen wie zum Zeitpunkt des ursprünglichen Geschehens.

Er entwickelte zum Beispiel den sogenannten Altersprojektionstest, als hilfreiche Anleitung um seelische Erlebnisse und Lebenserfahrung aufzuspüren, die mit der Entwicklung von körperlichen Symptomen verbunden sind. Es ist ein effektives Verfahren, um psychosomatische Symptome in relativ kurzer Zeit zu klären und heilungsorientierte Einstelllungen zu stärken.

Mit dem Einblick in wesentliche Lebenszusammenhänge und der Erinnerung an die Zeit vor der Syptomentwicklung wird auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten dem Gefühl von Kraft, Freiheit und Wohlbefinden gestärkt. Damit wächst auch die Bereitschaft, einen selbstbewußteren und kompetenteren Umgang mit den heutigen Lebensschwierigkeiten zu entwickeln.

In der Synergetik Therapie wird direkt in diese „alte“ Erlebnissebene hineingegangen und somit alles direkt verändert. Heilungs-orientierte Einstellungen zu stärken ist doch nur wieder Stärkung der Nachfolgeebene.
Dabei ist es doch so einfach: Nur die Informationen auf der Primärebene sind zu verändern! Dies macht jeder Klient selbst und stärkt dadurch automatisch seine Handlungskompetenz. Und als Effekt geschieht eine Informationsveränderung durch Selbstorganisation und diese wirkt direkt zurück über die Selbstregulations-funktionen des Körpers.

 

Das bildliche Denken ist nicht mit der Klärung von Ursachen der kausalen oder zeitlichen Abfolge von Ereignissen beschäftigt, sondern auf die Vervollständigung von Erlebnissen und Erinnerungsmustern ausgerichtet und verbindet sie mit Gefühlen und Körperempfindungen.

Daher können die Vorstellungen mit vergangenen oder zukünftigen Erlebnissen befaßt sein oder auch unlogisch verknüpft sein. Um ängstliche Erregungen zu überwinden und Selbstsicherheit und körperliche Genesung zu fördern, ist es nur wichtig die Aufmerksamkeit so auszurichten, daß Erinnerungs- und Phantasiebilder und Fähigkeiten zur Überwindung prägnant visualisiert werden können. Je intensiver positive Vorstellungen werden, umso stärker wirken sie auf die physiologischen und seelischen Selbststeuerungsmechanismen. Beispiel: „Ich habe starke Beine, ich kann wieder aufstehen und herumlaufen“, stellte sich ein achtjähriger Junge vor. Er war nach einer Streptokokkeninfektion so geschwächt, daß er nicht mehr gehen konnte. Seine Ärzte ermutigten ihn, sich an die Zeit vor der Krankheit zu erinnern und sich vorzustellen wie er sich kräftig fühlt, stehen kann und herumläuft. Sie stimulierten intensive und plastische motorische Erinnerungsbilder, die mit den Gefühlen der Freude und Stärke verbunden waren. Implizit ermutigten sie den Jungen, diese Vorstellung mit der Gegenwart und der nahen Zukunft zu verbinden: „ Du hast starke Beine und Du siehst wie Du aufstehst und herumlaufen kannst“. Schon am nächsten Tag begann der Junge aufzustehen und sich allmählich wieder normal zu bewegen. Die positiven Veränderungen blieben stabil (Olness & Gardner 1978).

Ein sehr wirksames Vorstellungstraining zur Kontrolle akuter Angst- und Schmerzzustände entwickelten Cornelia Keuner und Jeanne Achterberg für Patienten mit schweren Verbrennungen. Sie beobachten bei den Patienten schon vor Beginn der Wundtoilette einen extremen Temperaturabfall und eine Zunahme von Blutdruck, Atem- und Herzfrequenz als körperliche Alarmreaktion, die auf hohe Angst schließen ließ, wenn die Patienten hörten wie der Instrumentenwagen herangeschoben wurde. Das Signal aktivierte automatisch Vorstellungen von Schmerz, Tortur und Beschähmung. Ein Vorstellungstraining mit einer Anleitung zur Entspannung und Imagination zur positiven Bewältigung zeigte auf, daß man eine angekündigte vorhersagbare Belastung besser bewältigen kann, als unerwartete und unverständliche Prozeduren.

Ähnliche Trainingsprogramme haben sich auch bei krebskranken Kindern bewährt, die man so auf die bevorstehende Behandlung vorbereitete. Diese Kinder ertrugen zum Beispiel die überlicherweise sehr schmerzhafte Punktion wesentlich besser als Kinder, die man vorher nur durch Bilderbücher abgelenkt oder mittels Valium beruhigt hatte. Sie wehrten sich weniger gegen den Eingriff, schrien und weinten kaum, sie erlebten weniger Schmerz, Angst und Verzweifelung.

Die besondere Wirksamkeit imaginativer Übungen zur Bewältigung von Schmerzen und psychosomatischen Störungen oder auch bei Genesungsprozessen wird verständlicher, wenn man sich eingehender mit Forschungsergebnissen beschäftigt, die einen direkten Zusammenhang zwischen Imagination, Emotionen und physiologischen Prozessen aufzeigen: Visuelle Vorstellungen beruhen auf denselben Gehirnfunktionen wie visuelle Wahrnehmungen. Je umfassender verschiedene Sinnesfunktionen durch die Imagination angesprochen werden, umso umfaßender ist auch die Aktivierung von Hirnarenalen und umso intensiver ist das Vorstellungsverständnis (Klinger 1988; Achterberg 1987). Vorstellung zu Bewegungsabläufen erzeugen elektrische Aktivitäten in den Muskeln, die bei der jeweiligen Imagination angesprochen werden. Wiederholt man solche Vorstellungsübungen regelmäßig, verbessert sich die motorische Durchführung dieser Bewegungen.

Das Training der Bewegungsfähigkeit mit Hilfe der Vorstellung wird sowohl für die Rehabilitation nach Unfällen als auch von Sportlern für die Steigerung der Leistungsfähigkeit genutzt (Suinn 1976). Sexuelle und Angstphantasien werden von deutlichen physiologischen Veränderungen begleitet. Die Vorstellung des persönlichen Ruhbildes ist ein wirksames Verfahren, um Angst zu mindern und körperliche Entspannung zu fördern. Imaginationen zu negativen Kindheitserinnerungen rufen Veränderungen der Herzfrequenz, der Hautleitfähigkeit, der Atmung und der Augenbewegungen hervor (Jordan & Leningteon 1979).Vorstellungen, die mit Gefühlen der Freude, Trauer, Wut und Angst verbunden waren, führten bei Tests zu Änderungen der Herz-Kreislauf-Werte sowie der Hautleitfähigkeit und aktivierten unterschiedliche Gesichtsmuskeln. Die jeweilige Aktivierung der mimischen Muskulatur entsprach den spezifischen mit der Vorstellung verbundenen Emotionen (Schwartz 1981; de Jong-Meyer 1990). Vorstellungen beziehungsweise Erinnerungen zu schmerhaften Stimulationen bewirken Änderungen von Pulsfre-quenz, Muskelspannung und Hautwiderstand. Diese körperlichen Veränderungen zeigen nicht nur Angst an, sondern entsprechen auch den Körperreaktionen, die bei real erlebten Schmerzen auftreten (Barber & Hahn 1964). Andere Imaginationen können etwa die Speichelbildung, die Magen-Darm-Peristaltik, die Blutzucker-werte oder das Immunsystem beeinflussen (Achterberg 1987). Die Entwicklung und Wirkung von Vorste-llungsbildern wird auf die Aktivität der rechten Großhirnhemispäre und der mit ihr verbundenen Limbischen Systems zurückgeführt, wo unter der jeweiligen emotionalen Tönung entsprechende biologische Regulationen ausgelöst werden.

Simonton.

Einer der ersten Ärzte, die Vorstellungsübungen als therapeutische Maßnahme bei schweren Krankheiten einsetzten, war der Onkologe Carl Simonton.
Er entwickelte ein integratives Psychotherapieprogramm zur Unterstützung der medizinischen Behandlung von Krebskranken dessen Ziel darin besteht, die Patienten durch Information, Gespräch und Übung, aktiv in ihren Behandlungsprozess einzubeziehen. Er versuchte die Einstellungen der Kranken zu sich selbst und ihrer Lebenssituation so zu verändern, daß sie statt Angst und Resignation zunehmend Hoffnung empfinden. Ein Element des Therapieprogrammes ist besonders bekannt geworden: Die Patienten lernen in entspanntem Zustand ihre Körperprozesse zu visualisieren und wahrzunehmen wie ihre Immunzellen den Krebs beseitigen (Simonton 1982).

Diese Übung regt Patienten dazu an, sich mit ihrer körperlichen Abwehr zu verbünden und so hoffnungsvolle Einstellungen und eventuell auch die biologische Regulation zu stärken. Vorstellungen zur Immunabwehr bei Krebs sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn es dem Erkrankten gelingt seine Abwehrkraft machtvoller als den Krebs zu visualisieren. Nach diesen Übungen malen die Patienten ihre Vorstellungsbilder zum Krankheitsgeschehen. Sie geben einen tiefen Einblick in ihre innere Welt und Annahmen über die Krankheitsentwicklung (Jeanne Achterberg und Frank Lawlis 1984). Diese Vorstellungsbilder wurden nach verschiedenen Merkmalen eingeschätzt, z.B. Größe, Lebendigkeit der Krebszellen, Aktivität, Mächtigkeit der Immunzellen. Anhand dieser Vorstellungsbilder konnte die Krankheitsentwicklung - zwei Monate später - mit achzigprozentiger Genauigkeit vorausgesagt werden. Eine so genaue Prognose ist anhand medizinischer Diagnosen und Meßwerte allein nicht möglich. Sie drücken offenbar grundlegende Haltungen zur Krankheitsbewältigung aus. Günstige Entwicklungen waren unter anderem damit verbunden, daß die Patienten den Mut hatten sich den Krebs und ihre Immunzellen klar vorzustellen.

Imaginationsübungen zu Heilungsprozessen bei schweren und chronischen Krankheiten können sehr hilfreich sein, um krankheitsbezogene Haltungen zu klären und Möglichkeiten der aktiven Bewältigung in der Vorstellung zu erproben und zu stärken. Dabei muß jedoch immer die Bedeutung der Bildinhalte geklärt werden. Dies berücksichtigen viele Patienten nicht. Diese Übungen dürfen nicht mechanisch wie eine Art Medikament eingesetzt werden. Patienten mit chronischer Arithis benutzen diese Übungen und ihr Befinden verschlechterte sich innerhalb kürzester Zeit. Das erklärt sich daraus, daß das Immunsystem bei Krebskranken aktiviert werden muß, während es bei Atrithikern aufgrund eines Autoimmunprozesses überaktiviert ist und in keiner Weise weiter angeregt werden sollte.

Die Bedeutung von Vorstellungsübungen für die Rehabilitation und Genesung war lange Zeit umstritten und wird erst allmählich anerkannt. In Gesprächen mit Patienten ist mir jedoch aufgefallen, daß viele intuitiv Imaginationen zu Auseinandersetzungen mit ihren Beschwerden entwickeln. Sie haben mir darüber eher vorsichtig berichtet, da ihre Ideen von Ärzten oder auch Bezugspersonen oft lächerlich gemacht wurden. Eine verständnisvolle Haltung von Medizinern und Psychologen könnte dieses kreative und heilungsorientierte Potential vieler Patienten stärken. Frauke Teegen bringt einige positive Beispiele für selbstentwickelte Imaginationen.

Interpretationshilfen zu Bildaussagen

Menschen geben in ihren Bildern und Zeichnungen Hinweise auf ihr körperliches und seelisches Befinden. Das Lesen, Übersetzen und Verstehen der Hinweise erfordert allerdings eine gewisse Schulung. Um Bildaussagen zu entschlüsseln, bedarf es sowohl spezifischer Kenntnisse als auch einer interessierten und empathischen Aufmerksamkeit. Susan Bach (1952) beschrieb diese Fähigkeit folgendermaßen: „Die inneren Gehalte solcher Arbeiten sind in einer Bildersprache ausgedrückt, die man - wie Hieroglyphen oder Röntgenplatten - lesen und übersetzen lernen muß. Genügend langer Umgang mit solchem Material, geduldiges Studium, die echte Bereitschaft, die Arbeiten jedes Patienten als jeweils neu zu erforschenden Ausdruck seiner Persönlichkeit anzusehen, ein gutes medizinisch-psychologisches Verständnis der Bedeutung von Symptomen und der Funktion von Symbolen gehören zu den Voraussetzungen für eine zureichende Auswertung.“

Bedeutsam sind vor allem Darstellungen der menschlichen Gestalt oder ihrer Entsprechungen. Bäume und Häuser symbolisieren oft den Menschen, und ihre Gestaltung kann etwas über sein Lebensgefühl und spezifische Konflikte aussagen (Bäume, die keine Wurzeln haben, verdorren, denen Äste abgekackt wurden - Häuser, die keine Tür haben oder in denen es brennt). In Kinderzeichnungen entspricht die rechte Bildseite der rechten Körperseite. Kinder malen also spiegelbildlich. Erwachsene stellen dagegen Aspekte der rechten Körperseite meist in der linken Bildhälfte dar. Bilder reflektieren den Zustand eines Menschen, seine Gefühle und Einstellungen. So können dargestellte oder angedeutete Störungen im Bildraum auf Störungen in analogen Körperbereichen oder auf Besorgnis und seelische Belastungen hinweisen.

Je gesünder eine Mensch ist, umso ausgewogener wird das Bild sein das er malt, umso reicher ist die Darstellung an Farben, Schattierungen, Motiven und Bewegung. Ein normales gesundes Kind nutzt fast alle Farben die ihm angeboten werden und erfindet zusätzlich neue Mischungen. Kranke und Menschen die sich in einer Krise befinden wählen dagegen nur wenige Farben, wobei die bevorzugte Farbe oft der Art der Erkrankung oder des seelischen Problems entspricht.

Tiefenpsychologische Bildinterpretationen gehen davon aus, daß beim Malen, Zeichnen und kreativen Gestalten, die innere seelische und körperliche Befindlichkeit auf die Bild- und Gestaltungsfläche projiziert wird. Zum Beispiel werden der oberen und unteren Bildhälfte wie auch der rechten und linken Bildseite bestimmte Bedeutungen zugewiesen.

 

Im Dialog mit dem Schmerz

Schmerz ist ein lebenswichtiges Signal und ein bedeutender Teil der organischen Selbstregulation. Er zwingt den Menschen dazu sich seiner Körperwahrnehmung zuzuwenden, um herauszufinden, was nicht stimmt, und etwas zu unternehmen, um weitere Schädigungen abzuwenden. Im Gegensatz zum akuten Schmerz ist die Warn- und Schutzfunktion chronischer Schmerzen weniger offensichtlich, was dazu führt, daß sie oft als „biologische Fehler“ betrachtet werden - als ein Signal, das keine offensichtliche Funktion erfüllt. An chronischen Schmerzen leidet fast ein Drittel aller Menschen in Industrieländern. Die häufigsten Verschreibungen werden für Schmerzmittel ausgestellt.

In Westdeutschland nehmen fast 10 Prozent der Bevölkerung regelmäßig Schmerzmedikamente ein. Die Patienten können unter 623 verschiedenen Präparaten wählen und verbrauchen jährlich 128 Millionen Packungen Analgetika (Zimmermann & Seemann 1988). Häufig führen Schmerzmittel schnell zur Gewöhnung und auch zur Abhängigkeit.


Frauke Teegen bringt mit einfachen Übungen Menschen in Kontakt mit ihrem inneren Wissen über die emotionale Bedeutung ihrer Schmerzen: „Sehr häufig wird dabei sichtbar, daß chronische Schmerzen auf eine „ verdeckte Gefahr“ aufmerksam machen und die Notwendigkeit von Wandlungsprozessen signalisieren. ...chronische Schmerzen verselbständigen sich und werden als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet. Akute Schmerzen zwingen mit ihrer deutlich spürbaren Warn- und Signalfunktion dazu herauszufinden, was nicht stimmt, und etwas zu unternehmen, um weitere Körperschädigungen zu verhindern. Bei vielen chronischen Schmerzen -, rheumatischen Erkrankungen, Stumpfschmerzen, Gesichts- und Kopfschmerzen - hat der Schmerz diesen Hinweischarakter weitgehend verloren. Oft treten sie ohne klaren organischen Befund auf. Die chronischen Schmerzen stellen meist das Hauptleiden des Patienten dar. Der Arzt kann sie nur selten heilen. Er kann helfen sie zu lindern - etwa durch Verschreibung von Medikamenten, Massage, Krankengymnastik. Als sinnvoller gelten heute psychologische Behandlungen, deren Effektivität unter anderem für Spannungskopfschmerz, Migräne, Krebsschmerzen, Rückenschmerzen, Rheuma, chronische Polyatrithis, nachgewiesen ist (Rehfisch 1989).

Der Patient nimmt seine Schmerzen vor allem dann stark wahr, wenn er allein ist, wenn er Angst hat oder wenn er gelangweilt ist. Ist er aber intensiv abgelenkt, bemerkt er seine Schmerzen weniger oder gar nicht. Ablenkung - vor allem wenn sie gezielt und planvoll eingesetzt wird - ist eine wirksame Strategie zur Schmerzlinderung.

Seelische Zustände wie Unruhe, Angst, Einsamkeit, Hilflosigkeit oder Depressionen verstärken die Schmerzen. Empfindungen wie Neugier, Freude, Empathie, Selbstbewußtsein und Vertrauen vermindern sie. Auch die komplexe unterschwellige Einschätzung, die Bedeutung, die wir ihnen geben - ob wir sie als „gefährlich“, „sinnlos“ oder „überwindbar“ erleben - beeinflußt die Schmerzwahrnehmung durch elektrische und chemische Signale.

Schmerzsignale wirken ganz ähnlich wie Angstsignale und bewirken eine Alarm- und Streßreaktion des Körpers. Der Blutdruck steigt an, und automatisch werden Muskelreflexe und - spannungen ausgelöst, die den Körper bereit machen, vor Gefahr zu fliehen. Dies ist bei akuten Schmerzen ein sinnvoller, lebenswichtiger Vorgang. Bei chronischen Schmerzen verstärken diese Verspannungen jedoch den Schmerz - ein „Teufelskreis des Schmerzes“ entsteht.

Am Beispiel von Migräneerkrankungen möchte ich verdeutlichen, wie durch eine langfristige und sich steigernde Medikation sehr ungünstige„Patientenkarrieren“ eingeleitet werden. Weit häufiger als Männer leiden Frauen an Migräne. Sie werden oft als sehr ausdauernd und überfleißig beschrieben. Ein Migräneanfall erzwingt das Gegenteil dieses Verhaltensmusters: still liegen, gar nichts mehr tun können. Auch physiologisch spielen sich ähnliche Extreme ab: Die Blutgefäße im Kopfbereich sind etweder sehr verengt oder stark geweitet. Der Übergang von „verengt“ zu „geweitet“ tritt im allgemeinen (meist im Ruhezustand) sehr schnell ein. Gefäßverengende Medikamente haben einen schmerzlindernden und vorbeugenden Effekt. Häufig wird vom Arzt ein „Schmerzcocktail“ verschrieben. Bei starken Schmerzen und häufigen Migräneanfällen neigen die Betroffenen zu einer raschen Konsumsteigerung, da die Wirkung der Medikamente nachläßt, während die Angst vor den Schmerzen wächst. Die Patientin greift zu stark wirkenden Zäpfchen und beginnt, die Medikamente vorbeugend einzunehmen. Sie erlebt, zum Teil als Nebenwirkungen der Medikamente, vermehrt auch psychische Beschwerden - innere Unruhe, Angst, Depression -, die wiederum mit Psychopharmaka behandelt werden. Meist wird wöchentlich eine Depotinjektion gegeben. Als weitere Nebenwirkungen der Schmerzmittel tritt häufig Unfruchtbarkeit auf, manchmal auch Nierenversagen (etwa 15 bis 20 Prozent aller Dialyse-Patienten haben jahrelange Schmerzkarrieren mit Medikamentenmißbrauch hinter sich).

Physiologische Interventionen haben jedoch den Vorteil, daß der Patient nicht in Abhängigkeit gerät und selbst etwas tun kann, um seine Schmerzen zu beeinflussen. Das Bewußtsein der eigenen Handlungsfähigkeit mindert das Gefühl von Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Zum Beispiel werden Patienten dazu angeleitet, ein „Schmerztagebuch“ zu führen. Sie erkunden damit Zusammenhänge zwischen zunehmender bzw. nachlassender Schmerzempfindung und spezifischen Situationen. Sie lernen dabei auch ihre Gefühle, Gedanken und Bewertungen in verschiedenen Situationen wahrzunehmen und zu klären, welche Erfahrungen Angst und problemmeidendes Verhalten auslösen. Zu kritischen Situationen können dann neue Verhaltensmöglichkeiten erprobt und geübt werden.

David Bresler, ein bekannter amerikanischer Schmerztherapeut, wies 1987 bei einem internationalen Symposium daraufhin, daß es sich bei chronischen Schmerzen um ein von seelischen und physischen Tiefenschichten „wohlweislich hervorgerufenes Symptom“ handle und daß eine allein auf das Symptom ausgerichtete Behandlung deshalb immer nur vorübergehend Linderung verschaffen könne. „Zwar läßt sich das Nervensystem für eine kurze Zeit täuschen, doch wenn eine verdeckte Gefahr bestehenbleibt, bricht der Schmerz erneut durch oder kehrt mit der Zeit wieder, bis die Botschaft wahrgenommen wird und eine angemessene Reaktion darauf erfolgt.“ In seiner Arbeit mit Schmerzpatienten beobachtete Bresler, daß die „Botschaft des Schmerzes“ oft damit zusammenhängt, daß die Patienten Schwierigkeiten haben, Wandlungsprozesse zu vollziehen. „Wenn sie sich krisenhaften Veränderungen gegenübersehen, werden sie unbeweglich, wollen sie das Alte nicht preisgeben.“ Sie bleiben lange in den Phasen von Verleugnung, Zorn und Klage stehen , so daß Neuorientierung und Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen nicht gelingen. „Schmerz“, sagt Bresler, „ist nicht die Ursache dafür, daß das Leben stillsteht, sondernm das Ergebnis einer Stagnation.“

Für eine umfassende Neuorientierung ist es nötig, Erinnerungs- und Bedeutungsmuster zu klären, die mit der Genese und Chronifizierung der Schmerzen verbunden sind. Oft weisen die Patienten schon mit den Bildern und Symbolen, die sie zur Beschreibung ihrer Schmerzempfinden, auf die subjektive Bedeutung der Schmerzsignale hin.

 

In der Synergetik Therapie wird der Dialog direkt mit dem Schmerz in der Innenwelt geführt. Der Schmerz zeigt assoziativ verknüpfte Erinnerungsbilder und diese sind veränderbar. Schmerz ist als Symptom ein sehr karer Hinweisgeber und kein Gegner!

 

Patienten und Ärzte sind allerdings im allgemeinen nicht darin geübt, diese Hinweise zu entschlüsseln. (Synergetik Therapeuten sind eine sehr kompetente Alternative). Über die Vertiefung der Körperwahrnehmung und mit Hilfe der Vorstellungskraft kann man sich dem Gehalt dieser Botschaften jedoch relativ leicht nähern. Läßt ein Mensch sich auf die Wahrnehmung seiner Schmerzen ein - statt gegen sie anzukämpfen oder sich abzulenken -, kommt er spontan in Kontakt mit affektiven Erinnerungsspuren, die zu wichtigen Aspekten seines Selbst- und Lebenskonzeptes führen. Die mit demSchmerz verbundenen Bedeutungsmuster steign als Gefühle, Erinnerungsbilder und Symbole auf und weisen einen Weg, abgetrennte Erfahrungen zu integrieren. Mit dem Ausdruck gehemmter Empfindungen und der Klärung veralteter Widerstandsmuster werden neue, umfassendere Bedeutungs-zusammenhänge erschlossen. Solche Erfahrungen führen zu körperlicher und seelischer Erleichterung und rücken neue Verhaltensmöglichkeiten in den Blick, die dann im Alltag verwirklicht werden müssen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, wie Menschen durch die Klärung der Schmerzbotschaft und im Dialog mit dem Symptom eine neue Orientierung finden.
Bresler (1987) bereichtete über Therapie mit einem zweiundfünfzigjährigen Arzt, der an unerträglichen Schmerzen im unteren Rücken litt. Ihm war an dieser Stelle ein Rektumkarzinom operativ entfernt worden; die Schmerzen hielten jedoch unvermindert an und waren durch Medikamente nicht zu beeinflussen. Zu Beginn der Psychotherapie sah der Patient für sich nur drei Möglichkeiten: „Entweder ist die Behandlung erfolgreich, oder ich lasse mich freiwillig in eine psychiatrische Anstalt einliefern, oder ich nehme mir das Leben. „Es schien ihm unmöglich, die Schmerzen zu ertragen und dabei seelisch gesund zu bleiben. Beim Studium seiner Krankenakte fiel Bresler auf, daß der Patient den Schmerz bildhaft beschrieben hatte als einen „Hund, der an meinem Rückgrat nagt“. Es zeigte sich, daß dieses Bild für den Patienten sehr lebendig war, und so schlug Bresler ihm vor, während einer Vorstellungsübung mit dem „Hund“ Kontakt aufzunehmen. Der Patient hielt diese Idee zwar aufgrund seiner medizinischen Ausbildung für völlig verrückt, umter dem Druck der extremen Schmerzen war er jedoch bereit zu einem Versuch.

Während der Vorstellungsübung begann der Patient, in der Rolle des „Hundes“ zunächst nie Arzt werden wollen, sondern das Studium nur auf Drängen seiner Mutter begonnen. Er hegte heftigen Groll gegen die Mutter und hatte seinen Ärger auch auf Kollegen und Patienten übertragen. Der „Hund“ vermutete, die feindseligen Gefühle hätten zur Krebsentwicklung beigetragen und seien mit dem Schmerz verbunden. Außerdem sagte er zu dem Patienten: „Du bist ein verdammt guter Arzt. Es mag nicht der Beruf sein, den du wolltest, aber du mußt endlich erkennen, wie gut du deine Arbeit machst. Wenn du aufhörst, so verbittert zu sein, und anfängst, dich selbst anzunehmen, dann höre ich auf, an deiner Wirbelsäule zu nagen.“ Diese Einsicht war von einem unmittelbaren Nachlassen der körperlichen Schmerzen begleitet. Bresler berichtete, daß dieser Patient die Mitteilung des „Hundes“ beherzigte und seine Schmerzen allmählich abklangen und schließlich ganz verschwanden.

Frauke Teegen macht an einem noch weiteren Beispiel klar, daß mit Hilfe des bildlichen Denkens bedeutsame Lebenserfahrung zugänglich und wieder streitende Impulse verstanden und integriert werden können. Oft werden dadurch Erfahrungen von Entbehrung und Gewalt zugänglich, die wichtige Blockaden als hohe persönliche Widerstandsmuster repräsentieren. Sie dienen als Überlebensstrategie. Solche Blockierungen werden körperlich, emotional und bildhaft erfahren und häufig als Nebel, Leere, Loch oder Mauer erlebt. Mit Erkundung der Blockade werden traumatische Erfahrungen zugänglich. Erinnerungen verhalten sich bildhaft, Körperbereiche beginnen zu sprechen und bahnen mit den symbolischen Mitteilungen ein umfassenderes und bewußtes Verständnis für die eigene Lebensgeschichte. Mit der Integration widerstreitender Impulse gewinnt der Mensch eine neue Orientierung und Handlungsfähigkeit.

Chronische Schmerzen sind oft mit unterdrückten Lebensimpulsen verbunden und weisen daraufhin, daß bedrohliche Erfahrungen und Wahrnehmungen abgespalten und blockiert worden sind. Dies war einst sinnvoll, um traumatische Erfahrungen - große Angst, Hilflosigkeit, seelische und körperliche Verletzungen - unter Kontrolle zu bringen. Wird dieses Verhaltensmuster chronisch beibehalten, schränkt es die Möglichkeiten des Menschen sich zu verwirklichen zunehmend ein und bedarf der Überprüfung und Veränderung.
In dem Beispiel der Frauke Teegen wurde deutlich wie die körperlichen Schmerzen der Patientin seelischen Schmerz verdecken, unter Kontrolle halten und zugleich daraufhinweisen, daß diese Bewältigungsstrategie nicht mehr angemessen ist. Die Patientin klärte im Kontakte mit der Schmerzerfahrung auf, daß sie als Kind sexuell mißhandelt worden war. Sexuelle Kindesmißhandlung ist ein Trauma, daß ralativ viele Kinder erleben und das zu schwerwiegenden Folgeschäden führt.

Unter sexueller Kindesmißhandlung versteht man die Beteiligung noch nicht ausgereifter Kinder und Jugendlicher an sexuellen Handlungen denen sie noch nicht verantwortlich zustimmen können. Dabei mißbraucht der erwachsene oder jugendliche Täter ein vorhandenes Macht- oder Kompetenzgefälle zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und zum Schaden des Kindes. Aus verschieden Erhebungen ergibt sich für Frauen eine mittlere Prävalenzrate von 21 Prozent. Das auch Jungen sexuell ausgebeutet werden, ist erst in den letzten Jahren vermehrt zur Kenntnis genommen worden. Die bisher vorliegenden Häufigkeitsangaben variieren zwischen 3 und 30 %. Sexuelle Kindesmißhandlungen finden vor allem in der Familie und im familiären Umfeld statt. Besonders betroffen sind Schulkinder unter 10 Jahren (Teegen 1992).

Nach den heute vorliegenden Erkenntnissen müssen wir davon ausgehen, daß ein hoher Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen in einer entscheidenden Phase der Persönlichkeitsentwicklung ein schwerwiegendes Trauma erlebt haben. Die psychische Bewältigung der traumatischen Erfahrungen im Erwachsenenalter ist oft schwierig, da die Erlebnisse verdrängt und abgespalten werden, so daß sie der bewußten Erinnerung nicht zugänglich sind. Langfristige Folgen zeigen sich vor allem in einem komplexen Muster affektiver Störungen, erhöhter Suizidgefährdung oder auch antisozialem und kriminellem Verhalten (Draijer 90; Mogggi 91; Engfer 92).

In der Synergetik Therapie werden diese traumatischen Erfahrungen klar aufgedeckt und verändert.

In unserer Untersuchung berichten fast alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen über Ängste vor allem davor, die Kontrolle zu verlieren oder verlassen zu werden und vor spezifischen Situationen, die an die Mißhandlung erinnern. 50 bis 70 Prozent litten an Selbstunsicherheit, Mißtrauen, Depressionen, Dissoziationnen oder körperlichen Beschwerden, die auch als Begleiterscheinungen unbewältigter Ängste verstanden werden können (Schlafstörungen, chronische Verspannungen/-Schmerzen, Kreislaufstörungen, Magen-Darm- und entzündliche Unterleibserkrankungen). Die Fähigkeiten, Emotionen auszudrücken und Konflikte realitätsgerecht zu lösen, waren deutlich vermindert. Verbale und bildliche Beschreibungen zum Körperempfinden veranschaulichten eine tiefe Verstörung des körperlichen Selbstgefühls. Die Untersuchungen machten deutlich, wie gravierend die Folgen des sexuellen Kindesmißbrauchs sind. Sie lassen ahnen wie schwer es ist mit den Verletzungen zu leben und die tief geprägten Angst- und Mißtrauenshaltungen zu überwinden.


Körperleben und Körperbild

Das Erleben des eigenen Körpers, seiner wechselnden Zustände und seiner Grenze zur Umwelt ist ein wesentlicher Teil des Selbstbewußtseins und eine grundlegende Bezugsgröße für die Entwicklung und Festigung des Kontakts zur Realität. Im Rahmen der jüdisch-christlichen Kultur ist der Körper eher negativ bewertet. Sinnliche, körperliche und leibliche Erfahrungen werden in einen Gegensatz zum Geistigen gestellt und als niedrig, „sündig“, gesehen. In der naturwissenschaftlich orientierten Medizin, bei der Suche nach objektiven Befunden, spielt das subjektive Erleben des eigenen Körpers eine ganz untergeordnete Rolle. Eine Abwertung und Abtrennung des Körpers und Körpererlebens ist jedoch auch in psychologische Theorien der Ich- und Persönlichkeitsentwicklung eingeflossen.

Aus psychoanalytischer Sicht zeigt sich das Körpererleben als niedrige Trieb- und Instinktsphäre und äußert sich als Krankheit oder Neurose. Wilhlem Reichs Beobachtungen zum Zusammenwirken von Körper- und Charakterstruktur wurden zunächst scharf ausgegrenzt und erst später - vor allem durch die neuen körpertherapeutischen Ansätze - wieder aufgegriffen und rehabilitiert. Die analytische Psychologie nach C.G. Jung vermittelt eine größere Wertschätzung für vorbewußte Prozesse, sie bleibt jedoch eigentümlich körperfern. Thure von Uexküll (1985) kommt zu dem Schluß, daß der Körperbegriff ein zentrales Problem sowohl der somatischen medizin als auch der Psychoanalyse ist. Die gegenwärtige Heilkunde, schreibt er, gehe von zwei Modellvorstellungen aus, die sich gegenseitig ausschließen: „die Maschinendefinition für den Körper und das Freudsche Paradigma des seelischen Apparates für die Seelen ohne Körper“.

Im Rückblick zeigt sich: Das Körpererleben wurde - vor allem von der Neurologie und Psychiatrie - lange nur unter dem Aspekt der Pathologie beachtet. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, daß das Körpererleben ein wichtiger und vollwertiger Teil des Selbsterlebens ist und daß wir lernen können, in einen angstfreien Dialog mit ihm einzutreten. Darüber hinaus wird zunehmend deutlich, daß sich viele Störungen gerade aus der Entfremdung vom Körpererleben entwickeln. Die Beschäftigung mit dem Körpererleben berührt immer die tief verwurzelte Polarisierung von Soma und Psyche in der abendländischen Kultur.

Paul Schilder (1923, 1935) verknüpfte Ergebnisse der neurologischen Forschung mit dem seelischen Erleben unter dem Begriff „Körperbild“ (body-image). Er erkannte, daß eine gestörte Körperwahrnehmung sich nicht nur in neurophysiologischen Veränderungen ausdrückt, sondern zugleich eine subjektive und emotionale Bedeutung hat und die Umwelterfahrung beeinflußt. Das Körperbild enthält die gesamten subjektiven Erfahrungen mit dem eigenen Körper - alle organismischen Empfindungen und sensomotorischen Reaktionen, Integrationsleistungen und Bedeutungsbildungen. Das Körperbild ist nicht statisch, sondern entwickelt sich fortlaufend. Als Muster, das unsere gesamte emotionale Lebensgeschichte enthält, wirkt es aus dem Unbewußten auf unsere Selbst- und Umwelterfahrung ein. Über die bewußte Wahrnehmung des Körpererlebens haben wir jedoch auch die Möglichkeit, Erinnerungs- und Bedeutungsmuster zu erkunden und zu klären.

Die Entwicklung des Körperbildes fängt schon im pränatalen Bereich an. Ein archaisches Basisbild wird durch fötale Wahrnehmung schon vor der Geburt angeregt (Tomatis 1991; Janus 1991). Das Körperleben des Säuglings ist zunächst stark auf das Körperinnere ausgerichtet. Vor allem die Ausprägung bzw. die Verweigerung des Blickkontaktes in den ersten Lebenswochen schweint ein wesentlicher Indikator für die Sicherheit der Bindung zu sein und läßt genaue Voraussagen über Störungen der psychophysiologischen Organisation, Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensprobleme bis zum sechsten Lebensjahr zu (Keller und Zeche 1991).

Beobachtungen zum frühkindlichen Autismus zu Psychosen und multibler Persönlichkeitsstörungen legen nahe, daß die Entwicklung der personalen Identität und eines sicheren Realitätsbezugs von Anfang an durch ein ungestörtes und kontinuierliches Körpererleben geschützt wird. Körpertherapeutische Beobachtungen zeigen, daß frühe Traumatisierungen vor allem die Integration und Koordination sensorischer Funktionen und die Hirnbasis blockieren und damit die Fundamente der Ich-Entwicklung stören. Der Neuropsychiater Frederico Navarro (1986) bringt die Blockierung des sogenannten Augensegments in Zusammenhang mit Störungen der psychoaffektiven Entwicklung, die psychotische Krisen in der Pubertät auslösen können.

Mit seinen genauen Untersuchungen zur motorischen Koordination hat Jean Piaget (1979) gezeigt, wie sich Hand in Hand mit der Orientierung am eigenen Körper die Umwelterfahrung des Kindes organisiert. Am Ende des siebten Lebensjahres stabilisiert sich die am eigenen Körper orientierte Wahrnehmung, die Dimensionen vorn-hinten, oben-unten, rechts-links sind vertraut. Erst um das zwölfte Lebensjahr kann das Kind diesen egozentrischen Standpunkt endgültig verlassen, den Körper als Bezugspunkt aufgeben und sich auch vom Standpunkt eines anderen aus räumlichen verstehen.

Elisabeth Koppitz (1972) untersuchte Zeichnungen der menschlichen Gestalt von 1856 Kindern im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren. Sie stellte fest, daß die Zeichnung der menschlichen Figur das Entwicklungsalter spiegelt und darüber hinaus Mitteilungen über das seelische Erleben enthält. Die psychologischen Aspekte der Darstellung waren unabhängig vom zeichnerischen Talent und dem vorgegebenen Material (Bleistift oder dickere Farbstifte). Anhand von dreißig Merkmalen der Körperdarstellung kam Koppitz zu genauen Aussagen darüber, welche Darstellungsmerkmale in einer jeweiligen Altersstufe von normal intelligenten und emotional nicht gestörten Kindern erwarten werden können.
Koppitz überprüfte die Bedeutsamkeit dieser Bildmerkmale an normalen wie auch emotional belasteten und verhaltensauffälligen Kindern. Sie kam zu dem Ergebnis, daß schüchterne, bedrückte, hilflose Kinder dazu neigen, winzige Gestalten zu zeichnen; sie stellen häufig Mund, Nase, Augen und Hände nicht dar. Aggressive Kinder hingegen zeichnen oft groß Figuren mit betont langen Armen und großen Händen und stellen Zähne dar. In Zeichnungen von Kindern mit psychosomatischen Störungen fand Koppitz häufig Schattierungen des Gesichts oder verschiedener Körperteile sowie nicht in das Gesamtbild integrierte Körperteile, ferner kurze Arme, fehlende Hände, „zusammengepreßte“ Beine (die auf traumatische sexuelle Erfahrungen hindeuten können) und fehlende Füße.

In einer Längsschnittuntersuchung, bei der man die Teilnehmer bat, sich selbst zu zeichnen (Faterson & Wittkin 1970, zitiert nachKiener 1973), wurde die Entwicklung des Körperbildes von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter beobachtet. Die Zeichnungen wurden danach bewertet, wie wirklichkeitsgetreu sie waren und ob sie Geschlecht, Alter und andere Einzelheiten (wie den Gesichtsausdruck) wiedergaben. Die Ergebnisse zeigten, daß die Differenzierung des Körperbildes vom achten bis zum vierzehnten Lebensjahr steil ansteigt sich danach jedoch nur noch schwach verändert. Dabei zeigten alle Teilnehmer eine individuelle Stabilität in der Differenziertheit ihres Körperbildes. Mädchen malten in allen Altersstufen differenzierter als Jungen.

Reimar du Bois (1990) untersuchte die Entwicklung des Körpererlebens in der Pubertät und im Jugendalter. Er führte mit je fünfzig gesunden und schizophrenen Jugendlichen ausführliche Gespräche zu ihrer Körperempfindung, -anschauung und -besorgnis. Er stellte fest, daß sich das Körpererleben mit dem Gestaltwandel in der Pubertät, der Veränderung des gesamten Erlebenishorizontes und der sozialen Rolle zunächst stark intensiviert. Mit der Intensivierung von Körperempfindungen steigert sich auch die emotionale Erlebnisfähigkeit; sie erreicht in dieser Zeit einen Höhepunkt und eine neue Qualität. Es entsteht ein neuartiges Bewußtsein der eigenen unverwechselbaren personalen Existenz, aber auch der Einsamkeit und der seelisch-körperlichen Verletzlichkeit. Die Auseinandersetzung mit philosophischen Lebenskonzepten und mit der eigenen Sterblichkeit ist ein wichtiges Thema dieser Entwicklungsphase.

Starke Gefühle der Destabilisierung, das Empfinden, existentiell ausgeliefert und durch eine zu schwache Körpergrenze ungeschützt zu sein, brachten vor allem die schizophrenen Jugendlichen zum Ausdruck. Sie hatten zudem meist große Schwierigkeiten, ihre Erfahrungen verbal auszudrücken. Ihr Erleben machte auch deutlich, daß ein sicherer Realitätsbezug ohne sicheren Bezug zum eigenen Körper nicht möglich ist. Das Körperbild der schizophrenen Jugendlichen war im Vergleich zu dem der Gesunden wesentlich kindlicher, zeigt Verzerrungen, die von Gefühlen des Ich-Verlustes begleitet waren. Die Körperempfindungen der schizophrenen Jugendlichen waren oft bizarr und realitätsfern. Gefühle der Verwirrung und Schutzlosigkeit versuchten sie zum Teil durch Starre zu kontrollieren. Wenn ein akuter schizophrener Schub überwunden war, wurden weite Teile des Körperempfindens aus der bewußten Wahrnehmung ausgeschlossen. Die Untersuchung zeigte auch: Am Ende der Pubertät verblaßt das spontane und intensive Körpererleben. Die äußere Anschauung des Körpers tritt in den Vordergrund und führt zu einer stark außengeleiteten Orientierung und Bewertung des eigenen Körpers.

Untersuchungen zum Körpererleben Erwachsener machen deutlich, daß das Ausmaß an Selbstsicherheit und Zufriedenheit, das ein Mensch empfindet, in signifikantem Zusammenhang mit der Wahrnehmung, dem Erleben des Körpers und der Zufriedenheit mit ihm steht.

 

Zusammenfassung:

Das Körperbild eines Menschen enthält entwicklungsgeschichtlich sowie kulturell und geschlechtsspezifisch vermittelte Erfahrungen mit dem Körper. Zugleich sind diese Erfahrungen mit der persönlichen Lebensgeschichte verbunden, mit ganz spezifischen Gefühlen und Wertungen. Und so ist das Körperbild als komplexes inneres Erfahrungsmuster auch Grundlage des Selbstbildes, des Lebensgefühls und des Kontaktes zur Realität. Die körperbezogenen Erfahrungen werden mittels des Körperbildes in einer spezifischen Art organisiert, die bestimmt, wie ein Mensch seinen Körper erlebt, welche Verbindung er zu ihm hat und wie er mit ihm, mit sich und anderen umgeht.

Bei überfordernden Bedrohungen im Zusammenhang mit Gefühlen von Angst und Wut oder Hilfs- und Hoffnungslosigkeit können sich Körperstrukturen übertrieben verfestigen oder auch auflösen und erschöpft in sich zusammensinken. Die Kontrolle, Unterdrückung und Abspaltung von Körperempfindungen und Gefühlsreaktionen ist für Kinder oft die einzige Möglichkeit, Schmerz, Gewalt, Vernachlässigung zu überleben. Wiederholen sich traumatische Erfahrungen, dauern sie lange an oder werden emotionale Äußerungen ständig abgewiesen, kann die Abspaltung der Eigenwahrnehmung chronisch werden.

Was somit als Persönlichkeit empfunden wird, ist ein erlerntes Muster seelischer Haltung das sich mit der Körperstruktur verfestigt. Der Körpertherapeut Stanley Kelman (1992), zeigt typisierte Zusammenhänge einer Körper- und Persönlichkeitsstruktur, die er „rigide“ nennt. Sie entwickelt sich als Antwort auf ein Familienklima, in dem das Kind für bestimmte Bedürfnisse kämpfen muß und in dem der Ausdruck von Empfindsamkeit undZärtlichkeit gehemmt ist. Eine solche Familie wird zwar die grundlegende emotionale Unterstützung geben, die Eltern lassen das Kind nicht im Stich und mißbrauchen es nicht. Sie erwarten jedoch von ihm in bestimmten Situationen, daß es seine Lebensimpulse begrenzt. So erlebt es zum Beispiel, daß sein Verlangen nach Nähe und der Ausdruck von Einsamkeit, Traurigkeit und Weinen unerwünscht oder gefährlich sind. Es entwicklet eine grundlegende Fähigkeit, sich durchzusetzen, lernt jedoch, spezifische Erregungsimpulse zu kontrollieren. Mit der Anpassung an die Erwartungen und mit der dauerhaften Kontrolle bestimmter Bedürfnisse verliert es an Flexibilität; das Spektrum seiner Verhaltensmöglichkeiten und seines Gefühlsausdrucks reduziert sich. In dieser Haltung versteift sich der Mensch gegen Bedürfnisse, die er von innen spürt, und kontrolliert Gefühle der Einsamkeit und Schwäche, indem er sich vergrößert und andere klein erscheinen läßt. In der Fixierung dieser dominanten Haltung erwirbt er die Illusion von Unabhängigkeit und Selbstbehauptung. Mit seiner Haltung vermittelt er der Welt Botschaften wie „Ich sage dir, was du tun sollst“, „Ich bin größer als du“, „Gib mir Beachtung und Anerkennung“ oder weist Forderungen trotzig zurück: „Ich will nicht.“ Er versteift sich gegen Empfindungen von Einsamkeit und Angst und zugleich gegen die große Sehnsucht, innerlich berührt zu werden, angenommen und geliebt zu sein. Situationen unmittelbarer mitmenschlicher Nähe erlebt er als gefährlich, denn in ihnen besteht das Risiko, Unvertrautes zu erleben, innerlich angerührt zu werden und sich im Weinen zu lösen, das heißt sich klein und hilflos zu fühlen.

Die Beziehung, die wir zu unserem Körper haben, ist untrennbar mit unsere Beziehung zu uns selbst und unserer Umwelt verbunden. Sie ist lebensgeschichtlich gewachsen, für uns selbstverständlich und nur schwer in Worte zu fassen. Indem man lernt, den eigenen Körper bewußt zu spüren, können eingefleischte Widerstandsmuster und eingeschnürte Bedürfnisse wieder zugänglich werden. Es ist möglich, mit Hilfe der bewußten Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit die lebensgeschichtlichen Wurzeln der eigenen Struktur zu erkunden. Daraus kann eine neue Orientierung und Erweiterung der Lebensperspektive erwachsen.

Bei allen neurotischen, psychosomatischen und psychotischen Störungen ist es wichtig, die Entfremdung zum Körpererleben zu überwinden. Man muß sich jedoch klar darüber sein, daß dabei kindliche Erlebnisprozesse und belastende Erfahrungen berührt werden.

Im Kontakt mit dem Körperbild

Frau Frauke Teegen bietet Innenweltreisen als Übung an und nennt sie „Reise durch den Körper.“ Die Übung hat oft eine angenehme entspannende Wirkung, doch dies ist nicht ihr wesentliches Ziel. Sie richtet vielmehr die Eigenwahrnehmung auf körperliche Prozesse, auf das Zusammenspiel von Soma und Psyche und erlaubt relativ angstfrei die Erkundung ganz persönlicher Bedeutungsmuster. Mit dem Schließen der Augen, der Hinwendung zum inneren Spüren und „Sehen“ lockern viele Menschen ihre Kontrollhaltung gegenüber Umweltreizen und fühlen daher Entspannung, sie sind „mehr bei sich“. Ein erster Hinweis auf diese Übung findet sich in einer alten indischen Schrift, die etwa fünftausend Jahre alt ist. Das „Vigyana Bhairata Tantra“ enthält 112 Anleitungen zur Imagination und Meditation. „Schließ die Augen und nimm Dich von innen genau wahr. Erkenne so deine wahre Natur“, heißt es in dem alten Text.

Die Übung erleichtert den Wechsel der Wahrnehmungsperspek-tive mit dem Fühlen und Sehen von innen wird die psychosomatische Struktur zugänglich, wir berühren das Körperbild und können die mit ihm verbundenen Empfindungen und Lebenserfahrungen erfassen. Mit der nach innen geführten Wahrnehmung kann man spüren, welche Körperbereiche verletzt und abgetrennt sind von der eigenen Struktur, man kann solche Abspaltungen aufklären und verletzten Bereichen Energie zuführen. Im allgemeinen erkennt man zunächst nicht die „wahre Natur“, sondern Widerstandsmuster die uns von ihr trennen.

Vielen Menschen sind die unterschiedlichen Erlebnisebenen zwischen Schlafen und Wachsein nicht vertraut. Manche Teilnehmer überhören einige Schritte der Anleitung und nehmen so mit einigen Körperbereichen keinen Kontakt auf. Andere beginnen sich bei der Erwähnung bestimmter Körperbereiche zu bewegen oder ihren Atem zu vermindern. Durch solche Reaktionen werden meist unangenehme Körperempfindungen und damit verbundene Gefühle und Erinnerungen an Lebensbelastung vermieden. Anschließend malen alle Teilnehmer ihre ganz unterschiedlichen, individuellen Erfahrungen. In ihnen zeigen sich ganz bestimmte Gefühls- und Lebensmuster in denen sie verhaftet sind. Über diese Bilder wird anschließend gesprochen und somit der Kontakt sowohl zu den Lebensbelastungen und den Ängsten wie auch zu Empathie, Kreativität und Selbstwertgefühl aktiviert - Empfindungen, die meist lange unter Verschluß gehalten wurden.

Folgende Abbildung zeigt die Darstellung einer neunzehn jährigen Frau, die seit zwei Jahren nach der Scheidung der Eltern an einer schweren bulimischen Eßstörung litt. Sie erlebte täglich bis zu zwölf Heißhungerattaken und erbrach bis zu sechs Mal. Psychologische Tests ergaben, daß sie ihre Wahrnehmung überstark - hypochondrisch - auf Körpervorgänge richtete und in ihrem emotionalen Ausdruck gehemmt war. Bei der Übung spürte sie sich „in meinen Bauch“ und malte sich als kleine, gelbe, embryonenhafte Form. Das kleine Wesen wird an vielfältigen Impulsen vor allem an Kopf und Bauch getroffen. Das Bild zeigt, wie klein und schutzlos sich die junge Frau fühlt. Sie müßte die emotionale Bedeutung ihrer Körperempfingen im Kontext ihrer Lebensgeschichte erkunden. Die Angaben der jungen Frau zu Belastungen in der Kindheit, legen die Vermutung nahe, daß sie sexuell ausgebeutet und in der Entwicklung ihrer Körper-Ich-Grenze verletzt wurde.

Nebenstehende Abbildung zeigt das Bild einer zweiundfünfzigjährigen Frau, die an Brustkrebs erkrankt war. Die Gestalt wirkt sehr kindlich. Sie ist nur im Umriß, klein und unscheinbar in die rechte untere Bildecke gemalt. Ihre wichtigste Erfahrung bei der Übung war: „Ich fühlte mich klein und sehr unsicher.“ Die Bildaussage wurde durch psychologische Testdaten bestätigt. Sie zeigten, daß es für diese Frau wichtig ist ihre gefühlsmäßige Zurückhaltung, vor allem die Abwehr aggressiver Impulse, zu erkennen und ihre Bedürfnisse in alltäglichen Situationen stärker zum Ausdruck zu bringen. Die Stellung der Person im unteren rechten Bildrahmen läßt vermuten, daß sich die scheue Zurückhaltung in der Beziehung zur Mutter entwickelte.

Reine Umrißzeichnungen deuten einen Mangel an Vitalität an und eine Unfähigkeit sich selbst zu spüren. Sie stammen häufig von schwerkranken Menschen. Jolande Jacobi (1985) weißt daraufhin, daß sehr sparsame Darstellungen, die nur Konturen zeigen, auf ein „Nichtgebenkönnen“, „Nichtgebenwollen“ hindeuten, auf eine „Angst, die den Einsatz fürchtet“ und sich auf ein „Minimum an Hingabe und Festlegung“ beschränken möchte.

Mit der gemalten Körpergrenze stellt ein Mensch dar, inwieweit er sich von der Umwelt abgrenzen und unterscheiden kann. Unterbrochene, gestrichelte Grenzzeichnungen finden sich häufig in den Bildern kranker Menschen. Sie zeigen genau, welche Körperbereiche mit Angst, Unsicherheit und Unzulänglichkeit verbunden sind. Solche Bilder bringen eine empfundene Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit zum Ausdruck und zeigen dem Malenden, daß er lernen muß, sich besser abzugrenzen, zu wehren, zu behaupten.

Folgende Abbildung zeigt das Körpererleben einer dreiundzwanzigjährigen Frau. Die Figur ist von einem grau-schwarzen Hintergrund umgeben und nur durch eine zarte gelbe Umrißliniegeschützt. Die Dunkelheit des Hintergrundes, die sie als Atmosphäre von Angst und Bedrängnis fühlte, scheint in Füße, Beine, Hände und die Brust eingeflossen zu sein. Den Unterleib, der durch die linke Hand geschützt wird, spürte sie warm, das Rot setzt sich in Hals und Kopf fort. Die junge Frau leidet seit ihrer Kindheit an Neurodermitis und Asthma. Sie hat große Schwierigkeiten, ihre Gefühle - vor allem aggressive Impulse - wahrzunehmen und auszudrücken, und ist unfähig, Konflikte im Alltag auszutragen. Sie hat ein starkes Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit und noch keine Eigenständigkeit gegenüber Bezugspersonen gefunden.

Bei kranken Menschen tritt häufig der akut erkrankte oder schmerzende Körperbereich ganz in den Vordergrund der Aufmerksamkeit und wird auch im Bild besonders hervorgehoben, während sie andere Körperbereiche und gesunde Funktionen weniger klar spüren und auch in der Darstel-lung „vergessen“. Die fehlenden Körperbereiche geben oftmals einen Hinweis darauf, was ein Mensch dringend benötigt, um sein Wohlbefinden, seine Lebendigkeit und Handlungsfähigkeit zu stärken.

Längsschnittuntersuchungen zur Entwicklung von Körperzeichnungen zeigten, daß sich die Körperwahrnehmung nach dem vierzehnten Lebensjahr im allgemeinen nicht mehr bedeutend differenziert. Danach kann man vermuten, daß Menschen unserer Kultur Lebenserfahrungen, die sie nach der Geschlechtsreife machen, oftmals nicht in ihr Körperbild integrieren, so daß gemalte Körperbilder jünger wirken als die reale Person. Diese Vermutung bestätigte sich bei sehr vielen Bildern, die ich gesehen habe. Swantje Ohl (1988) fand, daß nur 7 der 63 von Erwachsenen gemalten Bilder auch erwachsene Menschen darstellten. Im Mittel zeigten die Bilder etwa achtjährige Personen, gaben also eine vorpubertäre, kindliche Entwicklungsphase wieder - dabei unterschieden sich Frauen und Männer nicht. Das mit dem Körperbild angedeutete Alter gibt jedoch oft einen Hinweis darauf, wann jemand schwierige und traumatische Erfahrungen durchlebt hat, die noch nicht verarbeitet und integriert werden konnten. Solche konflikthaften Lebenserfahrungen kann man anhand der Bilder erkunden - vor allem, wenn der Betrachter sich in das Bild hineinversetzt und einmal zu spüren versucht, wie sich der dargestellte Mensch fühlen mag, wie es ihm geht, was er braucht. Wenn man sich dem eigenen Körperbild zuwendet, spürt man oft, wie sich damit ein jüngeres Selbstbild - zunächst oft scheu und vorsichtig - zeigt. Das Kind, das wir einst waren und das noch heute in uns lebt, rührt auch elterliche Impulse an: das Bedürfnis, es zu verstehen, zu beschützen, zu ermutigen, zu stärken.

Disharmonien in der Körperwahrnehmung sind immer mit persönlichen Lebenserfahrungen verbunden. Disharmonien zwischen der rechten und der linken Körperseite werden besonders häufig empfunden und dargestellt. Viele Teilnehmer berichten auch, daß immer wieder dieselbe Körperseite von Spannung, Schmerz, Erkrankungen oder auch Verletzungen (bei Unfällen) betroffen ist. Häufig können sie diese Körperseite weniger gut spüren, oder sie wirkt kleiner, kühler, unvitaler, leer. Manche Menschen haben auch den Eindruck, daß ihre beiden Körperseiten völlig verschieden sind und zwei Seiten ihrer Persönlichkeit darstellen. Brigitte Matz (1990) beobachtete, daß in den Körperbildern von fünfzehn an Brustkrebs erkrankten Frauen jeweils die gesamt Körperseite, an der sich der Tumor entwickelt hatte, disharmonisch wirkte. Auf dieser Seite war die Schulter besonders verspannt oder hochgezogen, waren Arm und Bein dünner oder verkürzt gemalt.

Die rechte Körperseite ist sensorisch und motorisch mit der linken Großhirnhemisphäre verbunden, die Informationen über die Realität eher analytisch, sequentiell, logisch und linear auf schlüsselt. Die linke Körperseite dagegen steht mit der rechten Hemispäre in Verbindung, die Informationen über die Realität eher ganzheitlich, bildhaft und intuitiv-emotional auswertet. Menschen, deren rechte Körperhälfte kräftiger entwickelt oder in der Eigenwahrnehmung stärker repräsentiert und spürbar ist, bevorzugen oft eine von Logik, Vernunft und Aktivität bestimmte Einstellung und Handlungsweise, während bei Menschen, deren linke Körperhälfte stärker entwickelt oder in der Eigenwahrnehmung stärker repräsentiert und spürbar ist, stimmte Einstellung und Handlungsweise, während bei Menschen, deren linke Körperhälfte stärker entwickelt oder in der Wahrnehmung repräsentiert ist, oft gefühlsmäßig-intuitive und passiv-empfängliche Haltungen betont sind.

Die Abbildung zeigt das Bild einer neunundzwanzigjährigen Frau. Körpers wird durch den aufgesetzten Kopf in Schach gehalten und durch Gedanken gehemmt und kontrolliert. Sie explodiert im Bauch. Hände und Füße sind abgeschnitten. Der in den Gliedmaßen dargestellte Energiestrom findet keine Ausdrucksmöglichkeit und strebt ins Leere. Die Frau kontrolliert ihre Gefühle stark, vor allem den Ausdruck aggressiver und sexueller Triebkräfte. Sie malt ihren Körper vor einem grünen Hinter-grund. Mit dieser Farbe drückt sie die Hoffnung aus, «daß es vielleicht irgendwann möglich sein wird, mehr von meinen Gefühlen herauszulassen». Mit ihrem Bild macht sie deutlich, daß sie dazu ihre Vitalität annehmen, ihre kognitive Kontrolle lockern und ihre Handlungsfähigkeit und Standfestigkeit stärken muß.

Die Abbildung zeigt das Körperbild einer an Brustkrebs erkrankten einundfünfzigjährigen Frau. Es ist sorgfältig und in sensiblem Kontakt mit der Körperwahrnehmung gemalt. Die Verzerrungen im Oberkörper bilden Verletzungen ihres Körper-erlebens sehr genau ab. Im Zusammenhang mitdem Tumor in der

 

Der aufgesetzte Kopf kontrolliert vitale Energie

linken Brust und seiner operativen Entfernung empfand die Malerin starkeSpannungen in Brust, Schultern und Armen. Der linke Brustbereich fühlte sich kalt an (türkis ausgemalt), und die Verbindung zu Armen, Hals und Kopf sowie deren Proprtionen hat sich als verzerrt erlebt.

Die folgende Abbildung zeigt das Körpergefühl einer neunundzwanzigjährigen Frau, die als Kind jahrelang von ihrem Onkel sexuell mißbraucht worden ist. Wie viele Opfer sexueller Gewalt hat sie ihre Erfahrung lange schweigend ertragen und sich selbst dafür die Schuld gegeben. Obwohl es ihr schwerfiel, mit ihrem Körper Kontakt aufzunehmen, stellt sie ihre Wahrnehmungen mutig und ausdrucksstark dar. Sie kann ihren Körper nur teilweise spüren und nimmt ihn eher von außen - wie durch eine Wand - wahr. Nur die Augen sind lebendig (und farbig - türkis - gemalt). Sie drücken Hilflosigkeit, Angst, „unendliche Traurigkeit“ aus und die Sehnsucht, verstanden zu werden. Mit den schwarzen Schraffierungen deutet die Frau schmerzhafte Spannungsmuster an, mit denen sie Gefühle ohnmächtiger Wut zurückhält. Die Aggressionen, die sie gegenüber dem Täter nicht ausdrücken konnte und auch heute noch verschweigt und zurückhält, wenden sich - als verletzende (Selbstmord-) Gedanken, Migräne, Haareausreißen - gegen das eigene Selbst, den eigenen Körper. Der Genitalbereich schützt sich mit verstärkter Behaarung, die Brüste machen sich durch Erschlaffung unattraktiv. Die Füße sind nicht spürbar, es fehlt an festem Halt und Standfestigkeit. „Ich habe Haß auf meinen Körper“, schreibt die Frau.

Mit ihrem Bild zeigt sie stellvertretend für viele Betroffene, wie schwerwiegend ein Kind durch sexuellen Mißbrauch verletzt wird und wie tiefgreifend sich eine solche Grenzverletzung auf die Entwicklung des Selbstwert- und Körpergefühls auswirkt. Das Bild und die geschilderten Empfindungen verdeutlichen jedoch auch, wie wichtig es ist, sich die körperliche Eigenwahr-nehmung wieder anzueigenen, um zu erkennen, daß man sich immer noch mit kindlichen Widerstands-mustern schützt, auch wenn die akute Bedrohung nicht mehr vorhanden ist.

Die Schwere und Art der entwickelten Körper- und Verhaltensstörung entspricht im allgemeinen der Schwere des erlittenen Traumas und betrifft körperliche, seelische, geistige und soziale Erlebnisdimensionen wie auch ihr Zusammenspiel. Schwere Eßstörungen, zum Beispiel Magersucht, gehören zu den das Leben gefährdenden Erkrankungen. Sie werden meist von Mädchen mit Beginn der Geschlechtsreife und häufig im Zusammen-hang mit einmaligem oder auch langjährigen sexuellen Mißbrauch entwickelt. Die Heilung der erlebten körperlichen und seelisch-geistigen Grenzver-letzung, des Identitäts- und Selbstgefühls ist immer ein langwieriger Prozeß. „Ich lebe mit diesem Holzkörper, wie so eine Marionette, aber ohne Fäden. Total starr. Eine gut funktionierende Puppe. Ich mußte den Erwartungen entsprechen. Ich mußte mich schützen, daß ich das bißchen Leben noch behalte. Ich bin das nicht selbst. Ich habe keinen Bezug zu mir.“ Die Symptome dauerten bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr an; sie verminderten sich allmählich während einer Psychotherapie.

 

Körperliche Abwehr und seelisches Erleben

In den letzten Jahren hat sich unser Wissen über Arbeitsweise und Bedeutung des Immunsystems und über den Zusammenhang zwischen neuronalen, immunologischen, hormonellen und emotionalen Prozessen sehr erweitert. Wir wissen heute, daß das Immunsystem, das unsere körperliche Identität und unser Überleben sichert, nicht isoliert arbeitet. Es steht vielmehr in einem ständigen Informationsaustausch mit dem Gehirn und ist über ein chemisches Kommunikationsnetz mit allen organismischen Funktionen verbunden. Über diese Verbindungen reagiert das Immunsystem auch auf psychosoziale Belastungen und seelische Erfahrungen. Neuere Forschungen zeigen, daß das Immunsystem nicht nur hochdifferenziert ist, sondern auch über eine Erinnerungs- und Lernfähigkeit verfügt. Cadace Pert (1991), eine führende Expertin auf dem Gebiet der Neurobiologie, schlägt sogar vor, das

 

Immunsystem als eine Art Sinnesorgan zu betrachten, das sich in Gestalt der Immunzellen frei im Körper bewegt. Aus einigen Untersuchungen geht auch hervor, daß die Immunität durch Entspannung und Imaginiation angesprochen und modifiziert werden kann. Damit ein Immunsystem effektiv funktioniert, muß eine große Zahl verschiedener Zellen, Moleküle und Signalstoffe in einer fein abgestimmten Art und Weise zusammenwirken. Bei körperlich-seelischen Schwächezuständen versagt diese Regulation, so daß unreife, intolerante Immunzellen in die Blutbahngelangen, die nicht angemessen zwischen körpereigen und körperfremd unterscheiden können.

Körperbild während und nach Überwindung einer schweren Eßstörung

T-Helferzellen sind bersonders gut trainierte Immunzellen. Sie haben eine übergeordnete Funktion bei der Erkennung von Krankheitserregern, bei der Aktivierung eines Abwehrkampfes und bei der Anleitung anderer Immunzellen. Sind T-Helferzellen geschwächt oder in ihrer Anzahl reduziert, hat dies erhebliche Folgen für die Abwehrfähigkeit. Ohne angemessene Aktivierung und Anleitung durch Helferzellen wird ein Immunsystem führerlos und „faul“ - ohne auf gezielte Abwehr zu stoßen, können sich Viren, Bakterien, Pilze und Krebszellen im Körper ausbreiten.

Der aktivierenden Tätigkeiten der T-Helferzelle wirkt die T-Hemmzelle entgegen. Die Hemmzelle ist ähnlich gut geschult und achtet darauf, daß das Immunsystem nicht zu aktiv wird. Sie bremst überschießende Immuntätigkeit, die körpereigenes Gewebe schädigen könnte. In einem gesunden Immunsystem ist das Verhältnis von Helfer- und Hemmzellen zwei zu eins. Wird dieses regulative Gleichgewicht gestört, kann es zu einer Lähmung der Abwehrtätigkeit kommen (Überzahl, Überaktivität der Hemmzellen) oder umgekehrt zu einer autoaggressiven Zerstörung körpereigener Gewebezellen (Überzahl, Überaktivität der Helferzellen), wie sie bei verschiedenen Autoimmunerkrank-ungen auftritt.

T-Killerzellen werden bei Bedarf von der Helferzelle aktiviert; sie greifen körperfremde Zellen an, indem sie deren Zellhülle verletzen und sie so zum Platzen bringen. T-Killerzellen sind auch für die Beseitigung virusinfizierter Körperzellen und abnormaler Körperzellen von großer Bedeutung. Grundinformationen zur Immunität werden vor der Geburt durch die Placenta und in der Stillzeit durch die Muttermilch auf das Kind übertragen.

Das Abwehrsystem kann jedoch auch überaktiv reagieren. Dann entwickelt es überschießende, allergische Reaktionen - Juckreiz, Heuschnupfen, Asthma - auf eigentlich harmlose Substanzen oder greift irrtümlich körpereigenes Gewebe an.

Die verschiedenen immunologischen Fehlreaktionen und die damit verbundenen Krankheiten veranschaulicht das folgende Schema:

  Überaktiv, unsinnig Zu schwach
Reaktion auf äußere Reize Allergien (häufige, schwere) Infektionen
Reaktion auf innere Reize Autoimmunerkrankungen Krebs
Störungen des Immunsystems. Nach Borysenko 1987.    

Zwischen dem Zentralnervensystem und dem Immunsystem wurden zahlreiche Wechselwirkungen beobachtet. Zentralnervöse Prozesse können immunologische Reaktionen auf vielfältige Weise beeinflussen, und die Immunantworten wirken auf zentrale Prozesse zurück. Das bedeutet: Emotionen, Kognitionen, Verhaltenstendenzen und Immunreaktionen hängen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Diese Interaktionen werden über das autonome Nervensystem und vor allem über signalgebende Stoffe (Hormone, Neurotransmitter, körpereigene Opiate) übermittelt. Das lymphatische Gewebe wird sowohl sympathisch als auch parasympathisch innerviert. Elektrische Reizungen im Hypothalamus modifizieren die Immunaktivität - bei verstärkter Immuntätigkeit wurden im Hypotbalamus spezifische Aktivierungsmuster beobachtet (Besedovsky 1977).
Immunzellen nehmen biochemische Signale über spezifische Rezeptoren auf und produzieren ihrerseits Signalstoffe, um Informationen weiterzugeben. Sowohl das Zentralnervensystem als auch das Immunsystem sind daher über alle psychophysiologischen Prozesse informiert und tauschen sich darüber aus.

Unter Belastungen - bei Auslösung der Alarmreaktion - werden die immunologischen Prozesse durch Streßhormone moduliert. So kann Adrenalin innerhalb kürzester Zeit einen Anstieg der Killerzellenaktivität bewirken, langfristig kann es die Antikörperproduktion hemmen und - über eine Aktivierung der Hemmzellen - die Immunkraft dämpfen. Noradrenalin aktiviert die Killerzellen und dämpft die Freßzellen. Erhöhte Kortisolwerte dämpfen überschießende Immunreaktionen. Normalisiert sich der Streßhormonspiegel, kehrt auch das Immunsystem zur Homöostase zurück. Dann werden zum Beispiel durch Insulin und Wachstumshormone die T- und B-Zellen gestärkt. Setzt eine Schon- und Rückzugsreaktion unter Angst, Depression und Hilflosigkeit ein, wird die Immunfunktion (über einen weiterhin erhöhten Kortisolspiegel) jedoch weiterhin gedämpft und langfristig geschwächt. Von besonderer Bedeutung für Störungen der Immunfunktion scheinen gelernte Reaktionen auf Belastungen zu sein, die dem Menschen das Gefühl geben, daß sein Handeln sinnlos ist - so daß er sich als Opfer widriger Umstände und ohne aktive Kontrolle erlebt. Viele Störungen der Immunreaktion konnen als erlernt betrachtet werden. Sie wurden - im Kontext komple xer Verhaltensantworten - unter traumatischen Bedingungen erworben und treten auch dann noch auf, wenn die ursprunglich \ erlebte Gefährdung real nicht mehr vorhanden ist. Um sie auszulösen, genügt es, daß ein oder mehrere Situationsmerkmale vorhanden sind, die mit dem traumatischen Erlebnis assoziiert sind und unterschwellige Erinnerungen an die Unfähigkeit zur Kontrolle aversiver Reize wecken.

Ich möchte diese Zusammenhänge am Beispiel einer Katzenallergie verdeutlichen. Eine junge Frau hatte vor einigen Jahren begonnen, in der Gegenwart von Katzen Juckreiz und Atembeschwerden zu entwickeln. Die Beschwerden, die auf einer übermäßigen Immunreaktion beruhen, verschlimmerten sich und traten zum Teil auch auf, wenn sie sich nur vorstellte, einer Katze zu begegnen. Im Rahmen einer Psychotherapie gelang es ihr, den Beginn der allergischen Reaktion aufzuklären: Sie war von einer Reise frühzeitig zurückgekehrt und freute sich darauf, ihren Freund zu überraschen. Sie betrat die gemeinsame Wohnung leise und fand ihn im Schlafzimmer, im Bett mit einer anderen Frau. Obwohl sie heftige Eifersucht, Wut und Haß spürte, schloß sie die Tür wieder und verließ die Wohnung unbemerkt. Sie sprach mit ihrem Freund nicht über das Erlebnis, fühlte sich jedoch von ihm zutiefst betrogen. Ihr Schweigen wurde im Zusammenhang mit sexuellen Mißhandlungen im Kindesalter verständlich. Nach diesem Erlebnis begann die Katzenallergie. Sie mußte ihre Katze die sie sehr liebte weggeben. Erst nachträglich wurde deutlich: Die Katze war ebenfalls im Schlafzimmer gewesen, und jede Begegnung mit dieser und auch anderen Katzen rief unterschwellig heftige Wut, Trauer und Hilflosigkeit, zugleich aber auch die Unterdrückung des Emotionsausdrucks hervor, so daß die junge Frau ihre Gefühle nicht bewußt wahrnehmen und nicht offen für ihre Bedürfnisse eintreten konnte. Mit dem Einblick in die Zusammenhänge nach der Entwicklung offener Gefühls- und Verhaltensreaktionen milderten sich die allergischen Symptome.

Tierexperimente haben gezeigt, daß immunologisch geschwächte Tiere ihre Symptome offenbar wahrnehmen und aktiv nach Möglichkeiten der Selbstmedikation suchen. So besitzen zum Beispiel Nagetiere die Fähigkeit, Assoziationen zwischen einem bestimmten Geschmack und immunologischen Symptomen herzustellen. Mäuse mit einer Autoimmunkrankheit nahmen bereitwillig süße Milchshakes auf, die mit einem Immunsuppressor versetzt waren. Gesunde Mäuse lernten dagegen sehr schnell, dieses Nahrungsmittel zu meiden. Während das beigemengte Medikament die gesunde Immunfunktion schwächt, beruhigt es irritierte und überaktive Immunfunktionen, die das eigene Körpergewebe schädigen. Offensichtlich können Mäuse Veränderungen des immunologischen Gleichgewichts wahrnehmen. Sie meiden Bedingungen, die sie schwächen, und suchen nach Möglichkeiten, die Homöostase zu verbessern. Diese „organismische Weisheit“ beruht auf biochemischen Selbstregulationen (Feedbackschleifen zwischen optischen Reizen, Geschmacksanalysen, neuro- und biochemischen Prozessen), mit dem Tiere zum Beispiel gezielt nach Nahrungsmitteln suchen, die einen bestimmten Mangel im Körper ausgleichen können. Auch Menschen haben solche „Antennen“, die jedoch durch „Ernährungswissen“ oft überdeckt sind: Schon Babies sind in der Lage, die für sie passende Milch auszuwählen. An Rachitis erkrankte Kinder entwickelten eine spontane Vorliebe für den sonst verpönten Lebertran, der ihren Krankheitssymptomen entgegenwirkte.

Psychoneuroimmunologieee

Die Psychoneuroimmunologie befaßt sich mit Zusammenhängen zwischen spezifischen Lebenssituationen, seelischem Befinden, Persönlichkeitsmerkmalen und dem Immunstatus. Die Psychologin Janice Kiecolt-Glaser und der Immunologe Ronald Glaser (1988, 1991) untersuchten Menschen, die verschiedene Belastungen durchlebten, und konnten parallel dazu immunologische Veränderungen bei ihnen nachweisen. So fanden sie eine Abnahme der Killerzellen- und Helferzellenaktivität bei Medizinstudenten während längerer Block-Examina. Von großer Bedeutung für den Immunstatus scheint auch die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen und das Ausmaß sozialer Unterstützung zu sein: Bei Studenten, die sich einsamer fühlten als ihre Kommilitonen, war die Killerzellenaktivität vermindert. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Untersuchungen zum Immunstatus von Menschen, die ihre Partnerschaft als ungünstig erlebten, die sich von ihrem Partner getrennt hatten oder deren Partner gestorben war. Nach Trennungs- und Verlusterfahrungen ist (verbunden mit einer Immunschwäche) das Risiko, an Infektionen oder auch Krebs zu erkranken, erhöht. Für spezifische Phasen der Trauerreaktion und für Depressionen konnten deutliche Schwächungen der Immunfunktion nachgewiesen werden. (Kronfold 88, Schleifer 83) Untersuchungen an Familienangehörigen und Betreuern von Patienten, die an der Alzheimerschen Krankheit litten, zeigten, daß sie sich im Vergleich zu Kontrollpersonen belasteter, depressiver fühlten und ihre Immunfunktionen signifikant schwächer waren. Dies könnte auch auf Betreuer anderer Schwerkranker zutreffen.

Verschiedene Forscher (Locke 1984; Tecoma & Leighton 1985) haben darauf hingewiesen, daß nicht alle Menschen auf Lebensbelastungen mit Störungen der Immunfunktion reagieren. Wichtiger als die objektiven Stressoren scheint die subjektiv-emotionale Bewertung der Situation zu sein: Vor allem das Ausmaß erlebter Feindseligkeit, Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Depression beziehungsweise das Vertrauen, die Belastung bewältigen zu können. So zeigten die Untersuchungen von Locke und seinen Mitarbeitern keine signifikanten Zusammenhänge zwischen objektiv eingeschätzten Belastungswerten und der in verschiedenen Zeitabständen untersuchten Immunfunktion bei Studenten. Als in die Analyse jedoch Persönlichkeitsmerkmale (Depression, Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit) einbezogen wurden, zeigten sich sehr interessante Ergebnisse:

Menschen mit einem höheren Ausmaß an seelischen Störungen waren Lebensveränderungen und Belastungen weniger gut gewachsen und reagierten auch mit einer Verminderung der Immunkompetenz, während psychisch stabile Personen dieselben Belastungen besser bewältigten und zugleich eine höhere Immunkompetenz hatten.

Wichtig für die gesunde Immunität scheint die Erfahrung zu sein, bei Belastungen eine gewisse Kontrolle über die Lebenssituation zu haben. Angst und Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, einer schwierigen Situation nicht entfliehen und sie nicht kontrollieren zu können, beeinträchtigen die Immunfunktion besonders stark. Dies ist vor allem in Tierversuchen gut nachgewiesen. So reagierten Ratten, die aversiven Reizen hilflos ausgeliefert waren, mit einer Verminderung der Killerzellenaktivität. Ratten, die unter Versuchsbedingungen lebten, in denen sie lernten, die aversiven Reize durch ihr Verhalten zu kontrollieren, entwickelten dagegen besonders aktive T-Lymphozyten (Laudenslager & Maier 83).

Zusammenhänge zwischen dem Immunstatus und aktiver beziehungsweise passiver Krankheitsbewältigung wurden bei Krebspatienten beobachtet. Sandra Levy (1984) untersuchte 5 Brustkrebs-Patientinnen eine Woche und drei Monate nach der Brustoperation. Sie kontrollierte jeweils die Aktivität der Killerzellen, die eine besondere Rolle bei der Beseitigung abnormer Zellen spielen. Parallel erhob sie psychologische Testdaten und ermittelte, wie die Frauen sich mit ihrer Krankheit auseinandersetzten. Sie stellte fest, daß die Aktivität der Killerzellen bei denjenigen Frauen besonders verringert war, die passiv und depressiv reagierten. Ähnliche Effekte wurden bei Frauen im Zusammenhang mit depressiver beziehungsweise nichtdepressiver Verarbeitung einer Fehlgeburt beobachtet (Naor 83).

Überraschende Beobachtungen zur selektiven Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen und psychosozialem Streß auf Helfer- und Hemmzellen machten Medizinpsychologen an der Universität Wien (Kropiunigg 1989). Sie untersuchten seelische Haltungen und Immunreaktionen von gesunden Medizinstudenten, die (freiwillig) an einem Selbsterfahrungsseminar teilnahmen. Fünf Tage lang beschäftigten sie sich mit ihrer zukünftigen Rolle als Arzt, setzten sich mit persönlichen Einstellungen und der Wirkung ihrer Person auseinander. Das Seminar stellte einen erheblichen Stressor dar. Die Situation forderte intellektuelle Einsicht und emotionale Offenheit und gab keine Anhaltspunkte für «richtiges» Verhalten vor. Zusätzlich wurden emotionale und psychosomatische Reaktionen der Teilnehmer in den Lernprozeß einbezogen. Sechs Tage vor Beginn des Seminars erfolgte ein psychologischer Test und eine erste Überprüfung des Immunstatus. Am vierten Seminartag (höchstes Belastungsniveau) wurde der Immunstatus erneut kontrolliert. Am Ende des Seminars bewerteten die Teilnehmer ihre Erfahrungen (alle positiv). Drei Wochen später wurde der Immunstatus erneut überprüft.

Bei Teilnehmern mit einem erhöhten Anlehnungsbedürfnis, die Schutz, Zuwendung, Rat, Trost bei anderen suchten oder diese Bedürfnisse durch Hilfsbereitschaft und Aufopferung kompensierten, zeigte sich am vierten Seminartag eine deutliche Verminderung ihrer Helferzellen. Teilnehmer mit ausgeprägtem Leistungsstreben, hoher Disziplin und Wettbewerbsorientierung entwickelten dagegen eine erhöhte Anzahl von Hemmzellen. Beide Reaktionen - die Verminderung der Helferzellen wie der Anstieg der Hemmzellen - bewirken eine Schwächung des Immunstatus. Sowohl die übertriebene soziale Orientierung als auch das selbstbezogene Leistungsstreben reflektieren Aspekte der Selbstunsicherheit. Beide Haltungen können unter sozialem Druck, in Situationen, die keine klare Verhaltensorientierung vorgeben, immunologisch riskant sein.
Drei Wochen nach Ende des Seminars zeigten sich ungünstige Langzeiteffekte für den Immunstatus bei Teilnehmern mit hohem sozialem Anerkennungsbedürfnis, die immer noch stark mit ihren Erlebnissen beschäftigt und um ihren Ruf besorgt waren. Teilnehmer, die im Anschluß ein geringes Geselligkeitsbedürfnis hatten, lieber allein waren, zeigten normale Immunfunktionen. Die Untersuchung macht auch deutlich, daß Selbsterfahrungsgruppen durchaus erhebliche und gefährdende Stressoren darstellen. Nicht immer gelingt es den Leitern, die Teilnehmer zu einer im seelischen und immunologischen Sinne heilsamen Bewältigung ihrer Erfahrungen zu führen.

Es liegen mehrere Untersuchungen vor, die sich mit Interventionen zur Beeinflussung der Immunfunktion befassen. Sie deuten darauf hin, daß Entspannung einen günstigen Einfluß haben kann. Kiecolt-Glaser & Glaser (1988) untersuchten die Killerzellenaktivität bei alten Menschen im Zusammenhang mit (a) sozialem Kontakt und (b) einem Entspannungstraining und verglichen die Effekte mit einer Kontrollgruppe. Die alten Menschen, die einen Monat lang dreimal wöchentlich eine Entspannungsübung durchführten, entwickelten eine deutlich höhere Killerzellenakti-vität, das heißt, sie verbesserten ihren Im munstatus. Soziale Kontakte - Besuche von Studenten führten zwar zu einer Verbesserung der Stimmung, hatten jedoch keinen nachweisbaren Einfluß auf den Immunstatus. Auch bei Medizinstudenten, deren Immunstatus während anstrengender Block-Examina geschwächt war (was nicht auf Mangelernährung beruhte) und die ein regelmäßiges Entspannungstraining praktizierten, konnten positive Effekte beobachtet werden.


Weitere Studien (Peavey et al. 1985; Jasnovski & Kugler 1987) zeigten, daß bei Gesunden, die unter hohem Streß standen, regelmäßige Entspannungsübungen leichte Störungen der Immunfunktion verbesserten und das Vertrauen stärkten die Belastungen bewältigen zu können. Mit anderen Studien gingen Kiecolt-Glaser & Glaser (1988) der Vermutung nach, daß die offene Auseinandersetzung mit belastenden Erfahrungen sich günstig auf das psychophysiologische Befinden auswirkt. Sie regten zwei Studentengruppen an, über einen Zeitraum von sechs Wochen in einem Tagebuch (a) traumatische Erlebnisse, (b) weniger bedeutsame, eher alltägliche Erfahrungen zu notieren. Bei den Studenten, die sich mit traumatischen Erfahrungen beschäftigten, zeigte sich eine positive Aktivierung des Immunstatus; sie benötigten auch weniger medizinische Betreuung. Besonders positive Veränderungen des seelischen, körperlichen und immunologischen Befindens wurden bei Studenten beobachtet, die den Mut hatten, sich mit Belastungen und » Geheimnissen», die sie jahrelang geleugnet hatten, sowohl in ihrem Tagebuch als auch in Gesprächen mit anderen auseinanderzusetzen.
Andere Studien deuten an, daß die Immunfunktion durch Vorstellungsübungen beeinflußt werden kann: Howard Hall (82) gab gesunden Versuchspersonen unter Hypnose verschiedene Bilder zur Stärkung und Aktivierung der T-Zellen vor.

Jüngere Teilnehmer reagierten mit einem deutlichen Anstieg der T-Lymphozytenzahl. John Schneider und seine Mitarbeiter (1983) leiteten gesunde Studenten unter Entspannung zur Imagination spezifischer Freßzellenaktivitäten an. Die Teilnehmer sollten sich vorstellen, wie die Freßzellen die Blutbahn verlassen und Abfallprodukte im Körpergewebe beseitigen. Die Effekte der Imagination wurden durch Blutuntersuchungen vor und nach der Übung überprüft, um festzustellen, ob sich die Anzahl der Freßzellen im Blut der Teilnehmer tatsächlich verringert hatte. Es wurde - auch bei Wiederholungen des Versuchs - ein signifikantes Absinken der Freßzellenanzahl nach der Imagination gemessen.
Eine Studie (Gruber 1988) kontrollierte immunologische und Einstellungsveränderungen von zehn Krebspatienten, die über ein Jahr regelmäßig Imaginationen zum Immunsystem durchführten. Sie stellten sich (nach Simonton) in entspanntem Zustand vor, wie ihre Immunzellen den Krebs beseitigen. Die Patienten - sie litten an verschiedenen metastasierenden Krebsformen - nahmen freiwillig teil; sie führten die Übung zweimal täglich durch und berichteten jede Woche schriftlich über ihre Erfahrungen und ihr Befinden. Einmal im Monat traf sich die Gruppe, die Übung wurde gemeinsam durchgeführt und der Immunstatus kontrolliert. Alle drei Monate wurden die psycholo- gischen Werte erhoben. Nach etwa einem halben Jahr waren deutlich immunologische Effekte nachweisbar. Sie zeigten sich vor allem in einer Verbesserung der Killerzellenaktivität bei der Beseitigung von Tumorzellen. Parallel nahmen Gefühle von Hoffnung und Selbstkontrolle zu.

Forscher an der Yale University leiteten 32 Asthmatiker sechs Wochen lang an, sich die gesunde Funktion ihrer Hemmzellen zu vergegenwärtigen und sich vorzustellen, wie die Hemmzellen histaminabhängige Überreaktionen - die asthmatischen Reaktionen auf spezifische Reize zugrunde liegen - unter Kontrolle bringen. Im Vergleich zu unbehandelten Patienten verbesserte sich die Immunreaktion und die Reaktion der Bronchien auf bestimmte Reize. Zusätzlich beobachteten die Forscher, daß ein offener Umgang mit belastenden Gefühlen die Immunstörung und die Atemfunktion positiv beeinflußte (Polonsky I985). Die psychoimmunologischen Erkenntnisse geben einen Einblick in das differenzierte Zusammenspiel zwischen seelischer und körperlicher Abwehrkraft. Sie zeigen auch, wie wichtig es ist, lebensgeschichtlich geprägte Ängste, Depression und Hilflosigkeit aufzuklären und überwinden zu lernen. Von Bedeutung für die psychosomatische Widerstandskraft scheinen vor allem das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die Wirksamkeit des eigenen Handelns sowie die Überwindung von Passivität und Meidungsverhalten zu sein.

Kognitive Immunologie

Auszüge aus dem Buch Lebensnetz von Fritjof Capra

... Der Geist ist kein Ding, sondern ein Prozeß - der Prozeß der Kognition, der mit dem Prozeß des Lebens gleichzusetzen ist. Das Gehirn ist eine bestimmte Struktur, durch die dieser Prozeß wirkt. Damit ist die Beziehung zwischen Geist und Gehirn eine Beziehung zwischen Prozeß und Struktur.

Das Gehirn ist keineswegs die einzige Struktur, die am Erkenntnisprozeß beteiligt ist. Beim menschlichen Organismus, wie bei den Organismen aller Wirbeltiere, wird das Immunsystem zunehmend als Netzwerk angesehen, das ebenso komplex und verknüpft ist wie das Nervensystem und gleichermaßen wichtige Koordinierungsfunktionen ausübt. Die klassische Immunologie erblickt im Immunsystem ein Verteidigungssystem des Körpers, das nach außen gerichtet sei und oft mit militärischen Metaphern beschrieben wird da ist dann von Heerscharen weißer Blutkörperchen, Generälen, Soldaten usw. die Rede.

Diese Konzeption wird durch neuere Entdeckungen von Francisco Varela und seinen Kollegen an mehreren Pariser Forschungsinstit-uten ernsthaft in Frage gestellt. Ja, einige Forscher glauben inzwischen, daß die klassische Anschauung mit ihren militärischen Metaphern eines der Haupthindernisse für ein vollständigeres Verständnis von Autoimmunkrankheiten wie AIDS sei.

Statt wie das Nervensystem konzentriert und durch anatomische Strukturen miteinander verknüpft zu sein, ist das Immunsystem in der Lymphflüssigkeit verteilt und durchdringt jedes einzelne Gewebe. Seine Komponenten - eine Klasse von Zellen, die man Lymphozyten nennt, volkstümlich weiße Blutkörperchen genannt - bewegen sich sehr rasch und binden sich chemisch aneinander. Die Lymphozyten bilden eine höchst vielfältig zusammengesetzte Gruppe von Zellen. Jeder Zelltyp unterscheidet sich von den anderen durch spezifische molekulare Marker, sogenannte «Antikörper», die aus der Oberfläche herausragen. Der menschliche Körper enthält Milliarden von unterschiedlichen Typen weißer Blutkörperchen, die über eine beeindruckende Fähigkeit verfügen, sich chemisch an jedes molekulare Profil in ihrer Umgebung zu binden.

Nach der traditionellen Immunologie identifizieren die Lymphozyten einen Eindringling, worauf die Antikörper sich an ihn heften und ihn auf diese Weise neutralisieren. Diese Sequenz setzt voraus, daß die weißen Blutkörperchen fremde Molekularprofile erkennen. Bei genauerer Untersuchung stellt sich heraus, daß dies auch irgendeine Form von Lernen und von Gedächtnis voraussetzt. In der klassischen Immunologie werden diese Ausdrücke allerdings rein metaphorisch gebraucht, ohne daß man dabei an irgendwelche tatsächlichen kognitiven Prozesse denkt.

Neuere Forschungen haben ergeben, daß die im Körper zirkulierenden Antikörper sich unter normalen Bedingungen an viele (wenn nicht gar alle) Zelltypen, einschließlich sich selbst, binden. Das gesamte System sieht viel mehr aus wie ein Netzwerk, mehr wie Menschen, die miteinander reden, als wie Soldaten, die nach einem Feind Ausschau halten. Allmählich sehen sich die Immunologen gezwungen, ihre Aufmerk-samkeit von einem Immunsystem auf ein Immunnetzwerk zu verlagern.

Dieser Perspektivenwechsel stellt für die klassische Sichtweise ein großes Problem dar. Denn wenn das Immunsystem ein Netzwerk ist, dessen Komponenten sich aneinander binden, und wenn die Antikörper dazu da sind, alles zu eliminieren, woran sie sich binden, dann müßten wir uns eigentlich alle selbst zerstören. Offensichtlich tun wir dies nicht. Anscheinend ist das Immunsystem in der Lage, zwischen den eigenen Körperzellen und fremden Erregern, zwischen Selbst und Nichtselbst zu unterscheiden. Aber da, nach der klassischen Anschauung, ein Antikörper, der einen fremden Erreger erkennt, sich chemisch an ihn bindet und ihn dadurch neutralisiert, ist es nach wie vor ein Geheimnis, wie das Immunsystem die eigenen Zellen erkennen kann, ohne sie zu neutralisieren, d.h., funktional zu zerstören.

Nach der traditionellen Sichtweise wird sich ein Immunsystem außerdem nur dann entwickeln, wenn äußere Störungen auftreten, auf die es reagieren kann. Kommt es zu keinem Angriff, werden auch keine Antikörper gebildet. Neuere Experimente haben allerdings gezeigt, daß selbst Tiere, die vor Krankheitserregern völlig geschützt sind, dennoch ein ausgewachsenes Immunsystem entwikkein. Aus der neuen Sicht ist dies ganz natürlich, weil die Hauptfunktion des Immunsystems nicht darin besteht, auf Angriffe von außen zu reagieren, sondern sich zu sich selbst in Beziehung zu setzen.

Varela und seine Kollegen meinen, das Immunsystem müsse als ein autonomes, kognitives Netzwerk verstanden werden, das für die «molekulare Identität» des Körpers verantwortlich ist. Indem die Lymphozyten miteinander und mit den anderen Körperzellen in Wechselwirkung treten, regulieren sie beständig die Zahl der Zellen und ihre molekularen Profile. Statt einfach bloß gegen fremde Erreger zu reagieren, besitzt das Immunsystem die wichtige Funktion, das Zell- und Molekülrepertojre des Organismus zu regulieren. Francisco Varela und der Immunologe Antonio Coutinho erklären dies so: «Der gemeinsame Tanz zwischen dem Immunsystem und dem Körper... erlaubt es dem Körper, während seines ganzen Lebens und seiner vielfachen Begeg-nungen eine sich verändernde und elastische Identität zu besitzen.»

Aus der Sicht der Santiago-Theorie resultiert die kognitive Tätigkeit des Immunsystem aus seiner strukturellen Koppelung an seine Umgebung. Wenn fremde Moleküle in den Körper eindringen, stören sic das Immunnetzwerk und lösen dadurch strukturelle Veränderungen aus. Die sich daraus ergebende Reaktion ist nicht die automatische Zerstörung der fremden Moleküle, sondern die Regulierung ihrer Anteile im Zusammenhang mit den anderen regulierenden Aktivitäten des Systems. Die Reaktion fällt demnach unterschiedlich aus und hängt vom gesamten Kontext des Netzwerks ab.

Wenn Immunologen große Mengen eines fremden Erregers in den Körper injizieren, wie dies bei standardisierten Tierexpenmenten geschieht, reagiert das Immunsystem mit der in der klassischen Theorie beschriebenen massiven Abwehr. Dies ist jedoch, wie Varela und Coutinho hervorheben, eine ganz und gar künstliche Laborsituation. In seiner natürlichen Umgebung bekommt ein Tier keine großen Mengen schädlicher Substanzen verabreicht. Die kleinen Mengen, die tatsächlich in seinen Körper eindringen, werden auf natürliche Weise in die laufenden Steuerprozesse seines Immunnetzwerks einbezogen.

Wenn man das Immunsystem als ein kognitives, selbstorganisierendes und selbstregelndes Netzwerk begreift, läßt sich das Rätsel der Unterscheidung von Selbst und Nichtselbst leicht lösen. Es ist einfach nicht erforderlich, daß das Immunsystem zwischen Körperzellen und fremden Erregern unterscheidet, weil beide ein und denselben regulierenden Prozessen unterworfen sind. Wenn die eindringenden fremden Erreger jedoch so massiv auftreten, daß sie sich nicht ins regulierende Netzwerk einbeziehen lassen, wie das zum Beispiel bei Infektionen der Fall ist, lösen sie im Immunsystem spezifische Mechanismen aus, die eine Abwehrreaktion einleiten.

Forschungen haben ergeben, daß diese bekannte Immunreaktion quasi-automatische Mechanismen zur Folge hat, die weitgehend unabhängig von den kognitiven Aktivitäten des Netzwerks sind.Traditionellerweise befaßt sich die Immunologie fast ausschließlich mit einer derartigen «reflexhaften» Immunaktivität. Wollte man sich auf die Untersuchung derartiger Phänomene beschränken, wäre dies das gleiche, als würde sich die Hirnforschung auf das Studium von Reflexen beschränken. Die defensive Immunaktivität ist zwar sehr wichtig, aber aus der neuen Sicht ist dies ein sekundärer Effekt der viel zentraleren kognitiven Aktivität des Immunsystems, nämlich die molekulare Identität des Körpers aufrechtzuerhalten.

Künftige therapeutische Strategien werden wahrscheinlich auf der Annahme beruhen, daß Autoimmunkrankheiten ein Versagen der kognitiven Operation des Immunnetzwerks widerspiegeln und möglicherweise ganz neuartige Techniken erfordern, die das Netzwerk durch eine Steigerung seiner Verknüpftheit stärken. Nach Varelas Meinung wird sich ein komplexes psychosomatisches Verständnis der Gesundheit erst dann entwickeln, wenn wir das Nervensystem und das Immunsystem als zwei kognitive Systeme in ständiger Wechselwirkung verstehen - als zwei «Gehirne», die ständig miteinander im Dialog stehen.

 

Vorstellungsbilder zur Abwehr von Krankheitserregern

Vorstellungsübungen zum Immunsystem dienen der Gesundheitsförderung und der Krankheitsbewältigung. Mit der Bildersprache werden auch subjektive und emotionale Bedeutung, ungünstige Strategien und taktische Fehler bei der Abwehr von Bedrohungen deutlich. Die meisten Menschen haben Freude daran, ihre Bilder mit anderen gemeinsam zu erkunden und Überlegungen zu effektiven und eleganten Strategien anzustellen. Darüber hinaus geben die Bilder einen Einblick in die innere Welt des Malenden und erleichtern Beratungsgespräche über Lebensbelastungen und vertraute Formen der Konfliktbewältigung. Werden solche Gespräche in einer Atmosphäre innerer Ruhe geführt, so inspirieren sie oft eine kreative Entdeckungsfreude und ermutigen dazu, neue Lösungen in der Vorstellung zu erproben. Wird die Imagination weitergeführt, dann wirkt sie als „inneres Rollenspiel“ und sinnvolle Selbsthilfeübung, um mit der seelisch-körperlichen Abwehrkraft Kontakt aufzunehmen und das eigene Potential zu erkunden, zu schulen und zu stärken.

Die Imaginationsanleitung gibt keine konkreten Bilder vor, sie fördert vielmehr die Projektion persönlicher Vorstellungsinhalte im Zusammenhang mit biologischen Regulationsvorgängen. Die individuellen Vorstellungen zur taktischen und strategischen Lösung des Abwehrproblems, der spielerische Ausdruck von Aggression, aber auch die Verschiedenartigkeit der kreativen Gestaltung fazinieren die meisten Menschen. Sehr schnell wird auch deutlich, daß die im Bild dargestellte Bewältigungsstrate-gie persönliche Haltungen widerspiegeln kann, die aus Alltags-konflikten vertraut sind. Imaginationen zum Immunsystem sind nur selten direkt an Vorgaben (zum Beispiel einem Informationsfilm) orientiert. Im allgemeinen finden die Teilnehmer ganz persönliche Bilder. Vorstellungsbilder zum Immun- und Krankheitsgeschehen reflektieren innere Haltungen, die lebensgeschichtlich gewachsen sind. Sie können durch rein intellektuelle und Willensanstrengungen nicht modifiziert werden. Nähert man sich den Bildgehalten jedoch mit empathischem Interesse, so kann man vorbewußte Verhaltensgewohnheiten erkunden und verstehen lernen. Mit dem Begreifen und Benennen der subjektiven und emotionalen Bedeutungen erschließen sich auch neue Möglichkeiten, Bedrohnungen zu bewältigen. Vor allem HIV-infizierte und an Aids erkrankte Teilnehmer hatten den Eindruck, daß die Imagination zum Immunsystem sie bei der Auseinandersetzung mit ihrer Gefährdung unterstützen könnte, und nutzten das Angebot zu Beratungsgesprächen und weiterer Imaginationsanleitung.

Auch für die bildliche Umsetzung der körperlichen Abwehrkraft wurden Zusammenhänge mit psychologischen Testdaten gefunden: Teilnehmer, die sich ihre Immunkraft weniger gut vorstellen konnten, waren in der realitätsgerechten Konfliktlösung und in ihrem Gefühlsausdruck vermindert und neigten dazu, sich selbst zu entmutigen.

Das folgende Beispiel zeigt, wie ein an Aids Erkrankter, der sich körperlich geschwächt und seelisch sehr belastet fühlt, über die Imagination und Beratung Zugang zu Erinnerungen und Glaubenserfahrungen findet, die ihm die Vorbereitung auf denTod erleichtern können.

Herr B. war 51 Jahre alt, als er an der Imagination zum Immunsystem teilnahm. Zwei Jahre vorher hatte er die Diagnose HIV-positiv erhalten. Aufgrund häufiger Symptome, die einige Monate nach der Diagnose auftraten (Fieberschübe, Bronchits, Pilzerkrankungen sowie eine extrem verminderte Zahl von T-Helfern im Verhältnis zu T-Suppressorzellen), wurde er als aidskrank eingestuft. Herr B. hatte zwei Jahre vor seiner Diagnose eine schwere Krise erlebt:

 

Beide Eltern waren an Krebs gestorben, er selbst war medikamentenabhängig, sehr unzufrieden mit seinem Amt als Pastor und voller Scham über seine homosexuelle Orientierung. Er fühlte sich „kaputt und drpressiv“, vor allem auch aufgrund vieler unbefriedigender und enttäuschender Beziehungen (überwiegend in der homosexuellen Subkultur). Nach der Diagnose ließ er sich frühpensionieren. Er engagierte sich kurzfristig in einer HIV-Selbstholfegruppe und begann eine Psychotherapie, die er jedoch bald wieder abbrach. Seine psychologischen Testwerte zeigten, daß Herr B. in dieser schweren Krise unter sehr starkem emotionalem Druck stand, den er kaum kanalisieren konnte.
Abbildung
Dieses Bild entstand in einer Zeit, in der Herr B. sich körperlich geschwächt fühlte und erkannte, daß medizinische Therapien ihm nicht hatten helfen können, einer Zeit, in der er sich mit seinem Tod auseinandersetzen mußte. So zeigt das Bild auch seinen Versuch, Frieden zu finden, und drückt eine Sehnsucht nach Harmonie aus, die Herr B. vielleicht nur im Tod zu finden hoffte. Herr B. gab an, daß er die Imagination zum Immunsystem, die Beratung und vor allem auch das symbolische Bild seiner Helferzelle als Unterstützung erlebte. Er ist zehn Monate nach dem letzten Kontakt gestorben.
Die Abbildung stellt die Imagination eines dreißigjährigen Mannes dar. Sichtbar wird die an einen Science-fiction-Film angelehnte Auseinandersetzung zwischen zwei Robotern. In dieser Vorstellung sind Immunantwort und Fremdkörper einander sehr ähnlich, die Immunkraft ist jedoch bedeutend kleiner. Es stellt sich die Frage: Wie kommt es, daß der Mann die Fähigkeit seines Immunsystems so kalt und technisch erlebt? Wie könnte man das Roboter-Virus effektiver ausschalten? Der Maler dieses Bildes ist HIV-infiziert, und sein Bild veranschaulicht, daß er sich durch die Infektion stark bedroht fühlt und ihr nicht mit differenzierten Bewältigungsstrategien zu begegnen vermag.

 

 

Auch wenn ein Immunschwäche-Syndrom diagnostiziert ist, muß dies nicht mit Notwendigkeit bedeuten, daß der betroffene Mensch dahinsiecht und stirbt. Eine amerikanische Stiftung in Sausalito, die Körper-Seele-Interaktionen erforscht und ungewöhnliche Heilungen dokumentiert (und nur nach sehr strengen Kriterien anerkennt), hat über fünf Heilungen von Aids berichtet: Die Erkrankten waren HIV-positiv und hatten ein Immun-schwäche-Syndrom entwickelt; dann hatten sich die Symptome zurückgebildet, und die Betroffenen waren wieder HIV-negativ geworden (zitiert in Miketta 1991).

Psychoimmunologische Forschungen haben deutlich gemacht, daß das regulative Gleichgewicht zwischen Zentralnerven-, Immun- und Hormonsystem eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit ist und vor allem unter Belastungen gestört wird, die subjektiv als unkontrollierbar empfunden werden. Solche Belastungen und die damit verbundenen Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Depression können im Vorfeld einer HIV-positiv-Diagnose aufgetreten sein und eine Infektion begünstigen. Aber auch die Diagnose selbst, verbunden mit den bisher fehlenden medizinischen Therapieangeboten, stellt ein solches Ereignis dar. Es ist deshalb von großer Bedeutung, wie diese Diagnose verarbeitet wird und ob es gelingt, eine Perspektive zu finden, die Angst und Resignation überwinden hilft und das Vertrauen in die eigene Person und die Bewältigungskraft stärkt.

Niro Markoff Asistent: AIDS siehe auch http://www.computerhealth.org/asistent.htm

 

- Heilung durch Meditation

Aufgrund zahlreicher Krankheitssymptome ließ Niro Asistent Markoff 1985 einen AIDS-Test durchführen. Das Ergebnis war niederschmetternd - sie war HIV-Positiv. Diese Erkenntnis war für sie gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Nachdem sie sich aber von der Resignation befreit hatte, entwickelte sie ihr eigenes Heilungsprogramm. Sie brachte Ordnung in ihr Leben, leitete einen körperlichen Reinigungsprozeß ein und wies negative Einflüsse jeder Art zurück. Darüberhinaus akzeptierte sie, daß sie sterben würde. Sie kämpfte monatelang, bis sie sich innerlich wieder heil fühlte und ging dann erneut zum Test. Das Ergebnis war unglaublich - sie war HIV-Negativ. Aus der gewaltigen Kraft, die Niro Asistent Markoff aus ihrem Selbstheilungsweg schöpfte, verfaßte sie ihr Buch „Das heilende Ja“ und gibt seither Seminare zu diesem Thema.

1992 hielt Niro Asistent Markoff, anläßlich des Züricher AIDS-Kongresses, der unter dem Motto stand „Umdenklen bei AIDS“ einen Vortrag.

Verschiedene amerikanische Untersuchungen zeigen, daß der Verlauf einer HIV-Infektion und Aids-Erkrankung durch seelische Haltungen beeinflußt wird (Antoni et al. 1990; Solomon et al. 1987, ,99'). Bei HIV-Infizierten wurden Zusammenhänge zwischen gutem Immunstatus und geringer Ausprägung von Angst und Depression beobachtet. HIV-Infizierte mit gutem Immunstatus zeigten ein hohes Ausmaß an hardiness (Widerstandskraft), das heißt, sie fühlten sich weniger entfremdet, machtlos und ausgeliefert; sie entwickelten vielmehr Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit ihres Handelns und nahmen Lebensveränderungen als Herausforde-rung an. Sie waren in der Lage, eigene Interessen wahrzunehmen und klar zu verfolgen und unerwünschte Anfragen offen abzuweisen.

Einige Untersuchungen ergaben, daß sich der Immunstatus von HIV-Infizierten bei Trauerprozessen nicht wie bei Gesunden verschlechtert. Aids-Kranke, die eine von den Ärzten prognostizierte Lebensdauer weit überschritten, hatten einen besseren Immunstatus als Patienten, die frühzeitig starben, und zeigten ein höheres Ausmaß an hardiness; Angst und Depression waren bei ihnen weniger ausgeprägt, und sie verhielten sich nicht unangemessen altruistisch in dem Sinne, daß sie anderen halfen, obwohl sie dies eigentlich gar nicht wollten.

Die amerikanischen Psychotherapeuten Christopher Allers und Karen Benjack stellten fest, daß HIV-Infizicrtc überdurchschnittlich häufig in ihrer Kindheit körperlich und scxucll mißhandclt wurden warcn.

Sic wciscn daraufhin, daß typische Folgc-schädcn solcher Mißhandlungen - Alkohol- und Drogenmiß-brauch, Depression, Promiskuität, mangelnde Ich-Stärke, die Unfähigkeit, sich gegenüber Forderungen von Partnern zu behaupten oder auf « safer sex zu bestehen - das Infektionsrisiko signifikant erhöhen (Psychologie heute 6/92). Ute Waschulewski, die (1989) zweihundert Jugendliche zu ihrem Wissen über Aids befragte, fand bei Jugendlichen, die sexuelle Mißhandlungen angaben, ein deutlich geringeres Bewußtsein über Gefährdung und Schutzmaßnahmen.

Eine deutsche Untersuchung (Bliemeister et al. 1992) ergab, daß sich die Bewältigungsstrategien von HIV-Infizierten mit gutem von denen mit kritischem Immunstatus (weniger als vierhundert T4-Helferzellen pro Milliliter Blut) deutlich unterschieden. Infizierte mit gutem Immunstatus verdrängten ihre Infektion nicht, verstrickten sich aber auch nicht in Grübeleien («Warum ich?»). Sie suchten vielmehr aktiv nach krankheitsbezogener Information und nach Bewältigungsmöglichkeiten und gingen davon aus, daß sie ihren Gesundheitszustand selbst mitbeeinflussen können. Sie erlebten ihre sozialen Beziehungen als gut und ihre sexuellen Kontakte als befriedigend. Auch sprachen sie offen mit anderen Menschen über ihre Infektion. Sie suchten nach Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und befanden sich seltener in ärztlicher Behandlung.

 

Vorstellungsbilder zu Autoimmunkrankheiten

Verschiedene schwere Krankheiten - Störungen der Schilddrüsen- oder der Nierenfunktion, Basedow, Morbus Bechterew, Lupus erythematodes, Myasthenie, Multiple Sklerose, Colitis, chronische Polyarthritis, Diabetes Typ 1 und andere - stehen auch im Zusammenhang mit einer Fehlsteuerung der Immunfunktion: Das Immunsystem greift irrtümlich körpereigenes Gewebe an und zerstört es. Wie es zu diesen Fehlregulationen und dem Angriff auf jeweils unterschiedliche Organe kommt, ist ungeklärt, doch wird vermutet, daß solche fehlgeleiteten Aktionen des Immunsystems in Zeiten körperlicher und seelischer Überbelastung einsetzen, zum Beispiel nach schweren Infektionen, Verlusterlebnissen und anderen seelischen und körperlichen Traumen, die nicht bewältigt werden können. Verschiedene Forscher sind zu dem Ergebnis gekommen, daß unter starken Belastungen die Ausreifung und Schulung von Immunzellen (zum Beispiel im Thymus) gestört sind, so daß Immunzellen in die Blutbahn gelangen, die keine ausreichende Selbsttoleranz entwickelt haben. Andere vertreten die Auffassung, daß unter starkem emotionalem Streß die Angriffe auf das eigene Selbst durch Störungen der biologischen Kommunikation zwischen Gehirn und Immunsystem begünstigt werden.

Weiner (`99) weist darauf hin, daß Menschen mit Autoimmunerkrankungen besonders empfindlich auf Verluste und Trennungen reagieren. Er vermutet, daß sie aufgrund frühkindlicher Traumatisierung keine angemessenen Formen der Bewältigung von Trauer erworben haben, so daß sie auch spätere Verluste nicht verarbeiten können. Dies führt bei ihnen langfristig zu Depression, Hoffnungslosigkeit und Störungen der biologischen Selbstregulation.

Es liegt nahe zu vermuten, daß ein Mensch, der sich nicht zielstrebig und aktiv zu behaupten vermag und der in schwierigen Situationen keine Unterstützung und Orientierung erfährt, sein gehemmtes Aggressionspotential auch in einer irritierten und autoaggressiven Abwehrfunktion ausdrücken kann. Die Erforschung von Autoimmunstörungen steht ganz am Anfang, und die betroffenen Patienten sind über immunologische Aspekte ihrer Krankheit meist nicht informiert. Wir wissen daher auch nicht, ob ihnen solche Informationen bei der Bewältigung ihrer Krankheit helfen können.

Benno Hennrich (1988) leitete 26 Patienten mit chronischer Polyarthritis und Ute Krusemark (1989) 25 Patienten mit Multipler Sklerose zur Imagination ihres Krankheitsgeschehens an.

Bei der chronischen Polyarthritis (Gelenkrheuma) handelt es sich um eine lang andauernde Entzündung vieler Gelenke, die von der Gelenkinnenhaut ausgeht, zu deren Wucherung führt und auf Knorpel und Knochen zerstörend übergreift. Die Entzündung wird durch Immunzellen verursacht, die irrtümlich das körpereigene Gewebe angreifen. Die Folgen sind Schwellungen, Bewegungsschmerz, Verformung der Knochen, Beeinträchtigung von Bewegungsabläufen, unter Umständen Invalidität. 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung sind von dieser Krankheit betroffen, Frauen zwei- bis dreimal häufiger als Männer. Die Erkrankung tritt in jedem Alter auf, am meisten jedoch zwischen dem fünfundzwanzigsten und fünfzigsten Lebensjahr und häufiger bei städtischer Bevölkerung und in niedrigeren Bildungs-und Einkommensschichten.

Die Auslösung von Krankheitsschüben kann im Zusammenhang mit schwerwiegenden oder lang andauernden Belastungen und einem Zurückhalten des emotionalen Ausdrucks stehen. Chronische Polyarthritis gilt bis heute als unheilbar, sie läßt sich nur durch sogenannte Basistherapeutika und entzündungshemmende Medikamente sowie operative Eingriffe lindern. Zusätzlich werden physikalische, bewegungs- und orthotherapeutische Maßnahmen eingesetzt, um die Schmerzen zu verringern und die Bewegungsfähigkeit zu erhalten. Manchmal wird den Patienten empfohlen, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen oder psychotherapeutische Hilfe zur emotionalen Stabilisierung und Krankheitsbewältigung zu suchen.

Benno Hennrich leitete 24 Frauen und zwei Männer zur Imagination ihres Krankheitsgeschehens an, die durchschnittlich 46 Jahre alt und seit vierzehn Jahren erkrankt waren. Sie waren überwiegend von massiven Zerstörungen der Gelenkinnenhaut betroffen und hatten meist Operationen hinter sich. Ein Drittel war frühberentet.

Multiple Sklerose (MS) ist ebenfalls eine Autoimmunerkrankung. Das Abwehrsystem greift irrtümlich die Myelinhülle von Nervenfasern an. Die Folgen sind: Störungen der Impulsleitung, Mißempfindungen, Schwäche in den Beinen, Störungen der Bewegungskoordination, der Sinnesfunktionen oder auch der Sprache, unter Umständen Invalidität. 0,05 Prozent der Bevölkerung in nördlichen Breitengraden erkranken an MS, am häufigsten zwischen dem zwanzigsten und dem vierzigsten Lebensjahr; es sind doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen. Auch hier steht die Auslösung von Krankheitsschüben oft im Zusammenhang mit psychischer Überbelastung und einer Zurückhaltung des Aggressionsausdrucks. Die Krankheitssymptome werden mit entzündungshemmenden und immunstabilisierenden Medikamenten behandelt. Auch wird den Patienten empfohlen, ihre Ernährung umzustellen, Überanstrengung, emotionale Belastung und extreme Klimaveränderungen zu meiden und emotionale Unterstützung in Selbsthilfegruppen oder Psychotherapie zu suchen.


Ute Krusemark leitete sechzehn Frauen und neun Männer zur Imagination ihres Krankheitsgeschehens an, die im Mittel vierzig Jahre alt, seit elf Jahren erkrankt und zum größten Teil frühberentet waren. Die begleitenden psychologischen Tests zeigten, daß die Patientinnen und Patienten in beiden Krankheitsgruppen dazu neigten, alltägliche Auseinandersetzungen und den Ausdruck von (vor allem aggressiven) Gefühlen zu vermeiden.

Jeweils zwei Drittel der Teilnehmer setzten sich offen und mutig mit dem Krankheitsgeschehen auseinander. Sie zeigten in ihren Bildern, wie die Immunzellen die Gelenkinnenhaut beziehungsweise die Myelinhülle der Nervenfasern angreifen und zerstören. Sie identifizierten sich oft weitgehend mit diesen aggressiven Impulsen und agierten sie in ihrer Vorstellung zum Teil lustvoll und spielerisch aus. Indem sie sich auf die Wahrnehmung der autoaggressiven Impulse einließen, konnten diese Teilnehmer anschließend auch die zerstörerischen Auswirkungen betrachten und Vorstellungen zu einer gesunden Immunfunktion entwickeln. Ein Drittel der Patienten ließ sich nur sehr begrenzt auf Vorstellungen zu der selbstschädigenden Immunreaktion ein. Sie griffen diese Elemente der Anleitung in ihren Bildern nur im Ansatz, verharmlosend oder gar nicht auf. Diesen Teilnehmern fiel es schwerer, heilungsorientierte Vorstellungen zu finden.

Insgesamt zeigten jüngere Teilnehmer eine größere Bereitschaft, sich auf die Erkundung ihres Krankheitsgeschehens mit Hilfe der Vorstellungsübung einzulassen. Zusätzlich zeigte die Analyse der psychologischen Testdaten, daß diejenigen Patienten, die in ihrem Gefühlsausdruck weniger gehemmt waren, krankheitsbezogene Vorstellungen direkter und offener darstellten. Von krankheitsspezifischer Bedeutung sind möglicherweise die folgenden Beobachtungen: Polyarthritis-Patienten, die in der realitätsgerechten Bearbeitung von Konflikten weniger gestört waren, konnten sich den selbstzerstörerischen Krankheitsprozeß klarer vorstellen. In der Gruppe der MS-Kranken gelang dies den Patienten besser, die weniger Angst vor Selbständigkeit hatten und noch nicht so lange erkrankt waren.

Polyarthritis

Frau K. nahm während der Imagination nicht so sehr Kontakt mit den spezifischen Abwehrzellen auf, sondern eher mit grundlegenden Einstellungen zu ihrer Krankheit. Sie war sechzig Jahre alt und vor vierunddreißig Jahren an Polyarthritis erkrankt. Ihren Beruf als technische Zeichnerin hatte sie aufgeben müssen. Sie war seit dreißig Jahren Rentnerin und befand sich im Endstadium der Krankheitsentwicklung. Ihre Erkrankung, schrieb sie, habe während eines sehr schweren Verlusterlebnisses eingesetzt, bei dessen Verarbeitung ihr niemand zur Seite stand. Sie beobachtete Zusammenhänge zwischen einer Verschlechterung ihres Befindens und seelischen Belastungen (Angst und Kummer) sowie körperlicher Überanstrengung. Frau K. fühlte sich in ihrem alltäglichen Leben durch Schmerzen und motorische Beeinträchtigungen (der Hände, Knie, Füße) stark behindert. Sie hatte aufgrund ihrer Behinderung eine Verlobung gelöst und nie geheiratet, vermißte jedoch eine eigene Familie und Kinder schmerzlich. Sie fühlte sich oft einsam und hatte Angst davor, vollkommen hilflos und pflegebedürftig zu werden. Dennoch hatte sie den Eindruck, den Verlauf der Krankheit durch eine positive seelische Einstellung - indem sie versuchte, sich und anderen Freude zu bereiten - beeinflussen zu können. Frau K. hatte zahlreiche Krankenhausaufenthalte und Kuren hinter sich und wurde mit schmerzlindernden Medikamenten behandelt. Ihre psychologischen Testdaten zeigten, daß sie in ihrem Gefühlsausdruck- vor allem im Ausdruck aggressiver Impulse- stark eingeschränkt war.

Mit dieser Hemmung ihres Gefühlsausdrucks nahm Frau K. während der Imagination Kontakt auf. In sehr zarten und lichten Farben malte sie im oberen Bildraum eine Welle, die sich zum rechten Bildrand hin (zur Realität) einrollt und verknotet. In dem Knoten werden orangefarbene, auf das Innere gerichtete Pfeile sichtbar. Sie stellen Immunzellen dar, die den Gelenkknochen bedrohen. Mit ihrem Bild veranschaulichte Frau K. sowohl die Entzündung

der Gelenkinnenhaut und die Zerstörung des Knochens als auch Empfindungen zu der Krankheit. Sie sagte zu ihrem Bild: «Ich wollte damit die Einflüsse wiedergeben, die auf mich einstürmen, und wie sie sich negativ auf die Knochen werfen und die Gelenke. Eigentlich ist das nicht nur mein Gelenk, das bin ich selbst. In der Welle, die anrollend alles umschließt und verschlingt, wollte ich meine Empfindungen mit der Krankheit ausdrücken. Dieses Knäuel ist etwas, wo man im Grunde nicht wieder rauskommt. Es geht alles nach innen. Das ist auch das Gefühl von meiner Krankheit. Alles, was an mich herangetragen wird, konzentriert sich irgendwo - und wenig kommt nach außen.»
Die Imaginationsübung war Frau K. angenehm, und sie setzte sich anschließend intensiv mit der Frage auseinander: Was müßte geschehen, damit der Krankheitsprozeß nicht weiter fortschreitet? Mit ihrem zweiten Vorstellungsbild erkundete sie vorsichtig, wie die im Knoten verschlossenen Gefühle gelöst werden könnten.

Sie nutzte die Bildfläche diesmal im Querformat (was eine neue Ebene der Beziehung und des Dialogs andeuten kann) und gestaltete (wiederum in eher zarten Farben) eine Bewegung über die gesamte Bildfläche. Die gefühlsmäßige Bewegung implodiert hier nicht mehr in einem Knoten, sondern schwingt weiter zum rechten Bildrand (zur Realität hin). Die Pfeile im Innern des Knotens sind weniger geworden, sie haben ihre Richtung geändert und orientieren sich jetzt nach außen. Frau K. begann zu spüren, daß sie ihren seelischen Druck und vielleicht auch die körperlichen Schmerzen vermindern kann, wenn sie ihre Gefühle nicht mehr zurückhält, anstaut und gegen sich selbst wendet, sondern auszudrücken beginnt. In ihrem zweiten Bild stellte Frau K. eine neue Orientierung dar, die mit Hoffnung und Erleichterung verbunden war. Diese seelische Öffnung könnte sie behutsam weiterführen, indem sie ihre Haltung durch kreatives Gestalten erkundet und sich mit anderen über ihre Gefühle austauscht.

Multiple Sklerose

Die beiden folgenden Vorstellungsbilder wurden von einer zweiunddreißigjährigen Frau gemalt, die ein dreiviertel Jahr zuvor an Multiple Sklerose erkrankt war.
Frau A. hatte keine Berufsausbildung und lebte mit ihrem Mann und einem zwölfjährigen Sohn auf dem Land in der unmittelbaren Nachbarschaft der Eltern. Sie fühlte sich durch die Krankheit nur wenig beeinträchtigt, klagte jedoch über schnelle Ermüdbarkeit, Muskelschwäche und Taubheitsgefühle in Armen und Beinen sowie über eine Störung ihrer Sehfähigkeit. Äußerlich waren bei ihr keine Anzeichen einer Behinderung zu bemerken.
Kurz vor dem Ausbruch der Krankheit starb Frau A`.s Großmutter. Frau A. fand die Tote, was ihr einen «Schock» versetzte, an dem sie «lange zu knabbern» hatte. In den darauffolgenden Monaten häuften sich ernste Krankheitsfälle in ihrer Familie, die Frau A. sowohl emotional als auch durch Pflege und vermehrte Hausarbeit erschöpften. Ein Vierteljahr nach dem ersten Ausbruch der Krankheit erlebte sie einen weiteren Krankheitsschub.

Die psychologischen Testdaten waren unauffällig und zeigten, daß Frau A. sich offen mit ihrer Krankheit auseinandersetzte und aktiv nach Möglichkeiten zur Bewältigung suchte.

Frau A. fühlte sich durch die Anleitung sehr angesprochen und erlebte die Vorstellungsübung als Hilfe, ihre Krankheit zu verstehen und sich eine Beendigung des autoaggressiven Prozesses zu vergegenwärtigen. Sie nutzte ihre Bilder auch, um ihrem Mann zu erklären, was sich in ihrem Körper abspielt. Ein Jahr nach der Erhebung berichtete sie, daß es ihr gutginge. Ein weiterer Krankheitsschub war nicht aufgetreten. Die rasche Ermüdbarkeit und die Muskelschwäche in den Beinen sind geblieben. Sehstörungen traten jedoch nicht mehr auf. Sie konnte eine anstrengende Reise zu Verwandten in Südeuropa ohne Beschwerden genießen. Sie hatte mit Yoga-Übungen begonnen und integrierte die Imagination zum Immunsystem in diese Übungen, die sie fast täglich durchführte.

Diabetes

Unter meiner Anleitung gingen Iris Fowe' (1990) und Inga von Knobelsdorff (1990) der Frage nach, ob diabetische Kinder die mit ihrer Krankheit verbundene Autoimmunstörung verstehen können und ob auch Kinder an einer Imaginationsanleitung interessiert sind und krankheitsbezogene Vorstellungsbilder entwickeln.

Diabetes mellitus Typ l ist eine chronische Energiestoffwechsel-störung. Im Unterschied zum Altersdiabetes, bei dem ein funktionaler Insulinmangel auftritt, kommt es beim Diabetes Typ I zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse durch das Immunsystem.

Ohne medizinische Hilfe stirbt ein Typ-I-Diabetiker. Die Krank-heit kann vom Säuglingsalter an bis etwa zum dreißigsten Lebensjahr ausbrechen: der statistische Gipfel liegt bei acht bis elf Jahren. 0,05 Prozent der Bevölkerung in Westdeutschland sind betroffen. Die Neuerkrankungsrate zeigt eine steigende Tendenz. Diabetiker müssen lebenslang mehrmals täglich Insulin spritzen, einen strengen Diätplan einhalten und tägliche Stoffwechselkontrollen vornehmen.

Einige Untersuchungen zeigen, daß diabetische Kinder vor der Diagnose schwerwiegende Belastungen erlebten (Hermann et al. 1986) und auf emotionalen Streß mit einer rascheren Zuckermobilisation reagieren als gesunde Kontrollpersonen (Achterberg & Lawlis 1984).

Die therapeutischen Maßnahmen stellen hohe Anforderungen an die erkrankten Kinder und ihre Eltern. Ein hohes Maß an Disziplin, Selbstkontrolle und Selbstverantwortlichkeit ist nötig. Diese Eigenschaften setzen eher die Lebensperspektive eines Erwachsenen voraus und stehen altersgemäßen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entgegen:

Sie müssen genau den Blutzucker kontrollieren und die Insulindosis entsprechend anpassen, pünktlich die Essenszeiten einhalten, ordentlich die Stoffwechselkontrollen protokollieren, vernünftige Einschränkungen akzeptieren, um Spätkomplikationen zu vermeiden. So ist es verständlich, daß Kinder und Jugendliche oftmals Diätfehler machen, ihre Protokolle manipulieren und dies vor den Ärzten verheimlichen oder daß sie sich minderwertig fühlen, Angst vor Ablehnung haben und ihre Krankheit verleugnen. Zusätzlich erschwert ihnen die tägliche Selbstverletzung durch Blutzuckertests und Injektionen eine angemessene Entwicklung ihres Körperbewußtseins und Körperbildes. Vielfältige Einflüsse wie Angst, Ärger und Anspannung verursachen oft unvorhersehbare Stoffwechselschwankungen und verstärken das Gefühl, der Krankheit hilflos ausgeliefert zu sein. Die therapiebedingten starken emotionalen Belastungen werden bei der Diabetikerschulung häufig nicht genügend berücksichtigt. Zwar gilt ein verstärkter Ausdruck von Aggression und Wut als günstig für die emotionale Bewältigung des Diabetes, doch wird er bei den Schulungsmaßnahmen im allgemeinen nicht berücksichtigt.
Fowe' und von Knobelsdorff leiteten zehn diabetische Kinder an, sich ihre Krankheit bildlich vorzustellen. In der Diabetiker Ambu-lanz einer Hamburger Klinik wurden Kinder und ihre Eltern auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht.

Sie wurden in kindgemäßer Form über ihr Krankheitsgeschehen und die Beteiligung des Immunsystems informiert. Obwohl die behandelnden Ärzte und Psychologen davon ausgingen, daß die Kinder über den Autoimmunprozeß informiert waren, war dieser Aspekt allen Kindern neu. Sie waren an den Informationen zum Immunsystem sehr interessiert. Keines der Kinder hatte sich bisher erklären können, weshalb die insulinproduzierenden Zellen «verschwinden «. Mit einer Vorstellungs-übung wurden sie anschließend angeleitet, innere Bilder zu ihrer Krankheit zu entwickeln und sie aufzumalen. Zusätzlich malten die Kinder ein Bild ihrer Familie. Begleitend wurden psychologische Testdaten erhoben und medizinische Parameter einbezogen.

Sowohl die Patienten-Information als auch die Vorstellungsübung bereiteten den Weg für Gespräche, in denen sich die Kinder offen äußerten. Sie berichteten über ihre teilweise sehr schwierige Lebenssituation, über Aggressionen und Ängste. Die Familienbilder zeigen eine Atmosphäre der Starre, Steifheit und Unlebendigkeit sowie einen sehr geringen Kontakt der Familienmitglieder untereinander. Fowe' fand in den Bildern eine starke Ausprägung von Merkmalen, die auf Schüchternheit Gefühle der Unzulänglichkeit, Trauer und Aggression hindeuten. In Gesprächen über ihre Familienbilder wirkten fast alle Kinder sehr scheu, während ihnen Gespräche über ihre krankheitsbezogenen Bilder deutlich leichter fielen. Im Kontakt mit den biologischen Funktionen ihres Körpers und auf einer symbolischen Ebene konnten sie sich emotional weiter öffnen. In der Vorstellung der Kinder übernahmen die Immunzellen Funktionen der Angstbewältigung und des Aggressionsausdrucks. Die Kinder deuteten das autoaggressive Geschehen als fehlgeleitete Reaktion auf erlebte Belastungen und Bedrohungen. Sie beschäftigten sich intensiv mit Themen wie «Kampf», «Aggression», «stark sein; schwach sein» und «ohnmächtig sein». Bis auf die beiden jüngsten Kinder entwickelten alle im Zusammenhang mit ihrem Bild spontane Ideen, wie die Fehlreaktion des Immunsystems aufzuhalten sei. Sie drückten aus, daß die verwirrten Immunzellen eine klare Anleitung bräuchten, daß ihre Wahrnehmung geschult, ihre Sicherheit und Entscheidungsfähigkeit trainiert werden sollten, daß sie lernen müßten, „nein“ zu sagen. Ein Kind drückte klar aus, daß es mit der schwer einstellbaren Krankheit auf Aggressionen der Eltern reagierte und daß es sich erholen könnte, wenn die Eltern aufhören würden, sich zu streiten. Die Ideen der Kinder lassen vermuten, daß sie von weiteren heilungsorientierten Imaginationsanleitungen oder auch durch spielerische Übungen zur Stärkung der Selbstsicherheit profitieren könnten. (Eine solche weiterführende Anleitung wurde jedoch von der leitenden Psychologin der Klinik als nicht günstig erachtet.)

Jürgen war zum Zeitpunkt der Erhebung dreizehn Jahre alt. Er besuchte die Realschule und hatte zwei erwachsene Schwestern, die nicht mehr zu Hause lebten. Der Diabetes war zwei Jahre zuvor festgestellt worden. Jürgens Mutter vermutete, daß er durch den Tod des Vaters ein Jahr vor Beginn der Erkrankung ausgelöst wurde. Nach ihrem Eindruck hatte sich Jürgen durch die Krankheit nicht verändert und war im Alltag nur wenig beeinträchtigt. Jürgens Krankenakte zeigte jedoch, daß er nach dem Tod des Vaters eine schwere Zeit durchlebt hatte. Das Krankenhauspersonal berichtete, daß die Mutter von ihm viel Zuwendung forderte. Jürgen dagegen vermißte die Unterstützung der Mutter, nachdem der Diabetes ausgebrochen war. Wegen einer schweren Knieverletzung lag er mehrmals im Krankenhaus und war länger von ihr getrennt.
Jürgens psychologische Testwerte waren auffällig. Sie zeigten daß er seine Gefühle stark kontrollierte, wenig von sich überzeugt war und nur ein geringes Vertrauen in seine Urteils- und Handlungsfähigkeit hatte. Jürgens Bild zu seiner Familien- situation deutete an, wie ungeborgen, traurig und einsam er sich fühlte.

Für dieses Bild nutzte Jürgen nur die linke untere Ecke des Malbogens. Hier malte er einen grünen Weihnachtsbaum mit zehn leuchtendroten Kugeln, der auf einem breiten, schwarz ausgemalten Sockel steht. Rechts neben dem Baum stellte Jürgen seine Familie mit vier schwarzen Strichmännchen dar. Er selbst als kleineres Strichmännchen - steht außerhalb dieser Gruppe unter dem Baum in der Nähe des schwarzen Sockels.

Die dargestellte Szene wirkt sehr trostlos. Die Menschen werden ohne Beziehung zueinander dargestellt, und Jürgen steht ganz allein. Die Anzahl der roten Kugeln läßt an die zehn Lebensjahre denken, bevor sein Vater starb, und der Sockel, auf dem der Baum steht, erinnert an einen Sarg.

Jürgen machte es Spaß, dieses Bild zu malen. Besonders wichtig waren ihm die Immunzellen. Er erlebt sie als stark und aggressiv und wäre selbst gern so eine Immunzelle, denn da kann man kämpfen».

Im Gespräch über sein Bild deutete er an, daß er sich Halt und eine klare Führung für die Bewältigung seiner Situation wünschte. Zu der Frage, was denn geschehen müßte, damit die Zerstörung der Inselzellen nicht weiter fortschreitet, sagte er: „Die Immunzellen müßten wieder die anderen (Krankheitserreger) bekämpfen; sie bräuchten eine Lehrerin, die sie leiten kann.» Jürgens Bilder zeigen, daß er in sich zwar Kraft und Vitalität spürte, dies aber nicht offen in seinem Verhalten zum Ausdruck bringen konnte. Er gab deutliche Hinweise darauf, daß er zur Überwindung seiner Einsamkeit und emotionalen Verschlossenheit Hilfe und Unterstützung braucht.
Auch Maren war dreizehn Jahre alt und besuchte die Real-schule. Sie war das älteste von drei Geschwistern. Maren erkrankte als Vierjährige nach einer schweren Halsentzündung an Diabetes. Kurz vor Ausbruch der Krankheit wurde die jüngste Schwester geboren. Zusätzlich war Maren an einer Schilddrüsenunterfunktion erkrankt, die ebenfalls auf eine Autoimmunstörung zurückgeführt wurde.
Marens psychologische Testdaten waren sehr auffällig. Sie zeigen, daß sie starke Angst erlebte, jedoch kaum Möglichkeiten hatte, ihre emotionale Erregung zu verarbeiten. Ihr Familienbild zeigt Maren mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern bei einem Sonntagsspaziergang. Sie malte ihr Bild fast ganz mit einem Landschaftshintergrund aus und stellte die Familienmitglieder eher klein am unteren linken Bildrand dar. Die Personen sind nebeneinander aufgereiht, jedoch ohne Beziehung zueinander. Maren steht in der Mitte. Bei einer näheren Betrachtung des Bildes fällt auf, daß kein Familienmitglied fest auf dem Boden steht; allen fehlen Beine und Füße, dem kleinsten Kind sogar der gesamte Unterleib. Neben der Familie sind fünf, am oberen Bildrand acht Bäume gemalt. Die Bäume sind kahl und wurzellos. Die Zahl der Bäume entspricht Marens Lebensalter, und die Darstellung der Bäume deutet ein sehr grundlegendes Gefühl des Mangels an.



Im Gespräch über ihr Bild machte Maren zusätzlich deutlich, daß sie ihren Vater oft als ungeduldig und verärgert erlebte und daß er sehr hohe Leistungsanforderungen an sie stellte. Die Mutter reagierte eher gleichgültig.

Zu ihrem Bild erzählte Maren mehrere Geschichten von Verwandten, die gestorben oder in ein Heim geschickt worden waren. Dann erst wagte sie zu berichten, wie sehr sie unter dem häufigen Streit der Eltern und unter der Drohung des Vaters litt, sich scheiden zu lassen. Am liebsten, sagte sie, würde sie dann, „beiden eine knallen“. Statt dessen ging sie aber in ihr Zimmer und versuchte, ihre Angst und Wut mit Musik zu betäuben. Maren konnte deutlich aussprechen, was ihr fehlte und was sie brauchte: «Wenn ich Streß habe, arbeiten die Abwehrzellen anders. Einige sind mehr davon betroffen. Der Körper muß von Streß wieder frei werden, so daß es keinen Ärger mehr gibt.» Maren erzählte auch, daß sie meistens lacht, wenn sie traurig ist. Als sie ihr Bild zum Abschluß des Gesprächs noch einmal betrachtete, schien sie sehr angerührt; sie war traurig und begann zu lachen. Mit ihrem Bild und den Hinweisen, die sie im Gespräch gab, machte Maren deutlich, daß sie in einer sehr schwierigen Situation war, die ihr «an die Nieren geht», daß sie dringend eine gefühlsmäßige Entlastung und klare Unterstützung für den Umgang mit ihrer Krankheit benötigte.

 

 

 

Körpererleben und Vorstellungsbilder zur Immunabwehr bei Krebs

In den letzten Jahrzehnten haben Krebserkrankungen vor allem in den westlichen Industrienationen stark zugenommen. Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen sie die zweithäufigste Todesursache dar. Trotz enormer Anstrengungen hat die medizinische Forschung keine wesentlichen Erfolge bei ihren Versuchen erzielt, die Ursachen von Tumorbildungen zu klären und effektive Behandlungsformen zu entwickeln.

Die Schulmedizin beschränkt sich in den meisten Fällen darauf, durch Operation, Strahlen- und Chemotherapie die Lebenszeit der Patienten zu verlängern. Für die Bewältigung der erschreckenden Diagnose und der nebenwirkungsreichen Behandlungen wie auch für die Stabilisierung der Patienten gewinnen in letzter Zeit psychoonkologische Ansätze und psychologische Hilfen an Bedeutung.

Schon vor etwa zwanzig Jahren entwickelte der amerikanische Onkologe Carl Simonton ein psychosomatisches Modell der Entstehung und Heilung von Krebserkrankungen. Seine Vorstellungen waren lange heftig umstritten, sind heute jedoch durch die neueren Befunde der Psychoneuroimmunologie weitgehend bestätigt. Simonton beobachtete, daß im Vorfeld einer Krebserkrankung oft schwere Belastungen auftreten, die der Mensch nicht bewältigen kann und auf die er mit Gefühlen der Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit reagiert. Er vermutete, daß mit diesen Gefühlen eine Schwäch-ung der Immunüberwachung einhergeht und daß dies ein entscheidender Faktor bei der Bildung von Tumoren ist.

Ein gesundes Immunsystem ist fähig, abnorme Zellen (die immer wieder bei der Zellerneuerung auftreten) zu erkennen und zu beseitigen. Während einer Depression verändern sich verschiedene Körperregulationen: Ist das hormonelle Gleichgewicht gestört, werden vermehrt abnorme Zellen produziert, während das Immunsystem geschwächt reagiert und weniger gut in der Lage ist, sie aufzufinden und zu vernichten.

Simonton (1975, 1982) wies darauf hin, daß Genesungsprozesse möglich sind, wenn es gelingt, depressive Haltungen zu klären und Vertrauen und Lebensfreude zu fördern. Die Abbildung zeigt sein Modell der Krebsentwicklung und Genesung:

Unter starken Belastungen, die ein Mensch als bedrohlich und unkontrollierbar erlebt und auf die er mit Depression und Resignation antwortet, sendet das Limbische System biologische Signale aus, die das hormonelle Gleichgewicht und die Immunität stören. Gelingt es, die emotionale Haltung und die Lebensperspektive positiv zu verändern, werden unter dieser emotionalen Tönung die Körperregulationen wieder normalisiert und die Abwehrkräfte gestärkt.

Gemeinsam mit seiner Frau und einigen Mitarbeitern entwickelte Simonton ein integratives psychotherapeutisches Programm zur Unterstützung medizinischer Maßnahmen (1982). Verschiedene Übungen sollen dem Patienten helfen, seine Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren und seine Lebensprobleme zu bewältigen. Eine der von Simonton entwickelten Übungen ist besonders bekannt geworden: Die Patienten werden über die Entstehung des Tumors und über die Bedeutung und Arbeit des Immunsystems informiert. Sie lernen, sich in entspanntem Zustand den Krebs vorzustellen und wahrzunehmen, wie ihr Immunsystem ihn auffindet und beseitigt. Begleitende Forschungen zu dieser Imaginationsübung zeigten, daß die anschließend aufgemalten (meist einfach gestalteten) Vorstellungsbilder das seelische und psychosomatische Befinden der Patienten sehr genau widerspiegeln und eine wesentlich bessere Prognose zur Krankheitsentwicklung ermöglichen als biologische Meßwerte oder das ärztliche Urteil (Achterberg & Lawlis 1984). Mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft können Menschen offensichtlich Kontakt zu inneren «Glaubenshaltungen» aufnehmen, die sich nicht durch Worte ausdrücken lassen.
Die folgenden Abbildungen veranschaulichen Imaginationen von Patienten, die an dem Simonton-Programm teilnahmen. Ihre Erlebnisprozesse und Bilder wurden von Achterberg und Lawlis analysiert. Die erste Abbildung zeigt Vorstellungsbilder eines fünfzigjährigen Mannes, der an einem metastasierenden Pankreas-tumor litt. Mit medizinischen Maßnahmen konnte ihm nicht mehr

In den letzten Jahrzehnten haben Krebserkrankungen vor allem in den westlichen Industrienationen stark zugenommen. Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen sie die zweithäufigste Todesursache dar. Trotz enormer Anstrengungen hat die medizinische Forschung keine wesentlichen Erfolge bei ihren Versuchen erzielt, die Ursachen von Tumorbildungen zu klären und effektive Behandlungsformen zu entwickeln.

Die Schulmedizin beschränkt sich in den meisten Fällen darauf, durch Operation, Strahlen- und Chemotherapie die Lebenszeit der Patienten zu verlängern. Für die Bewältigung der erschreckenden Diagnose und der nebenwirkungsreichen Behandlungen wie auch für die Stabilisierung der Patienten gewinnen in letzter Zeit psychoonkologische Ansätze und psychologische Hilfen an Bedeutung.

Schon vor etwa zwanzig Jahren entwickelte der amerikanische Onkologe Carl Simonton ein psychosomatisches Modell der Entstehung und Heilung von Krebserkrankungen. Seine Vorstellungen waren lange heftig umstritten, sind heute jedoch durch die neueren Befunde der Psychoneuroimmunologie weitgehend bestätigt. Simonton beobachtete, daß im Vorfeld einer Krebserkrankung oft schwere Belastungen auftreten, die der Mensch nicht bewältigen kann und auf die er mit Gefühlen der Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit reagiert. Er vermutete, daß mit diesen Gefühlen eine Schwäch-ung der Immunüberwachung einhergeht und daß dies ein entscheidender Faktor bei der Bildung von Tumoren ist.

Ein gesundes Immunsystem ist fähig, abnorme Zellen (die immer wieder bei der Zellerneuerung auftreten) zu erkennen und zu beseitigen. Während einer Depression verändern sich verschiedene Körperregulationen: Ist das hormonelle Gleichgewicht gestört, werden vermehrt abnorme Zellen produziert, während das Immunsystem geschwächt reagiert und weniger gut in der Lage ist, sie aufzufinden und zu vernichten.

Simonton (1975, 1982) wies darauf hin, daß Genesungsprozesse möglich sind, wenn es gelingt, depressive Haltungen zu klären und Vertrauen und Lebensfreude zu fördern.

Die Abbildung zeigt sein Modell der Krebsentwicklung und Genesung:
Unter starken Belastungen, die ein Mensch als bedrohlich und unkontrollierbar erlebt und auf die er mit Depression und Resignation antwortet, sendet das Limbische System biologische Signale aus, die das hormonelle Gleichgewicht und die Immunität stören. Gelingt es, die emotionale Haltung und die Lebensperspektive positiv zu verändern, werden unter dieser emotionalen Tönung die Körperregulationen wieder normalisiert und die Abwehrkräfte gestärkt.

Gemeinsam mit seiner Frau und einigen Mitarbeitern entwickelte Simonton ein integratives psychotherapeutisches Programm zur Unterstützung medizinischer Maßnahmen (1982). Verschiedene Übungen sollen dem Patienten helfen, seine Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren und seine Lebensprobleme zu bewältigen. Eine der von Simonton entwickelten Übungen ist besonders bekannt geworden: Die Patienten werden über die Entstehung des Tumors und über die Bedeutung und Arbeit des Immunsystems informiert. Sie lernen, sich in entspanntem Zustand den Krebs vorzustellen und wahrzunehmen, wie ihr Immunsystem ihn auffindet und beseitigt. Begleitende Forschungen zu dieser Imaginationsübung zeigten, daß die anschließend aufgemalten (meist einfach gestalteten) Vorstellungsbilder das seelische und psychosomatische Befinden der Patienten sehr genau widerspiegeln und eine wesentlich bessere Prognose zur Krankheitsentwicklung ermöglichen als biologische Meßwerte oder das ärztliche Urteil (Achterberg & Lawlis 1984). Mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft können Menschen offensichtlich Kontakt zu inneren «Glaubenshaltungen» aufnehmen, die sich nicht durch Worte ausdrücken lassen.

Die folgenden Abbildungen veranschaulichen Imaginationen von Patienten, die an dem Simonton-Programm teilnahmen. Ihre Erlebnisprozesse und Bilder wurden von Achterberg und Lawlis analysiert. Die erste Abbildung zeigt Vorstellungsbilder eines fünfzigjährigen Mannes, der an einem metastasierenden Pankreas-tumor litt. Mit medizinischen Maßnahmen konnte ihm nicht mehr geholfen werden. Er nutzte die psychotherapeutische Unterstützung und erlebte, entgegen der ärztlichen Prognose, eine vollständige Heilung. Zu seinem Krankheitsgeschehen entwickelte er sehr lebendige Bilder. Er beobachtete, wie seine Immunzellen als Phalanx «weißer Ritter“ den zunächst recht großen und fest verpanzerten «Krebsmonstern» gegenüberstehen und ihre Lanzen auf sie richten. Sie reiten los und stechen zu. In seiner Vorstellung wurden die Ritter zunehmend größer und machtvoller, und sie lernten, zielsicher zu treffen. Simontons Patienten waren nur global über das Immunsystem und nicht über die Funktionen der einzelnen Immunzellen informiert. Die Vorstellung dieses Patienten reflektiert jedoch sehr präzise die biologische Fähigkeit der Killerzellen (vgl. die elektronenmikroskopische Aufnahme), die bei ihm geschwächt waren.

Während des psychotherapeutischen Prozesses wurde dem Patienten zunehmend bewußt, wie verschlossen und einseitig er nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen gelebt hatte. Er war seinen Hobbies nicht mehr nachgegangen, hatte sich emotional zurückgezogen und lebte ähnlich «verpanzert» wie seine Krebsmonster. Nun begann er sich allmählich wieder zu öffnen, seine Gefühle, seine Kreativität und Lebensfreude zu entfalten und sich seelisch und körperlich zu regenerieren.

Die Abbildung zeigt die Vorstellung eines vierzehnjahrigen Mädchens, das an Leberkrebs erkrankt war und ebenfallsentgegen der ärztlichen Prognose wieder gesund wurde. Sie stellte sich vor, wie ihre Immunzellen als große weiße Hunde den Krebs, der sich in Gestalt von «Schmutz-schnecken» zeigt, aufspüren und verschlingen. Ihr Vor-stellungsbild reflektiert die biologischen Fähigkeiten der Freßzelle.

Eine gute und langfristige psychotherapeutische Unterstützung verbessert oft die Lebensqualität Krebskranker und wirkt unter Umständen lebensverlängernd. Wolfgang Lenk (1991) weist in einem Aufsatz darauf hin, daß 210 von Simonton und 322 mit einem ähnlichen Ansatz von Newton behandelte Patienten mit Brust-, Darm- und Lungenkrebs im Vergleich mit den Angaben

Weiße Abwehrhunde fressen Krebs-Schmutz-schnecken.
Aus: Achterberg & Lawlis 84

der nationalen amerikanischen Krebsstatistik deutlich länger überlebten. Die Patienten entwickelten zum Teil eine Tumorregression beziehungsweise stabilisierten sich gut. 1990 wurde auf dem Internationalen Krebskongreß in Hamburg eine Untersuchung von David Siegel intensiv diskutiert. Siegel hatte über zehn Jahre die Auswirkungen einer einjährigen Gruppenpsychotherapie bei fünfzig Frauen mit metastasierendem Brustkrebs verfolgt. Er hatte die Untersuchung in der Absicht begonnen, die Aussagen von Therapeuten zu widerlegen, die die positive Wirkung psychosozialer Hilfe bei Krebs hervorheben. So begann er, die Effekte der Behandlung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne psychotherapeutische Unterstützung genau zu analysieren. Er stellte fest, daß die therapeutische Anleitung nicht nur zur Verbesserung der Lebensquali'tät, sondern auch zu einer signifikanten Lebens-verlängerung beitrug. Sie ermutigte die Patientinnen, in wöchentlichen Gruppensitzungen offen über ihre Gefühle zu sprechen, nach Strategien zur aktiven Bewältigung von Schwierigkeiten zu suchen und ihr Leben zu genießen. Zusätzlich erlernten die Frauen einfache Vorstellungsübungen, vor allem zur Linderung von Schmerzen (Siegel & Bloom 1989).

Zerstörung einer Krebszelle.Eine Killerzelle hat
ein Loch in die Zellwand gerissen und Gift hineingespritzt. Der Zellinhalt sickert aus. Die Krebszelle kann nicht überleben.
Die Killerzelle kehrt zum Ruhezustand zurück

Verschiedene Forschungen (Helm 1988; Jensen 1987; Lakomy 1988; Pettingale 1984; Salemi 1987; Zemore & Shepel 1987. Untersucht wurde die Bewältigung verschiedenartiger Krebs-erkrankungen, am häufigsten Brustkrebs) haben aufgezeigt, daß für eine gute Bewältigung der Krankheit vor allem folgende Faktoren von Bedeutung sind:

Klare Informationen zum Krankheitsgeschehen, die Verminderung von Stoizismus, Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie die Stärkung von Zuversicht, realitätsgerechter Konfliktbewältigung und offenem Gefühlsausdruck.

Für eine Prognose der Krankheitsentwicklung sind diese psychologischen Aspekte von wesentlich größerer Bedeutung als soziodemographische und medizinische Variablen (Fillip 1988). Psychosomatische Sehweisen zur Krebserkrankung sind inzwischen vielen Patienten durch populäre Veröffentlichungen vertraut. Obwohl die meisten Krebskranken eine langfristige psychotherapeutische Unterstützung nicht in Betracht ziehen, sind viele Patienten an Informationen über Gesundheitsverhalten und an psychologischen Übungen zur Selbsthilfe interessiert.
In einem Überblick über alternative Ansätze in der Krebsbehandlung wies Michael Lerner (1989) daraufhin, daß Krebspatienten in den USA besonders häufig die von Simonton entwickelte Imagination zum Krankheitsgeschehen erlernen und zur Unterstützung der medizinischen Behandlung einsetzen. Auch in Deutschland suchen immer mehr Krebspatienten nach solchen Anleitungen.

In zahlreichen retro- und prospektiven Untersuchungen mit zum Teil großen Bevölkerungsgruppen wurden immer wieder Aspekte der sogenannten Krebspersönlichkeit beleuchtet. Obwohl die meisten Erhebungen aufgrund der unterschiedlichen soziometrischen Methoden nicht direkt vergleichbar sind, beindruckt doch die Konsistenz der Befunde. Das psychologische Profil, das mit der Entwicklung von Krebserkrankungen korreliert, zeigt vor allem folgende Elemente: die Tendenz, sich an Normen anzupassen, Gefühle (vor allem Angst und Ärger) und persönliche Bedürfnisse zu unterdrücken und ein unauffälliges, freundliches Verhalten zu zeigen.

Der Psychoonkologe und Therapeut Wolf Büntig (1982) be-schreibt das zugrundeliegende Lebensgefühl als Verzweiflung und Depression, die durch soziale Angepaßtheit, gute Leistungen, ein scheinbar glückliches Familienleben «maskiert» sind; bei Verlusten und starken Belastungen brechen sie auf und sind nur schwer unter Kontrolle zu halten.

Der Medizinsoziologe und Therapeut Ronald Grossart Matticek (1982, 1985), der anhand solcher Persönlichkeitsmerkmale bei großen Bevölkerungsgruppen eine spätere Krebserkrankung voraussagen konnte, fand ebenfalls die Neigung eine Bezugsperson oder das Erreichen eines beruflichen Ziels als wichtige Bedingung für das eigene Wohlergehen anzusehen und sich in einer starken Abhängigkeit zu binden («Ich tue alles für dich, dann liebst du mich»). Grossarth-Matticek beobachtete ein großes „Bemühen um Harmonisierung bei Loyalitatskonflikten» und die Bereitschaft »einzulenken, nachzugeben, sich selbst zurückzustellen». Ver-schiedene Untersuchungen zeigen, daß diese Haltungen im Kontakt mit den frühen Bezugspersonen gelernt werden. Menschen, die später an Krebs erkrankten, berichteten von fehlendem Kontakt oder mangelnder Wärme zwischen sich und den Eltern (Shafferetal 87).

Der Psychotherapeut Lawrence LeShan geht nach seiner jahrzehntelangen Arbeit mit Krebskranken davon aus, daß vor allem Menschen erkranken, die ihre persönliche Rolle im Leben nicht gefunden und vergeblich nach dem Sinn ihres Lebens gesucht haben. «Der größte psychische Faktor in der Krebsentstehung ist Entfremdung», sagte LeShan (1992) in einem Interview mit der Zeitschrift Psychologie heute. «Und wenn es gelingt, diese Entfremdung in der Therapie aufzuheben, ist eine Heilung möglich.» Kampfgeist, der sich auch in einem «widerspenstigen» und wenig pflegeleichten Patientenverhalten zeigt, ist für ihn ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Die Vermehrung und Ausbreitung von Krebszellen steht im Zusammenhang mit einem spezifischen psychobiologischen Muster: Der Mensch reagiert auf Lebensveränderungen und starke Belastungen ängstlich, hilflos, depressiv, stoisch und drückt negative Gefühle nicht adäquat aus; die Ausschüttung von Streßhormonen ist erhöht und die Immunüberwachung geschwächt (vor allem durch eine verminderte Funktionsfähigkeit der Killerzellen, zum Teil auch der Helfer- und Freßzellen). Im Vorfeld der Diagnose wurden häufig schwere Belastungen Trennungen, Verluste - beobachtet. Ohne aktive Suche nach Kommunikation und sozialer Unterstützung müssen alle Versuche, ein neues Gleichgewicht zu finden, innerlich erfolgen, wodurch der Organismus zusätzlich belastet und überfordert ist. Sandra Levy identifizierte als spezifische Risikofaktoren für die Krankheitsbewältigung: soziale Isolation, Hilflosigkeit, Depression, Ängstlichkeit und Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks. Sie sieht einen direkten Kausalbezug zwischen diesen psychosozialen Aspekten, der Schwächung der Immunzellen und einem Tumorwachstum. Mit einer immunologischen und körperlichen Stabilisierung waren dagegen korreliert: offener Emotionsausdruck, freudige Erlebnisse, «seltsames Verhalten», das heißt Versuche, aus dem angepaßten Verhaltensmuster auszubrechen. Levy geht davon aus, daß gute soziale Unterstützung von großer Bedeutung für die Bewältigung von Krebserkrankungen ist. Sie meint damit soziale Kontakte, die den Patienten ermutigen, seine Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, ihm modellhaft neue Strategien zur Streßminderung nahebringen und ihm einen neuen Bezugsrahmen für die Lösung von Konflikten aufzeigen.


„Reise zum inneren Heiler» . Die Übung führt über verschiedene Stationen vom Körpererleben zum persönlichen Ruhebild, zur Vertiefung der Entspannung in einem „heilenden Bad» und schließlich zu einer Begegnung mit einem » liebevollen und weisen» Wesen. Nach meiner Erfahrung lassen sich auch kranke Menschen auf diese Übung ein, finden persönliche Bilder zu den verschiedenen Szenen und erleben meist eine sehr umfassende Entspannung. Die Übung führt in organismische und seelische Tiefenschichten von oft archetypischer Qualität. Im allgemeinen werden dabei Bilder und Empfindungen wach, die eine kompensatorische Qualität haben.

Die „Ruheszene» und die Empfindungen beim » Bad» können in schwierigen Zeiten leicht in die Erinnerung zurückgeholt werden und spannungslösend und stärkend wirken. Das « Wesen» verdeutlicht oft Fähigkeiten der eigenen Person, die latent vorhanden sind und verwirklicht werden können.

Die Teilnehmerinnen waren im Mittel 52 (38 bis 77) Jahre alt, seit durchschnittlich vier Jahren (überwiegend schwer) erkrankt und meist nur unzureichend über ihre Krankheit informiert. Alle hatten eine Tumoroperation hinter sich, meist auch Strahlen- oder Chemotherapie. Viele waren zusätzlich mit immunstimulierenden Mitteln behandelt worden. Alle hatten ihre Ernährung umgestellt, die meisten hatten aufgehört zu rauchen. Fast alle hatten im Vorfeld der Diagnose schwere Belastungen erlebt:

Tod oder Trennung von wichtigen Bezugspersonen, lang andauernden häuslichen Ärger, Überlastung im Beruf oder durch Pflege von Verwandten. Einige Frauen sahen auch Zusammenhänge zwischen ihrer Erkrankung und Schuldgefühlen, Langeweile oder einer extremen Orientierung nach außen und auf andere Personen. Alle berichteten über starke Ängste vor Kontrolluntersuchungen, den medizinischen Behandlungen, Schmerzen und dem Tod. Ihre psychologischen Testdaten zeigten, daß sie Schwierigkeiten hatten, mit erlebten Widersprüchen und Konflikten (innerseelischen und solchen in der äußeren Realität) umzugehen und konstruktive Lösungsstrategien zu entwickeln. Sie vermieden es, Empfindungen wahrzunehmen und auszudrücken, und wehrten vor allem aggressive Impulse ab. Die Befunde zeigen, wie wichtig die Erkundung von Realitätskonzep-ten und Gefühlen für die Krankheitsbewältigung ist.

Die Bilder zeigen, daß die Frauen bestimmte Körperbereiche (vor allem Sinnesorgane, Hände, Füße, Geschlechtsorgane) oftmals kaum spüren konnten. Die Körpererfahrung wurde zum Teil farblos, mit wenigen Farben oder nur als Umrißzeichnung gestaltet. Zwischen diesen Gestaltungsmerkmalen und psychologischen Haltungen fand Eggers-Asmuth substantielle Zusammenhänge: Ein hohes Maß sozialer Angepaßtheit und emotionaler Zurückhaltung war mit eher farbloser Gestaltung verbunden. Frauen, die ihre Gefühle stark kontrollierten, malten eher Umrißzeichnungen, die das Körperinnere leer ließen oder in denen Extremitäten, vor allem Hände oder auch Füße, fehlten.

Frau D. war 66 Jahre alt und seit zwei Jahren an Brust- und Rectumkrebs mit Metastasen in der Leber erkrankt. Vor der Diagnose war ihre Mutter an Krebs gestorben, und Frau D. hatte eine Zeit hinter sich, in der sie durch die Pflege der Schwerkranken und zusätzlich durch Ehescheidungen beider Töchter stark belastet gewesen war. Eine Prognose wurde ihr vom Arzt nicht mitgeteilt. Sie selbst hielt eine Besserung für möglich, hatte jedoch Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung und vor dem Verlust ihrer Attraktivität.

Untenstehende Abbildungen zeigen das Körpererleben von zwei Frauen, die in ihrer Fähigkeit, realitätsgerechte Problemlösungen anzustreben und ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, unbeeinträchtigt wirkten. Beide waren bestrebt, ihre Erkrankung durch die Suche nach Religiosität und Lebenssinn zu bewältigen. Zur Gestaltung ihres Körpererlebens nutzten sie mehrere Farben und stellten unterschiedliche Empfindungen auch durch das Ausmalen des Körpers dar.

Frau E. war 46 Jahre alt und seit drei Jahren an einem Tumor des rechten Innenohrs erkrankt. Aus ärztlicher Sicht war die Entwicklung der Krankheit «nicht einschätzbar». Frau E hielt eine Heilung für möglich. Vor der Diagnose hatte sie starke Belastungen in Beruf und Familie erlebt. Obwohl sie sich von ihrem Mann gut unterstützt fühlte, hatte sie Angst, daß er ihr seine Zuwendung bei einer Verschlech-terung ihres Befindens entziehen könnte. - Sie zeichnete sich von der Seite, so daß ihr erkranktes Ohr, das ihr wesentlich größer erschien als ihr linkes, sichtbar wird. In ihrem Oberkörper und vor allem in den Händen spürte sie Wärme, die sie gelb, rot und orange malte. Ihre untere Körperhälfte, besonders die Füße, empfand sie als kühler, was sie durch eine blaue Tönung zum Ausdruck brachte.

Frau F. war 56 Jahre alt und seit zwei Jahren an Darmkrebs mit Metastasen in Leber, Lunge und Vagina erkrankt. Ihre Lebenserwartung lag nach Einschätzung der Ärzte zwischen einem und fünf Jahren. Frau F hielt eine Besserung für möglich. Vor der Diagnose hatte sie sich durch eine schwere Erkrankung ihres Mannes und durch unerträgliche Langeweile im Beruf belastet gefühlt. Sie übte ihren Beruf nicht mehr aus und erlebte, daß sich ihre Beziehungen zu Familienangehörigen und Verwandten vertieften. Sie suchte bewußt nach neuen Lebenszielen.

Die abschließende Reise zum «inneren Heiler» hat alle Frauen sehr berührt. Sie erlebten ihren Ruheort und vor allem das «heilende» Bad als tief entspannend und fühlten sich erholt, gekräftigt, zum Teil auch «schön», «heil». Das «Wesen», das zu ihnen kam, trug oft Züge der Mutter, des Vaters, Ehemannes oder geliebter verstorbener Personen. Die Gestalten waren jedoch durch eine Ausstrahlung von Güte, Liebe und Weisheit überhöht. Die bildlichen und wörtlichen Beschreibungen der Begegnung mit dem «Wesen» ließen eine tiefe Sehnsucht nach liebender Bezogenheit spüren. Die Gestalten vermittelten den Frauen Trost und in Form von Geschenken (Schlüssel, Krüge, Ringe, Bücher) vielfältige Anregungen und die Ermutigung, an den Wert und die Kraft der eigenen Person zu glauben. Für die Frauen war es wichtig, nach der Übung zu erkennen, daß diese Erfahrungen und das Bild des Wesens und dessen Fähigkeiten aus ihnen selbst kamen.

Frau B. konnte sich in dem «heilenden Bad» tief entspannen und fühlte sich anschließend «harmonisch» und «schön». Ihr kam ein Wesen entgegen, das Züge ihres Mannes trug und dem sie Liebe und Vertrauen entgegenbrachte. «Läßt du mich nicht im Stich?» fragte sie es. Es umarmte sie liebevoll und gab ihr einen Schlüssel. «Mein Wunsch wird erfüllt», spürte Frau B.

Frau E. verweilte «genüßlich» in dem Bad und fühlte sich anschließend «entspannt» und «schön». Vertrauensvoll ging sie auf ein Wesen zu, das ihr mit ausgebreiteten Armen entgegenkam. Zunächst meinte sie, Züge ihrer Mutter zu entdecken, doch dann erkannte sie ein «gütiges, überirdisches, gottähnliches Wesen» in der Gestalt eines älteren Mannes. Sie vertraute diesem Wesen und fragte: Werde ich gesund?» Sie hörte ein »Ja» und erhielt einen Ring, mit dem sie immer wieder innerlich Kontakt zu diesem gütigen und weisen Mann aufnehmen kann.

Die Rückantworten der Frauen sechs Wochen und fünf Monate nach Ende der Anleitung zeigten, daß sie die Übungen als sinn-voll und hilfreich erlebten. Sie führten sie teilweise regelmäßig weiter oder nutzten sie vor allem in schwierigen Zeiten (während chemotherapeutischer Behandlungsphasen, bei deprimierenden Erfahrungen im Alltag), um sich seelisch zu stärken und Gefühlen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken:

Bei meinen täglichen Übungen merke ich, daß ich ruhiger werde; die Traurigkeit, die mich immer wieder überfällt, kann ich damit in den Griff bekommen.» - »Mit der Übung bekämpfe ich meine Schmerzen. Ich konnte meine Tabletteneinnahme reduzieren.» - »Ich bin ruhiger geworden und beschäftige mich mehr mit Hobbies und angenehmen Dingen.» - Viele Frauen nahmen sich mehr Zeit für sich, begannen Tagebuch zu schreiben oder malten. Einige begannen mit neuen Unternehmungen.


Frau B. berichtete: «Man bekommt ein ganz anderes positives Körpergefühl. Ich spüre ganz deutlich, wie ich meine Abwehrzel-len aktivieren kann. Zehn Minuten Entspannung gibt mir Kraft für viele Stunden. Nach dreizehn Jahren habe ich meine Berufstätig-keit wiederaufgenommen. Ich habe neue Kontakte durch den Beruf und mehr Spaß an Unternehmungen.» Für drei verstorbene Teilnehmerinnen antworteten ihre Fainilienangehörigen. Aus ihren Mitteilungen geht hervor, daß die Frauen sich über ihre Erfahrun-gen intensiv mit ihrer Familie ausgetauscht hatten. Ein Ehemann teilte mit, daß die Gruppensitzungen seiner Frau viel gegeben und dazu beigetragen hätten, ihr die letzten Wochen vor ihrem Tod zu erleichtern.


Gesundheitsförderung bei einer HIV-Infektion

Psychoimmunologische Forschungen haben deutlich gemacht, daß das regulative Gleichgewicht zwischen Zentralnerven-, Immun- und Hormonsystem eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit ist und vor allem unter Belastungen gestört wird, die subjektiv als unkontrollierbar empfunden werden. Solche
Belastungen und die damit verbundenen Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Depression können im Vorfeld einer HIV-positiv-Diagnose aufgetreten sein und eine Infektion begünstigen. Aber auch die Diagnose selbst, verbunden mit den bisher fehlenden medizinischen Therapieangeboten, stellt ein solches Ereignis dar. Es ist deshalb von großer Bedeutung, wie diese Diagnose verarbeitet wird und ob es gelingt, eine Perspektive zu finden, die Angst und Resignation überwinden hilft und das Vertrauen in die eigene Person und die Bewältigungskraft stärkt.

Verschiedene amerikanische Untersuchungen zeigen, daß der Verlauf einer HIV-Infektion und Aids-Erkrankung durch seelische Haltungen beeinflußt wird (Antoni et al. 1990; Solomon et al. 1987, ,99'). Bei HIV-Infizierten wurden Zusammenhänge zwischen gutem Immunstatus und geringer Ausprägung von Angst und Depression beobachtet. HIV-Infizierte mit gutem Immunstatus zeigten ein hohes Ausmaß an hardiness (Widerstandskraft), das heißt, sie fühlten sich weniger entfremdet, machtlos und ausgeliefert; sie entwickelten vielmehr Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit ihres Handelns und nahmen Lebensveränderungen als Herausforderung an. Sie waren in der Lage, eigene Interessen wahrzunehmen und klar zu verfolgen und unerwünschte Anfragen offen abzuweisen. Einige Untersuchungen ergaben, daß sich der Immunstatus von HIV-Infizierten bei Trauerprozessen nicht wie bei Gesunden verschlechtert. Aids-Kranke, die eine von den Ärzten prognostizierte Lebensdauer weit überschritten, hatten einen besseren Immunstatus als Patienten, die frühzeitig starben, und zeigten ein höheres Ausmaß an hardiness; Angst und Depression waren bei ihnen weniger ausgeprägt, und sie verhielten sich nicht unangemessen altruistisch in dem Sinne, daß sie anderen halfen, obwohl sie dies eigentlich gar nicht wollten.

Die amerikanischen Psychotherapeuten Christopher Allers und Karen Benjack stellten fest, daß HIV-Infizicrtc überdurchschnittlich häufig in ihrer Kindheit körperlich und scxucll mißhandclt wurden warcn. Sic wciscn daraufhin, daß typische Folgcschädcn solcher Mißhandlungen - Alkohol- und Drogenmißbrauch, t)epression, Promiskuität, mangelnde Ich-Stärke, die Unfähigkeit, sich gegenüber Forderungen von Partnern zu behaupten oder auf « safer sex zu bestehen - das Infektionsrisiko signifikant erhühen (Psychologie heute 6/92>. Ute Waschulewski, die (1989> zweihundert Jugendliche zu ihrem W.ssen über Aids befragte, fand bei Jugendlichen, die sexuelle Mißhandlungen angaben, ein deutlich geringeres Bewußtsein über Gefährdung und Schutzmaßnahmen.

Eine deutsche Untersuchung (Bliemeister et al. 1992) ergab, daß sich die Bewältigungsstrategien von HIV-Infizierten mit gutem von denen mit kritischem Immunstatus (weniger als vierhundert T4-Helferzellen pro Milliliter Blut) deutlich unterschieden. Infizierte mit gutem Immunstatus verdrängten ihre Infektion nicht, verstrickten sich aber auch nicht in Grübeleien («Warum ich?»). Sie suchten vielmehr aktiv nach krankheitsbezogener Information und nach Bewältigungsmöglichkeiten und gingen davon aus, daß sie ihren Gesundheitszustand selbst mitbeeinflussen können. Sie erlebten ihre sozialen Beziehungen als gut und ihre sexuellen Kontakte als befriedigend. Auch sprachen sie offen mit anderen Menschen über ihre Infektion. Sie suchten nach Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und befanden sich seltener in ärztlicher Behandlung.

Eine HIV-Diagnose löst im allgemeinen Betroffenheit und angstvolle Phantasien oder Schuldgefühle aus (zum Beispiel bestraft, von anderen abgelehnt zu werden; körperliche Attraktivität zu verlieren; dahinsiechen und sterben zu müssen). Das Ausmaß von Angst und Schuldgefühlen steht auch im Zusammenhang mit dem allgemeinen Selbst- und Lebensgefühl. Die Diagnose kann bisher unterdrückte Verzweiflung und Unsicherheit über den Wert der eigenen Person aktualisieren, den Sinn bisheriger Lebensziele in Frage stellen und das vertraute Lebenskonzept sehr erschüttern. Diese Erschütterung bietet aber auch die Möglichkeit, ungünstige Haltungen zu klären, sich neu zu orientieren und zu verändern. Die vorliegenden psychoimmunologischen Erkenntnisse deuten an, daß für die innere Bewältigung einer HIV-Infektion vor allem die Überwindung von Angst, Depression, Fatalismus sowie die Stärkung von Vertrauen in den Wert der eigenen Person und die Wirksamkeit eigenen Handelns von Bedeutung ist. Dies können Betroffene unter anderem dadurch begünstigen, daß sie aktiv Informationen zu ihrer Erkrankung sammeln, sich um gute soziale Kontakte bemühen, «Geheimnisse» klären und mitteilen, ihre eigenen Bedürfnisse zum Ausdruck bringen und die Fähigkeit üben, unerwünschte Anfragen offen abzulehnen; auch die Suche nach Entspannung und innerer Ruhe gehört dazu.

Erprobt und in häuslichen Übungen vertieft wurden: Vorstellungen zur Stärkung der körperlich-seelischen Widerstandskraft und zur Sensibilisierung des Körpererlebens (Reise durch den Körper); Informationen über psychoimmunologische Zusammenhänge und eine Imagination zur eigenen Immunkraft; eine Anleitung zur körperlich-seelischen Tiefenentspannung (Reise zum inneren Heiler).

Die sieben Teilnehmer waren im Mittel 31 Jahre alt; drei lebten allein, vier in einer festen Partnerschaft. Sie hatten ein eher hohes Bildungsniveau und waren beruflich erfolgreich.

Die Mitteilung der Diagnose wurde von einigen als «brutal» und «entwürdigend» beschrieben. Fast alle fühlten sich anschließend hilflos, ausgeliefert und voller Angst. Alle Teilnehmer führten ihre Infektion auf ungeschützten Geschlechtsverkehr zurück.

Fünf Teilnehmer hatten eine nebenwirkungsreiche Therapie (Retrovir) explizit abgelehnt, nahmen aber regelmäßig ärztliche Kontrolluntersuchungen wahr. Drei Teilnehmer hatten den Eindruck, daß diese Untersuchungen eher Angst und Schwäche verstärkten, und nahmen sie nicht oder unregelmäßig wahr.

Die Teilnehmer waren gut über Übertragungswege und den möglichen Verlauf einer HIV-Infektion und Aids-Erkrankung informiert. Sie hatten jedoch gar keine, unklare oder auch falsche Vorstellungen über Funktion und Aufnau des Immunsystems und immunologische Auswirkungen der Infektion. Kein Teilnehmer war mit biopsychologischen und psychoimmunologischen Aspekten vertraut oder konnte die Ergebnisse ärztlicher Kontrolluntersuchungen klar interpretieren. Das heißt, die Teilnehmer wußten nicht, daß sie durch Verhaltensgewohnheiten und seelische Einstellungen zur Schwächung, aber auch zur Stärkung ihrer Immunität und zur Stabilisierung ihres Befindens beitragen können. Durch diesen Mangel an gegründeter Information waren sie auch nicht in der Lage, positive Vorstellungen und Ziele für die Zukunft zu entwickeln - was für die Überwindung von Angst und Resignation von großer Bedeutung ist. Da alle Teilnehmer sich aktiv um Informationen bemüht hatten, nehme ich an, daß (psycho-)immunologische Aspekte bei der Beratung HIV-infizierter Menschen noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Alle Teilnehmer vermuteten jedoch, daß sie selbst ihr Befinden mitbeeinflussen konnten, und hofften auf eine Stabilisierung oder auch Verbesserung ihres Zustands. Bis auf die beiden Teilnehmer, die erst seit drei Monaten um ihre Infektion wußten, hatten sie auch Zusammenhänge zwischen situativen Bedingungen und ihrem Befinden wahrgenommen. Sie hatten unter anderem beobachtet, daß dieses sich bei Ärger, Schuldgefühlen, Angst, Partnerproblemen, Depression, Leistungsdruck oder zuviel Alkohol verschlechterte. Eine Verbesserung spürten sie im Zusammenhang mit langem Schlaf, befriedigenden freundschaftlichen und sexuellen Kontakten, nach konstruktiven Gesprächen, intensiven Naturerlebnissen, offenem Gefühlsausdruck und bei innerer Ruhe. Deutlich wurde jedoch auch, daß das allgemeine Lebensgefühl der Teilnehmer durch Depression, Angst und Sorgen getrübt war. Zu der Frage, wie es ihnen in drei Jahren gehen werde, offenbarten sie entweder gar keine oder eher pessimistische Vorstellungen. Ohne fundierte Informationen über konkrete Möglichkeiten, wie man das eigene Befinden positiv beeinflussen kann, ist es sehr schwer, hoffnungsvolle und gesundheitsorientierte Zukunftsbilder zu entwickeln - viele empfinden eine solche Haltung vermutlich auch als «illusionistisch» oder verrückt.
Die Übung «Reise durch den Körper» sprach alle Teilnehmer an. Sie fühlten sich anschließend entspannt, belebt und innerlich berührt.

Zu ihren Bildern empfanden die meisten allerdings zunächst Ablehnung oder auch Verachtung. Sie gingen jedoch bereitwillig auf meinen Vorschlag ein, die Körperzeichnung als Ausdruck persönlicher und eventuell auch kindlicher Empfindungen anzunehmen und gemeinsam zu überlegen, was jedes «Kind» braucht.

Im weiteren Verlauf informierten sich die Teilnehmer über die Wirkungsweise des Immunsystems und psychoimmunologische Erkenntnisse. Diese Informationen waren den Teilnehmer sehr wichtig, denn sie gaben ihnen eine Art Erlaubnis, sich ganz konkret mit Vorstellungen zu befassen, die - bis dahin unmöglich für sie - von Hoffnung getragen und auf Gesundung orientiert waren. Sie hatten zwar ein inneres Bedürfnis gespürt, auf eine Stabilisierung oder auch Verbesserung ihres Befindens zu hoffen, doch hatten sie bisher alle Informationen zum Fortschreiten der HIV-Infektion so aufgefaßt, «daß man nach einiger Zeit Aids entwickelt und unweigerlich stirbt». Diese entmutigende Information hatte alle Ansätze zu hoffnungsvollen Vorstellungen als «verrückt», «lächerlich» blockiert.

Persönliche Einfälle zur Stärkung ihrer eigenen Immunkraft erprobten die Teilnehmer anschließend bei einer Imagination zum Immunsystem. Ich leitete sie dazu an, sich die gesunde Immunfunktion vorzustellen und betonte dabei besonders die biologische Fähigkeit, Immunzellen im Knochenmark nachzubilden, die Fähigkeit der Immunzellen, zwischen «selbst» (körpereigenen Zellen) und «fremd» (körperfremden Zellen, Viren) zu unterscheiden, sowie die spezifischen Funktionen von Helfer-, Killer- und Freßzellen bei der Beseitigung von Krankheitserregern. Anhand der gemalten Vorstellungsbilder konnten anschließend die (zahlreichen) Mißverständnisse über die Arbeitsweise des Immunsystems geklärt werden.

Alle Teilnehmer führten die «Reise durch den Körper» in der folgenden Woche weiter und erprobten stärkende Vorstellungen zur Immunfunktion. Sie erlebten, wie die Entspannung, zum Teil auch das Gefühl von Kraft und Wohlbefinden zunahmen. Sie fanden unterschiedliche Bilder zur Stärkung ihrer Abwehrkraft: Licht in die Körperzellen atmen; die Körperzellen oder das Blut von «Fremdem» reinigen; die Immunzellen greifen das HI-Virus an...

Zur Veranschaulichung gebe ich die Erfahrungen von Herrn D wieder. Er berichtete in seinem Wochenprotokoll: «Tagsüber denke ich oft daran, daß helles weißes Licht meinen Körper durchflutet und alles <Kranke> auflöst. An der Vorstellung, daß meine Abwehrzellen in Rüstung und mit Waffen wie Lanzen, Schwertern und großen Messern in den Kampf ziehen, habe ich großen Gefallen gefunden. Ich empfinde diese Vorstellung als ermutigend und kraftvoll. Teilweise stimmt sie mich sogar glücklich. Der Gedanke, krank zu werden, ist fast weg.“ Herr D sah bei der Imagination auch, wie die Immunzellen gut zusamnienarbeiten. Besonders fasziniert war er VOfl der Vorstellung, wie seine Killerzelle das HI-Virus mit vielen Messern niedersticht. Er berichtete auch, daß die Imaginationsübungen ihn in bestimmten Lebenssituationen ermutigten, «nein» zu sagen. Herr D entwickelte lebendige und klare Vorstellungen zu seiner körperlichen Abwehrkraft, und zugleich formten sich dabei Symbole, mit denen er in seinem Körperbild Schmerz und Leiden ausgedrückt hatte (die Messer), zu aktiver Verteidigungsfähigkeit um. Das heißt auch, es bildete sich eine neue Perspektive, in der aus der «festgeschraubten<> passiv-erduldenden Haltung zielbewußte Selbstbehauptung wurde, die sich auch als Verhaltenskompetenz in äußeren Situationen zeigte.
Die Erfahrung von Herrn D veranschaulicht einen wichtigen Effekt heilungsorientierter Vorstellungsübungen: Indem man spezifische Fähigkeiten in der Vorstellung - in einem inneren Rollenspiel - erprobt, übt man sie auch ein und kann sie im Verhalten leichter realisieren.

In der dritten Sitzung wurde eine «Reise zum inneren Heiler» durchgeführt. Alle Teilnehmer waren von dieser inneren Reise sehr berührt. Sie hatten sich an ihrem Ruheort wohlig entspannt und in dem Bad eine Lösung von Schmerz, Negativität und Trauer erlebt. Sie spürten eine belebende Wirkung als «Prickeln» oder «Vibrieren von Körperzellen». Herr D fand eine «heilige Quelle» und mußte zunächst die Befürchtung überwinden, «nicht würdig» zu sein. Im Kontakt mit dem «inneren Heiler<> (einem «liebevollen» und weisen Wesen) fühlten die Teilnehmer vor allem Ehrfurcht, Vertrauen, Sicherheit, Freude und Dankbarkeit - Empfindungen, die mit Angst und Depression unvereinbar sind. Für Menschen mit einer belastenden Krankheitsdiagnose kann es sehr wichtig sein zu erleben, daß ihre Fähigkeit, Vertrauen und Freude zu empfinden, nicht verschüttet ist.

Das «Wesen « erschien den Teilnehmern als weiser alter Mann, der sie ermutigte, den eingeschlagenen «Weg zum Leben» weiterzugehen und sich selbst zu vertrauen. Nach C. G. Jung (1983) erscheint die Gestalt des alten Weisen in Märchen, Träumen und Imaginationen sehr oft dann, wenn der Held sich in einer verzweifelten Situation befindet, aus der ihn nur gründliche Überlegung oder ein glücklicher Einfall befreien kann, aber aus äußeren oder inneren Gründen noch nicht in der Lage ist, diese Leistung zu vollbringen. Dann tritt die nötige Erkenntnis als personifizierter Gedanke eben in der Gestalt des weisen Alten auf. Da sie dwchaus nicht bei allen Gruppen und Menschen erscheint, mit denen ich die Übung bisher durchgeführt habe, vermute ich, daß sie für diese Teilnehmer im Zusammenhang mit ihrer Frage nach Heilung eine ganz besondere Bedeutung hat.

Zwei Teilnehmern wurde in ihrer Imagination ein Schlüssel übergeben. Herrn D überreichte der innere Heiler auf die Frage, was er für sein «Steinherz» tun könne, einen Schlüssel, der genau in sein Herz passte. Die anderen Teilnehmer erhielten eine Kugel.

Auch über eine solche Vorstellung wurde mir bisher im Zusammenhang mit der Übung selten berichtet.

Da sich alle Teilnehmer während der Imagination mit Fragen zur Bewältigung der HIV-Infektion beschäftigten, vermute ich, daß die Kugel - als Symbol innerer Ganzheit - eine wichtige innere Mitteilung darstellt.

Herr C hatte nur geringfügige körperliche Beschwerden, und seine psychologischen Testdaten waren unauffällig. Sein Bild zeigt seinen Weg; er führt durch Blumenwiesen an einem Berghang entlang zu einem Badeplatz, der von einer Quelle gespeist wird. Nach dem «entspannenden und erfrischenden» Bad begegnete Herr C einem alten weisen Mann, der von einem Löwen begleitet wurde. Zu beiden Wesen empfand er ein starkes Vertrauen. Auf seine Frage «Kann ich mich heilen ?» nickten beide. Herr C erhielt eine weiße Kristallkugel, die für ihn «Klarheit, Harmonie, Härte und Energie der Erde» symbolisierte. Er spürte «tiefes Vertrauen zur Umgebung, den Wesen und zu mir selbst».
Zwei Monate nach Abschluß der Gruppensitzungen antworteten sechs Teilnehmer auf eine schriftliche Nachbefragung. Sie berichteten, daß sie die «Reise durch den Körper» oder auch alle Übungen weiterführten, daß sie sich dadurch «gestärkt», «mehr in meinem Körper», »klarer», »gelassener», „offener» fühlen. Insgesamt spürten sie mehr Selbstsicherheit, Klarheit, Kraft und Hoffnung; Angst und körperliche Blockierungen hatten sich vermindert. Zum Teil erlebten sie sich in Beziehungen als offener und bei Konflikten als durchsetzungsfähiger. Herr D berichtete über einen beruflichen Aufstieg in eine Führungsposition.

Herr C wurde von dem alten Weisen mit dem Löwen schrittweise zu Erinnerungen an belastende Erfahrungen geführt.

Die beiden Teilnehmer, die erst wenige Monate von ihrer Infektion wußten und unsicher gewesen waren, ob sie ihren Immunstatus weiter überprüfen lassen sollten, hatten sich für eine begleitende ärztliche Kontrolle entschieden. Beide erfuhren, daß sich ihr Immunstatus positiv verändert hatte. Alle Teilnehmer bewerteten die Anleitung als hilfreich und hielten es für sinnvoll, die Informationen und Übungen über die Aids-Hilfe - also eine vertraute Institution - anzubieten.



Zusammenfassung:

Die Teilnehmer machten die Erfahrung, daß sie ihr Befinden durch eigene Bemühungen positiv beeinflussen können. Dieses Selbsthilfepotential war jedoch zum Teil gebremst durch unklare, fehlende und pessimistisch getönte Auskünfte über den Verlauf einer HIV-Infektion. Den Betroffenen fiele es vermutlich sehr viel leichter, positive Zukunftsbilder und eine optimistische Einstellung zu entwickeln, wenn diese Haltung durch sachliche Information bestätigt und unterstützt würde. Die Beobachtungen zum Wissensstand der Teilnehmer zeigten, daß psychoimmunologische Erkenntnisse und ihre Bedeutung für den Umgang mit einer HIV-Infektion in der allgemeinen Beratung bisher nicht aufgegriffen werden. Die Auseinandersetzung mit den möglichen Folgen einer HIV Infektion oder Aids-Erkrankung ist nicht nur für Betroffene, sondern für fast alle Menschen in unserer Kultur emotional belastend.

Die (überwiegend) sexuelle Übertragung des Virus rührt unterschwellige Ängste und Schuldgefühle an, die Krankheit wird unwillkürlich mit Siechtum und Tod assoziiert. Die meisten Menschen versuchen diesen Empfindungen zu entgehen, indem sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema meiden, Hinweise auf Präventivmaßnahmen ignorieren oder ihre Angst und Ablehnung auf Betroffene projizieren. In der literarischen Verarbeitung des Themas beeindruckt vor allem der Mangel an Information, eine eher makabre «Angstlust», Ergebung vor der Macht des Virus und die Verachtung des Körpers. Herve' Guibert (1991) beschrieb in seinem vielbeachteten Schlüsselroman Symptome einer HIV-Infektion folgendermaßen: «...es ist ein Zustand von Schwäche und Ergebung, welcher dem Tier, das man in sich trug, den Käfig öffnet, dem Tier, dem ich gezwungenermaßen unumschränkte Vollmacht gebe, damit es mich verschlingt, daß ich mir lebendigen Leibes antun lassen muß, was an meinem Leichnam zu tun es sich anschickte, um ihn zu zersetzen.»

Zur Bewältigung individueller, aber auch kollektiver Ängste und Vermeidungstendenzen sind neben klaren Informationen auch bestimmte Einstellungen und Haltungen hilfreich. Die Erfahrungen der sieben HIV-Infizierten zeigen jedenfalls, daß wir sowohl Wissen, Überlegung und Intuition als auch Wohlwollen und Hilfsbereitschaft brauchen, um mit der körperlichen und seelisch-geistigen Gefährdung durch die Infektion umgehen zu lernen

 

Gebt AIDS - Kranken eine Chance!

Mein Name ist U. .......: ich bin 34 Jahre alt, verheiratet, seit Abschluß meines 2. Staatsexamens vor 1 1/2 Jahren arbeitslos.
Vor 5 Jahren ließ ich einen HiV-Antikörper-Test durchführen, der positiv ausfiel. Weder gehöre noch gehörte ich je einer der sog. Risikogruppen (Drogenabhängige, Prostituierte etc.) an; allerdings war meine Gesundheit schon immer sehr labil: bereits in meiner Kindheit war ich oft und lange krank, seit meinem 18. Lebensjahr habe ich einen chronischen Leberschaden (1991 als Hepatitis C diagnostiziert), 1990 hatte ich u.a. eine Pracaneerose und Herpes Zoster, 1991 Eppstein-Barr-Virus.

Bei meinem ersten Immunstatus im Oktober 1992 ergab sich ein starker Immundefekt: die Zahl der T4-Helferzellen lag bei 140 cmm (Norm: 455-2145). Mein Arzt sagte mir daraufhin eine Lebenserwartung von ca. 1-2 Jahren voraus. Von Oktober 1992 bis Januar 1994 ließ ich mich schulmedizinisch mit Retrovir (AZT) und Pentacarinat-Inhalationen behandeln, wobei sich mein Allgemeinzustand zunehmend verschlechterte. (Auf meine Frage nach Nebenwirkungen von Retrovir erklärte mir mein damaliger Arzt, es greife zwar das Rückenmark stark an, aber das spiele bei mir keine Rolle mehr).

Im Januar 1994 erfuhr ich erstmals, daß eine wachsende Anzahl namhafter Wissenschaftler die Gleichung ,,HiV=AIDS=Tod mit mir sehr einleuchtenden Argumenten bestreitet. Ich setzte daraufhin sämtliche schulmedizinischen Medikamente ab und bin seitdem bei einem Arzt für Naturheilkunde und einer Heilpraktikerin in Behandlung. Letztere stellte u.a. eine starke Schädigung durch Amalgam, eine -nach den Symptomen wohl schon seit frühester Kindheit bestehende- verdeckte Allergie auf Milchprodukte sowie diverse Mykosen fest.

Gleichzeitig begann ich verstärkt, mich mit den Ursachen meiner Immunschwäche auseinanderzusetzen: da ich als Kind nie das Gefühl erlebt hatte, wirklich geliebt und auf dieser Welt willkommen zu sein, fühlte ich mich auch als Erwachsene meist fremd und lebensüberdrüssig (mehrere Selbstmordversuche im Alter von 17 und 24 Jahren). Gegen den ausdrücklichen Rat meines früheren Arztes begann ich im Februar 1994 mit einer 4-wöchigen Intensiv-Primärtherapie nach Stettbacher (6 x wöchentlich 3 Stunden). Allerdings konnte ich dabei die gestörte Beziehung zu meinen Eltern (und mir selbst) lediglich intellektuell, nicht aber emotional verarbeiten. Auch eine Hypnotherapie war wenig erfolgreich, so daß ich nach 12 Sitzungen zu einem Bioenergetik-Therapeuten wechselte (Oktober 1994).

Die Theorie dieser Methode scheint mir zwar nach wie vor einleuchtend; auch in dieser Therapie habe ich jedoch noch keine nennenswerten Fortschritte zu verzeichnen. Gleichermaßen stagniert die naturheilkundliche Therapie: Amalgam und Allergie sind zwar ausgeleitet, v.a. lebe ich (entgegen der schulmedizinischen Prognose) noch, aber ich leide weiterhin unter Mykosen und einem geschwächten Allgemeinzustand und mein Immunstatus hat sich im Wesentlichen nicht verändert.

Meine Erklärung hierfür ist, daß die Ursachen für meinen Immundefekt weiterhin fortbestehen. Ich habe mich in den letzten Jahren zwar sehr bemüht, zu überleben, aber dies war eher eine Art Trotzreaktion auf die schulmedizinische Diagnose, denn wirkliche Lust zu leben.

Vor ca. 2 Monaten lernte ich über meine Heilpraktikerin eine MS Patientin kennen, die mir von ihrer Synergetik-Therapie erzählte. Ihre Aussagen sowie ein Vortrag von Bernd Joschko, den ich kurz darauf hörte, gaben mir neue Hoffnung, mit Hilfe dieser Methode die meiner Krankheit zugrunde liegenden Probleme und damit die Krankheit selbst überwinden zu können.